Protokoll der Sitzung vom 14.06.2002

Dass der Ministerpräsident dabei seine eigene Partei, deren Parteitage, deren Bildungspolitiker mit Füßen tritt,

(Adam [SPD]: Was?)

die dieser Novelle natürlich nur mit dem Feigenblatt zugestimmt haben, kann mir ja noch egal sein. Dass Sie aber die Sorgenkinder des Schulwesens mit Füßen treten werden,

(Zuruf von der SPD: Oh, oh!)

dass Sie nicht dafür sorgen werden, dass Kinder Chancen haben,

(Adam [SPD]: Es wird immer peinli- cher!)

obwohl Sie aus nicht förderfähigen Elternhäusern kommen, das nehme ich Ihnen übel.

(Adam [SPD]: Jawohl! Setzen Sie sich!)

Deshalb bin ich froh, dass die nächste Landesregierung anders aussehen und diese Novelle zurücknehmen wird.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU - Adam [SPD]: Oh Gott!)

Herr Kollege Schwarzenholz, Sie haben das Wort für fünf Minuten.

(Plaue [SPD]: Ich dachte, sie wollte ihren Gesetzentwurf zurückziehen, Herr Präsident!)

- Die beiden Gesetzentwürfe sind eingebracht, und damit geht es jetzt in der Reihenfolge der Wortmeldungen weiter.

(Mühe [SPD]: Frau Litfin hat doch gar nichts zu dem Entwurf der Grünen gesagt!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Herausforderungen der Bildungspolitik sind für einen politischen Wettbewerb durchaus interessant. Aber man muss auch einmal über die Ausgangspositionen diskutieren.

Wir haben, wenn wir uns einmal die Länder anschauen, die nach der PISA-Studie führend sind, festzustellen, dass dort ein ganz anderer Anteil an Finanzaufwendungen in die Bildung gesteckt wird, dass dort eine ganz andere Intensität von Bildung angeboten wird, dass dort real Chancengleichheit organisiert wird, indem sich der Staat nicht aus der Bildung zurückgezogen, sondern seine Bildungsanstrengungen systematisch über Jahrzehnte verstärkt hat. Dies führt in Ländern wie Finnland und Schweden natürlich zu einer höheren Steuer- und Staatsquote. Wenn man aber Chancengleichheit will, dann ist dies notwendig.

Der Ministerpräsident hat berechtigterweise kritisiert, dass in Bayern z. B. so wenig Bildung im gymnasialen Zweig angeboten wird, dass die Bayern unsere Bildung praktisch einkaufen. Diese Kritik ist berechtigt.

(Plaue [SPD]: Nicht einkaufen! Aber wir bezahlen!)

- Die Bayern nehmen das; das ist klar. Die Kritik ist voll berechtigt. Die Bayern profitieren davon, dass in Norddeutschland besser und mehr ausgebildet wird.

(Koch [CDU]: Besser?)

Das ist nicht in Ordnung.

(Frau Harms [GRÜNE]: Ich fürchte, das wird in Berlin auch bald so sein!)

Meine Damen und Herren, Sie treffen jetzt eine Grundsatzentscheidung. Sie entscheiden gegen die Reform der Orientierungsstufe. Sie nutzen nicht das Potenzial, integrativ zu unterrichten und gleichzeitig zu fördern - das ist das Geheimnis der erfolgreichen Bildungsländer -, weil Sie die Orien

tierungsstufe abschaffen, anstatt sie zu reformieren. Das ist der zentrale Fehler dieser Bildungspolitik. Sie richten ein Chaos an. Wenn man mit einzelnen Kollegen diskutiert, wird deutlich, dass sie das durchaus merken. Sie verlieren berechtigterweise die öffentliche Meinung.

Schauen Sie sich doch einmal um, was los ist. In unserem Kreis wird an drei oder vier Schulzentren diskutiert, aber nicht darüber, wie die Gelder konzentriert für mehr Qualität in der Bildung eingesetzt werden können. Die Schulträger müssen darüber nachdenken, welche Schulgebäude sie umbauen und was mit den Schulzentren passieren soll, ob Schuleinzugsbezirke ausgewiesen werden sollen. Das Chaos ist groß. Sie können aber kaum darüber diskutieren, wie sie die wenigen Mittel, über die sie verfügen, darauf konzentrieren können, z. B. neue Techniken einzusetzen und die Qualität der Bildung zu erhöhen. Es gibt keine Bündnisse dafür, gemeinsam die Mittel auf mehr Qualität in der Bildung zu konzentrieren.

Das wäre aber möglich, wenn man sich auf eine Reform der Orientierungsstufe konzentriert und dort die Potenziale zur Verbesserung genutzt hätte, wenn man die Selektionselemente zurückgenommen, mehr Förderung betrieben und damit die Schwachpunkte der Orientierungsstufe beseitigt hätte. Jetzt machen Sie das, was im Prinzip auch die CDU will. Sie selektieren ab der vierten Klasse. Wir werden einen Wettstreit zwischen Förderstufen haben. Die Eltern versuchen schon jetzt, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Es wird darüber diskutiert, wie man Förderstufen erreichen kann, an denen es den Kindern nicht so schlecht geht. Auf diese Art und Weise haben Sie einen Bildungskrieg eröffnet, der alltäglich weitergeht.

Sie sind heute dabei, den Sargnagel für die SPDgeführte Landesregierung einzuschlagen, und zwar ohne dass die konservative Opposition ein besseres Konzept hätte. Das braucht sie gar nicht. Schauen Sie sich doch einmal die Meinungsumfragen an! Die Leute sagen: Das bringt uns nicht weiter. Das verunsichert uns. - Es wird nicht mehr gefragt, welches das bessere Konzept ist, sondern es wird gesagt: Das haben die nicht gut gemacht, also wähle ich ganz einfach die konservative Seite; sollen die das einmal probieren! - Mit dieser Logik fahren Sie die Kiste voll in den Abgrund. Sie helfen den Kindern und den Eltern in unserem Lande nicht. Diese Schulreform ist Ihnen so gründlich misslungen, dass das durchaus wahlentscheidend zu Ihren Ungunsten ausgehen kann.

(Beifall bei der CDU - Möhrmann [SPD]: Beifall bei der CDU!)

Vielen Dank. - Herr Kollege Busemann, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Haus hat in den letzten Jahrzehnten so manches Gesetzgebungsverfahren erlebt. Die Beratungen zum Hochschulgesetz waren bei aller politischen Gegensätzlichkeit – sie haben über ein Jahr gedauert - vom Verfahren her in Ordnung. Das Verfahren zum Schulgesetz – der Gesetzentwurf wurde hier vor drei Monaten eingebracht, wobei sich die SPD-Fraktion als willfähriges Vehikel hat missbrauchen lassen - ist in der Geschichte der Gesetzgebung im Landtag ein einmaliger Vorgang.

(Beifall bei der CDU)

Zeitdruck und - ich greife den Begriff auf - Betonköpfigkeit waren Ihre Bündnispartner; sonst niemand. Ich kann das Verfahren nur beschämend nennen. Es war über drei Monate beschämend!

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Plaue [SPD])

Ich will auf die Bemerkung „Autosuggestion“ von vorhin nicht eingehen, Herr Plaue. Vorausgegangen ist jedenfalls ein jahrelanges Anwachsen von Problemen im Schulbereich: Unterrichtsversorgung defizitär, fehlender Lehrernachwuchs, Qualitätsfragen. Warum schneiden niedersächsische Schüler im Bundesvergleich immer so schwach ab?

(Plaue [SPD]: Was?)

Hinzugetreten ist - in Auftrag gegeben durch Sie, Frau Ministerin - das DIPF-Gutachten, das für den kundigen Leser geradezu aufdrängt, die Orientierungsstufe abzuschaffen; aber wenn, dann - bitte schön - richtig!

(Beifall bei der CDU)

Jahrelanges Aufschieben von Problemen: Schulleiterstellen nicht besetzt, Schulbaumaßnahmen, die faktisch blockiert sind, Schulentwicklung ist nicht planbar, und, und, und. Sie agierten mit Sprücheklopferei, mit Hinhaltetaktik. Ein Schulmodell jagte das andere. Kein Vorwärtskommen.

Dann kam das eigentlich große Problem. Das war Ihr Ministerpräsident. Dieser hatte im Sommer 2000 eine Eingebung. Er dachte irgendwann, das Volk mit einer Ideenskizze zur Schulpolitik beglücken zu sollen. Diese Tat, Herr Gabriel, so glaube ich, haben Sie heute insgeheim schon längst bereut. Wahrscheinlich war das der schwerste Fehler Ihrer Amtszeit, die ohnehin nicht von großen Erfolgsereignissen geprägt sein wird.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU - Lachen bei der SPD)

- Das wird sich noch zeigen. Er hat sozusagen nachts aus der Hüfte geschossen, weil er die Sorge hatte, die Opposition hätte am nächsten Morgen eine gute Schlagzeile, und hat sich gedacht, mal eben eine Ideenskizze zu machen. Ich kann Ihnen sagen: Das wird sich noch als riesiger Fehler erweisen. Das war von vorn bis hinten nicht durchdacht. Das war noch nicht mit Partei und Fraktion abgestimmt. Das war mit der Ministerin nicht abgeklärt. Die Braunschweiger Zeitung hat Recht - ich glaube, das war vor zwei oder drei Tagen -: Irgendwann landet man dann im Strafraum der eigenen Partei.

(Beifall bei der CDU)

Wer sich als Mittelstürmer gefällt und ständig mit dem Ball im eigenen Strafraum herumkickt, der muss irgendwann damit rechnen, dass der Torwart den Ball aus dem Netz holen muss. Das wird so kommen.

(Beifall bei der CDU)

Die Schulpolitik der Sozialdemokraten hat dem Land in den letzten Jahren Schaden zugefügt. Sie hat Schüler, Eltern und Lehrer gegen sich aufgebracht, hat die Ministerin der Lächerlichkeit preisgegeben, hat einen Parteitag zu einem Pflichtbeschluss genötigt. Auch die SPD-Fraktion wird - das mögen Sie anders sehen - als Gesetzeseinbringer missbraucht.

Konfusion allenthalben; Flickschusterei bis in die letzten Tage. Niemand kapiert das Gesetz. Gedruckt ist es noch nicht. Aber für Umfragen lassen wir es schon einmal ein bisschen laufen. Wenn Sie sich damit Frieden schaffen und eine ruhige Nacht haben, dann soll es so sein.

(Beifall bei der CDU)

Hokuspokus allenthalben, liebe Freunde! Ich fürchte, das wird so bleiben.

Entstanden - steigen wir einmal in den Gesetzentwurf ein - ist ein durch und durch schlechter Entwurf,

(Zuruf von Plaue [SPD])

geprägt von Halbherzigkeiten, Herr Kollege, Beliebigkeit - ganz schlimm - und Inkonsequenz. Herr Gabriel ist einmal damit angetreten, die Orientierungsstufe abzuschaffen. Auch er wollte doch das Abi nach zwölf Schuljahren realisieren. Das war eine riesige Chance, Herr Ministerpräsident, mit der anderen großen Volkspartei im Lande zu einem Konsens zu kommen. Das waren Positionen, die auch wir in den vergangenen Jahren entwickelt hatten. Das hätte man miteinander machen können, um dann zur Wahl anzutreten und alles andere so oder so regeln zu können. Sie haben sich damit in Ihrer Partei und in Ihrer Fraktion nicht durchsetzen können. Nun ist der Schuss in die andere Richtung losgegangen.