Protokoll der Sitzung vom 30.08.2002

des Finanzministeriums auf die Frage 41 des Abg. Möllring (CDU):

NORD/LB - Quo vadis?

Der Bankensektor befindet sich bereits seit längerer Zeit in einer stürmischen Phase der Veränderung und Umstrukturierung. Als Stichworte, die jedes für sich einen eigenständigen komplexen Gesamtzusammenhang und beachtliche Veränderungsprozesse benennen, sind z. B. zu nennen „Eigenkapitalrendite/Basel II“, „Wegfall der Gewährträgerhaftung und Anstaltslast“, „Konzentrationswelle“, „Personalabbau“.

Auch die NORD/LB ist von diesen Entwicklungen nicht unberührt geblieben, zumal sie zusätzlich über das Stichwort „Berliner Bank“ als Anteilseigner und Vertreter im Aufsichtsrat in eine der schwersten Bankenkrisen der deutschen Nachkriegsgeschichte involviert ist.

Die NORD/LB gehört gleichzeitig zu den ganz wenigen Vermögenswerten des Landes, die von der Landesregierung in den letzten Jahren nicht veräußert worden sind, und ist daher eines der letzten „Juwele“ im Landesbesitz. Es liegt daher im höchsten Interesse des Landes, dass die Landesbank eine gedeihliche Entwicklung nimmt. Aufgabe der Landesregierung ist es, gerade in den derzeit schwierigen und stürmischen Zeiten ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der Bank zu nehmen und Schaden von ihr fernzuhalten.

Im Gegensatz dazu bietet die Landesregierung als Anteilseigner der NORD/LB ein Bild

in der Öffentlichkeit, welches Anlass zu größter Sorge sein muss. So bemühte sich der Niedersächsische Finanzminister und amtierende Aufsichtsratsvorsitzende der NORD/LB gemeinsam mit dem Vorstand der Bank um eine Zustimmung des Aufsichtsrates und der Mitanteilseigner zu einer Fusion der Nord/LB mit der angeschlagenen Berliner Bank, ohne dass der Ministerpräsident eingegriffen hätte - ein dann im Aufsichtsrat und in der Gesellschafterversammlung von anderen Beteiligten gestoppter Versuch, mit dem die Bank in unkalkulierbare Risiken geführt worden wäre.

Gleichzeitig ermahnte der Ministerpräsident die Opposition, sich aus dem „Bankgeschäft“ der NORD/LB herauszuhalten, nachdem CDU und Grüne im Lichte des o. g. Vorgehens des Finanzministers ihrer besonderen und berechtigten Sorge um die NORD/LB öffentlich Ausdruck verliehen hatten.

Auch nachdem die NORD/LB schließlich gegenüber dem Berliner Senat allein noch eine „indikative Interessensbekundung“ für einen Erwerb von gewissen Teilen der Berliner Bank in einem Konsortium abgegeben hatte, hat sich der Ministerpräsident weiterhin zurückgehalten.

Zuvor hatte die NORD/LB zu ihrer allgemeinen Geschäftslage bei zwei verschiedenen Gelegenheiten öffentliche Aussagen gemacht. Im ersten Fall betonte sie, dass es keinerlei zusätzliche Risiken im Kreditgeschäft gebe. Im zweiten Fall, eine Woche später, wurde im Rahmen der Abgabe des Halbjahresberichts 2002 darauf hingewiesen, dass die NORD/LB über etwaige Wertberichtigungen nicht im Rahmen des Halbjahresberichts, sondern erst im Rahmen des Jahresabschlusses entscheiden werde.

In der Gesamtschau stellen sich hieraus eine Reihe von Fragen. Fraglich ist, ob es tatsächlich richtig ist, dass die Bank keinerlei zusätzliche Risiken im Kreditgeschäft zu verzeichnen hat, obwohl doch gleichzeitig im gesamten übrigen Bundesgebiet nahezu alle privaten und öffentlichen Banken mit erheblichen Abstrichen von den bisherigen Prognosen zu kämpfen haben und dies auch öffentlich berichten.

Außerdem ist fraglich, ob das von der NORD/LB für den Halbjahresbericht nicht durchgeführte unterjährige Reporting über etwaige Wertberichtigungen und der Hinweis, dass dies erst zum Jahresabschluss erfolgen soll, möglicherweise darauf beruhen, dass mit der Offenlegung im Jahresabschluss ein daraus gegebenenfalls resultierendes Ertragsloch erst nach dem 2. Februar 2003 bekannt würde.

Und schließlich stellt sich die Frage, ob das vom Ministerpräsidenten tatenlos beobachtete und am Ende erfolglose Verhalten des Niedersächsischen Finanzministers bei dessen Versuch, gemeinsam mit dem Vorstand der NORD/LB eine Fusion mit der Berliner Bankgesellschaft herbeizuführen, nicht möglicherweise Teil einer Gesamtstrategie gewesen ist, von einer sich abzeichnenden im Vergleich zum öffentlichen Anschein in Wahrheit deutlich schlechteren Geschäftslage der Bank abzulenken.

Ich frage die Landesregierung:

1. Haben der Vorstand der NORD/LB und der Finanzminister als deren Aufsichtsratsvorsitzender die volle Rückendeckung des Ministerpräsidenten in der Frage der von der NORD/LB inzwischen gegenüber dem Berliner Senat abgegebenen „indikativen Interessensbekundung“?

2. Hält die Landesregierung einen Halbjahresbericht der NORD/LB, der ohne Entscheidung der Bank über etwa erforderliche Wertberichtigungen abgegeben wird, für eine hinreichende Form der Halbjahresinformation für die Öffentlichkeit über die Geschäftslage der Landesbank?

3. Hat sich die Landesregierung im Rahmen ihrer Aufsichts- und Überwachungspflichten und im Interesse der Bewahrung und Pflege des Landesvermögens in hinreichender Weise vergewissert, dass es entsprechend den öffentlichen Erklärungen der NORD/LB tatsächlich keinerlei zusätzliche Risiken im Kreditgeschäft der Bank gibt und der Jahresabschluss nicht am Ende zu großer Überraschung führen wird?

Die NORD/LB ist eine Dreiländeranstalt der Länder Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Sie ist Landesbank und Girozentrale für die Sparkassen dieser drei Länder. Sie stellt somit einen wichtigen Vermögenswert nicht nur für das Land Niedersachsen dar, das 40-prozentiger Gewährträger der Bank ist.

Die Entscheidungen der Bank werden von den gesetzlich und satzungsmäßig vorgesehenen Gremien sowie den Eigentümern der Bank getroffen. Hierbei gibt es einen stets beachteten Konsens, die Entscheidungen einvernehmlich zu treffen.

Im Rahmen der Ausrichtung der NORD/LB auf nordöstlichen Regionen Europas bietet die strategische Allianz mit der Bankgesellschaft Berlin das wird von allen Gewährträgern gleichermaßen mitgetragen - einen sinnvollen Baustein zum Ausbau der Geschäftstätigkeit der NORD/LB.

Diese Position wurde seinerzeit auch in Zusammenhang mit der „Interessenwahrenden Offerte“ und einem „Letter of Intent“ eingenommen. In dieser Phase waren NORD/LB und Sparkassenorganisation mit einer abgestimmten Strategie gegenüber Berlin aufgetreten.

Nach der Gewährung der Rettungsbeihilfe durch den Mehrheitsaktionär an die Bankgesellschaft Berlin AG stand fest, dass die ursprünglich angedachte strategische Allianz mit der Bankgesellschaft eine andere Qualität erhalten würde. Das Land Berlin ist bemüht, seine Beteiligung an der Bankgesellschaft zu veräußern. Die NORD/LB hat mit Hinweis auf die vertraglich abgesicherte strategische Allianz zwischen der NORD/LB und der Bankgesellschaft Berlin AG deutlich gemacht, dass sie weitere Kooperationen und - soweit es die Rahmendaten ggf. zuließen - ein Zusammengehen mit der Bankgesellschaft Berlin aus dieser vertraglichen Bindung heraus prüfen würde.

Die NORD/LB sah sich jedoch durch das von der EU-Kommission geforderte Ausschreibungsverfahren gezwungen, sich ebenfalls mit einer Angebotsunterbreitung an den Berliner Finanzsenator zu befassen. Es bestand unter den Gewährträgern Einvernehmen, dass ein Angebot nur unter der Bedingung formuliert wird, dass

- die Frage der strikten Risikoabschirmung geklärt und sichergestellt wird, dass insbesondere die Immobilienrisiken nicht zu Lasten der NORD/LB geregelt werden,

- klargestellt wird, dass ein erheblicher Personalabbau (mindestens 3 500 PE) zur Verbesserung der Kostenstruktur der Bankgesellschaft durchgesetzt wird, und

- eine Due Diligence unabdingbare Voraussetzung für eine Teilnahme an einem Bieterverfahren ist.

Darüber hinaus haben die Gewährträger Wert darauf gelegt, dass ein Engagement in Berlin keinen Eigenkapitalbedarf bei der NORD/LB hervorrufen dürfe.

Erst nachdem diese Bedingungen gegenüber der Berliner Seite verdeutlicht wurden, kam es zu der Garantieerklärung des Landes Berlin zugunsten der Bankgesellschaft in Höhe von 21,6 Milliarden Euro sowie der Vereinbarung zwischen der Bankgesellschaft und den Beschäftigten über einen weiteren Abbau von Personal. Im Rahmen des

Bieterverfahrens hatte die NORD/LB Zugang zu Datenräumen der Bankgesellschaft und führte eine weitere Stufe der Due Diligence durch.

Ergebnis der von den Gewährträgern formulierten Bedingungen war, dass der Vorstand Anfang August vorgeschlagen hat, für den Retailbereich und ausgesuchte Bereiche des Firmenkunden- und internationalen Geschäftes ein rechtlich nicht verbindliches Angebot abzugeben mit dem Ziel, diese Bereiche zu einem späteren Zeitpunkt mit der NORD/LB zur NORDOST/LB zu verschmelzen.

Nach Durchführung dieser Stufe der Due Diligence stand es zu keinem Zeitpunkt zur Debatte, die gesamte Bankgesellschaft Berlin AG mit der NORD/LB zu fusionieren. Für den Bereich, der nicht von der NORD/LB zu übernehmen wäre Immobilien sowie nicht zu übernehmende Bereiche wie z. B. Investmentbanking und Kapitalmarktgeschäfte - hat ein dritter Investor sein Interesse bekundet, an das Land Berlin ein separates Angebot abzugeben.

Der Vorstand der Bank hat in der Folge eine Verschmelzung der aus dem Bereich der Bankgesellschaft herauszulösenden Bereiche - insbesondere Sparkasse Berlin - mit der NORD/LB vorgeschlagen, weil die Gewährträger die Zielsetzung festgelegt hatten, durch einen Einstieg in Berlin keinen weiteren Kapitalbedarf bei der Nord/LB entstehen zu lassen.

Im Rahmen der Diskussionen im Gewährträgerkreis Anfang August 2002 und fortgeführt in der Aufsichtsratsitzung am 7. August 2002 wurde deutlich, dass ein Mitglied des Gewährträgerkreises nun grundsätzliche Bedenken hatte, den Trägerkreis der NORD/LB zu erweitern. Eine Verschmelzung der NORD/LB mit Teilen der Bankgesellschaft Berlin zu einer „NORDOST/LB“, wie bis dahin geplant, hätte es mit sich gebracht, dass das Land Berlin als weiterer Träger in die NORDOST/LB eingetreten wäre. Auch wegen des Verkaufswunsches der Berliner Seite schlug der NSGV deshalb vor, die gewünschten Teilbereiche der Bankgesellschaft nicht mit der NORD/LB zu verschmelzen, sondern durch eine Barkomponente vom Land Berlin zu erwerben. Aus dem Trägerkreis der NORD/LB war eine tragfähige BarLösung nicht darzustellen.

Konsensfähig wurde diese Lösung, weil es durch den Eintritt des DSGV und der dahinterstehenden

Sparkassen in das Bieterkonsortium möglich war, eine realistische Preisvorstellung für den Erwerb von Teilbereichen der Bankgesellschaft vorzunehmen, ohne dass die NORD/LB von ihren Gewährträgern zusätzliches Eigenkapital benötigte.

Die am 14. August 2002 an den Finanzsenator des Landes Berlin abgegebene Indikative Interessenbekundung umfasst das Ergebnis dieses Abstimmungsprozesses. Hierüber hat der Finanzminister das Kabinett sowie den Ministerpräsidenten unterrichtet, wie es § 3 der Geschäftsordnung der Landesregierung für Maßnahmen und Vorhaben vorsieht, die für die Richtlinien der Politik, für die Leitung der Geschäfte der Landesregierung und für die Beziehungen des Landes nach außen von Bedeutung sind.

Den Ausschuss für Haushalt und Finanzen hat der Finanzminister gemeinsam mit Herrn Dr. Rehm, Vorstandsmitglied der NORD/LB, unmittelbar nach Abgabe der Indikativen Interessenbekundung am 14. August 2002 in einer Sondersitzung informiert.

Die Entscheidungen, die innerhalb der Bank von allen Gewährträgern und im Rahmen der Abgabe der Indikativen Interessenbekundung zusammen mit dem DSGV an das Land Berlin ergangen sind, sind ausschließlich unter Berücksichtigung der Interessen der Bank sowie des Sparkassenstandortes Berlin und der gesamten Sparkassenorganisation getroffen worden. Ich betone noch einmal: Die NORD/LB darf nicht Gegenstand parteipolitischer oder wahltaktischer Aspekte sein! Dies wäre auch absurd, wenn man bedenkt, dass die NORD/LB als Dreiländeranstalt mehr Wahltermine zu berücksichtigen hätte als den Februar 2003!

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen an die Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Der Finanzminister als Aufsichtsratsvorsitzender der NORD/LB und deren Vorstand wissen sich der vollen Rückendeckung der Landesregierung und insbesondere des Ministerpräsidenten sicher.

Zu 2: Die NORD/LB unterliegt als Anstalt des öffentlichen Rechts nach Gesetz und Satzung zwar nicht den Berichtspflichten nach § 90 Aktiengesetz, wonach vierteljährliche Quartalsberichte gegenüber dem Aufsichtsrat zu erstatten sind. Gleichwohl entspricht die NORD/LB diesen Vorgaben und unterrichtet ihren Aufsichtsrat

regelmäßig über den Gang der Geschäfte und die geschäftliche Entwicklung.

Die daneben von der Bank durchgeführte Presseberichterstattung erfolgt im Interesse einer Unterrichtung der Öffentlichkeit über die wesentlichen Parameter der Geschäftsentwicklung der Bank. Die Pressemitteilung über das Halbjahresergebnis 2002 gibt die geschäftliche Entwicklung der NORD/LB für diesen Zeitraum zutreffend wieder. Dabei ist auf die konkrete Quantifizierung des Bewertungsergebnisses verzichtet und nur verbal auf die noch nicht abgeschlossene Risikobewertung hingewiesen worden. Die endgültige Validierung von Bewertungsrisiken wird entsprechend den rechtlichen Vorgaben erst zum Ende des Geschäftsjahres im Rahmen des vom Vorstand aufgestellten, vom Wirtschaftsprüfer testierten und vom Aufsichtsrat festgestellten Jahresabschlusses vorgenommen.

Im Jahresverlauf werden in der Bank jedoch im Rahmen des Kreditüberwachungsprozesses und des Kreditrisikomanagements alle Kreditrisiken zeitnah ermittelt und den zuständigen Gremien gegenüber berichtet. Nach den in diesem Rahmen erfolgten Meldungen der Kreditfachbereiche zum Stichtag 30. Juni 2002 haben sich die erkannten Wertberichtigungserfordernisse innerhalb der für 2002 prognostizierten anteiligen Planungsparameter bewegt.

Wegen der unverändert labilen konjunkturellen Lage und der erfahrungsgemäß zum Ende eines Konjunkturzyklus zunehmenden Zahl von Unternehmen, die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, aber auch angesichts der mit der Hochwasserkatastrophe zusammenhängenden wirtschaftlichen Folgen, von denen die NORD/LB als Landesbank für die besonders betroffenen Länder Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen in erheblicher Weise berührt werden könnte, besteht die Möglichkeit, dass im 2. Halbjahr eine zunehmende Belastung der NORD/LB entsteht. Dies könnte dazu führen, dass die tatsächlich erforderliche Risikovorsorge letztlich die Planungsparameter überstiege. Die Risikotragfähigkeit der Bank wäre dadurch jedoch in keiner Weise gefährdet.

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass durch die konservative Kreditrisikopolitik und die konsequente Nutzung vorausschauender Risikosteuerungsinstrumente verhindert werden konnte, dass die NORD/LB von den spektakulären nationalen

und internationalen Firmenzusammenbrüchen der letzten Monate nennenswert betroffen war.

Zu 3: Die Landesregierung hat im Rahmen ihrer Aufsicht über die NORD/LB Zugang zu sämtlichen Daten, die für die Ausführung der Aufsicht von Relevanz sind. Seitens der Landesregierung hat es keine Veranlassung gegeben, die von der NORD/LB veröffentlichten unterjährige Bilanzzahlen in Zweifel zu ziehen. Die Landesregierung sieht in ihrer Funktion als Aufsicht über die NORD/LB weiterhin keinerlei Anlass, neben den bisher installierten umfangreichen Kontroll- und Controllingmechanismen in der NORD/LB noch weitere Aufsichtsinstrumentarien zu installieren. Es ist auch nicht üblich und darüber hinaus wirtschaftlich nicht vertretbar, zusätzlich unterjährige Bilanzdaten von einem Wirtschaftsprüfer testieren zu lassen.

Anlage 36

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