Protokoll der Sitzung vom 13.06.2002

Das Zweite. Wenn wir über Schulbezirksfragen reden, dann kommen nicht automatisch neue Kosten auf, Herr Fischer. Diskutieren Sie doch mal das Problem von Frau Pawelski! Da sind zwei benachbarte Schulen in Hannover mit öffentlichem Nahverkehr. Hier sind die Quoten sehr, sehr unterschiedlich. Diese Fälle gibt es in Hannover. Die eine Schule hat z. B. 70 % Ausländeranteil, die andere nur 20 %. Dann darf man doch mit dem Schulträger diese Problematik erörtern. Wo ist da Ihr Problem, frage ich mich. Da werden vermutlich nicht einmal Kosten entstehen.

(Beifall bei der SPD - Fischer [CDU]: Fragen Sie mal Ihren Kollegen Op- permann!)

Meine Damen und Herren, damit ist die Behandlung der Dringliche Anfragen a beendet. Wir kommen zur Dringlichen Anfrage

b) VW-Gesetz erhalten - Strukturpolitik für Niedersachsen sichern - Verraten Konservative die Interessen von rd. 100 000 Menschen in Niedersachsen? - Anfrage der Fraktion der SPD - Drs. 14/3482

Herr Kollege Wendhausen bringt die Dringliche Anfrage ein.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Juni 2002 scheinen bei einigen konservativen Politikern sämtliche Dämme hinsichtlich des VW-Gesetzes zu brechen. Presseberichten zufolge haben sich der CDU-Europaabgeordnete KlausHeiner Lehne und auch der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Friedrich Merz

dahin gehend geäußert, dass nun auch das VWGesetz von Europa aus infrage gestellt werden soll.

Vor diesem Hintergrund fragen wir die Landesregierung:

1. Teilt sie die Einschätzung führender CDU-Funktionäre, dass die EU-Kommission nun auch gegen Stimmrechtsbeschränkungen und Höchststimmrechte in EU-Staaten, also auch gegen das VWGesetz, vorgehen solle?

2. Wie beurteilt sie die gegen die Interessen des Landes Niedersachsen und der Wirtschaftsregionen um die VW-Standorte gerichteten Äußerungen rechtlich und politisch?

3. Welche Erwartungen hat sie an politische Entscheidungsträger der Bundesrepublik auf allen nationalen und internationalen Ebenen zur Sicherung niedersächsischer und deutscher Interessen in diesem Zusammenhang?

(Beifall bei der SPD)

Die Antwort erteilt Minister Senff.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 4. Juni dieses Jahres haben sich Pressenberichten zufolge - Herr Abgeordneter Wendhausen hat eben davon gesprochen - deutsche Politiker sehr unterschiedlich zum VW-Gesetz geäußert. Die Landesregierung ist deshalb sehr dankbar dafür, dass wir heute Gelegenheit haben, unsere Position unmissverständlich, ziemlich schnell und klar deutlich machen zu können.

Der Europäische Gerichtshof hat zu zwei verschiedenen aktiengesellschaftsrechtlichen Sonderregelungen geurteilt. Im Zuge der Privatisierung ehemaliger Staatsbetriebe in Belgien und Frankreich haben sich auf der einen Seite beide Staaten durch so genannte „golden shares“ einen beherrschenden Einfluss auf einige ihrer Unternehmen gesichert.

In Portugal - das ist die zweite Rubrik - ist der Verkauf von Anteilen an bestimmten Unternehmen insbesondere an Ausländer ab einer bestimmten Höhe durch den Staat genehmigungspflichtig.

Zu diesen beiden Regelungen hat der EuGH gesagt, dass dies Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs in Europa seien und diese Beschränkungen gegen die Freiheit des Binnenmarktes verstießen. Das VW-Gesetz hingegen, das heute hier im Mittelpunkt der Debatte steht, behindert an keiner Stelle - ich betone: an keiner Stelle - den freien Kapitalverkehr. Jeder kann so viele Anteile kaufen, wie er will, ohne jegliche Kaufbeschränkung wenn er sie bezahlen kann; das ist allerdings eine Voraussetzung, die man erfüllen muss.

(Decker [CDU]: Und was hat er dann zu sagen?)

Hier in Niedersachsen stellt sich also mit dem VWGesetz eine völlig andere Fallgestaltung, eine völlig andere Fragestellung als die Urteilslage des EuGH. Nach Auffassung der Landesregierung stellt die Stimmrechtsbeschränkung bei VW auf 20 % des stimmberechtigten Grundkapitals kein vergleichbares Problem dar.

In diesem Sinne wird die Landesregierung auch weiterhin ihren Einfluss gegenüber der Bundesregierung - mit der wir uns in Übereinstimmung befinden - und der Europäischen Kommission - mit der wir uns offenkundig nicht in Übereinstimmung befinden, obwohl wir mit dem zuständigen Kommissar Bolkestein intensiv gesprochen und verhandelt haben - geltend machen. Wir wollen das VWGesetz erhalten.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und bei den GRÜNEN)

- Ich freue mich über den unbeschränkten Beifall der SPD-Fraktion und den Beifall von Teilen der CDU-Fraktion.

(Eppers [CDU]: Na, na! Mach‘ mal nicht so viel Wahlkampf hier! - Möll- ring [CDU]: Sie haben erhebliche Wahrnehmungsschwierigkeiten, Herr Minister!)

Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, mit großer Sorge erfüllt uns die Diskussion, die Zeitungsberichten zufolge offenkundig in der CDU zur Zukunft des VW-Gesetzes herrscht. Noch in der Aussprache am 13. Juni letzten Jahres - das ist also ein Jahr her - haben wir in diesem Haus, insbesondere durch den Beitrag des Fraktionsvorsitzenden der CDU, Herrn Wulff -, große Übereinstimmung feststellen können. Er selbst hat darauf hingewiesen, dass das VW-Gesetz 1960 von einer

CDU-Bundesregierung in Kraft gesetzt wurde. Er hat seinerzeit deutlich gemacht, dass diese Übereinstimmung gelten solle und gilt.

Angesichts der heutigen Presselandschaft, angesichts der Meldungen zu dem Verhalten einzelner hochrangiger CDU-Abgeordneter und des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU im Deutschen Bundestag stellt sich uns die Frage, wie weit das Wort von Herrn Wulff in diesem Landtag bundesweit Gültigkeit hat.

Tatsächlich haben der CDU-Abgeordnete Lehne - er wurde bereits erwähnt - und Herr Merz - Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Kommission quasi dazu aufgerufen, gegen das VW-Gesetz vorzugehen, indem sie das EuGHUrteil begrüßt haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies zeigt, dass die genannten Personen bereit sind, nicht nur die Interessen Niedersachsens, sondern auch die Interessen der Bundesrepublik Deutschlands für was auch immer zu opfern. Mir ist die Strategie dieser beiden Herren - ich weiß nicht, wie viele hinter ihnen stehen nicht klar.

Unsere nachdrückliche Forderung an Sie, Herr Wulff, heißt: Bringen Sie Klarheit in Ihren Laden! Wir lassen Ihnen nicht durchgehen, hier ja und dort nein zu sagen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Merz ist ja Ihr Spielkamerad in Stoibers Sandkasten.

(Na, na! bei der CDU)

Meine Bitte an Sie ist: Nehmen Sie ihm die Förmchen weg!

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies in sachlicher Form vorausgeschickt, lassen Sie mich die Fragen, die die SPD-Landtagsfraktion gestellt hat, wie folgt beantworten:

(Eppers [CDU]: Polemik ist ein Zei- chen von Schwäche!)

Erstens. Die Landesregierung ist der Auffassung, dass es keinen Anlass gibt, rechtlich gegen das VW-Gesetz vorzugehen. Wie bereits erwähnt, werden durch die Bestimmungen des Gesetzes keine Binnenmarktfreiheiten berührt.

Zweitens. Die Landesregierung unternimmt alles in ihrer Kraft Stehende, um die VW-Standorte in Niedersachsen zu sichern und auszubauen.

(Beifall bei der SPD)

Die große Zahl von Arbeitsplätzen unmittelbar bei VW und in den vielen hunderten und tausenden von Zulieferbetrieben sind für das Land, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für die Wirtschaft in unserem Land Niedersachsen unverzichtbar. Umso bedauerlicher ist es, wenn diese bisher von anderen getragenen Initiativen nun auch von führenden CDU-Abgeordneten in Frage gestellt werden.

(Möllring [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

Dies schadet der Sicherheit der Arbeitsplätze, dies schadet dem Konzern, dies schadet dem Land Niedersachsen.

(Zustimmung bei der SPD)

Drittens. Die Niedersächsische Landesregierung erwartet von der Bundesregierung ebenso wie von allen Repräsentanten Deutschlands im Europäischen Parlament, dass sie unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit die Interessen dieses Landes und damit die Interessen der Menschen in diesem Lande vertreten. Dazu gehört, dass das erfreulicherweise bis in jüngste Zeit von allen Parteien getragene VW-Gesetz bestehen bleibt. VW ist der größte Arbeitgeber in Niedersachsen - einer der Großen in Deutschland, einer der Großen in Europa und einer der Großen auf dem Weltmarkt.

Es ist deswegen gut, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn das Land Niedersachsen als bedeutender Aktionär weiterhin ein stabilisierender Faktor in der Eigentümerstruktur bleibt und diesen Faktor weiter darstellt.

(Beifall bei der SPD)

Es ist nicht in unserem Interesse und, ich glaube, auch nicht im Interesse des Konzerns und auch der vielen Kleinanleger, dass dieser stabilisierende Faktor geopfert wird. Das wäre die Folge, wenn die Kommission auf Politiker wie Herrn Merz und Herrn Lehne hörte und die Lunte an das VWGesetz legte. Diesen beiden Herren - ich hoffe, es konzentriert sich auf sie - müssen wir das Handwerk legen. Denn sie vertreten nicht die Interessen des Landes Niedersachsen. Sie vertreten möglicherweise andere Interessen. Nach außen hin ma

chen sie jedenfalls das Geschäft der internationalen Finanzinvestoren aus der Londoner City.

(Beifall bei der SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir halten unseren Anteil am VW-Konzern, um Arbeit und Einkommen in diesem Land für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Konzern zu sichern. Die Situation für uns ist durch die Einlassungen dieser beiden Herren nicht leichter geworden, weil wir uns nun auf europäischer Ebene immer wieder vorhalten lassen müssen, dass es auch in der Bundesrepublik Politiker gibt, die das Vorgehen der Kommission unterstützen.

Ich bitte Sie ganz herzlich und ganz eindringlich: Lassen Sie uns die vor einem Jahr vorhandene Gemeinsamkeit - von der ich glaubte und glaube und hoffe, dass sie weiter gilt - hier wieder herstellen, und sorgen Sie - jeder auf seine Weise dafür, dass diejenigen, die - aus welchem Grund auch immer - anderer Meinung sind, zu unserer Position, zu unserer Meinung überzeugt werden, damit wir dem Lande Niedersachsen gemeinsam dienen und helfen können! - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)