Protokoll der Sitzung vom 13.03.2002

Die Beschlussfähigkeit kann ich leider noch nicht feststellen. Wir werden dies zu gegebener Zeit nachholen.

Jetzt kann ich Ihnen eine erfreuliche Mitteilung machen. Ich kann Ihnen nämlich vermelden, dass unser Kollege Alfred Reckmann heute Geburtstag hat. Er wird 54 Jahre alt.

(Beifall im ganzen Hause)

Wir gratulieren ihm herzlich und wünschen ihm alles Gute. Er hat mich wissen lassen, dass niemand von Ihnen heute Geld einstecken müsse. Er würde das schon machen.

(Mühe [SPD]: Herr Präsident, das ist etwas ganz Neues!)

Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 12 - Dringliche Anfragen. Anschließend setzen wir die Beratungen in der Reihenfolge der Tagesordnung fort mit der Abweichung, dass um 14.30 Uhr nicht Tagesordnungspunkt 21, sondern der ursprünglich für gestern vorgesehene Tagesordnungspunkt 10 - Beteiligung des Landtages an EU-Vorhaben, zu denen die Landesregierung dem Landtag gemäß Artikel 25 der Niedersächsischen Verfassung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat - Drs. 14/3167 - behandelt wird. Die Tagesordnungspunkte 23 und 32 sind bereits ohne erste Beratung an die Ausschüsse überwiesen worden. Anstelle von Tagesordnungspunkt 23 behandeln wir den für morgen vorgesehenen Tagesordnungspunkt 35 - Aktionsprogramm zur Beschäftigungsförderung und zum CO2-Klimaschutz in Niedersachsen - Drs. 14/3201.

Die heutige Sitzung soll gegen 18.50 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr, wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch den Schriftführer.

Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Ministerpräsident Gabriel bis 11 Uhr, der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herr Bartels, der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten in der Staatskanzlei, Herr Senff, bis 10.30 Uhr, von der Fraktion der SPD Herr Brauns, Herr Endlein und Herr Mientus.

Wir kommen nun zu

Tagesordnungspunkt 12: Dringliche Anfragen

Hierzu liegen drei Beratungsgegenstände vor. Wir beginnen mit

a) Beamte im Netz - keine pauschalen Anschuldigungen gegen niedersächsische Landesbedienstete - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 14/3212

Wer trägt sie vor?

(Plaue [SPD]: Frau Leuschner!)

- Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine im Auftrag des Landesrechnungshofes durchgeführte Untersuchung zur Internetnutzung durch Landesbedienstete will herausgefunden haben, dass 44 % der in niedersächsischen Landesbehörden getätigten Internetzugriffe nichts mit der eigentlichen Arbeit zu tun haben. Hieraus wird die Schlussfolgerung gezogen, dass dem Land durch privates „Surfen“ pro Jahr 753 000 Arbeitsstunden der Beamten und Angestellten verloren gingen. Auffallend häufig seien Online-Shops und Erotikangebote „angeklickt“ worden. Vonseiten der Landesregierung sind die Zahlen des Landesrechnungshofes als grob überzeichnet zurückgewiesen worden. Dennoch hat allein durch die Veröffentlichung des Zahlenmaterials das Ansehen der niedersächsischen Landesbediensteten in der öffentlichen Wahrnehmung stark gelitten.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Wie beurteilt sie die vom Landesrechnungshof vorgestellten Zahlen zur privaten Internetnutzung durch Landesbedienstete?

2. Wie schätzt sie das Ausmaß der privaten Internetnutzung durch Landesbedienstete ein?

3. Welche Möglichkeiten bestehen, um mit vertretbarem finanziellen, technischen und organisatorischen Aufwand dafür Sorge zu tragen, dass zweifelhafte Internetangebote, insbesondere solche pornografischen oder extremistischen Inhalts, von Rechnern der Landesverwaltung nicht aufgerufen werden können?

Diese Dringliche Anfrage wird beantwortet durch den Herrn Finanzminister.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Überschrift der Dringlichen Anfrage „Beamte im Netz - keine pauschalen Anschuldigungen gegenüber niedersächsischen Landesbediensteten“ weist schon auf das Thema an sich hin. Frau Leuschner hat den Sachverhalt aber noch einmal dargestellt und rekonstruiert.

Der Prüfbericht des Landesrechnungshofs zur Nutzung der Arbeitszeit von Landesbediensteten für private Internetrecherchen enthält eine qualitative und eine quantitative Aussage. Die qualitative Komponente in diesem Prüfbericht sagt aus, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung - übrigens einschließlich des Landesrechnungshofs - das Internet für private Recherchen nutzen. Um diese Feststellung zu treffen, wäre allerdings kein Prüfbericht notwendig gewesen. Jeder, der sich in den letzten Jahren mit dieser Thematik auch nur ansatzweise beschäftigt hat, weiß, dass dienstliche Internetanschlüsse sowohl in der freien Wirtschaft als auch in der Verwaltung privat genutzt werden können und auch privat genutzt werden.

Neu aufgetreten ist allerdings die Frage, in welchem Umfang das in der öffentlichen Verwaltung stattfindet. Über den öffentlichen Bereich gibt es inzwischen erste Veröffentlichungen. Gestern Abend hat der Bundeskanzler in diesem Zusammenhang bei der Eröffnung der CeBIT eine nette Aussage getroffen. Er hat gesagt, dass die niedersächsischen Beamten offensichtlich in der Lage seien, das Internet zu benutzen, was nicht überall

auf der Welt so sei, auch nicht bei den Beschäftigten in der Privatwirtschaft und im übrigen öffentlichen Dienst. Der Landesrechnungshof habe den niedersächsischen Landesbediensteten insofern ein ausdrückliches Kompliment gemacht; denn sonst hätte dieser Nachweis ja nicht angetreten werden können. - Das waren Spaß und Ironie des Bundeskanzlers. Ich sage das ausdrücklich, damit ich nicht darauf festgenagelt werde.

Aufgrund der vorliegenden Fakten hat mein Haus in enger Abstimmung mit den Ressorts schon im Jahr 1999 Rahmenregelungen zur Nutzung des Internets ausgearbeitet, abgestimmt und im Niedersächsischen Ministerialblatt veröffentlicht. Eine aktualisierte Fassung dieser Rahmenregelung wurde im Dezember 2000 ebenfalls im Ministerialblatt veröffentlicht und ist damit ebenfalls für alle zugänglich. An anderer Stelle werde ich noch ausführlicher auf diese Rahmenregelungen eingehen.

Die quantitativen Aussagen des Prüfberichts muss ich hingegen erheblich in Zweifel ziehen, auch wenn den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesverwaltung im Vergleich mit den Beschäftigten in der Privatwirtschaft indirekt attestiert wird, dass sie sehr viel weniger Zeit für private Internetrecherchen aufwenden. Laut Prüfbericht surft der Landesbedienstete ca. eine Stunde pro Woche privat im Internet, der Beschäftigte in der Privatwirtschaft allerdings ca. drei Stunden.

Nach meiner Einschätzung lautet die entscheidende Botschaft des Prüfberichts, dass die Beamten und Angestellten in der Landesverwaltung unter dem Strich sogar verantwortungsbewusster mit dem Internet umgehen als andere Arbeitnehmer. Stattdessen - das war bei diesem Prüfbericht wohl auch hinterlegt, und so ist es insbesondere auch vom Bund der Steuerzahler kommentiert worden wurden jedoch althergebrachte Klischees beschworen und die Beamtinnen und Beamten und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Berichterstattung über den Prüfbericht öffentlich und pauschal an den Pranger gestellt. Das halten wir für nicht in Ordnung, meine Damen und Herren. Dies ist unfair und in der Sache nicht gerechtfertigt. Auch hier stimmt uns der Landesrechnungshof zu. Er hat nämlich mittlerweile erklärt, dass die Landesbediensteten ihre Arbeit „engagiert im Interesse der Bürgerinnen und Bürger des Landes verrichten“.

Dennoch bleibt die Frage, inwieweit der Prüfbericht als quantitative Grundlage für eine genaue Betrachtung der privaten Internetnutzung in der

Landesverwaltung wirklich taugt. Nach intensivem Studium des Prüfberichts wirft nämlich die Methodik der Untersuchung eine ganze Reihe von Fragen auf. Selbst der Landesrechnungshof räumt dies in seiner Bewertung des Prüfergebnisses in Kapitel 4.2 ein. Ich zitiere wörtlich:

„Wir haben vorstehend mehrfach darauf hingewiesen, dass die Möglichkeiten einer genauen Analyse der Internetnutzung durch Landesbedienstete sehr begrenzt sind. Die Ergebnisse basieren zwar auf einer exakten Protokollierung der Internetzugriffe, deren Auswertung ist jedoch zu einem beachtlichen Teil abhängig von Einschätzungen, Durchschnittswerten und Erkenntnissen aus Quellen außerhalb des öffentlichen Dienstes.“

Der Landesrechnungshof hat beispielsweise im Rahmen der Auswertung der Protokolldateien die Internetzugriffe kategorisiert. Dabei wurden die einzelnen Kategorien privaten Interessen - z. B. Finanzen, Geldanlage, Aktienkurse, Pornografie, Erotik - oder dienstlichen Interessen - diese sind nicht aufgelistet worden - zugeordnet. Welche Internetadresse dabei welcher Kategorie zugeordnet wurde, kann dem Prüfbericht nicht entnommen werden. Der Landesrechnungshof führt in seiner Bewertung der Prüfergebnisse in Kapitel 4.2 dazu aus:

„Hinsichtlich der Zuordnung der Internetanfragen zu Themenbereichen und deren Zuordnung zu dienstlichem oder privatem Interesse könnte Diskussionsbedarf bestehen.“

Ganz klar war sich der Landesrechnungshof bei seiner Zuordnung also auch nicht. Es ist aber mittlerweile unstrittig, dass eine Reihe von dienstlichen Internetrecherchen nach der angewandten groben Unterscheidung pauschal als „privat“, andere pauschal als „halbprivat“ gewertet werden. Damit wird deutlich, dass ein Bewertungsmaßstab eingeführt worden ist. Wir müssen also von einer Überzeichnung der privat gewerteten Zugriffe ausgehen, mindestens aber kann man sagen: Es ist nicht auszuschließen, dass eine Fehlbeurteilung vorliegt.

In dem Prüfbericht wird die Zahl der an 365 Tagen im Jahr privat aufgerufenen Webseiten mit 71 371 988 angegeben. Das ist eine Hochrechnung

auf der Basis der Protokolldateien aus der 36. Kalenderwoche 2001. Der Landesrechnungshof relativiert diese Zahl allerdings gleich selbst, indem er feststellt:

„Es mag fraglich bleiben, ob diese Woche für ein ganzes Jahr repräsentativ sein kann.“

Dies ist nicht die einzige Frage, die offen bleibt. Obwohl der Landesrechnungshof selbst ausführt, dass der für private Internetrecherchen aufgewendete Zeitumfang nicht genau feststellbar sei, unterstellt er beispielsweise pauschal eine angenommene Verweildauer von 38 Sekunden pro Webseite, um auf dieser Basis eine angeblich verlorene Arbeitszeit von 753 371 Stunden und einen Verlust von 37,7 Millionen Euro zu errechnen. Diese Zahlen sind das Ergebnis der Multiplikation einer fraglichen Hochrechnung mit einer nicht weniger fraglichen pauschalen Schätzung; denn diese Schätzung beruht auf einer ländervergleichenden Untersuchung der Internetnutzung von – wohlgemerkt! - privaten Haushalten. Solche Hochrechnungen erscheinen uns mindestens fragwürdig und nicht direkt in den öffentlichen Sektor übertragbar.

Der Prüfbericht kann nach meiner Ansicht nur mit Einschränkungen als Handlungsgrundlage für das weitere Vorgehen dienen, da die Auswertung mit großen Unwägbarkeiten und auch Fehlern behaftet ist. Schon die Grundgesamtheit der in den Protokolldateien gezählten Seitenzugriffe scheint mit über 33 Millionen an zehn Tagen äußerst hoch. Es ist nach wie vor nicht auszuschließen, dass über Werbebanner verlinkte Seiten in die Auswertung einfließen konnten, ohne dass sie auch tatsächlich angeklickt wurden. Dies würde zum einen die Gesamtzahl der Internetzugriffe und damit verbunden auch Prognosen über angeblich „verlorene“ Arbeitszeit in die Höhe treiben, würde zum anderen aber auch eine weite Überzeichnung des Anteils der als privat gewerteten Seitenzugriffe bewirken. Und auch die Bereinigung der Mehrfachzählung von Seitenzugriffen bei Arbeitsvorgängen, die mehrere Klicks erfordern, fußt auf einem pauschal angesetzten Faktor, dessen Herleitung uns nicht nachvollziehbar ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Die ermittelten Zahlen enthalten eine zu große Menge unbekannter Variablen, als dass sich aus dem Bericht wirklich valide Schlüsse ziehen ließen. In der Auswertung werden mehrfach pauschale Schätzzahlen zu Hochrechnungen in Beziehung gesetzt, die wieder

um auf einer zumindest ungenauen, wenn nicht fehlerhaften Datenbasis fußen. Die Gesamtzahl der Seitenzugriffe scheint schon bei einer ersten Wertung zu hoch gegriffen, der angebliche private Anteil von 44 % erscheint überzeichnet, die hierauf fußenden Hochrechnungen angeblich verlorener Arbeitszeit erscheinen als schlichtweg nicht haltbar, und das, obwohl die berechneten Werte selbst auf dieser Basis immer noch deutlich besser sind als in der privaten Wirtschaft.

Auch der Landesrechnungshof zeichnet in einer Pressemitteilung vom 7. März 2002 das ursprünglich harte Ergebnis des Prüfberichtes mittlerweile deutlich weicher. Ich zitiere nochmals wörtlich:

„Deshalb ist nach den Erkenntnisse dieser Prüfung davon auszugehen, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesverwaltung ihren Dienst engagiert im Interesse der Bürgerinnen und Bürger des Landes verrichten. Ausnahmefällen ist entgegenzutreten.“

Dem schließen wir uns ausdrücklich an. Das ist eine angemessene Bemerkung zu diesem Sachverhalt. Wohlgemerkt: Die Ausnahmen sind hier angesprochen.

Der Landesrechnungshof weist ferner darauf hin, dass organisatorische und technische Kontrollen hilfreich sein könnten, dass aber die Anregung einer Leitbilddiskussion - ich gehe davon aus: über den Umgang mit dem Internet - wichtiger sei.

Die wenigen aufgeführten Beispiele machen aus meiner Sicht deutlich: Die Prüfergebnisse des Landesrechnungshofs sind nur mit Einschränkungen haltbar. Die Landesregierung sieht daher erheblichen Gesprächs- und Klärungsbedarf mit dem Landesrechnungshof, will aber auch die Personalvertretungen und Gewerkschaften in die Diskussion über das Generalthema Internetnutzung im Dienst mit einbeziehen.

Zu Frage 2: Es ist unstrittig, dass das Internet von den Beschäftigten der Landesverwaltung neben einer umfangreichen, effizienten, Zeit und Kosten sparenden dienstlichen Nutzung in Teilen auch für private Recherchen genutzt wird. In welchem Umfang dies geschieht, ist derzeit nicht exakt zu ermitteln. Der Prüfbericht des Landesrechnungshofs beantwortet diese Frage jedenfalls nur unzureichend. Aus den genannten Gründen können wir aber davon ausgehen, dass die Beschäftigten in der

Landesverwaltung weitaus weniger aus privatem Anlass surfen, als dies der Prüfbericht des Landesrechnungshofs nahe legt. Unstrittig ist, dass die Beschäftigten in der Landesverwaltung weniger privat surfen, als es offensichtlich in der freien Wirtschaft üblich ist.

Ich halte es für sehr bedauerlich, dass die Beschäftigten der Landesverwaltung durch die Berichterstattung über den Prüfbericht öffentlich in Misskredit gebracht wurden, nicht nur deshalb, weil die vorliegenden Daten den vielfach vermittelten Eindruck einer faulen Beamtenschaft nicht rechtfertigen, sondern auch, weil hier alle Beschäftigten der Landesverwaltung ganz pauschal diesem Generalverdacht ausgesetzt waren. Viele Beamte und Angestellte sind in der vergangenen Woche auf die Berichterstattung angesprochen worden, und die meisten von ihnen haben sich nichts zuschulden kommen lassen; viele haben nicht einmal einen Internetzugang im Büro. Zurzeit werden in der Landesverwaltung diverse E-Government-Projekte geplant und auch in naher Zukunft, zunächst in Pilot - -