Protokoll der Sitzung vom 12.06.2002

(Frau Harms [GRÜNE]: Solch einen Quatsch kann ich nicht mehr hören!)

Es ist unbestritten - -

(Frau Harms [GRÜNE]: GS agri, Raiffeisen, Versicherung, das ist das Vertuschungskartell!)

- Frau Harms, hören Sie doch auf mit Ihrer einseitigen Anklage in Richtung Genossenschaft. Es ist unbestritten, dass die Bezirksregierung Lüneburg bereits am 2. Mai über die Feststellung von Nitrofen in Futtermitteln informiert worden ist, diese Information aber weder an das Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit in Oldenburg noch an das Landwirtschaftsministerium weitergegeben hat. Fest steht weiter, dass am 29. April das Veterinäramt des Landkreises Ammerland mit einem Lebensmittelkontrolleur des Landesamtes telefoniert hat. In diesem Gespräch soll das Wort „Nitrofen“ genau so erwähnt worden sein wie die festgestellte zwanzigfache Überschreitung des zulässigen Grenzwertes.

Selbst wenn man der Auffassung wäre, dass das dem Landwirtschaftsministerium unterstellte Landesamt am 29. April nicht ausreichend über den Skandal informiert worden sei, steht unzweifelhaft fest, dass jedenfalls die Bezirksregierung am 2. Mai trotz Kenntnis der Nitrofen-Funde keine Veranlassung gesehen hat, unverzüglich die brisante Information an das Landwirtschaftsministerium weiterzugeben.

So behauptet der Minister, er sei erst am 23. Mai über den Skandal unterrichtet worden, und das auch nur durch Zufall. Es verdichten sich Hinwei

se, meine Damen und Herren, dass der Minister bereits eher entsprechende Kenntnisse hatte.

(Zuruf von der SPD: Nun leg dich mal laut hin!)

Es ist überhaupt keine Frage, dass die Gesundheitsgefährdung der Verbraucher mit dem Krebs erregenden Herbizid Nitrofen deutlich vermindert worden wäre, wenn nur eine der beiden Behörden unverzüglich ihrer Meldepflicht nachgekommen und es nicht zu einer dreiwöchigen Verzögerung gekommen wäre.

Meine Damen und Herren, statt die unglaubliche Nachlässigkeit - -

(Frau Harms [GRÜNE]: Als wenn Sie nicht Zeitung lesen würden!)

- Nun hören Sie doch mal zu, Frau Harms. - Statt die unglaubliche Nachlässigkeit und Schlamperei in der eigenen Landesverwaltung - da sind Sie doch sicherlich mit mir einer Meinung - aufzuklären, bezichtigt der Minister die beiden Landkreise Ammerland und Cloppenburg, nach dem dortigen Bekanntwerden des Skandals nicht unverzüglich und angemessen reagiert zu haben. Die Landkreise haben - wir haben das heute Morgen hier erörtert präzise nachweisen können, dass sie völlig korrekt gehandelt haben. Der Minister musste seine Vorwürfe und Verdächtigungen zurücknehmen. Heute Morgen ist er erneut in eine andere Richtung gewandert. Das wird er wohl gleich erklären können.

Das ist aber typisch, meine Damen und Herren. Er versucht, seine Mitverantwortung für den aktuellen Skandal von sich abzulenken, indem er ungerechtfertigte Schuldzuweisungen gegenüber Veterinärämtern in den Kommunen vornimmt. Das doppelte Versagen der Landesbehörden wiegt deshalb besonders schwer, meine Damen und Herren, weil nach der BSE-Krise mit der Einrichtung des neuen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ein neues Frühwarnsystem installiert worden ist. Mit diesem Institut sollte nach den Lebensmittelskandalen in der Vergangenheit das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität der Lebensmittel wieder zurückgewonnen werden. Gerade das Tierfutter sollte im Mittelpunkt der Qualitätssicherung stehen, weil hier die meisten Lebensmittelskandale ihren Anfang genommen haben.

(Frau Harms [GRÜNE]: Schon im- mer, nicht erst seit Frau Künast!)

Nach BSE sollte ein effizientes Schnellwarnsystem zwischen Bund und Ländern errichtet werden, und es sollte ein effektiverer und direkter Schutz der Verbraucher durch das Landesamt angestrebt werden. Aber genau hier hat das Landesamt im Nitrofen-Skandal versagt. Das Krisenmanagement hat nicht funktioniert, meine Damen und Herren.

Dass Landwirtschaftsminister Bartels die Lage nach wie vor nicht im Griff hat, zeigen u. a. die gegensätzlichen Anweisungen der Behörden. So hat die Bezirksregierung Weser-Ems mit einer Verfügung vom 31. Mai Nitrofen-Beprobungen an landwirtschaftlichen Produkten im konventionellen Bereich angeordnet. Drei Tage später hat dann das Landwirtschaftsministerium in einem Erlass festgestellt, die Beprobungen wieder einzustellen.

Inzwischen haben auch sich widersprechende Pressemeldungen des Ministeriums zu einer weiteren Verunsicherung der Verbraucher, Lieferanten und Erzeuger geführt, und zwar leider, wie wir zugeben müssen, auch bei der EU, was sicherlich kein Lobeslied für Niedersachsen ist, weil hier der Ursprung der EU-Diskussion liegt. So hat der Staatssekretär des Landwirtschaftsministeriums am 4. Juni erklärt, dass das verbotene Pflanzengift Nitrofen bereits im Frühsommer 2001 und somit schon mindestens vor einem Jahr in die Nahrungskette gelangt sei. Einen Tag später weist der Pressesprecher des Ministeriums diese Erklärung seines eigenen Staatssekretärs mit unmissverständlichen Worten zurück. Das ist für uns unerklärlich.

(Hagenah [GRÜNE]: Sie waren heute Morgen wohl nicht da!)

Dies alles zeigt, meine Damen und Herren, dass im Ministerium die eine Hand nicht weiß, was die andere tut. Minister Bartels hat die Lage nicht mehr im Griff. Selbst Ministerpräsident Gabriel hat zugeben müssen, dass die Behörden die Bedeutung des Falles falsch eingeschätzt und vertuscht haben. Sie haben versucht, hieraus ein lokales Problem zu machen. Beim Umgang mit dem Skandal - so wird der Ministerpräsident im General-Anzeiger vom 31. Mai zitiert - würden gegenwärtig alle Fehler gemacht, die wir nur machen können. Damit werde alles getan, was den nächsten Lebensmittelskandal möglich macht. - Dieser klaren Schlussfolgerung, meine Damen und Herren, haben wir nichts hinzuzufügen. Herr Minister Bartels, Sie tragen für das Versagen, für das heillose Durcheinander in Ihrer Verwaltung die politische Verantwortung. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU - Brauns [CDU]: Peinlich, peinlich, Herr Biestmann! - Rolfes [CDU] zur SPD: Wer war das? - Gegenruf von Frau Harms [GRÜ- NE]: Ein Berufskollege!)

Herr Kollege Klein, bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte nichts mehr zu einem Antrag sagen, den wir gleich hier einvernehmlich verabschieden werden und der letzten Endes nichts anderes als die allgemeine Aufforderung ist, im Bereich Lebensmittelqualität mehr zu tun. Ich möchte über die drei Nitrofen-Anträge sprechen.

Der Nitrofen-Skandal ist aus meiner Sicht ein fünffaches Altlastenproblem. Die erste Altlast ist der Wirkstoff selbst, der ein seit langem verbotenes Produktionsmittel aus dem konventionellen Landbau ist. Vor zwei, drei Jahren hat eine wissenschaftliche Studie belegt, dass die Kosten, die der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln volkswirtschaftlich verursacht, sehr viel höher sind als der Nutzen, der letzten Endes durch diesen Einsatz erreicht wird. Herr Oestmann, da war Nitrofen noch gar nicht in der Kalkulation. Wenn Sie das noch draufrechnen, wird es noch schlimmer.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Nitrofen ist ein Stoff in einer langen Kette von gern eingesetzten Pestiziden, die nach und nach verboten werden mussten, weil sie die Gesundheit der Menschen gefährden können. Das Letzte, was verboten worden ist, war im letzten Jahr das Krautfäulefungizid Brestan. Jetzt heißen die Wirkstoffe Fluazinam, Cyazofamid, Maneb, Metiram, Propineb usw. Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Wirkstoffe. Ich bin sicher: Obwohl die Wissenschaft uns heute bestätigt, dass natürlich alle völlig ungefährlich sind - genauso, wie sie das übrigens seinerzeit auch für DDT, Lindan, Atrazin, Nitrofen oder Brestan getan hat -, wird bald der Nächste dieser Stoffe auf der Liste der verbotenen Stoffe stehen.

Deswegen sage ich: Dieser Nitrofen-Skandal ist auch ein Argument für den Ökolandbau, der ohne diese Mittel auskommt.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die zweite Altlast sind die Vorbehalte gegen den Ökolandbau, die nach wie vor in den Köpfen der Alt-Landwirtschaftspolitiker herumspuken, die aus wahlarithmetischen Gründen die Vorzüglichkeit der biologischen Wirtschaftsweise nicht anerkennen wollen. Da ist, denke ich, auch Herr Bartels angesprochen, der spontan geneigt war - vielleicht war es doch nicht so spontan -, den NitrofenSkandal zu instrumentalisieren und daraus einen Öko-Skandal und ein Argument gegen die Agrarwende zu machen, und zwar wider besseres Wissen.

Die Vorteile des ökologischen Landbaus im Vergleich zu anderen Verfahren sind offenkundig und wissenschaftlich belegt. Es ist nicht nur der Verzicht auf Chemie und auf Gentechnik. Er ist energiesparender, er ist klimaschonender, er weist deutlich geringere Nitratgehalte im Boden auf, verfügt über eine deutlich höhere Artenvielfalt, und seine Produkte verfügen über besondere gesundheitliche Qualitäten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die neuesten britischen Untersuchungen über eine verbesserte Krebsprophylaxe durch erhöhte Salicylsäurewerte im Ökogemüse.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Oestmann, diese Fakten muss man auch mal benennen dürfen, ohne dass einem gleich eine Polarisierung zwischen konventionellem und biologischem Landbau unterstellt wird.

(Beifall bei den GRÜNEN - Ehlen [CDU]: Wer macht das denn? Schau- en Sie mal in den Spiegel, Herr Klein, dann werden Sie sich da selbst fin- den!)

Das tun Sie. Das hat der Herr Landwirtschaftsminister unterlassen. Deswegen leidet auch seine Glaubwürdigkeit, wenn er bei der Eröffnung der Ökolandbau-Tage einmal so redet und dann aus Angst vor Liebesentzug durch den LandvolkVerband und Herrn Niemeyer beim LandvolkVerband anders redet. So geht es nicht!

Die dritte Altlast sind die Strukturen, über die wir heute Morgen auch schon geredet haben. Die agrarindustriellen Strukturen in den vor- und nachgelagerten Bereichen, die jetzt auch in den Bereich des Ökolandbaus eingedrungen sind, sind skandalerfahren und abgebrüht. Bezeichnenderweise befindet sich das Epizentrum dieses Skandals im Massentierhaltungsgebiet Süd-Oldenburg. Die dortige Agrarindustrie hat die ökonomischen Vor

teile der Bioproduktion entdeckt und ist groß eingestiegen. Meine Damen und Herren, wir haben es erlebt: In diesem landwirtschaftlichen BermudaDreieck mit seinen personellen und finanziellen Verflechtungen wurde verschwiegen, vertuscht, getäuscht und gesetzwidrig agiert.

Ich will nicht falsch verstanden werden, meine Damen und Herren.

(Ehlen [CDU]: So etwas machen nur die anderen!)

Wenn wir viele Menschen mit Ökolebensmitteln versorgen wollen, Herr Kollege Ehlen,

(Ehlen [CDU]: 2 % haben Sie!)

dann brauchen wir auch die größeren Betriebseinheiten. Aber wir dürfen den Ökolandbau nicht schutzlos diesen Agrarindustriellen überlassen, diesen Unternehmen, denen die eigene Rendite längst wichtiger ist als die ursprüngliche Dienstleistungsfunktion für die Höfe.

Ich komme jetzt zur vierten Altlast, Herr Ehlen. Diese vierte Altlast, meine Damen und Herren, ist die mangelnde Sensibilität in den Behörden zu Verbraucherschutzfragen. Auch hier handelt es sich um eine Altlast in den Köpfen, wo noch nicht klar ist, dass Landwirtschafts- und Lebensmittelpolitik inzwischen von der Ladentheke aus gemacht wird, wo - wie in Bayern und Sachsen Pflanzenschutzmittelrückstände nicht als ernsthafte Gefahr angesehen werden - Bayern und Sachsen werden erst tätig, wenn hundert- bis tausendfache Grenzwertüberschreitungen eintreten; erst die werden als gesundheitsgefährdend eingestuft - und wo Testergebnisse - das sind keine MonitoringErgebnisse, sondern positive Testergebnisse - erst bis zu einem halben Jahr später behördlich beschieden werden. In den Behörden ist auch nach wie vor nicht klar, meine Damen und Herren, wie sich die Eltern der Bremer Kindergartenkinder fühlen, die belastetes Putenfleisch gegessen haben.

Diese Altlast, meine Damen und Herren, ist offensichtlich auch im niedersächsischen Behördenapparat. Wir haben inzwischen sehr viel darüber gehört. Deshalb will ich aus Zeitgründen nicht noch einmal auf diese Beispiele eingehen. Aber, Herr Minister Bartels, da hilft kein Persilschein, wie Sie ihn mit Ihrer Presseerklärung für die Kreise und Behörden ausgestellt haben, sondern da hilft nur eine kalte Dusche, die diesen Büroschlaf endlich beendet.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, ich komme damit zur fünften und vorerst letzten Altlast des NitrofenSkandals. Das ist die nach wie vor in der Tat unzureichende Lage der gesetzlichen Bestimmungen. Dazu spreche ich insbesondere, Herr Kollege Ehlen, die CDU an. Hier ist nämlich das Verhalten der CDU ganz typisch. Sie wird zu einem Weltmeister der Verdrängung und der Bewusstseinsspaltung. Seit anderthalb Jahren bekämpfen Sie fast jede Verbraucherschutzinitiative von Frau Künast, und jetzt maulen Sie, dass sie es in diesen anderthalb Jahren noch nicht geschafft hat, den ganzen Schrott aufzuarbeiten, den Sie in 16 Jahren Regierungszeit verzapft haben. So ist doch die Sache.

(Beifall bei den GRÜNEN - Wider- spruch bei der CDU)

Ich will Ihnen das beweisen - auch Bärbel Höhn hat Ihnen das in der vergangenen Woche in das Stammbuch geschrieben -: 1995 bis 1998 tauchten überall Rückstände in Lebensmitteln auf, wobei die Werte höher als die gesetzlich erlaubten Werte waren. Sie haben damals sofort gehandelt. Soll ich Ihnen sagen, wie? - Sie haben die Grenzwerte raufgesetzt. So haben Sie Verbraucherschutzpolitik gemacht.

(Zurufe von der CDU)

Sie sind dafür verantwortlich, dass die offene Deklaration bei Futtermitteln abgeschafft worden ist. Ferner waren Sie, Ihre Partei in der Regierung, es, die 1997 bei der Novelle des Produktsicherheitsgesetzes dafür gesorgt haben, dass die Rechte der Behörden geschwächt und diejenigen der Lebensmittelwirtschaft und des Handels gestärkt worden sind. Damals ist sozusagen eingeführt worden, dass heute die Behörden nur tätig werden können, wenn ganz klar gesundheitliche Gefahren nachgewiesen worden sind. Das geht auf Ihre Kappe. Aber jetzt wollen Sie es Frau Künast anlasten. So geht es jedoch nicht, meine Damen und Herren.

(Zurufe von der CDU)

Sie, meine Damen und Herren von der CDU, sind Ihrer Verbraucherschutzfeindlichkeit treu geblieben, wie der Umgang mit dem Verbraucherinformationsgesetz in den vergangenen Tagen und Wochen gezeigt hat.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)