Protokoll der Sitzung vom 21.11.2002

Sie verschweigen die speziell auf die ländlichen Räume ausgerichteten Landesinitiativen und ignorieren den Erfolg dieser Politik.

Dazu gehören erstens die BioRegio-Netzwerke gerade in der Fläche des Landes, die 400 Partner zusammengeführt haben, um Technologieförderung, Technologietransfer in die Regionen zu bringen, zweitens das erfolgreiche Kompetenzzentrum für Ernährungswirtschaft in der Region WeserEms, drittens die Existenzgründungsprogramme, mit denen wir von 1995 bis 2000 mehr als 44 000 Arbeitsplätze gesichert bzw. neu geschaffen haben, und viertens die Meisterprämie ebenso wie die Regionalen Gründungstage und die Beteiligungsoffensive des Landes. Ich könnte hier Weiteres anführen.

Alles, was Sie für den ländlichen Raum an Wirtschafts- und Strukturförderung einfordern, wird seit langem von dieser Landesregierung geleistet. Nur, Sie nehmen davon keine Notiz.

Sie nehmen keine Notiz davon, dass in den Jahren 1996 bis 2000 850 Millionen DM Regionalisierungsmittel nach dem GVFG in die Fläche geflossen sind und dass im vergangenen Jahr mit 250 Millionen DM rund zwei Drittel der gesamten ÖPNV-Mittel in die Regierungsbezirke Braunschweig, Lüneburg und Weser-Ems investiert wurden.

Sie fordern mehr Radwege im ländlichen Raum und wissen nicht, dass Niedersachsen das Bundesland mit dem längsten Radwegenetz ist.

Sie reden vom desolaten Zustand der Landesstraßen und verschweigen, dass diese seit 1988 kontinuierlich verbessert wurden. 1988 waren lediglich 3 % der 8 000 km Landesstraßen frei von irgendwelchen Schäden. Das war Ihr Erbe.

Kollege Schurreit, auch Ihre Redezeit befindet sich in einem desolaten Zustand.

Ich komme zum Schluss. - Sie ignorieren, dass bis 2006 100 Millionen Euro in die Sportstätten investiert werden. Mit Ausnahme der Sanierung des Niedersachsen-Stadions gehen diese Mittel vorrangig in den ländlichen Raum.

Ich verweise auf den Aktionsplan, in dem u. a. auch noch auf die Kulturförderung im ländlichen Raum eingegangen wird, auf Kontaktstellen für Musik, auf Kunstschulen, Kunstvereine, Museen usw.

Meine Damen und Herren, es gibt in Niedersachsen kein Stadt-Land-Gefälle. Das wird auch von allen anerkannt. Wir bewegen uns im verfassungsmäßigen Bereich. Die Menschen leben gerne in Niedersachsen, in den Städten wie auf dem Land. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Für die CDU-Fraktion spricht der Kollege Biestmann.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versuchen, auf diese doch sehr

herausfordernde Rede eine sachliche Gegenrede zu halten.

Der ländliche Raum umfasst mehr als 75 % der Fläche Niedersachsens. Zwei Drittel der Bevölkerung des Landes leben in der Fläche. Das sind 5,5 Millionen Menschen.

Die Politik muss die Frage beantworten, ob nur noch in Großstädten oder auch in der Fläche Leben, Arbeit und Zukunft möglich sein sollen; denn der Rückzug aus der Fläche in die Großstädte hat eine enorme Eigendynamik entwickelt.

Die CDU-Fraktion hat mit ihrem Entschließungsantrag „Aktionsplan ‚Zukunft Ländlicher Raum‘“ diesen ländlichen Raum in den Mittelpunkt politischer Diskussionen und politischen Handelns gestellt. Herr Schurreit, es war eben kein Warenhauskatalog, es war eine Gesamtheit von Forderungen, die den ländlichen Raum anbelangen.

In Niedersachsen, meine Damen und Herren, erleben wir aber eine gigantische Fehlentwicklung, die zu einer einseitigen und verhängnisvollen Konzentration auf die Ballungsräume geführt hat.

(Beifall bei der CDU)

Die Landesregierung hat in den letzten zehn Jahren den ländlichen Raum systematisch vernachlässigt.

(Mühe [SPD]: Wo leben Sie denn? In der Sahara?)

Die Fläche blutet immer mehr aus. Wir erleben die Schließung und den Abzug von Behörden, eine mangelnde Polizeipräsenz, den Rückzug von Bahn und Post und die Schließung von Standorten des Bundesgrenzschutzes und der Bundeswehr,

(Mühe [SPD]: Die Privatisierung von Bahn und Post haben doch Sie be- schlossen!)

von Krankenhäusern, von Produktionsstandorten. Die letzten Hiobsbotschaften, die uns in diesem Jahr erreichen, sind die Schließung von 160 Lotto/Toto-Annahmestellen in der Fläche sowie die soeben angekündigte Schließung von über 100 Postfilialen. Der Städte- und Gemeindebund spricht von einem Schließungsrausch, der über die Fläche geht.

Und es wird weiter gehen. Wir werden uns in den nächsten Jahren über das Ende des Briefmonopols unterhalten, das zwangsläufig dazu führen wird,

dass das Briefeschreiben und das Versenden von Paketen in der Fläche wegen der größeren Distanz teurer wird als in den Großstädten.

Wir werden mittelfristig zu so genannten gespaltenen Strompreisen kommen, was nichts anderes bedeutet, als dass der Strom aufgrund der aufwändigeren Verteilungslogistik in der Fläche teurer wird als in den Ballungszentren.

Im Bildungssektor, meine Damen und Herren, erleben wir durch die Politik dieser Landesregierung eine einseitige Ausrichtung von Bildungsstrukturen und Schulreformen auf städtische Regionen. Durch Ihre Politik der Gesamtschulen bei Vernachlässigung differenzierter Schulangebote vor Ort gefährden Sie bis zu 600 Standorte von Hauptschulen und Realschulen.

(Beifall bei der CDU)

Es ist eben die Summe der einzelnen Nachteile, die die Menschen, die in der Fläche wohnen, um Ihre Zukunft fürchten lässt, und diese zeigen: Der ländliche Raum ist zum Stiefkind der Politik geworden!

(Beifall bei der CDU - Lanclée [SPD]: Von welchem Land reden Sie eigent- lich?)

Ich bedauere, dass der ländliche Raum im Bewusstsein von Bundes- und Landespolitik, aber auch etlicher Fachleute der Landesplanung leider nur als etwas Nebensächliches angesehen wird. Allgemein gelten ländliche Räume nämlich als Gebiete außerhalb von so genannten Ordnungsräumen unseres Landes.

Bestes Beispiel ist die novellierte Raumordnungsgesetzgebung des Landes. Die Landesregierung behindert mit ihrem starren Vorgehen die Entwicklung von Grund- und Mittelzentren und greift in weiten Teilen völlig unnötig in die kommunale Gestaltungsfreiheit ein.

(Möhrmann [SPD]: Wo denn? An welcher Stelle denn? - Bartels [SPD]: Nennen Sie Ross und Reiter!)

Meine Damen und Herren, das Bundesverfassungsgericht hat 1999 in einem Grundsatzurteil zum Länderfinanzausgleich festgestellt:

„Die Fläche bedarf der besonderen Förderung. Bei der Verteilung der Finanzmittel sind die besonderen Be

dingungen des ländlichen Raumes zu berücksichtigen, die aus seiner Größe und aus seiner verhältnismäßig geringen Einwohnerzahl resultieren.“

Trotz dieser eindeutigen Richtungsaussage des Bundesverfassungsgerichts werden heute immer noch die Einwohner der Großstädte bei der Finanzverteilung höher gewichtet als die Einwohner im ländlichen Raum.

(Möhrmann [SPD]: Was hat denn der Staatsgerichtshof dazu gesagt, Herr Kollege? - Mühe [SPD]: 25. Mai, Ur- teil des Staatsgerichtshofs!)

- Ich habe leider nicht die Zeit, um mich mit Ihnen in einem längeren Dialog auseinander zu setzen. Das würde ich sonst gerne machen.

Wenn man so will, sind die Einwohner in der Großstadt mehr wert als die Einwohner in der Fläche.

(Beifall bei der CDU - Lanclée [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

Denn mit der so genannten Einwohnerspreizung wird der Einwohner in der Landeshauptstadt z. B. mit 180 %, der Einwohner in kleineren Städten und Gemeinden aber nur mit 100 % gewichtet. Dadurch fließt mehr Geld in die Zentren als in den ländlichen Raum,

(Lanclée [SPD]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

obgleich dort deutlich höhere Kosten entstehen: höhere Kosten beim Abwasser, höhere Kosten durch das Mehr an Straßenfläche, höhere Kosten bei der Schulversorgung.

(Mühe [SPD]: Können Sie mal erklä- ren, warum so viele Menschen aufs Land ziehen?)

Das dritte Bückeburger Urteil zum kommunalen Finanzausgleich stellt fest, Herr Mühe: Das Land kann durchaus einen Flächenansatz wählen, um den ländlichen Raum gerechter zu berücksichtigen. Genau das ist die Aufgabe der Politik und des Landtages: endlich die Bevorzugung der Großstädte durch die Einwohnerspreizung aufzugeben und den Mehrbelastungen der Städte und Gemeinden in der Fläche Rechnung zu tragen.

(Beifall bei der CDU)

Damit das auch klar ist: Wir wollen das nicht nur für die Ordnungsräume, also die Ballungszentren unseres Landes, sondern auch für die ländlichen Räume. Wir wollen eine gleichwertige Entwicklung beider Bereiche in unserem Land. Kein Bereich soll und darf sich auf Kosten und Lasten anderer Bereiche entwickeln. Das ist das Ergebnis der Anhörung, die Bestandteil unserer Antragsberatung gewesen ist.

Seit acht Jahren, meine Damen und Herren, kürzt die SPD die Finanzmasse des kommunalen Finanzausgleichs - jedes Jahr um 0,5 Milliarden Euro.

(Mühe [SPD]: Solch einen Quatsch habe ich überhaupt noch nicht ge- hört!)