Protokoll der Sitzung vom 25.09.2002

- Täter-Opfer-Ausgleich an 30 Standorten in Niedersachsen und

- Aktionsprogramm zur Zusammenarbeit von Schule und Sportvereinen mit seinerzeit über 1 300 Projekten.

Darüber hinaus haben wir die Entwicklung diese Präventionsprogramms veranlasst.

Meine Damen und Herren, wenn Sie weitere Auskünfte über das, was wir heute - ohne die Entschließung - tun, dann dürfen Sie mich durchaus noch einmal fragen. Dann muss ich Ihnen allerdings drei einzeilig und kleingedruckte Seiten Text vorlesen. - Danke.

(Starker Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Golibrzuch, Sie haben das Wort.

(Plaue [SPD]: Herr Wulff hat noch ei- ne Frage!)

- Herr Kollege Plaue, es mag Sie erstens wundern, aber ich erteilte hier das Wort. Zweitens dürfen Sie beruhigt sein: Er hat sich nämlich schon gemeldet.

(Plaue [SPD]: Wunderbar!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zwei Fragen.

Erstens. Herr Ministerpräsident, zum einen haben Sie auf Ihrer zitierten Pressekonferenz vom 17. September 2002 auch Vertreter der Stadt Hannover scharf kritisiert, namentlich den Jugenddezernenten, der nun zufällig einmal kein SPDParteibuch hat.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Das ist auch der Einzige!)

Auf welches Fehlverhalten gründen Sie in diesem konkreten Einzelfall Ihre Kritik?

Zweitens. Halten Sie es ernsthaft für richtig, hier von einer Scheindebatte zu reden, nachdem Sie dieses Thema in der bekannten Weise so in der Öffentlichkeit hochgezogen haben?

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Herr Ministerpräsident!

Herr Kollege, die Antwort auf die zweite Frage lautet: Ja, weil sich meine Kritik auf die Äußerung bezieht, in Niedersachsen müsse die geschlossene Heimunterbringung unbedingt neu organisiert werden. - Wir brauen das nicht, und insofern ist das eine Scheindebatte. Aber wir haben gesagt: Wenn die Arbeit der nächsten Monate und Jahre dazu führt, dass es zu einer Verstärkung von Einweisungsbemühungen kommt, werden wir, wenn die Kapazitäten nicht ausreichen, notfalls auch bei uns Plätze schaffen. Da die Kapazitäten aber ausreichen, ist das eine Scheindebatte.

Die Antwort auf die Frage 1 lautet: Wenn die Landeshauptstadt im Mai des Jahres 2001 von der Polizei darüber unterrichtet wird, dass von einem kriminellen Kind eine schwere Straftat begangen worden ist, und wenn danach wohl bis zu 28 oder 29 schwere Straftaten begangen werden, dann, so sage ich Ihnen, muss mehr passieren als erzieherische Gespräche. Es ist absolut unkorrekt, wenn der Sozialdezernent oder der Jugenddezernent der Stadt Hannover erklärt, er habe keine geschlossene Heimunterbringung anberaumen können, weil es in Niedersachsen keine Plätze gebe. Er hat nichts von den Maßnahmen, die vor der geschlossenen Heimunterbringung stehen und für die man auch einen Gerichtsbeschluss braucht, z. B. Inobhutnahme - darüber haben wir gerade gesprochen -, in Gang gesetzt. Ich halte das für einen skandalösen Vorgang, und ich finde es gut, dass die Landeshauptstadt Hannover, nachdem sie erst kritisiert hat, dass wir sagen, wir müssten solchen Fällen nachgehen, jetzt genau dies tut. Sie führt Fallkonferenzen durch, sie sieht sich jeden Einzelfall an. Die Polizei ist endlich in der Lage, auf Kooperationsbereit

schaft zu stoßen, insbesondere in dem Bereich des Jugendzentrums. Die Polizei in Niedersachsen ist sehr froh darüber, dass wir diesen Fall aufgedeckt haben, weil hier - das müssen wir doch einfach zugeben - in den letzten Jahren eine falsch verstandene Liberalität Einzug gehalten hat.

(Zuruf von der CDU: Ja?)

- Entschuldigung! Glauben Sie mal nicht, diese falsch verstandene Liberalität ließe sich an Parteibüchern messen.

(Zuruf von der CDU: Doch, eindeu- tig!)

Dass das zufällig ein CDU-Mitglied ist, das zeigt nur, dass wir in diesen Bereichen in der gesamten Gesellschaft in den letzten Jahren bestimmte Entwicklungen nicht zur Kenntnis genommen haben. Ich finde es gut, dass es diese Fallkonferenzen jetzt gibt, ich finde es gut, dass konkreter hingeschaut wird, und ich finde, wir sollten aus solchen Fällen lernen.

29 schwere Straftaten eines Kindes! Da machen Sie das Kind zum Opfer, weil es sich seine Zukunft verbaut. Aber Sie haben auch viele andere Opfer, und wir müssen dagegen vorgehen. Ich halte es für absolut undenkbar, dass sich Sozialarbeiter eines Jugendzentrums der Zusammenarbeit mit der Polizei verweigern. Ich halte das für absolut undenkbar! Wenn Sie weitere Gründe für die Kritik brauchen, dann wäre ich in der Lage - wir können das gern tun, soweit das aus datenschutzrechtlichen Gründen möglich ist -, Ihnen die Erfahrungsberichte der Polizei anonymisiert zur Verfügung stellen. Es sträuben sich - das sage ich Ihnen - in einigen Fällen jedenfalls meine Haare. Da dachte ich, es wäre hilfreich, der Polizei bei ihrer Arbeit den Rücken zu stärken und zur Kooperation aufzufordern. Ich meine, das in Niedersachsen zu tun war vernünftig.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Klare hat noch eine Zusatzfrage.

Herr Ministerpräsident, es wäre gut, wenn wir hier einige Dinge einmal zusammenbringen würden, die im Moment völlig auseinander laufen.

Deshalb frage ich Sie, wie Sie es vereinbaren können, dass gerade die zuständige Ressortministerin gesagt hat, den Begriff der Crashkids - das sind die wirklich schwierigen Fälle - verwenden wir hier nicht, er führt zur Stigmatisierung dieser Kinder, während Sie die harte Linie mit geschlossenen Heimen verfolgen.

(Widerspruch bei der SPD)

Wenn Sie dort gewesen wären, hätten wir das nicht auseinander gezogen. Ich bitte Sie jetzt einmal um Klärung, was eigentlich wirklich gilt.

Herr Ministerpräsident!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann keine Differenz zwischen der Äußerung der Kultusministerin und meiner Äußerung erkennen.

(Zurufe von der CDU: Der Sozialmi- nisterin!)

- Ich dachte, Herr Klare hat immer nur eine Ministerin auf dem Schirm.

(Heiterkeit)

Ich sage Ihnen: Es geht nicht darum, die harte Linie zu markieren, sondern es geht darum, dass es auch ein Fehlverhalten gegenüber den betroffenen Kindern ist, wenn wir nicht rechtzeitig klar machen, wo die Grenzen liegen. Nach 29 Straftaten ist das Kind natürlich längst in einer Verfassung - - Ich will Ihnen einmal den Fall schildern, über den ich gelesen habe - vielleicht verstehen Sie dann, was mich da bewegt -: Dieses Kind wird von der Polizei wie folgt beschrieben.

(Möllring [CDU]: Das müssten Sie mal Frau Trauernicht sagen! Sie hat genau das Gegenteil gesagt)

- Nein, Frau Trauernicht ist nicht zuständig für den Umgang mit solchen Kindern, sondern die Kinderund Jugendhilfebehörde der Stadt. Diese hat Mitarbeiter.

(Beifall bei der SPD)

Was wir anbieten, Herr Möllring, das sind Hilfe, Beratung und Unterstützung. Das ist unsere Aufgabe.

(Möllring [CDU]: Sie hat doch genau das Gegenteil gesagt!)

Auch das steht im Kinder- und Jugendhilfegesetz. Ich glaube, da gibt es einen Paragrafen, der uns sogar dazu verpflichtet. Wir würden es aber auch so tun. - Herr Klare, da sagt die Polizei Folgendes: Dieser Junge kommt gern zu Polizeibeamten, er unterhält sich gern mit Polizeibeamten, er erzählt ihnen auch seine Taten. Wissen Sie, warum? Weil das die Form ist, mit der er Aufmerksamkeit und - aus seiner Sicht - Zuwendung erfährt. Da ist dann jemand, nämlich der Polizist, der mit ihm umgehen muss, der mit ihm redet, zum ersten Mal. Der Lernerfolg bei dem Kind ist: Wenn ich einen Bruch mache, dann kommt einer und kümmert sich um mich, ansonsten kümmert sich niemand. Zu Hause ist die Erfahrung, dass er, wenn er nach Hause kommt, ordentlich Prügel bekommt. Genau diese Lebenserfahrung, nämlich dass man sich ausschließlich mit Gewalt durchsetzen kann, wendet er dann auf der Straße an. Das Nächste, was bei ihm passiert, ist: Er hat einen Freund, der strafmündig ist. Der schickt ihn los - aus guten Gründen. Weil der Freund weiß: Wenn er durchkommt, ist die Diebesbeute mein, und ich kann nicht belangt werden.

In solchen Fällen bin ich deshalb für eine harte Linie, weil ich das Kind schützen will. In Zweifel übrigens - das sage ich Ihnen - muss man Kinder manchmal auch vor ihren Eltern schützen.

(Oestmann [CDU]: Und vor sich selbst!)

Deshalb bin ich dafür, dass wir die Kinder nicht stigmatisieren. Ich finde, klare Grenzen sind Hilfe für die Kinder. Darum geht es.

(Beifall bei der SPD)

Ich weiß doch, dass sich da manchmal Larmoyanz eingeschlichen hat. Ich habe in der Pressekonferenz gesagt: Mit dem Thema der geschlossenen Heimunterbringung kann viel Unfug betrieben werden. Ich will Ihnen auch gleich sagen, welcher. Man muss einmal den Deckel von dem Topf nehmen und einen Scheinwerfer hineinhalten, damit wir wissen, was da los ist - nicht um Leute zu beschimpfen. Ich habe den Jugenddezernenten deshalb beschimpft, weil ich finde, dass es unanständig ist, in der Öffentlichkeit die Unwahrheit zu sagen. Das geht nicht.

(Zustimmung bei der SPD - Möllring [CDU]: Das machen Sie doch ständig! - Gegenrufe von der SPD: Pfui!)

- Herr Möllring, ich weiß nicht, ob das Präsidium Ihren Zuruf bewerten will. Ich jedenfalls verwahre mich gegen solche Vorwürfe.

(Beifall bei der SPD)

Ich sage Ihnen: Man muss einfach darüber reden, dass es dort eine zu starke ausschließliche Täterfixiertheit gibt. Für mich ist der Täter im Kinderund Jugendbereich gleichzeitig Opfer. Aber es gibt auch andere Opfer, die wir ebenfalls schützen müssen. Auch darum geht es in diesem Fall.