Protokoll der Sitzung vom 28.08.2002

(Zurufe von der CDU: Haben Sie nicht zugehört? Die Rede war über- zeugend!)

Umso mehr wissen wir aus den letzten vier Jahren sehr genau, wogegen Sie sind. Man höre und staune: 14 Mal hat die CDU dagegen gestimmt, als es Rot-Grün darum ging, Deutschland umweltpolitisch auf die Höhe der Zeit zu bringen und wirksame Maßnahmen für den Klimaschutz zu starten.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zurufe von der CDU)

Bei der ökologischen Steuerreform: dagegen; Erneuerbare-Energien-Gesetz: dagegen; Einführung der Lkw-Maut: dagegen; naturverträglicher Ausbau der Donau statt Kanalisierung: dagegen; Naturschutzgesetz: dagegen; Atomausstieg: sowieso dagegen.

Meine Damen und Herren, diese Positionen lassen sich ziemlich genau auf Ihre Politik hier in Niedersachsen übertragen. Mit Verlaub, Herr Wulff, die

CDU hat umweltpolitisch nach wie vor ein gewaltiges Brett vor dem Kopf.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zustim- mung bei der SPD)

Es wäre an der Zeit, dass auch Sie aus den Unwetterkatastrophen der letzten Jahre lernen. Wann wollen Sie sich endlich davon verabschieden,

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das haben Sie aber vorher aufgeschrieben, seien Sie ehrlich!)

immer nur dagegen zu sein, wenn es um zukunftsorientierte Politik und die Sicherung der Existenzgrundlagen künftiger Generationen geht?

Meine Damen und Herren, als sich die Lage bei uns an der Elbe wieder entspannte und ich sehr viele Zeitungen zum Nachlesen hatte, war eine der ersten Meldungen, die mir ins Auge fielen, die Meldung über Benefizkonzerte afrikanischer Musiker zugunsten der Flutopfer in Deutschland. Das hat mich gerührt, das hat mich gefreut, und das hat mich gleichzeitig tief beschämt.

Unter den Fehlern, der Inkonsequenz und der Schwäche der Umwelt- und Klimapolitik der Industrienationen leiden die Menschen nicht nur an der Elbe, sondern in sehr vielen Ländern der Welt und viel mehr als wir. Denken Sie an die aktuelle Katastrophe in China. Die Fehler, die in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren gemacht wurden, werden wir nicht einfach wettmachen können. Je konsequenter wir den Energieverbrauch nicht nur in der Industrie, in Betrieben und in Häusern, sondern auch im Verkehr zügeln, desto besser. Die Wirksamkeit heutiger Umweltpolitik wird sich allerdings erst in den Generationen, die nach uns kommen, erweisen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Lüchow prangte nach der Katastrophe in Tschernobyl viele Jahre lang ein Graffiti an einer Hauswand: „Die Menschen lernen nur aus Katastrophen. Eigentlich schade.“ Wenn man es heute betrachtet, war das eine sehr optimistische Aussage. Wir wissen, wie mühsam es war, Konsequenzen aus dieser Katastrophe zu ziehen und nach 25 Jahren Diskussion einen Ausstieg aus der Atomenergie einzuleiten. Meiner Meinung nach wäre nach dieser Flut eine CO2-Reduktion um 40 % bis zum Jahr 2020 das richtige Ziel, die richtige Konsequenz. Es wäre gut für die Umwelt, es

wäre gut für die Wirtschaft, und es wäre machbar, wenn alle so motiviert, wie sie jetzt an der Elbe bei den Sandsackaktionen mitgemacht haben, mithelfen würden.

Nach der Flut, nach den ganz großen Schäden und dem großen Leid ist es höchste Zeit, umzudenken. Die Umweltpolitik muss sehr viel mehr Einfluss bekommen. Das Umweltbewusstsein im Alltag muss noch mächtig wachsen. Der große Sozialdemokrat Willy Brandt hat in einer sehr schwierigen Phase der deutschen Politik den Anspruch „mehr Demokratie wagen“ formuliert. Für das Umdenken nach der Flut lautet das Motto für uns - es sollte auch für die Republik so lauten -: mehr Ökologie wagen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Kollege Plaue, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bilder, die wir in den letzten Tagen im Fernsehen gesehen haben, haben sicherlich alle tief berührt. Ich hoffe, dass sich diese Bilder tief in die Gedächtnisse der Menschen eingebrannt haben. Ich hoffe das sehr, weil ich nur zu gut weiß, dass Katastrophen mit dem Abstand zu dem Zeitpunkt, zu dem sie stattgefunden haben, bei den Menschen leicht in Vergessenheit geraten und dass wir die Konsequenzen, die wir uns angesichts dieses unsäglichen Leids versprechen, sehr schnell nicht mehr als Punkt 1 auf die Tagesordnung setzen.

Das betrifft, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht nur die Politik. Es betrifft insbesondere auch das Bewusstsein der Menschen. Wir können unsere Politik gestalten und formulieren, aber wir können sie nur umsetzen, wenn die Menschen bereit sind, dies auch über den Tag der Katastrophe hinaus zu organisieren. Deshalb hoffe ich, dass das, was wir an den betroffenen Orten gesehen haben, tief in der Erinnerung bleibt und auch zu Konsequenzen führen wird.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Sachsen - fast das ganze Bundesland - ist im Ausnahmezustand. Sachsen-Anhalt ist in weiten Stel

len bedroht. Es gibt hektische Vorbereitungen von tausenden von Helfern in Brandenburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Meine Damen und Herren, wenn man es nicht besser gewusst hätte, hätte man sich in eine Situation weit weg von der Bundesrepublik Deutschland versetzt gefühlt. Das waren Bilder und Aktionen, die wir bisher vornehmlich in der Dritten Welt vermutet hätten oder vielleicht in Ansätzen an der Mosel oder im Rheintal. Jetzt war das alles plötzlich sehr nah und unmittelbar. Viele Menschen haben alles verloren, was sie sich über viele Jahre, ja über Jahrzehnte hinweg aufgebaut haben. Das, was sie mit Mühe geschaffen haben, ist buchstäblich weggespült worden. Aber unmittelbar nach der ersten ging eine zweite Welle durch das Land. Das war die Welle von Solidarität und von der Bereitschaft, anzupacken. Es war die Welle von Mut und von der Entschlossenheit, nicht aufzugeben, sondern sich gegen die Flut zu stemmen. Auf diese Welle können wir alle stolz sein.

(Beifall im ganzen Hause)

Es war die Bereitschaft zu spenden. Es war die Bereitschaft, in die Katastrophengebiete zu gehen und mitzuhelfen. In dem Moment, in dem die Not am größten war, ist deutlich geworden, dass wir dazu bereit sind, unseren Beitrag zu leisten, damit endlich das zusammenwächst, was schön längst zusammengehört.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es sind die vielen tausende von Menschen, die bei Gluthitze und bei Mückenplage den Weg an die Elbe gefunden haben, einfach nur, weil sie helfen wollten. Selbst, wenn sie stehend k.o. waren, wenn sie nicht mehr in der Lage waren, klar zu denken, und manches nur noch mechanisch gemacht haben, ist kaum jemand weggegangen. Fast alle sind bis an die Grenze ihrer körperlichen und mentalen Leistungsfähigkeit geblieben. Diese beeindruckenden Bilder waren von einer Stärke, sie haben vor innerem Zusammenhalt nur so gestrotzt, sie haben gezeigt, dass die Menschen die ewigwährenden Panikreden satt haben, dass sie an ihnen abprallen, dass sie die Miesmacherei nicht wollen, dass sie das Gelabere über die Fun-Generation nicht hören wollen. Diese Bilder haben gezeigt, dass in dieser Gesellschaft etwas steckt, das wir uns über den Tag dieser Flutkatastrophe hinaus bewahren müssen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Den Helferinnen und Helfern – egal, ob sie privat oder durch die Institutionen an die betroffenen Orte gekommen sind - ist hier schon zureichend gedankt worden. Ich möchte ihnen deshalb nur noch einmal im Namen meiner Fraktion pauschal danken. Wir haben hohen Respekt vor den Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlassen haben, um zu helfen. Wir haben hohen Respekt vor all denen, die ihre Kenntnisse und Fähigkeit mit großer Professionalität eingebracht haben. Wir haben hohen Respekt davor, dass die Bundeswehr, ohne mit der Wimper zu zucken, bereit gewesen ist, einzutreten, um die Menschen hinter den Deichen zu schützen. Ihnen allen gebührt unser großer Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich bin sehr froh darüber, dass die Bundesregierung - das ist einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland - blitzschnell entschieden hat und den Menschen nicht nur schnelle Hilfe versprochen, sondern bereits in dieser Woche mit der Umsetzung begonnen hat. Diese Hilfe ist durchfinanziert. Die Menschen wissen, dass sie sich auf das, was Politikerinnen und Politiker sagen, verlassen können. Ich möchte den Dank der Menschen gern an den Bundeskanzler weitergeben.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Es zeigt sich in solchen Situationen, wer in der Lage ist, die große Verantwortung des Amtes des Bundeskanzlers zu tragen, und wem die Menschen in diesem Land glauben. Es wird auch klar, wie wichtig es ist, diese Hilfe nicht nur anzukündigen, sondern auch sofort Gelder zur Verfügung zu stellen. Das merken wir alle, wenn wir mit den Menschen reden. Bei Katastrophen wird zuerst schnelle und unbürokratische Hilfe zugesichert. Dies kann häufig aber nicht eingelöst werden, weil das Geld nicht vorhanden ist. Hier ist gesagt worden, wie die Hilfe finanziert werden soll. Meine Damen und Herren, ich sage ganz deutlich: Wer die Hilfsbereitschaft der Menschen so gering schätzt, dass er glaubt, ihnen die Verschiebung der Stufe der Steuerreform um ein Jahr nicht zumuten zu können, der weiß nicht, welche Kraft in diesem Land steckt, und erkennt die Bereitschaft unserer Bürgerinnen und Bürger nicht.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Herr Wulff, Ihr fraktionsvorsitzender Kollege Merz hat das sofort erkannt. Als der Vorschlag auf den Tisch kam, hat er diesem sofort zugestimmt. Dann wurde er aber aus parteipolitischem Kalkül zurückgepfiffen. Das ist dieser Situation nicht angemessen.

(Beifall bei der SPD)

Ich meine, dass die Bürgerinnen und Bürger erkannt haben, wo an dieser Stelle die Unterschiede liegen und welchen Weg man gehen sollte. Wir wollen den Weg gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern, die bereit sind, etwas zu tun, gehen. Wir wollen nicht den Weg in den Schuldenstaat gehen, der zu einer Schlussbilanz einer konservativen Regierung von 1,5 Billionen Euro Schulden und 4,8 Millionen Arbeitslosen geführt hat. Das ist nicht unsere Politik!

(Beifall bei der SPD)

Ich halte es in diesem Zusammenhang auch nicht für angemessen, die Flutopfer gegeneinander auszuspielen.

(Zustimmung von der CDU: Wer macht das denn?)

- Sie haben wohl vorhin nicht zugehört, Frau Kollegin! - Die Flutopfer in Horneburg sind genauso betroffen gewesen wie die in Bayern. Deshalb ist es nicht in Ordnung, dass einer aus Bayern kommt und erzählt, er wolle diejenigen gegen die da unten ausspielen. So darf man in einer solchen Situation nicht Politik machen.

(Beifall bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zehn Jahre nach dem ersten Weltgipfel in Rio de Janeiro hat am Montag in Johannesburg die größte Konferenz der Welt zur nachhaltigen Entwicklung begonnen. Angesichts der Ereignisse der letzten Wochen - hier sind neben unserer eigenen Betroffenheit in Europa auch das schreckliche Hochwasser in China und die schweren Hungersnöte im Süden Afrikas zu nennen - sollte allen klar geworden sein, dass sich die Erde verändert, dass sich das Klima wirklich wandelt und dass die Naturkatastrophen zunehmen werden. Wir müssen uns fragen, ob wir die in Rio beschlossenen Konzepte einer Agenda 21 rechtzeitig und konsequent umgesetzt

haben. Die Bürgerinnen und Bürger müssen entscheiden, ob sie den Weg der Nachhaltigkeit und des Klimaschutzes weitergehen wollen.

Wenn es richtig ist - und es ist richtig -, dass die Entscheidungen, die wir heute treffen, in 20 Jahren wirksam werden, dann darf man heute nicht so tun, als hätten wir noch 20 Jahre Zeit. Nein, wir haben diese Zeit nicht. Deshalb müssen wir heute handeln. Angesichts dessen bin ich der Bundesregierung dankbar dafür, dass sie in den letzten vier Jahren den Klimaschutz mit eingeleitet hat.

(Beifall bei der SPD)

Die Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes und die Einführung der Ökosteuer sind nur zwei Merkposten, die ich an dieser Stelle nennen möchte. Was haben wir uns über die Sinnhaftigkeit der Ökosteuer gestritten. Ich halte dieses Konzept nach wie vor für richtig und zukunftsweisend. Wenn Sie von der Union, Herr Kollege Wulff, mir nicht glauben, dann glauben Sie wenigstens Ihren eigenen Leuten, wie dem ehemaligen Umweltminister Töpfer, der erklärt hat, dass er diese Steuer für richtig hält. Er hat das deshalb erklärt, weil er seinen umweltpolitischen Sachverstand nicht an der Garderobe der CDU-Partei abgeben musste, sondern deutlich sagen konnte, was richtig ist.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Plaue, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, das gestatte ich nicht.

Uns ist aber auch klar, dass Deutschland die Herausforderungen der Zukunft, insbesondere im Klimaschutz, nicht allein bewältigen kann. Wir sind keine Insel. Wir müssen dafür sorgen, dass das, was wir politisch als richtig erkannt haben, was uns die Fachleute seit vielen Jahren sagen, auf die Tagesordnung der europäischen und übernationalen Organisationen kommt. Wir müssen weltweit eine Politik bekommen, die die Folgen des Versagens von Umweltpolitik deutlicher als bisher in den Mittelpunkt öffentlichen Interesses stellt und dafür sorgt, dass diese Folgen bekämpft werden.