Protokoll der Sitzung vom 12.06.2002

Es gibt darüber hinaus unterschiedliche Sichtweisen, ob ein solches Instrument, das einen Anreiz zur Aufgabe einer wirtschaftlichen Existenz bieten soll, will oder nicht will. Man hat lange die Auffassung vertreten, dass es eigentlich notwendig sei. Auf der anderen Seite standen die Gegner, die die strukturelle Veränderung nicht noch unterstützen und begleiten wollten.

Ich glaube, dass mittlerweile ziemlich zweifelsfrei ist, dass die Annahme, man könne die strukturelle Veränderungen aufhalten, weil sie einem nicht passten, unzutreffend ist. Hier geht es um eine Zielgruppe, die noch wirtschaftet, obwohl sie infolge der Rahmenbedingungen ohne wirtschaftliche Ergebnisse produziert. Diese Personengruppe ist kein großes Regiment. Es geht darum, ihr durch die vorzeitige Gewährung eines, wenn Sie so wollen, vorgezogenen Altersgeldes die Entscheidung

zu erleichtern, sich aus der aktiven Produktion zu verabschieden.

Wir haben diesen Antrag vor dem Hintergrund der Modulation erneut eingebracht. Ersparen Sie mir die Erklärung dafür, was das ist. Es ist der Versuch, aus der EU-Kasse gegenwärtige Leistungen für die Einkommen der Land- und Forstwirte um eine Komponente zu erweitern, d. h. den Anteil der Direktzahlungen zu reduzieren und mit dem Anteil von gegenwärtig 2 % dieser Beträge die so genannte Modulation einzuführen, die im Übrigen politisch auch kontrovers diskutiert wird. Die Modulation soll für Möglichkeiten in der so genannten zweiten Säule geöffnet werden. In der zweiten Säule hat die Kommission ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, die Modulation auch für den Zweck der vorzeitigen Produktionsaufgabe zu verwenden.

Vor diesem Hintergrund werben wir dafür und bitten wir darum, dass mit diesem Antrag die Landesregierung aufgefordert wird, im Bundesrat die Initiative zu ergreifen und die Modulation in diesem Sinne bundesgesetzlich umzusetzen.

Es hat in der Vergangenheit - das will ich gar nicht verschweigen - auch unterschiedliche Sichtweisen über die Opportunität und Praktikabilität gegeben. Aber wir haben die Signale, dass auf relativ breiter Front eine Sympathie auch in anderen Bundesländern besteht, aus diesem Instrument wieder zu dotieren. Auch sind wir der Meinung, dass es ein geeignetes Instrument ist, um die Mittel aus der Modulation auch im Sinne nicht nur der produzierenden Landwirtschaft, sondern auch des ländlichen Raumes einzusetzen. Wir bitten um Zustimmung zu diesem Begehren.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort hat Herr Kollege Bontjer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß wirklich nicht, Herr Oestmann, weshalb Sie heute diesen Antrag wieder einbringen.

(Zuruf von der CDU: Das glauben wir sehr gern!)

Sie wissen, es sind noch nicht einmal zwei Jahre vergangen, als wir einen gleichartigen Antrag hier behandelt und dann abgelehnt haben. Mit der gleichen Begründung, die Sie damals geliefert haben, stellen Sie heute wieder einmal eine sehr unsinnige Forderung auf.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, die Argumente, die Sie bemühen, waren nicht stichhaltig und sind heute nicht stichhaltig.

(Zuruf von der CDU: Die kannten Sie doch nicht!)

- Ich habe doch Ihren Antrag gelesen, Herr Oestmann. In der Zwischenzeit hat sich auch nichts getan, was gegen die Ablehnung des CDUAntrages damals gesprochen hat. Ihr damaliger Antrag aus dem Jahre 2000, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, ist sowohl hier als auch im Fachausschuss ausgiebig diskutiert worden. Ich kann mich noch gut entsinnen, Herr Oestmann, dass Sie seinerzeit darauf hingewiesen haben, wir sollten das nicht übers Knie brechen. Deswegen haben wir ja auch lange beraten. Aber wir sind letztendlich zu der Entscheidung gekommen, dass Ihrem Antrag nicht gefolgt werden konnte.

Die Debatte hat bisher nach meiner Auffassung zwei wesentliche Punkte erbracht. Eine Produktionsaufgaberente würde den Strukturwandel in der Landwirtschaft erheblich beschleunigen. Sie von der CDU-Fraktion wollen, dass den Abgebenden die Abgabe von Flächen versüßt wird und den Aufnehmenden die Übernahme ebenfalls versüßt wird.

(Zuruf von der CDU: Ermöglichst wird!)

In Wahrheit wollen Sie Mitnahmeeffekte produzieren, und das ist nicht in unserem Sinne.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, es ist überhaupt kein Ansatz gefunden worden, wie denn die Mittel zur Finanzierung eines solchen Programms zur Verfügung gestellt werden. Sowohl das Land als auch der Bund können keine zusätzlichen Mittel bereitstellen, auch keine Kofinanzierungsmittel.

Schon Ende 1996 - das haben Sie richtig erwähnt hat die damalige Kohl-Regierung die Zahlungen aus dem entsprechenden Gesetz mit der Begründung eingestellt, dass kein entsprechender finanzieller Spielraum mehr zur Verfügung stehe. An dieser grundsätzlichen Situation hat sich auch heute nichts geändert.

(Zuruf von der SPD: So ist das!)

Der Haushalt des Bundes konnte noch nicht so weit konsolidiert werden, dass es zusätzliche Spielräume geben könnte. Die Billionenverschuldung der Kohl-Regierung belastet noch immer die Haushalte sehr stark.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU - Zuruf von der CDU: Völliger Quatsch!)

Meine Damen und Herren, das gilt nach wie vor: Früher die Mark, heute der Euro, Herr Biestmann, sie können nur einmal ausgegeben werden. Das sehen wohl auch andere Bundesländer so. Deswegen haben sie sich gegen eine Neuauflage der Produktionsaufgaberente ausgesprochen.

Darüber hinaus, meine Damen und Herren, sehe ich unsere Aufgabe als verantwortungsvolle Politiker darin, den Landwirten eher Einkommensalternativen zu bieten als die Hofaufgabe und damit einen rasanten Strukturwandel zu unterstützen. Ich bin der Auffassung, dass unsere Landwirte ganz andere Sorgen haben, abgesehen von den tagespolitischen Sorgen, die wir hier heute teilweise diskutiert haben. Die Frage, die wir uns heute stellen, Herr Ehlen, muss lauten: Wie werden die Agrarbeihilfen in der wachsenden Europäischen Union neu verteilt? Die Landwirte warten voller Spannung und Bangen auf die Halbzeitbilanz der EU, die EU-Kommissar Fischler nach einer Verschiebung nun am 10. Juli veröffentlichen wird.

An dieser Stelle sei auch zum wiederholten Male das Stichwort genannt, das Herr Oestmann bemüht hat: die Modulation. Hintergrund für diese Zwischenbilanz ist die Tatsache, dass die EU-Staaten 1999 in Berlin bei der Einigung über die Agenda 2000 eine Zwischenbilanz vereinbart haben. Der Finanzrahmen, der die Agrar- und Strukturmittel bis 2006 regelt, sollte auf halber Strecke noch einmal kritisch überprüft werden. Ob damit eine Änderung in der Agrarpolitik verbunden sein sollte, darauf verständigten sich die Staaten nicht. Die bevorstehende Erweiterung der EU wird aber sicherlich dazu führen müssen, über notwendige

Anpassungen, die sich aus der Halbzeitbilanz ergeben, nachzudenken.

Meine Damen und Herren, harte Verhandlungen sind vorprogrammiert. Da sollten wir uns mit wichtigen Dingen auseinandersetzen und uns nicht mit alten Anträgen, nicht einmal in neuer Verpackung, herumschlagen müssen, die uns inhaltlich und in der Perspektive nicht weiterbringen. Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt, dass auch ohne eine Produktionsaufgaberente Niedersachsen das Agrarland Nr. 1 bleiben wird, weil wir mit Konzepten arbeiten, die zukunftsweisend sind, und nicht mit antiquierten Instrumenten aus der Mottenkiste der CDU. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir hören jetzt den Kollegen Klein. - Zwischendurch darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass hier vorne am Rednerpult ein Kugelschreiber liegengeblieben ist. Um dem Betreffenden das Suchen zu erleichtern, folgender Hinweis. Wir sind zwar schon beim Mittwoch, aber auf dem Kugelschreiber steht „Neue Woche“. Vielleicht wollte jemand den verwenden. Wer sich als Eigentümer fühlt, darf den Kugelschreiber hier abholen.

(Zuruf von der SPD: Vielleicht wollte ihn jemand entsorgen!)

Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Oestmann, im Oktober 2000 haben Sie von diesem Platz aus prognostiziert, dass wir diesen Antrag bald wiedersehen würden. Sie hatten damals noch vermutet, mit einem anderen Autor. Diese Prognose ist zur Hälfte eingetreten. Wir haben den Antrag wieder, allerdings vom gleichen Autor. Das entwertet Ihre Prognose; das werden Sie zugeben. Ich war deswegen versucht, meine Rede vom Januar 2000 zur ersten Beratung herauszuholen und wieder vorzulesen. Ich fand das dann aber doch ein bisschen zu provokativ. Ich will Ihnen also deswegen mit anderen Worten das gleiche wie damals sagen.

Es handelt sich hier um eine alte Dauerforderung der CDU-Fraktion. Sie haben es selbst gesagt. Es ist auch das alte Programm. Wachstumsbetriebe

werden mit Mitnahmeeffekten hofiert, und Betriebe des unteren Einkommensdrittels werden abgeschrieben.

Vom Staat erwartet man dann, dass er sie mit einer Produktionsaufgaberente ruhig stellt, und man verpasst sich dann selbst den Heiligenschein eines Sozialapostels.

Nur, so geht es natürlich nicht. Einerseits ist es schlicht und einfach das falsche Signal. Selbst wenn man zu dem Schluss kommt, dass der Strukturwandel nicht aufhaltbar ist, kann man daraus nicht die Folge ziehen, dass man ihn deswegen politisch fördern müsste. Wir haben die Aufgabe, Arbeitsplätze im ländlichen Raum zu erhalten und zu sichern und nicht, Arbeitslosigkeit zusätzlich zu produzieren. Das ist auch Teil der multifunktionalen Landwirtschaft, wie sie ja als europäisches Landwirtschaftsmodell beschrieben und von uns auch vertreten wird. Ich finde auch, die Politik der Bundesregierung bietet da schlicht bessere Alternativen. Es geht darum, neue Chancen im Bereich der Öko- und Qualitätsproduktion zu schaffen. Es geht um die Unterstützung regionaler Vermarktung. Es geht um neue Chancen bei der Erschließung von alternativen Einkommensquellen, vor allem etwa im Energiebereich.

(Oestmann [CDU]: Machen Sie das mal einem 58-Jährigen klar!)

Das Motto darf nicht heißen „Gib auf; andere können es besser als du!“, sondern das Motto muss heißen: „Bleib‘ auf dem Lande, sei kreativ und nutze die Chancen, die geboten werden!“

(Kethorn [CDU]: Aber mit der Kü- nast-Politik ist das nicht möglich!)

Bei allem Gejammer - auch von Ihnen, Herr Kethorn - zeigt der Vergleich mit unseren heutigen und künftigen EU-Nachbarn, dass wir dafür gar nicht die schlechtesten Voraussetzungen haben. Ich erinnere z. B. an die Einkommensentwicklung Ende letzten Jahres. Sie sind da letzten Endes auch furchtbar widersprüchlich. Auf der einen Seite kritisieren Sie die Bundespolitik und Frau Künast immer mit dem Hinweis, sie beschleunige den Strukturwandel,

(Kethorn [CDU]: Das ist ja auch so! und hier schlagen Sie selber ein Beschleunigungs- instrument vor. So kann es doch nicht gehen! (Zustimmung von Frau Litfin [GRÜ- NE] - Biestmann [CDU]: Es geht um die soziale Abfederung!)

Das Ganze ist auch inhaltlich problematisch, Herr Oestmann. Ich empfehle Ihnen, bevor Sie den Antrag ein weiteres Mal stellen: Lesen Sie sich die Dokumentation des Experten-Workshops der FAL von 1999 durch! Es gab drei Ziele bei der alten Regelung: Marktentlastung, Strukturverbesserung und soziale Flankierung. Zu allen drei Punkten ist in diesem Workshop von den Fachleuten festgestellt worden: Keiner dieser Punkte ist erreicht. Die Marktentlastung war minimal und ist sofort als Ziel gestrichen worden. Die Strukturverbesserung ist nicht erreicht worden, weil es sich um reine Vorzieheffekte handelte, die nach fünf oder sechs Jahren ohnehin eingetreten wären. Selbst die sozialen Effekte wurden so bezeichnet, dass man sagte, es habe eine erhebliche Zielunschärfe gegeben. Das Problem war, dass die Produktionsaufgaberente die Betriebe ansprach, die noch relativ gut gestellt waren. Die, die eigentlich bedürftig waren, konnten sich die Produktionsaufgaberente gar nicht leisten. Von daher ging das auch völlig ins Leere.

Als Letztes - Sie werden sagen, das ist ein Totschlagsargument - müssen wir natürlich auch die Finanzierung hier ansprechen. Das ist in der Tat diesmal ein Mausetotschlagsargument. Sie haben ja schon beim letzten Antrag nicht vermocht, entsprechende Finanzierungsvorschläge zu machen. Sie haben immer nur angedeutet, dass PROLAND umgeschichtet werden könnte, dass möglicherweise auch im Sozialbereich umgeschichtet werden könnte. Aber Sie haben nie gesagt, was konkret passiert, weil Sie natürlich immer anderen Leuten vor‘s Schienbein getreten hätten. Jetzt kommen Sie mit der Modulation als Finanzierungsinstrument.

(Biestmann [CDU]: Es ist eine neue Situation!)

Die Modulation bringt bundesweit gut 80 Millionen Euro. Damals hat es eine Berechnung gegeben, die als Finanzbedarf für eine entsprechende Produktionsaufgaberente geschätzte 200 Millionen Euro ausgewiesen hat. Das heißt, es gibt erst einmal keine Agrarumweltmaßnahmen, es gibt keine FFH-Unterstützung, es gibt keinen Herauskauf von Stallplätzen - damit könnte ich leben, gebe ich zu -, aber es gibt eben auch keine weitere Förderung artgerechter Tierhaltung, wie wir sie wollen. Trotzdem reicht es noch nicht. Was schlagen Sie denn vor? Wie hoch wollen Sie die Mo

dulation denn heraufsetzen? - Auch hier besteht eine Widersprüchlichkeit: Erst lehnen Sie die Modulation ab, und jetzt wollen Sie sie quasi verdreifachen.

Fazit, Herr Oestmann: Es gibt keine neuen Erkenntnisse, es gibt eher weniger Geld als mehr, und es gibt, denke ich, kein anderes Ergebnis in der Beurteilung als vor 20 Monaten. Wir könnten uns viel Arbeit sparen, wenn wir den Antrag hier heute gleich ablehnen. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN – Oest- mann [CDU]: Es ist wenigstens deut- lich geworden, wer was will!)

Ich schließe die Beratung. Wir kommen zur vorgeschlagenen Ausschussüberweisung. Wer möchte, dass im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Federführung und im Ausschuss für Sozial- und Gesundheitswesen die Mitberatung liegt, den bitte ich um das Handzeichen. - Das ist so beschlossen.