Protokoll der Sitzung vom 09.03.2017

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

Wenn ich die Rede des Kollegen Komning richtig verfolgt habe – und, Herr Kollege Holm, ich gehöre zu denen in diesem Haus, die Ihnen tatsächlich, Ihnen und Ihren Fraktionskollegen, zuhören, ich achte da schon auf jedes Wort, das Sie sagen –, dann habe ich es ganz genau gehört, wie er sagte, man müsste endlich dazu kommen, dass der Umverteilungsstaat abgeschafft werden sollte. Der Staat sollte eingeschränkt werden, er sollte sich nur noch auf den Schutz des Eigentums beziehen.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, was heißt das denn? Wenn man das zu Ende denkt – und die AfD in ihrem Parteiprogramm denkt es ja immer wieder zu Ende –, dann bedeutet das, dass in Deutschland und damit auch in diesem Land zum Beispiel das Arbeitslosengeld I abgeschafft wird. Das heißt, wenn jemand arbeitslos wird, steht er auf der Straße und kann im Endeffekt entweder bei seinen Verwandten oder bei anderen Leuten betteln gehen.

(Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD)

Das ist das, was die AfD will. Sie will Bettler in diesem Land produzieren und nichts anderes, und ich bin …

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

(Der Abgeordnete Jochen Schulte spricht bei abgeschaltetem Mikrofon.)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage? (Zu- stimmung)

Mich würde mal persönlich interessieren, damit Sie mich auf den neusten Stand versetzen können, wo Sie in unserem Grundsatzprogramm diesen Punkt gefunden haben, dass wir das Arbeitslosengeld abschaffen wollen.

Herr Kollege Holm, ich brauche da gar nicht auf Ihr Grundsatzprogramm zu rekurrieren, ich nehme die Äußerung Ihres Kollegen Komning vor fünf Minuten in diesem Haus. Da steht das gesprochene Wort. Herr Kollege Holm, vielleicht hören Sie einfach mal Ihrem Fraktionskollegen zu, wenn er hier redet. Ich tue das.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE)

Und, meine Damen und Herren, es ist auch bezeichnend, wir haben es nun in den Monaten dieser Landtagsdebatten immer wieder erlebt, dass hier große Luftblasen von den Kollegen und der Kollegin der AfD produziert werden und kritisiert wird,

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Jetzt gerade.)

was alles anders gemacht werden müsste, und am Ende des Tages ist es dann wie eben, dann wird gesagt, nein, wir wollen keine Entscheidung treffen, wir stimmen nicht dafür, wir stimmen nicht dagegen, wir enthalten uns.

Herr Kollege Komning, meine Dame, meine Herren von der AfD, es wäre wenigstens ehrlich gewesen, wenn Sie nach dieser Rede, die Sie hier gehalten haben, gesagt hätten, wir stimmen gegen diesen Antrag, weil wir grundsätzlich dagegen sind, dass zum Beispiel aus Steuermitteln oder aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit Arbeitsplätze in diesem Land neu geschaffen werden, Menschen in diesem Land qualifiziert werden, dass sie eine Chance haben, tatsächlich Arbeit zu finden. Wenn Sie das nicht wollen, dann ist das eine politische Entscheidung. Das werden am Ende des Tages Ihre Wählerinnen und Wähler beurteilen müssen. Aber dann sagen Sie es wenigstens offen in diesem Haus und verstecken sich nicht dahinter, dass Sie bestimmte Themen wieder nicht mitentscheiden wollen!

Und, sehr geehrter Kollege Ehlers, auch zu Ihnen noch ein Satz, bevor ich mich zu dem Antrag in der Sache, allerdings etwas verkürzt, äußern werde. Herr Kollege Ehlers, natürlich ist es so, dass man immer wieder darüber nachdenken muss, ob die Agenda 2010 tatsächlich heute noch das richtige Instrument in dieser Form ist. Das unterscheidet vielleicht auch von jemandem wie Martin Schulz oder anderen Mitgliedern der SPD. Ich gehöre zu denen, die sich immer dafür eingesetzt haben, dass es diese Agenda 2010 gibt, aber ich gehöre auch zu denen, die immer gesagt haben, wenn es Novellierungsbedarf, wenn es Anpassungsbedarf gibt, dann soll man sich dem nicht verweigern. Man wird eben auch mit der Zeit klüger.

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

Sehr geehrter Herr Kollege Ehlers, das gilt selbst für Teile der CDU. Noch im Jahre 2008 haben die Koalitionsparteien in Berlin – und das war auch die CDU – zum Beispiel die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitslose auf 24 Monate verlängert. Das hätte ja gar nicht passieren dürfen, wenn man nicht in der Lage wäre zu sagen, was vielleicht angepasst geändert werden muss. Und ich finde, es ist eine gute Überlegung, tatsächlich heute zu sagen, wir wollen auch mehr Geld für Qualifizierung in die Hand nehmen. Da sehe ich dann offensichtlich auch einen Gleichklang zwischen dem Landeswirtschaftsminister und den Forderungen der SPD auf Bundesebene.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu dem Antrag noch mal zurückkommen. Wir haben – und Herr Minister Glawe hat es dargelegt – in diesem Land eine durchaus bemerkenswerte Erfolgsgeschichte, wenn man sich die Arbeitsmarktentwicklung anguckt. Wir haben 2005 auf dem Höhepunkt der Arbeitslosigkeit eine Zahl von 211.000 Arbeitslosen in diesem Land gehabt. Heute – darüber kann man streiten, wie das einzelne Beschäftigungsverhältnis ausgestattet ist – sind es 60 Prozent weniger. Wenn man die Zahlen aus diesem Jahr nimmt, die Zahlen des Vorjahresmonats, und mit denen des Februars vergleicht, dann sind – daran wird deutlich, dass es nicht um einen demografischen Wandel geht – nach Aussagen der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit in diesem Zeitraum 8.200 Arbeitsplätze mehr geschaffen worden.

Meine Damen und Herren, auch die Zahl der Langzeitarbeitslosen – und ich glaube, das ist für alle Beteiligten in diesem Haus wichtig – ist in Relation zum Februar 2016 gesunken. Für die 85.000 Arbeitssuchenden, die immer noch zu viel sind, war die Voraussetzung, Arbeit zu fin

den, in diesem Land noch nie so gut, wie das heute der Fall ist. Aber, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, zur Wahrheit gehört auch, dass – und das gilt nicht nur für Mecklenburg-Vorpommern, das gilt für das gesamte Bundesgebiet – es nicht nur statistische Unterschiede regional gibt, sondern dass es höchstreale Unterschiede gibt. Während wir in der westlichen Landeshälfte inzwischen einschließlich des Landkreises Rostock eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von knapp 8,5 Prozent haben und damit – auch das muss man mal ganz deutlich sagen – nur noch knapp über dem Bundesdurchschnitt liegen, das hätten wir vor 15 Jahren in diesem Land doch überhaupt nicht zu träumen gewagt, müssen wir feststellen, dass wir im Durchschnitt im Osten des Landes immer noch bei knapp 13 Prozent liegen.

Und, meine Damen und Herren, natürlich ist weder im Westen dieses Landes alles Gold, was glänzt, und genauso wenig ist im Osten dieses Landes alles nur schwarz und grau. Aber wenn man die Situation betrachtet, ist es so, dass die Schwerpunkte für eine entsprechende Strukturentwicklung im Osten dieses Landes über die Breite gesehen schwieriger sind – Herr Minister Glawe hat zu Recht darauf hingewiesen –, als sie das in weiten Teilen im Westen dieses Landes sind.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich kann es daher nur begrüßen, wenn das Wirtschaftsministerium jetzt bereit ist zu sagen, wir schauen, an welcher Stelle wir mit gezielten Maßnahmen tatsächlich dazu kommen können, dass mehr Menschen in Arbeit kommen. Dazu gehören natürlich auf der einen Seite Strukturentwicklungsmaßnahmen, dazu gehören aber auch Qualifizierungsmaßnahmen, denn wir haben im Osten des Landes durchaus Arbeitsplätze, die besetzt werden könnten, nur, wir müssen die Menschen, die Arbeit suchen, und die Arbeitsplätze, die frei sind, zusammenbringen. Und wenn wir sie zusammenbringen, dann müssen wir auch darüber nachdenken – das ist etwas, was wir als SPDFraktion vor dem Hintergrund dieses Antrages auch vom Wirtschaftsministerium erwarten –, wie wir die entsprechende Mobilitätserhöhung bei denen, die jetzt noch keine Arbeit haben, durch Unterstützung fördern können.

Lassen Sie mich noch einen Satz dazu sagen, Herr Minister Glawe, meine Damen und Herren. Ich glaube – bei aller Kritik, die immer wieder auftaucht an der Person des Parlamentarischen Staatssekretärs, an dem Umstand, dass diese Funktion geschaffen worden ist –, gerade an diesem Punkt zeigt sich, dass es auf der einen Seite eine sinnvolle Lösung ist, wenn durch das Wirtschaftsministerium aus seiner Kenntnis der Dinge, und damit meine ich nicht nur den Bereich Arbeitsmarktpolitik, sondern insbesondere auch den Bereich Wirtschaftspolitik, diese fachlich bezogenen Kenntnisse zusammenfließen mit den regionalspezifischen Kenntnissen, die der Parlamentarische Staatssekretär unzweifelhaft in diese Arbeit einbringen kann. Daran allein zeigt sich, wie sinnvoll eine entsprechende Lösung sein wird.

Meine Damen und Herren, wir haben in den vergangenen Jahren durchaus viel erreicht. Wir haben erreicht, dass die Menschen in diesem Land nicht nur mehr Arbeit gefunden haben, wir haben erreicht – auch wenn wir manchmal unseren Koalitionspartner dazu mehr liebevoll umarmen mussten, damit es in die richtige Richtung geht, …

(Vincent Kokert, CDU: Dagegen weigere ich mich entschieden, Herr Schulte.)

Dich würde ich auch nie liebevoll umarmen.

(Heiterkeit bei Simone Oldenburg, DIE LINKE – Zurufe aus dem Plenum: Oh!)

… dass wir sie dann vielleicht nicht ganz so liebevoll umarmen mussten, manchmal dann eher prügeln –, dass es in die richtige Richtung geht, was die Frage von Lohnsteigerung angeht, zum Beispiel durch die Schaffung eines vergabespezifischen Mindestlohns.

Aber auch den Weg sind wir gegangen und wir freuen uns darüber, dass die Kolleginnen und Kollegen der CDU jetzt gemeinsam mit uns den Weg gehen wollen, dass tatsächlich mehr Menschen zum Beispiel durch Qualifizierungsmaßnahmen in diesen speziell geprägten Räumen mit den entsprechenden strukturellen Problemen Arbeit finden.

(Sebastian Ehlers, CDU: Das ist ein guter Antrag, Herr Schulte.)

Herr Minister Glawe, Sie haben das Wort „Bürgerarbeit“ hier in die Debatte eingeführt. Auch da – und ich bin gespannt, wie das konkret umgesetzt werden soll durch das Ministerium – finde ich es gut vor dem Hintergrund der jahrelangen Debatten, die zwischen SPD und CDU geführt worden sind, in welcher Form, ich nenne das jetzt mal Bürgerarbeit, Menschen auf kommunaler Ebene in Arbeit gebracht werden können, und dass diese Idee jetzt von Ihnen aufgenommen wurde. Ich bin gespannt, Herr Minister Glawe, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wie das dann entsprechend finanziell untersetzt wird.

Meine Fraktion ist sehr zufrieden mit dem Antrag und ich kann nur dafür werben, dass sie eine breite Unterstützung in diesem Haus findet. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Burkhard Lenz, CDU)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter.

Für DIE LINKE erhält jetzt das Wort der Abgeordnete Herr Holter.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor einiger Zeit sagte jemand zu mir, das politische Koordinatensystem ist durcheinandergekommen. Heute kann ich feststellen, der Mann hat recht. Solange die SPD federführend für die Arbeitsmarktpolitik in Mecklenburg-Vorpommern zuständig war, war eine solche Rede, wie ich sie heute von Harry Glawe gehört habe, hier nicht möglich.

(Sebastian Ehlers, CDU: Sehen Sie!)

Und als die Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD abgeschlossen waren, habe ich gedacht: Mein Gott, Harry Glawe wird Arbeitsminister!

(Sebastian Ehlers, CDU: Gott sei Dank!)

Was soll daraus werden?! Heute sage ich: Gott sei Dank, Harry Glawe ist Arbeitsminister!

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Sebastian Ehlers, CDU: Ja, richtig.)

Aber, lieber Harry, pass auf, dass du nicht eines Tages mit Helmut angesprochen wirst!

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

Das, was Sie, Herr Minister, hier vorgetragen haben, hat natürlich ein paar Erinnerungen bei mir hervorgerufen.

Es gab zu Zeiten der rot-roten Koalition ein Arbeitsmarkt- und Strukturentwicklungsprogramm. Und ein Prinzip dieses Programms war was, Herr Ehlers? Regionalisierung!

(Dr. Ralph Weber, AfD: Das war abschreckend.)

Die Regionalbeiräte gehen genau auf mich zurück, das will ich hier noch mal feststellen, und die haben die ganze Zeit gearbeitet und die strukturspezifischen Bedingungen sowie die arbeitsmarktpolitischen Bedingungen in den jeweiligen Regionen zur Grundlage ihrer Arbeit gemacht. Wenn das, Herr Ehlers, im Antrag stehen würde, was Harry Glawe hier ausgeführt hat, dann könnten wir dem Antrag zustimmen. So fordern Sie aber eine Analyse, ein Maßnahmenplan muss erarbeitet werden und irgendwann ein Bericht, also Ende 2018.

Deswegen möchte ich beantragen, dass der Antrag in den zuständigen Ausschuss, in dem Fall in den Wirtschaftsausschuss überwiesen wird, damit wir dort über diesen Antrag reden können, und wenn man ihn dort qualifizieren kann im Sinne der Rede des Ministers, dass er dann auch für uns zustimmungsfähig wird. Also, Frau Präsidentin, ich beantrage die Überweisung in den Wirtschaftsausschuss.

Was mich dann schon verwundert hat, ist, dass Sie in dem Antrag das eine schreiben und hier etwas anderes reden. Sie nehmen den Osten, Vorpommern, Ostmecklenburg und die ländlichen Gestaltungsräume in den Fokus Ihres Antrages. In Ihren Reden betonen Sie auf einmal das ganze Land.

(Zuruf von Sebastian Ehlers, CDU)