Protokoll der Sitzung vom 15.05.2002

Umso mehr hat mich bei den Beratungen verwundert, dass Sie, Herr Althusmann, nicht dem Gesamtanliegen unseres Antrages Rechnung getragen haben, sondern sich mehr bei der Kritik von Detailproblemen, die bei der praktischen Umsetzung in diesem Projekt eindeutig erstehen können - ich sage einmal - ereifert haben und dem Gesamtprojekt Ihre Absage erteilen werden. Auch Sie, meine Damen und Herren, müssen wissen, dass Effizienz und Leistungsfähigkeit notwendige Voraussetzungen sind, um die Gemeinschaft beispielsweise vor Steuerkriminalität schützen zu können. Das ist in Zukunft wichtiger denn je.

Sie wissen, dass in den nächsten Jahren Serviceorientierung gegenüber Bürgerinnen und Bürgern und die Schlagkraft einer Behörde gegenüber Steuerhinterziehung die Kernziele dieser Verwaltung sind. Das wird innerhalb dieses Projektes auch voll geleistet.

Das Gesamtprojekt hat ehrgeizige Ziele. Diese werden bereits in Einzelschritten umgesetzt. Ich verstehe auch, dass, wenn einmal bei der Umsetzung Fehler entstehen oder eine zeitliche Verzögerung eintritt, dies nicht ohne Kritik durch die Beschäftigten bleiben kann. Trotzdem ist das Gesamtprojekt auf einem guten Weg. Wir wollen mit unserem Antrag, der auch nicht über mögliche Umsetzungsprobleme hinwegsieht, das Projekt unterstützten und mit dazu beitragen, dass Schwierigkeiten erkannt werden, dass rechtzeitig gegengesteuert und insgesamt ein Gesamterfolg sichtbar wird. Ich meine, dass es dabei wenig hilfreich ist, wenn innerhalb dieses Gesamtprozesses einzelne Probleme aus dem Zusammenhang gerissen werden, das gesamte Projekt negativ dargestellt wird und dadurch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die hoch motiviert sind, die Motivation genommen wird. Richtig wäre aus meiner Sicht, dass wir als Abgeordnete dieses Hauses gemeinsam alles daran setzen, dieses ehrgeizige Ziel anzugehen und durch Handlungen umzusetzen. Ich finde, das sind wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Steuerverwaltung schuldig.

In Gesprächen mit Berufsverbänden und Gewerkschaften haben uns beispielsweise die Vertreterinnen und Vertreter aus den Personalräten mitgeteilt, dass sie hinter dem Anliegen des Finanzministers stehen und das Projekt auch weiterhin unterstützen. Die Beschäftigten der Steuerverwaltung erwarten aber - das halten wir für eine berechtigte Forderung -, dass auf die unstrittig schwierigen Arbeitsund Personalbedingungen, die aus unterschiedli

chen Gründen in den Finanzämtern herrschen, im Hinblick auf die zukünftige Personalplanung reagiert werden muss. Sie sagen, dass die Altersstruktur der Beschäftigten in den Finanzämtern mit berücksichtigt werden muss, wobei den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern klar ist, dass die personalwirtschaftlichen Maßnahmen zur Umsetzung der Zielvereinbarungen eingehalten werden müssen. Sie erwarten von uns aber auch einen Beitrag zur Sicherstellung qualifizierten Personals, und sie legen sehr viel Wert auf die Einstellung und Ausbildung von Nachwuchskräften.

Für meine Fraktion habe ich gegenüber den Vertreterinnen und Vertretern der Berufsverbände und Gewerkschaften erklärt, dass wir ihre Forderungen ernst nehmen und sie in Zukunft berücksichtigen und umsetzen wollen. Aus diesem Grunde haben wir in den Beratungen einen Änderungsantrag zu unserem Antrag eingebracht, der diesem Anliegen noch mehr entspricht. Die SPD-Landtagsfraktion hat sich in der Zwischenzeit vor Ort in mehreren Finanzbehörden informiert. Ich bedauere es, dass Sie in den Ausschussberatungen unserem Antrag nicht Ihre Zustimmung erteilt haben. Ich bitte Sie, sich das zu überlegen, und ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei der SPD - Unruhe)

Herr Kollege Althusmann wird jetzt Stellung nehmen. - Ich bitte das Haus um Aufmerksamkeit. Es ist ja gleich Feierabend.

(Wernstedt [SPD]: Schade!)

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte Frau Leuschner,

(Zuruf von der [SPD]: Schau einer an! - Weitere Zurufe von der SPD)

Sie sprachen vorhin davon, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der niedersächsischen Steuerverwaltung etwas schuldig zu sein. Ich kann das nur bestätigen. Sie wären es tatsächlich den Mitarbeitern dort schuldig gewesen, dem Parlament diesen Entschließungsantrag nicht zuzumuten.

(Frau Leuschner [SPD]: Das sagen die nicht!)

Das wäre der richtige Weg gewesen, liebe Frau Leuschner. Ihr Antrag, den Sie mit „Neues Leitbild für die niedersächsische Steuerverwaltung - Projekt Finanzamt 2003“ titulieren, ist in erster Linie ein Begrüßungsantrag und erst in zweiter Linie ein Entschließungsantrag, denn im Prinzip wird die Landesregierung nicht zum konkreten Handeln aufgefordert. Noch schlimmer an diesem Antrag ist jedoch, dass Sie nicht bereit und willens sind, die Ergebnisse des Lenkungsausschusses, der nunmehr seit zwei Jahren das begonnene Projekt begleitet, abzuwarten, sondern hier lediglich einen Antrag vorlegen, mit dem wir begrüßen und unterstützen sollen. Sie versteigen sich sogar in der Formulierung dieses Antrages so weit, dass Sie dreist sagen, dass der Landtag eine Steuerrechtsvereinfachung in Deutschland begrüßen soll. Meine Damen und Herren, Steuerrechtsvereinfachungen in Deutschland haben wir an keiner Ecke in unserem Land zu verzeichnen.

(Frau Vockert [CDU]: Richtig! Genau das Gegenteil!)

Fragen Sie einmal die Steuerberater und Steuerbürger, wie die Realität in Sachen Steuerrechtsvereinfachung aussieht.

(Frau Vockert [CDU]: Katastrophe!)

Ich will nur auf Ihren Bundesfinanzminister Herrn Eichel hinweisen, der am 20. März bei einem Steuersymposium in Berlin Steuerrechtsvereinfachungen in Deutschland als Fata Morgana bezeichnet hat.

Im Zuge der Beratungen - Frau Leuschner, Sie wiesen darauf hin - ist im Ausschuss leider immer deutlicher geworden, dass Sie weitab jeglicher Realität, weitab von der Wirklichkeit der Finanzämter in Niedersachsen diesen Antrag gestellt haben.

(Frau Leuschner [SPD]: Na, na, na!)

Ich habe Ihrer Fraktion vorgehalten, dass Ihnen offenbar der Bezug zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den 68 niedersächsischen Finanzämtern abhanden gekommen ist. Ich möchte das einmal deutlich machen: Sie fordern die konsequente Weiterentwicklung des Systems ELSTER und die Professionalisierung und Weiterentwicklung der digitalen Signaturkarte. Realität in Niedersachsen ist aber, dass wir z. B. in einigen Finanzämtern in Hannover oder Hildesheim zum ersten Mal tatsächlich anrufen können. Die haben

Anfang dieses Jahres ein Telefon bekommen. Es soll inzwischen sogar möglich sein, dass man dort mit einer E-Mail einen Mitarbeiter erreichen kann, allerdings noch nicht auf allen Plätzen.

(Unruhe)

Herr Kollege Althusmann, einen Moment bitte. Meine Damen und Herren, der Geräuschpegel ist wirklich unerträglich hoch. Insbesondere der rechten Seite des Hauses möchte ich sagen, dass der Redner, der Ihrer Fraktion angehört,

(Frau Vockert [CDU]: Und richtig gut spricht!)

auch die Aufmerksamkeit der letzten Reihen für sich beanspruchen kann. Bitte haben Sie noch bis zum Schluss der heutigen Sitzung - es ist ja nicht mehr lange - ein bisschen Disziplin.

Meine Damen und Herren, wir alle sind Steuerbürger und natürlich an einer professionellen und effektiven Steuerverwaltung interessiert. Von daher, liebe Frau Leuschner, sage ich Ihnen: Von einem neuen Leitbild sind wir meilenweit entfernt. Die Realität ist im Übrigen ein selbstverursachtes Leidbild - mit „d“ geschrieben -, ein leidvolles Bild der niedersächsischen Finanzbehörden, weil auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Finanzämtern es leid sind, dass die Situation überall schöngeredet wird. Als Beispiele nenne ich die Beihilfekürzungen, die fehlenden Leistungsprämien, die 40-Stundenwoche, die fehlenden Beförderungsmöglichkeiten, insbesondere in der Steuerverwaltung.

Meine Damen und Herren, wir sind uns ja im Ziel einig: Niedersachsen als Flächenland braucht eine steuerfachlich hoch qualifizierte, leistungsfähige Steuerverwaltung.

(Beifall bei der CDU - Frau Leuschner [SPD]: Aha!)

In dem Ziel sind wir uns einig. Aber der Weg dorthin, Frau Leuschner, den Sie im Prinzip schon beschritten haben wollen, liegt noch weit vor Ihnen. Wir würden uns wirklich wünschen, dass wir eine Steuerverwaltung bekommen, die kundenorientiert, dienstleistungsorientiert arbeiten kann und in der hoch motivierte Mitarbeiterinnen und Mitar

beiter entsprechende Arbeitsplatzbedingungen vorfinden, die die Qualität der Steuerveranlagung in niedersächsischen Finanzämtern nachweisbar verbessern kann.

(Frau Leuschner [SPD]: Dann stim- men Sie doch zu!)

Ich kann nur feststellen, dass die Lobby der Mitarbeiter der Steuerverwaltung in Niedersachsen tatsächlich noch zu klein ist. Anders ist es nicht zu erklären, warum die Landesregierung gerade im Bereich der Einnahmeverwaltung des Landes kräftig Personal einsparen will, während gleichzeitig die Fallzahlen der Bearbeitungen der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer oder andere Feststellungen seit 1990 bis heute um etwa 30 % gestiegen sind, die durchschnittlichen von einem Mitarbeiter zu erledigenden Anträge von 1990 bis zum Jahr 2000 um 24 % gestiegen sind und

(Frau Vockert [CDU]: Unglaublich!)

in der laufenden Legislaturperiode des Deutschen Bundestages 32 gewichtige Steueränderungsgesetze verabschiedet und zum Teil, noch bevor sie endgültig in Kraft traten, wieder geändert wurden.

Meine Damen und Herren, das ist die Realität für niedersächsische Finanzämter, und Sie wollen gleichzeitig Personal abbauen, und zwar immerhin in einer Größenordnung von rund 408 Mitarbeiter. Allein die 32 so genannten gewichtigen Steueränderungsgesetze des Bundes würden zu einem Personalmehrbedarf von 6 000 Mitarbeitern in der Steuerverwaltung führen. Das würde für Niedersachsen bei einem zehnprozentigen Anteil rund 600 Stellen mehr in der Steuerverwaltung bedeuten.

Meine Damen und Herren, bestes Beispiel dafür, dass Sie nicht im Ansatz an Ihren eigenen Antrag glauben, ist Ihr eigener Änderungsantrag, Frau Leuschner, den Sie hier gar nicht erwähnt haben, der letztendlich beweist, dass Sie an der personellen Schieflage an unseren Finanzämtern nichts ändern wollen. Dieser Antrag lautet:

„Die Sicherstellung qualifizierten Personals durch kontinuierliche Ausbildung, Fortbildung sowie die Einstellung von Nachwuchskräften unter Berücksichtigung der personalwirtschaftlichen Maßnahmen der Zielvereinbarungen...“

Genau das ist es: „unter Berücksichtigung der personalwirtschaftlichen Maßnahmen der Zielvereinbarungen“. Sie haben der Landesregierung einen Freifahrtschein dafür gegeben, 408 Stellen in der niedersächsischen Finanzverwaltung abzubauen, und schreiben hier gleichzeitig hinein, das geht aber nur, wenn die Zielvereinbarungen auch eingehalten werden. Sie müssen sich irgendwann einmal entscheiden, was Sie wollen.

Insofern spricht auch die von der SPD seit zwölf Jahren in Niedersachsen zu verantwortende Differenz zwischen Personalbedarf und Personalzuweisung eine sehr deutliche Sprache. Wenn Sie einmal in diese Tabelle hineinschauen, dann stellen Sie fest, dass es von 1990 bis zum Jahr 2000 folgende Differenzen zwischen Personalbedarf und Personalzuweisung gegeben hat. Das beginnt im Jahre 1992 mit minus 16 %, dann folgen minus 18 %, minus 19 %, minus 21 %, minus 17 %, minus 14 %, minus 13 %.

Sehr verehrte Frau Leuschner, wenn Sie die Personalsituation an den Finanzämtern nicht verbessern, werden Sie die Qualität der Steuerverwaltung noch so toll „Projekt Finanzamt 2003“ nennen können, aber Sie werden nicht entsprechend vorankommen.

(Beifall bei der CDU)

Eines ist eben doch wahr: Gerade die Sachbearbeiter in der Steuerveranlagung mögen den niedersächsischen Steuerbürger im Durchschnitt etwa 50 000 bis 52 000 Euro im Jahr an Personal- und Zusatzkosten kosten. Nach einer Feststellung des Landesrechnungshofes in Baden-Württemberg erbringen sie aber tatsächlich das Doppelte, nämlich rund 106 000 Euro. Damit brächte jeder Mitarbeiter mehr in diesem Veranlagungsbereich unter Umständen sogar das Doppelte an Steuermehreinnahmen für das Land Niedersachsen. Für BadenWürttemberg hat der Landesrechnungshof 362 Millionen Euro ausgerechnet, würde man die Personalquote verbessern. Die 50 Finanzanwärterstellen reichen im Übrigen nicht aus.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Zu guter Letzt zur unendlichen Geschichte von FISCUS: FISCUS bedeutet für das Land Niedersachsen ein finanzielles Risiko in Höhe von 22 Millionen Euro. FISCUS besteht als Projekt auf Bund-Länder-Ebene seit dem Jahr 1989. Läuft es schief - da noch nirgendwo Echtbetrieb möglich ist, sieht alles danach aus -, FISCUS am Ende also gar nicht anwendbar ist - die Steuergewerkschaft

und andere, die zu Ihrem Antrag mittlerweile Stellung genommen haben, sprechen von Arbeitsplatzausfällen von bis zu 50 % -, bedeutet es ein großes Risiko. Laut Bayern beläuft sich der negative Kapitalwert auf 1 Milliarde Euro. Deshalb sind Bayern und die anderen süddeutschen Bundesländer ausgestiegen. FISCUS stellt ein Problem dar. Wir würden uns wünschen, es gäbe eine bundeseinheitliche Plattform. Von der sind wir aber nach immerhin 13 Jahren noch meilenweit entfernt.

Meine Damen und Herren, wir hätten uns insofern gewünscht, Sie wären unserem Antrag gefolgt, zu diesem Thema eine Anhörung durchzuführen, in der eine Auswahl der Mitarbeiter der Finanzämter gehört wird, damit Sie sich endlich einmal darüber klar werden, wie die Realität in den niedersächsischen Finanzämtern tatsächlich aussieht. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Die Auffassung der Grünen wird durch den Kollegen Hagenah vertreten.

(Unruhe)

- Ich biete dem Haus an, eine Pause einzulegen, wenn eine gebraucht wird.