Protokoll der Sitzung vom 14.06.2002

der Debatte aufpassen, meine Damen und Herren, nicht zu übersehen, dass wir alle in Deutschland in Gefahr sind, in unserem Bildungssystem zu ertrinken.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben die Chance, voneinander zu lernen, und zwar auf allen Feldern von den jeweils Besten. Wie erreicht man das höchste Leistungsniveau in allen Schulformen? Aber auch: Wie schaffen wir es, möglichst viele Kinder dazu zu befähigen, diese Leistungen auch zu erreichen?

Meiner Einschätzung nach haben wir in Deutschland zwei Probleme: fehlende Qualität, aber auch fehlende Quantität in unserem Bildungssystem, mangelnde Ausbildungsleistungen und zu wenig gut ausgebildete Schülerinnen und Schüler - beides hängt zusammen. Wir haben nicht nur im internationalen Vergleich zu geringe Leistungen, sondern auch zu wenig ausgebildete junge Menschen, um den Fachkräftebedarf unserer Wirtschaft zu decken.

In Deutschland gibt es eine merkwürdige Debattenkultur. Wir streiten immer gern darüber, ob wir bessere oder mehr Abiturientinnen und Abiturienten brauchen. Diese Alternative ist völlig unsinnig. Wir brauchen natürlich beides. Denn wenn uns die deutsche Wirtschaft sagt, dass der Bedarf unserer Unternehmen an Fachkräften mit einem Hochschulabschluss in zehn Jahren bei 40 % liegt, dann reicht eine Abiturquote von 18,5 % in Bayern nicht aus, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich füge hinzu: 23,5 % in Niedersachsen auch nicht.

(Beifall bei der SPD)

Was helfen uns höhere Leistungsniveaus, wenn wir es nicht schaffen, dass mehr Kinder und Jugendliche sie erreichen? Genau so gilt: Mehr Abiturienten, Realschüler oder Hauptschüler helfen auch nichts, wenn deren Leistungen nicht stimmen.

Meine Damen und Herren, beides ist wichtig. In beiden Fällen brauchen wir einen Vergleich, aber nicht nur einmal, sondern kontinuierlich. Wir brauchen Standards, die festlegen, was Schüler können müssen, wenn sie von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen wechseln. Was müssen sie können, wenn sie nach Klasse 6 weiter gehen sollen? Was soll Leistungsstandard für einen

Hauptschulabschluss, für einen Realschulabschluss und für einen Gymnasialabschluss sein? Mit Verlaub: Mir ist im Prinzip egal, ob jemand sein Abitur nach 12, 13 oder 14 Jahren macht. Ich will nur nicht, dass man 13 Jahre für das Beste hält. Natürlich ist es am schönsten, wenn es jemand nach 12 Jahren macht. Deshalb wollen wir dafür sorgen, dass er das kann. Ich kenne übrigens einige - auch in diesem Raum -, die 14 Jahre gebraucht haben.

(Beifall bei der SPD)

Denen sollten wir die Chance auch nicht nehmen, meine Damen und Herren.

(Möllring [CDU]: Es gibt hier im Raum aber auch welche, die es in 12 Jahren geschafft haben!)

Das Gleiche gilt aber auch für die Leistungsstandards in Hauptschule und Realschule. Meine Damen und Herren, am Ende wird uns trotz aller Wahlkämpfe wohl nichts anderes übrig bleiben, als voneinander zu lernen. Aber das fordern wir von unseren Kindern auch.

Meine Damen und Herren, die SPD hat sich in Niedersachsen schon zwei Jahre vor der Veröffentlichung von PISA auf den Weg gemacht, das Bildungssystem unseres Landes zu reformieren. Mit der Reform des Hochschulgesetzes haben wir schon im Jahr 2000 begonnen. Heute gilt Niedersachsen als das Land mit den besten und modernsten Rahmenbedingungen für Universitäten und Fachhochschulen in ganz Deutschland. Ich betone: in ganz Deutschland.

(Beifall bei der SPD)

Spätestens mit der Regierungserklärung vom 15. Dezember 1999 haben wir die Verbesserung der Schulausbildung in den Mittelpunkt unserer Landespolitik gestellt. Zwei Jahre vor PISA, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Dafür musste man übrigens keinen wissenschaftlichen Beweis haben. Man musste nur mit Eltern, mit Lehrern, vor allem aber auch mit Ausbilderinnen und Ausbildern sprechen, um zu wissen, dass hier in unserem Ausbildungssystem etwas nicht in Ordnung ist. Seit PISA wissen wir: Das ist in ganz Deutschland der Fall.

Auf Wunsch des Landeselternrates haben die Landesregierung und die SPD-Landtagsfraktion diese

Debatte begonnen. Wir haben den Wunsch der Eltern ernst genommen, meine Damen und Herren, und haben uns nicht hinter Parteitagsbeschlüssen oder Ideologien verbarrikadiert. So gewinnt man Vertrauen, nicht aber durch zwei Jahre anhaltendes Sprücheklopfen, Herr Busemann.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Mängel wurden schnell offenbar. Glauben Sie doch nicht, ich sei jemand, der der Auffassung ist, es seien auch in den Jahren der SPD-Regierung keine Mängel aufgetreten. Wie kommen Sie auf die Idee, dass jemand von uns es gut findet, dass wir immer noch zu viele Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss haben? Wir bestreiten das doch gar nicht. Wogegen ich aber etwas habe, Herr Busemann, ist, dass Sie so tun, als gebe es alle diese Probleme in diesen Bereichen nicht bundesweit. Das wissen wir seit PISA.

Was ich aber viel schlimmer finde, Herr Busemann, ist, dass Sie in die Beratungen des Niedersächsischen Landtages keinen einzigen Antrag eingebracht haben, mit dem das hätte realisiert werden können, was Sie hier vorgetragen haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich will Ihnen jetzt einmal sagen, was unsere Kinder und Jugendlichen eigentlich verdient hätten: einen Landtag, in dem die Fraktionen um die besten Ideen streiten und diese Ideen hier zur Abstimmung stellen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat einen Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht, den ich zwar nicht teile; sie war aber in der Lage, zu sagen, was sie will. Sie hat ihren Gesetzentwurf öffentlich zur Diskussion gestellt, und sie musste Finanzierungsvorschläge vorlegen. All diese Mühe haben Sie von der CDU-Fraktion sich nicht gemacht. Bei Ihnen gilt das Motto: Am Abend werden die Faulen fleißig. - So geht es im Niedersächsischen Landtag aber nicht!

(Beifall bei der SPD)

Sie müssen sich schon Mühe geben. Es geht nicht, dass Sie im Landtag sitzen, das Schulgesetz kritisieren, zu allem Nein sagen, alles diskreditieren, keinen Finanzierungsvorschlag machen und an keiner einzigen Stelle sagen, wie Sie die Probleme beheben wollen. Nur Redebeiträge, aber kein Gesetzesantrag, kein Finanzierungsvorschlag!

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die Mängel sind uns klar. Unsere Grundschulen brauchen mehr Unterstützung nicht nur mit frühem Englischunterricht sowie mit verlässlichen Unterrichts- und Betreuungszeiten, sondern auch und vor allem mit Sprachförderung im Kindergarten und in der Grundschule. Wer in die deutsche Schule geht, der muss die deutsche Sprache können. Dafür stellen wir jetzt mehr als 23 Millionen Euro zur Verfügung. 280 Lehrkräfte stellen wir allein für unsere Grundschulen mit einem hohen Anteil von Ausländern ein, die über keine ausreichenden Sprachkenntnisse verfügen.

Die Sprachförderung in den Kindergärten geht nicht zulasten der Kommunen, sondern das Land kommt seiner Verantwortung nach. Sie wissen das. Wir finanzieren diese Maßnahme. Wir haben gesagt, wie wir es machen wollen. Sie aber sagen zu allem Nein und bringen keinerlei Alternativen auf die Bühne.

(Beifall bei der SPD)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Von wem denn?

Vom Kollegen Möllring.

Aber gerne.

Herr Ministerpräsident, Sie haben eben gesagt, Sie würden die Sprachförderung in den Kindergärten finanzieren. Erst gestern ist im Rahmen der Behandlung einer Dringlichen Anfrage gefragt worden, wo die Mittel dafür im Haushalt ausgebracht worden seien. Uns wurde gesagt, die Mittel dafür stünden noch nicht im Haushalt, weil diese Maßnahme Gegenstand der nächsten Mipla sein werde.

Sie sind doch Finanzplaner. Sonst berufen Sie sich immer auf die Mipla. Jetzt aber glauben Sie, dass sie keine Finanzierungsgrundlage mehr ist. Die

Finanzierung der Kindergärten wird, wenn ich mich recht erinnere, im ersten Jahr im Sozialministerium aus eigenen Mitteln bereitgestellt. Sie müssten sich selbst ein bisschen mehr um den Haushalt kümmern. Ich glaube, dass ist doch auch Ihre Aufgabe in der Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Weil wir gerade bei diesem Thema sind: Ich habe nie gesagt, dass ich das Bussing für das einzig geeignete Modell halte. Auch ich halte die Debatte über die Ausländerquote an den Grundschulen nicht für nicht unproblematisch. Eines aber sage ich Ihnen: Unredlich wäre es, wenn wir nicht erkennen würden, dass wir an denjenigen Kindergärten und Grundschulen ein riesiges Integrationsproblem haben, an denen der Anteil von Kindern, die die deutsche Sprache nicht sprechen, zu hoch ist. Dieses Problem erkennen wir aber.

Wir müssen darüber hinaus auch erkennen, dass es auch außerhalb der Großstädte schon zu Gettoisierungsproblemen kommt, weil wir nicht für eine vernünftige soziale Teilung gesorgt haben. Dann aber das Zuwanderungsgesetz mit den vorgesehenen Integrationshilfen zum Wahlkampfthema zu machen, hilft unseren Kindern überhaupt nicht. Das Geld könnten wir in Niedersachsen gut gebrauchen, um mehr für die Integration zu tun.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Die Beseitigung eines weiteren Mangels an Grundschulen haben wir in Angriff genommen: Wir haben für verlässliche Unterrichts- und Betreuungszeiten sowie einen frühen Englischunterricht gesorgt. Von 1 875 niedersächsischen Grundschulen werden in diesem Jahr 1 355 verlässlich sein. Für das darauf folgende Jahr sind schon so viele Anmeldungen da, dass es 1 697 werden. Das sind 90,5 %.

Im Haushalt und in der Mipla, Herr Möllring, stehen für die Verlässlichen Grundschulen Finanzmittel für 1 000 Lehrerstellen und für die Finanzierung von 1 000 Stellen für die Vertretung und Betreuung zur Verfügung, und zwar nicht zulasten anderer Schulen. Das sind mehr als 100 Millionen Euro bei einer 100-prozentigen Deckung. Das ist eine Politik für unsere Grundschulen, die nicht nur aus Reden besteht, sondern durch die wir nachhaltig Veränderungen herbeigeführt haben. Diese haben wir mit den Eltern durchsetzen müssen.

(Möllring [CDU]: Das glauben Sie selbst nicht!)

Die Eltern waren die einzigen Bündnispartner. Die CDU war gegen die Verlässlichen Grundschulen. Das war die Politik der CDU.

(Beifall bei der SPD)

Die Kultusministerin, die Sie hier in jeder Sitzung verleumden, hat diesen Kraftakt hingekriegt. Wir - die Eltern übrigens auch - sind ihr dafür außerordentlich dankbar.

(Beifall bei der SPD - Unruhe bei der CDU)