Protokoll der Sitzung vom 27.08.2020

Lassen Sie mich eines vorwegnehmen: Ich gehe davon aus, dass wir uns alle der Ernsthaftigkeit der Situation, in der sich die Werftenindustrie in unserem Land und insbesondere die drei MV WERFTEN befinden, bewusst sind. Doch lassen Sie mich zunächst einen Blick zurückwerfen, denn nur wer die Vergangenheit richtig zu deuten weiß, kann zukünftig Zukunft nachhaltig gestalten.

(Horst Förster, AfD: Sehr richtig!)

Die Werften in Wismar, Rostock, Warnemünde, Stralsund und Wolgast sind Teil der maritimen Industrie des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Ihre Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg war eine Folge der Teilung Deutschlands, des Verlustes der Stettiner Großwerft und der Reparationsansprüche der Sowjetunion. Die Werften der DDR produzierten primär für den eigenen Bedarf, zum Beispiel Fahrgastschiffe, Spezialschiffe, diverse Marineschiffe, die Schiffe für die Hochsee- und Küstenfischerei, Fischverarbeitungsschiffe und natürlich Schiffe für die Flotte der Sowjetunion.

Nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes brach der Markt dafür nahezu komplett zusammen. Es brach die Zeit der Um- und Neustrukturierung an. Zunächst hieß es unter der damaligen CDU-FDP-Regierung, erst sanieren, dann privatisieren. Die erste Privatisierungswelle wurde dann aber doch bereits 1992/1993 eingeleitet. Wenn ich mich recht erinnere, stürzte der damalige Ministerpräsident Alfred Gomolka wegen der Werftenproblematik nach nur zwei Jahren Amtszeit.

(Torsten Renz, CDU: Hoffentlich haben Sie genug Redezeit.)

Er hatte sich dem Verkauf der Wismarer Werft an den Bremer Vulkan entgegengestellt. Die Demonstrationen der Werftarbeiter, die für den Verkauf an den Bremer Vulkan plädierten, beendeten seine Amtszeit vorfristig.

(Torsten Renz, CDU: Sie wussten das damals schon, ne?!)

Doch für die Betriebe, die an den Bremer Vulkan gingen – die Wismarer Werft, das Dieselmotorenwerft und die Volkswerft Stralsund –, begann eine jahrzehntelange Ungewissheit. Sie erlebten zunächst die Zweckentfremdung der Fördermittel durch den insolventen Bremer Vulkan und folgerichtig 1996/1997 die zweite Privatisierung an den norwegischen Aker-Konzern und wurden 2007 beziehungsweise 2008 zum Teil an weitere ausländische Anbieter weiterverkauft.

(Zurufe von Dietmar Eifler, CDU, und Torsten Renz, CDU)

In dem Zusammenhang war vom zuständigen Ministerium eine Studie mit dem Thema „Zukunftsperspektiven der maritimen Industrie in Mecklenburg-Vorpommern“ in Auftrag gegeben worden. Meines Wissens die CONTRADE Consulting & Services GmbH hat dies bearbeitet.

Mit der ersten und zweiten Werftenprivatisierung, Konkursverschleppungen, Insolvenzen und vielfachem Eigentümerwechsel haben etliche Teile der Werftenindustrie leidvolle Entwicklungen durchlaufen. Viele Arbeitsplätze sind in diesem Bereich seit 1990 verloren gegangen. Reine Erfolgsgeschichten sind rar.

Das Land regelte im Jahr 2013 die Werftenförderung, wohl auch unter Druck der EU, in einem Werftenförderungsgesetz, in dem der mögliche Umfang und das Prozedere für Bürgschaften geregelt wurden.

(Zuruf von Dietmar Eifler, CDU)

Im März 2016 war die Hoffnung groß, als das malaysischchinesische Schifffahrtunternehmen Genting Hong Kong die damaligen Nordic Yards Werften zu einem Kaufpreis von 230 Millionen Euro erwarb. Im Juli 2016 wurde durch die Genting Hong Kong Gesellschaft die Gründung der MV WERFTEN mit den Standorten Wismar, Warnemünde und Stralsund bekanntgegeben.

Ich möchte das gar nicht kleinreden. Der Eigentümer wollte mit eigenen Werften für seine eigenen Reiseunternehmen Kreuzfahrtschiffe produzieren, die Endeavor Class und die Global Class, Letztere in außergewöhnlicher Größe. Die „Endeavor“ ist nahezu fertig und sollte 2020 abgeliefert werden. Die „Global I“ befindet sich im Rohzustand. Die Finanzierung der Schiffe über Kredite wird durch Bürgschaften des Landes und des Bundes in Millionenbeträgen abgesichert.

Die Corona-Pandemie hat nun eine völlig neue Situation erzeugt. Die Einnahmesituation des Konzerns Genting Hong Kong auf dem asiatischen Markt ist offenbar eingebrochen. In der 34. Kalenderwoche 2020 hat der GentingKonzern bekanntgegeben, aktuell alle Zahlungen an Gläubiger auszusetzen und eine Restrukturierung des Konzerns anzustreben. Die Presse hat bereits mehrfach darüber berichtet. Dies wird voraussichtlich unmittelbare Auswirkungen auf die wirtschaftliche und finanzielle Situation der drei MV WERFTEN und gegebenenfalls auf die Bürgschaftsverpflichtung des Landes und des Bundes haben.

Unser Dringlichkeitsantrag beinhaltet zwei Punkte:

Erstens. Er fordert die Landesregierung auf, dem Landtag einen Situationsbericht über die MV WERFTEN und Genting Hong Kong zu geben. Dieser Bericht sollte fundiert sein, sodass wir die 39. Kalenderwoche als Zieltermin vorgegebenen haben.

Zweitens. Er fordert die Landesregierung auf, ein erstes Konzept für optionale Entwicklungspotenziale für die Werftenindustrie in Mecklenburg-Vorpommern erarbeiten zu lassen, und zwar bis Ende November 2020.

Der Antrag der Fraktion DIE LINKE setzt demgegenüber lediglich auf die Hoffnung, dass der Bund im Rahmen des Großbürgschaftsprogramms weitere Steuergelder für die Werften zur Verfügung stellt. Dabei wird, ich zitiere,

„der Verhinderung von Arbeitslosigkeit … oberste Priorität“ eingeräumt.

(Zuruf von Dietmar Eifler, CDU)

Das erinnert sehr an alte DDR-Wirtschaftsformen. Wohin diese Denkweise führt, sollte allen DDR-Bürgern nur zu gut in Erinnerung sein, nämlich in den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kollaps.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Natürlich werden auch wir einer Vernichtung von Arbeitsplätzen nicht tatenlos zusehen. Dabei darf aber die nüchterne wirtschaftliche Vernunft nicht verloren gehen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Im Punkt 2 fordert der Antrag der LINKEN die Landesregierung auf, ich zitiere, „für die Werftstandorte in Mecklenburg-Vorpommern Zukunftsstrategien zu entwickeln“, Zitatende, und sich an den Erfahrungen des Braunkohleausstiegs zu orientieren. Das klingt in meinen Ohren bereits nach Abgesang für die maritime Wirtschaft.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Das klingt nach Plan B.)

Zudem dürfte die Landesregierung für eine derartige Aufgabe die hinreichende Kompetenz nicht besitzen, sondern sie müsste sich diese einkaufen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wir trauen der Landesregierung das zu.)

Insofern können wir diesem Antrag aufgrund wesentlicher inhaltlicher Mängel keinesfalls zustimmen.

Nun noch einige Bemerkungen zum …

Herr Dr. Jess, ich wollte Sie nur darauf hinweisen, dass Sie noch in der Einbringung und nicht in der Aussprache sind, das heißt, Sie bringen Ihren Antrag ein. Also Auseinandersetzungen mit anderen Anträgen finden in der Einbringung in der Regel nicht statt.

Ja, aber das kann ich ja trotzdem erwähnen. Ich muss ja auch …

Nein, das kann man nicht erwähnen.

Wenn ich Ihnen diesen vorsichtigen Hinweis gebe, dann war der schon vorsichtig formuliert. Ich kann ihn auch anders formulieren.

Gut, dann nehme ich das so an und ich werde, unser zweiter Redner wird das entsprechend aufnehmen.

(Heiterkeit bei Wolfgang Waldmüller, CDU)

Ich will damit nur sagen, also abschließend sagen, wir werden uns natürlich mit unserem Antrag, wir haben mit unserem Antrag beabsichtigt, eine öffentliche Diskussion über die Werftenproblematik anzustoßen. Das ist uns gelungen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD und Holger Arppe, fraktionslos)

Vielen Dank, Herr Abgeordneter!

Das Wort zur Begründung des Antrages der Fraktion DIE LINKE hat die Fraktionsvorsitzende Frau Oldenburg.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Werften rettet man nicht einfach nebenbei, denn die Werftmitarbeiterinnen und Werftmitarbeiter, die Zulieferunternehmen und deren Beschäftigte brauchen Sicherheit. Und MecklenburgVorpommern braucht auch Sicherheit, Sicherheit für die drei Einzelstandorte und Sicherheit für das Land als maritimer Standort. Wir wissen spätestens seit Juni dieses Jahres, dass es kein „Weiter so!“ geben wird und geben kann. Und deshalb ist es eben so wichtig, dass Ängste genommen und Perspektiven für die Beschäftigten und für die Standorte erarbeitet werden.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Und das, sehr geehrter Herr Dr. Jess, unterscheidet unsere Intention – und ich nehme jetzt mal SPD und CDU mit hinein – und die Intention der Koalition von Ihrer. Wir wollen nämlich alle Arbeitsplätze erhalten und nicht nur die einheimischen Arbeitsplätze oder die Arbeitsplätze, die mit einheimischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besetzt sind, was Sie eben gesagt haben. Sie möchten wissen, wie viel einheimische Arbeitnehmer würden hier in die Arbeitslosigkeit gehen. Pfui Teufel!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Zuruf von Dr. Gunter Jess, AfD)

Gestatten Sie mir auch hier den Hinweis: Wir sind noch in der Einbringung. Das Ganze wäre dann das Thema für die Aussprache.

(Unruhe vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Ja, das ging nicht anders.

(Heiterkeit und Zuruf von Stephan J. Reuken, AfD)