Protokoll der Sitzung vom 23.04.2002

Unsere Landesinitiative „Orientierungszeit“, die wir in unserem Entschließungsantrag vorgeschlagen haben, wendet sich an die Jugendlichen, die aufgrund dieser schwierigen Arbeitsmarktlage in absehbarer Zeit voraussichtlich keinen Arbeitsplatz finden werden. Mit Hilfe einer Analyse ihrer individuellen Fähigkeiten und Defizite sollen sie die Möglichkeit haben, durch Praktika, aber auch durch Engagement in allen möglichen gesellschaftlichen Bereichen Erfahrungen zu sammeln, Kontakte zu knüpfen, soziale Kompetenzen zu

erwerben und damit ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Wir wollen ausdrücklich, dass diese Erfahrung nicht nur im gewerblichen oder im Dienstleistungsbereich gesammelt werden kann, sondern auch im Bereich bürgerschaftlichen und ehrenamtlichen Engagements gewonnen werden kann.

Im Gegensatz zur SPD-Landtagsfraktion reagieren diejenigen, die mit diesen Jugendlichen arbeiten und täglich vor dem Problem stehen, diesen Jugendlichen eine sinnstiftende Perspektive anzubieten, sehr interessiert auf unseren Vorschlag. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendaufbauwerke hat mich zu ihrer nächsten Sitzung eingeladen, damit wir über den Vorschlag der „Orientierungszeit“ miteinander diskutieren und beraten können, wie wir diesen Vorschlag in die politische Praxis umsetzen können.

Ich weiß, dass wir mit unserem Vorschlag einen neuen und eher ungewöhnlichen Weg einschlagen. Aber angesichts der Tatsache, dass so viele wichtige gesellschaftliche Aufgaben liegen bleiben und dass so viele Jugendliche eine sinnstiftende Tätigkeit suchen, sollten wir - vielleicht auch im Vollbesitz unserer Zweifel - den Mut haben, einen neuen Weg zu gehen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Der Kollege Mühe spricht für die Regierungsfraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Wulff, es ist mir unverständlich, dass es für Sie erschreckend ist, dass wir diese Anträge ablehnen. Das ist doch völlig klar: Der Antrag der SPD-Fraktion, der im März beschlossen wurde, enthält den größten Teil Ihrer Forderungen. Die Vorschläge, die jetzt noch zusätzlich darin enthalten sind, werden durch unsere Programme abgedeckt, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Es ist doch eine Verhöhnung des Landtages, dass er etwas beschließen soll, das es schon lange gibt. Was soll das in der Öffentlichkeit für ein Bild ab

geben, wenn wir ständig Beschlüsse über Dinge fassen, die die Landesregierung schon seit Jahren praktiziert?

(Zuruf von Fischer [CDU])

Ich greife auf das Jahr 1990 zurück und nenne Ihnen ein ganz simples Beispiel: Ich war letzte Woche in der Stadt Salzgitter und habe mir im RAN und RABaZ-Büro erklären lassen, was dort alles stattfindet. Ich nenne Ihnen nur eine Zahl: 1990 saß dort eine Person. Heute sitzen dort zusammen mit den Mitarbeitern des zukünftigen Jugendbüros 13 Personen, die sich um arbeitslose Jugendliche kümmern, um sie in Arbeit und Ausbildung zu bringen.

(Frau Pawelski [CDU]: Und der Er- folg? - Das wollen wir wissen!)

Dies ist ein schlagendes Beispiel dafür, was die Landesregierung in den vergangenen Jahren in diesem Bereich entwickelt und auch erfolgreich durchgeführt hat. Frau Pawelski, es gab 1984 91 000 arbeitslose Jugendliche in Niedersachsen. Heute sind es 47 000. Da wurde etwas erfolgreich gestaltet.

Insofern frage ich: Wer hat denn die RANProgramme entwickelt? - Das war die sozialdemokratische Landesregierung. Wer hat denn RABaZ entwickelt? - Das war diese Landesregierung. Wer hat in Niedersachsen denn die Zahl der Jugendwerkstätten auf 97 erhöht? - Das war diese Landesregierung. Wer hat das Bündnis für Arbeit ins Leben gerufen und erfolgreich arbeiten lassen? Nein, nein, meine Damen und Herren, die Programme, die die Landesregierung aufgelegt hat, sind so gut und greifen so gut, dass es nicht mehr erforderlich ist, noch weitere Programme zu schaffen.

(Klare [CDU]: Glaubst du das wirk- lich?)

Jetzt möchte ich auch noch einmal an die Ehrlichkeit appellieren. Schauen Sie sich, Herr Wulff, einmal Ihren eigenen Antrag zum Doppelhaushalt 2002/2003 an. Welche zusätzlichen Mittel findet man dort?

(Viereck [SPD]: Null Mark! - Gegen- ruf von Wulff (Osnabrück) [CDU]: Ist doch gar nicht wahr!)

Null Mark an zusätzlichen Mitteln!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Anträge der Fraktionen der CDU und der Grünen haben eine Vorgeschichte. Das ist die Veröffentlichung der Statistik des Landesarbeitsamtes vom Juli 2001. Damals hat die CDU-Fraktion eine Presseerklärung verbreitet, in der die Jugendarbeitslosigkeit maßlos dramatisiert worden ist. Immer wieder ist zu beobachten, Herr Wulff, dass die CDU jede Negativstatistik nutzt, um die Landesregierung für ihre Probleme verantwortlich zu machen, ohne eigene Veränderungsmöglichkeiten, vor allem ohne eigene Finanzierungsmöglichkeiten vorzulegen und ohne die notwendige Selbstkritik zu üben.

(Frau Pawelski [CDU]: Das ist aben- teuerlich! Echt abenteuerlich!)

Schließlich, meine Damen und Herren von der Union: Sie hatten in der Bundesregierung 16 Jahre lang Zeit, um etwas zu tun. 16 Jahre lang haben Sie der Jugendarbeitslosigkeit aber keine Aufmerksamkeit beigemessen.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Ihr 12 Jahre lang!)

Tatenlos haben Sie zugesehen, dass in der Bundesrepublik in Spitzenzeiten bis zu 750 000 junge Menschen ohne Arbeit und Ausbildung waren. Ich wiederhole: Ihnen war die negative Entwicklung gleichgültig. Wie anders ist es sonst zu erklären, dass in 16 Jahren Kohl-Regierung nicht ein einziges Programm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt worden ist? Nicht ein einziges Programm!

(Frau Pawelski [CDU]: Warum habt ihr es nicht gemacht?)

Wie anders ist zu erklären, Frau Pawelski, - -

(Frau Pawelski [CDU]: Warum habt ihr es nicht gemacht?)

- Wir waren nicht an der Regierung.

(Frau Pawelski [CDU]: Auf Landes- ebene!)

Wir haben 1990 gemeinsam mit den Grünen begonnen, dieses Thema aufzugreifen und die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. - Wie anders ist es zu erklären, dass der Bund in mehreren Novellen des Arbeitsförderungsgesetzes die Instrumente zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit

nicht ausgeweitet, sondern sogar noch eingeschränkt hat? - Ich nenne zwei Beispiele: Das Nachholen eines Hauptschulabschlusses wurde unter der Regierung Kohl immer mehr erschwert. Die originäre Arbeitslosenhilfe sollte zunächst komplett gestrichen werden, wurde schließlich aber zeitlich begrenzt.

Meine Damen und Herren, ich muss auch daran erinnern, dass die frühere CDU-geführte Landesregierung keinen Deut besser war als die 1998 abgewählte Kohl-Regierung. Keinen Deut besser!

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Und Sie?)

Auch die Tatsache - ich habe schon darauf hingewiesen -, dass wir 91 000 arbeitslose Jugendliche hatten, hatte keine Aktionen der CDU bewirkt.

(Wulff (Osnabrück [CDU]: Und Sie?)

- Wir haben richtig was auf den Weg gebracht. Darauf können wir auch stolz sein.

(Fischer [CDU]: Woher kommen dann die Zahlen jetzt?)

Meine Damen und Herren, als Rot-Grün 1990 in Niedersachsen die Landesregierung übernommen hat, fand sie im Bereich der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im Haushalt bis auf ganz geringe Mittel nur gähnende Leere vor. Keine Konzepte, keine Programme, zu wenig Haushaltsmittel. Sowohl im Bund als auch in Niedersachsen war es die SPD gemeinsam mit ihrem Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen, die schnell und unbürokratisch die Jugendarbeitslosigkeit bekämpft und entsprechende Programme aufgelegt haben.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: ABMProgramme 400 Millionen DM!)

Auf Bundesebene haben wir bereits im zweiten Jahr nach der Regierungsübernahme das äußerst erfolgreiche JUMP-Programm aufgelegt. Meine Damen und Herren, mehr als 200 000 junge Menschen sind durch dieses Programm in Arbeit und Ausbildung gekommen.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: 170 000 sind wieder arbeitslos!)

Ich finde, dass dies ein großartiger Erfolg ist. Herr Wulff, Sie können so reden, wie Sie wollen. Das ändert aber nichts. Die Bundesregierung hat 1999 damit begonnen, dieses Thema aufzugreifen. Mit

dem JUMP-Programm sind 2 Milliarden DM zur Verfügung gestellt worden. Dieses Programm ist verstetigt. Es wird über die kommenden Jahre weiter geführt. Es ist erfolgreich. Ihnen passt jetzt aber nicht, dass dieses erfolgreiche Programm auf dem Markt ist. Stattdessen sollten Sie es begrüßen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist schon grotesk und geradezu lächerlich, dass die Landesregierung von Ihnen wegen ihrer in diesem Bereich so erfolgreichen Aktivitäten kritisiert wird. Der Landeshaushalt wird für diesen Bereich im Vergleich zu den Vorjahren auch in den Jahren 2002 und 2003 wieder eine Rekordsumme ausweisen, nämlich fast 80 Millionen DM bzw. 40 Millionen Euro. Ich bin der Meinung, dass dies ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ist. Die politischen Ziele - erstens die Halbierung der Zahl der jugendlichen Langzeitarbeitslosen, zweitens die Bereitstellung von mehr als 1 200 Ausbildungsplätzen und drittens die Vorlage einer ausgeglichenen Ausbildungsplatzbilanz - lassen sich aber nicht von heute auf morgen erreichen. Das geht nur, wenn alle Akteure - insbesondere die Wirtschaft - an einem Strang ziehen. Der Landesregierung ist es zum Glück gelungen, gemeinsam mit den Tarifpartnern und dem Landesarbeitsamt im Bündnis für Arbeit den Weg hierfür positiv zu bereiten.

Ich komme jetzt zurück zu den Anträgen, meine Damen und Herren. Die Fraktionen der CDU und der Grünen sind im Sommer des vergangenen Jahres einer statistischen Verzerrung aufgesessen, die vor allem auf den frühen Ferientermin in jenem Jahr zurückzuführen war. Dies hat dazu geführt, dass zwischen Schuljahresende und Ausbildungsbeginn einige Wochen lagen, in denen sich viele Jugendliche vorsorglich arbeitslos gemeldet haben. Das hat die spätere Statistik jedoch wieder geklärt. Die Zahlen sind wieder auf das übliche Maß zurückgegangen.

Meine Damen und Herren, wir werden auch in den kommenden Jahren erhebliche Anstrengungen unternehmen, um zusätzliche Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen und vor allem um Jugendlichen mit besonderen Vermittlungsproblemen geeignete Angebote zu unterbreiten. Deshalb hat die Landesregierung das Programm der landesweiten Vermittlungsoffensive aufgelegt, das auch im Doppelhaushalt entsprechend finanziert und umgesetzt wird. Durch das Job-AQTIV-Gesetz der Bundesregierung wird es zusätzlich flankiert.

Meine Damen und Herren, der Antrag der CDUFraktion ist in weiten Teilen identisch mit den Maßnahmen der Landesregierung. Ich habe das bereits erwähnt. Deshalb können wir ihn auch ablehnen. Mir ist schleierhaft, dass die CDU diesen Antrag überhaupt eingebracht hat. Sie hätte ihn spätestens bei den Ausschussberatungen zurückziehen müssen; denn das, was in ihm steht, ist bereits erledigt.