Protokoll der Sitzung vom 21.11.2002

- Herr Kollege Plaue, ich möchte jetzt gerne zur Abstimmung kommen.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr in der Drucksache 3854 Nr. 1 zustimmen will und damit den Antrag der Fraktion der CDU in der Drucksache 2297 ablehnen möchte, den bitte ich um ein Handzeichen.

- Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Keine Stimmenthaltungen. Meine Damen und Herren, ich stelle fest, das Erste war die Mehrheit. Damit sind Sie der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr insoweit gefolgt.

Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Verkehr in der Drucksache 3854 Nr. 2 zustimmen will, den bitte ich ebenfalls um ein Handzeichen. - Wer möchte dagegen stimmen? - Möchte sich jemand der Stimme enthalten? - Das ist nicht der Fall. Ich stelle fest, dass auch hier das Erste die Mehrheit war.

Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zu

Tagesordnungspunkt 34: Zweite Beratung: a) Benachteiligung von Alleinerziehenden im Steuerrecht - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/3119 b) Allein Erziehende unterstützen, erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten ab dem ersten Euro steuerlich fördern - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/3183 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Haushalt und Finanzen - Drs. 14/3856

Der Antrag der Fraktion der CDU in der Drucksache 3119 wurde in der 99. Sitzung am 15. Februar 2002 und der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Drucksache 3183 wurde in der 100. Sitzung am 12. März 2002 an den Ausschuss für Haushalt und Finanzen zur Beratung und Berichterstattung überwiesen. Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Ich gebe damit Frau Kollegin Vogelsang das Wort, die zu beiden Anträgen sprechen wird. Bitte schön, Frau Vogelsang!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe es in der ganzen Zeit meiner Tätigkeit im Landtag noch nicht einmal erlebt, dass ein Antrag, der eingebracht worden ist, nachher in so verfälschter Art und Weise zur Beschlussfassung vorgelegt worden ist. Ich halte es für ganz schlimm - das sage ich ganz offen -, dass man so miteinander umgeht.

Ich will Ihnen in Erinnerung rufen: Wir hatten einen ganz kurzen Antrag eingebracht, als die allein Erziehenden merkten, was sie für Nachteile hatten, was ihnen tatsächlich an Mark und Pfennig im Portmonee fehlte. In dieser Situation hatten wir als Antrag formuliert:

„Der Landtag fordert die Niedersächsische Landesregierung auf, über den Deutschen Bundesrat darauf hinzuwirken, dass die durch das am 01.01.2002 in Kraft getretene zweite Gesetz zur Familienförderung entstandenen finanziellen Nachteile für die Alleinerziehenden aufgehoben werden.“

Sie wissen, es ist den allein Erziehenden so gegangen, dass sie praktisch in eine Singlebesteuerung kamen. Wir wussten auch alle - darüber waren wir uns bei der ersten Beratung schon einig -, dass letztlich der Spruch des Bundesverfassungsgerichts den Ausschlag gegeben hatte. Im Wissen darum haben wir gesagt: Es muss ein Weg gefunden werden, der steuerlich in Ordnung ist, aber man kann die Nachteile nicht bei den allein Erziehenden lassen. Das, was mit der Erhöhung des Kindergeldes verabschiedet worden ist, heißt, dass bis zum Jahre 2005 die allein Erziehenden selbst 1 Milliarde dieses Kindergeldes bezahlen müssen. Das halte ich für schlimm. Man sollte wirklich nicht bei denen abzocken, die ohnehin nichts haben.

Ich will noch einmal auf das eingehen, was uns jetzt vorliegt. Ich tue das in gebotener Kürze, weil es sich eigentlich gar nicht lohnt, weil es lächerlich ist, weil es Wahlkampfgeklingel ist, was hier passiert ist.

(Frau Seeler [SPD]: Frau Vogelsang!)

Das, was wir als ernsthaften Appell gestartet haben, um allein Erziehenden zu helfen, um sie zu unterstützen und sie nicht abdriften zu lassen, ist von Ihnen in eine Selbstbeweihräucherung umfunktioniert worden - wahltypisch, wie das so ist. Es ist schon böse, was Sie damit gemacht haben.

Dabei darf ich auch in Erinnerung rufen, dass die SPD die Familie offensichtlich erst vor wenigen Jahren entdeckt hat.

(Widerspruch bei der SPD)

Sie werden sich daran erinnern: In der ersten Regierungserklärung des damaligen Ministerpräsi

denten Schröder kam das Wort „Familie“ nicht ein einziges Mal vor. Deswegen war es, glaube ich, höchste Zeit, dass wir dieses Thema aufgegriffen haben.

(Möllring [CDU]: Das hören sie heute nicht mehr so gerne! - Biestmann [CDU]: Sehr gut!)

Bei aller steuerlichen Systematik, die vielleicht angebracht ist, frage ich Sie, meine Damen und Herren: Warum haben Sie sich nicht die Mühe gemacht, ernsthaft darüber nachzudenken, wie den allein Erziehenden geholfen werden kann? Das, was Sie ihnen mit 30 DM Kindergeld bieten, wird ihnen zu einem Vielfachen wieder aus der Tasche gezogen, wenn ich nur daran denke, was jetzt kommt mit Ökosteuer, mit Energiesteuer, mit Mehrwertsteuer, mit den Krankenkassenbeiträgen, mit den Rentenversicherungsbeiträgen.

(Buß [SPD]: Immer die alte Leier!)

Die Beschlussempfehlung, die Sie uns heute vorlegen, ist eine einzige Verhöhnung eines Bevölkerungsstandes, der wirklich nicht zu den reichsten gehört, sondern im Gegenteil unserer Unterstützung bedarf. Deswegen lehnen wir das ab. Ich finde es fürchterlich, was Sie aus unserem Antrag gemacht haben.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Pothmer!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch meine Fraktion wird den Beschlussvorschlag, den die SPD-Fraktion vorgelegt hat, ablehnen. Dieser Beschlussvorschlag befasst sich mit allem Möglichen, aber er befasst sich schlicht nicht mit dem, was in den Ausgangsanträgen gestanden hat. Er bietet auch für das Problem, das diese beiden Anträge aufgegriffen haben, keinerlei Lösung an.

Ich finde es ja auch immer wieder schön, zu lesen, dass die Kohl-Regierung 16 Jahre lang die Dinge hat schleifen lassen. Ich freue mich auch, immer wieder zu lesen, dass die rot-grüne Bundesregierung in der letzten Legislaturperiode sehr viel getan hat, um die Situation für Familien zu verbessern. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das konkrete Problem der allein Erziehenden

mit diesen Maßnahmen nicht wirklich gelöst wird. Es nützt auch nichts, mit immer neuen Beschönigungen von diesem Problem abzulenken. Davon wird die Situation für die allein Erziehenden nicht besser.

Es ist schlicht so, dass die Menschen in den mittleren und unteren Einkommensbereichen nicht in der Lage sein werden, die Abschmelzung des Haushaltsfreibetrages finanziell auszugleichen. Sie sind davon finanziell betroffen. Selbst mit den neuen Freibeträgen sind sie davon betroffen, weil sie sie bei ihrem geringen Einkommen nicht voll ausschöpfen können.

Wir haben deswegen in der letzten Legislaturperiode versucht - das ist uns ja auch gelungen -, wenigstens die so genannten Neufälle davor zu bewahren, gleich in diese Lücke zu fallen. Jetzt können sie wenigstens bis zum Auslaufen dieser Haushaltsfreibetragsregelung von ihr profitieren. Es ist uns auch gelungen, zu erreichen, dass mit der Verschiebung der zweiten Stufe der Einkommensteuerreform auch die Neuregelung verschoben wurde. Also, da ist schon etwas passiert, und zwar auf intensive Initiative der Grünen auf der Bundesebene hin.

Aber das ist tatsächlich nicht die Lösung. Was wir brauchen - das muss doch klar sein -, ist die volle Absetzbarkeit der erwerbsbedingten Betreuungskosten ab dem ersten Euro. Das ist und bleibt unser Ziel. Dafür haben wir ein Stufenmodell vorgelegt. Dieses Stufenmodell hat auch in den Koalitionsvertrag Eingang gefunden. Deswegen bin ich schon einigermaßen überrascht darüber, dass, obwohl das im Koalitionsvertrag steht, seitens der niedersächsischen Sozialdemokraten offensichtlich gar keine Bereitschaft besteht, das entsprechend aufzugreifen und umzusetzen. Ich frage mich: Ist das eigentlich dieser klassische sozialdemokratische Reflex, dass man einem Antrag, der von den Grünen kommt, nicht zustimmen kann?

Ich will Ihnen Folgendes sagen: Wenn Sie unserem Antrag nicht zustimmen wollen oder können, würde ich mir wünschen, dass Sie wenigstens Ihre eigene Familienministerin Renate Schmidt unterstützen. Sie geht in ihren Forderungen noch weiter. Sie möchte alle Arten von Betreuungskosten ab dem ersten Euro absetzbar machen. In Berlin ist man da offensichtlich weiter als in Niedersachsen. Ich hoffe, dass dieses Klima irgendwann auch nach Niedersachsen überschwappt.

Ich kann nur sagen: Bei den Sozialdemokraten stelle ich gerade im Bereich der allein Erziehenden immer wieder fest, dass der scheinbaren verbalen Aufgeschlossenheit die reine Bockbeinigkeit auf der Seite der Handlungsebene gegenübersteht. Deswegen können wir diesem Beschlussvorschlag auch nicht zustimmen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, jetzt hat Herr Kollege Lestin um das Wort gebeten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte den Eindruck, dass den beiden antragstellenden Fraktionen im Zuge der Ausschussberatungen - ich sage es vorsichtig - die Schieflage ihrer Anträge schon bewusst geworden war. Ich musste mich jetzt eines Besseren belehren lassen. Sie nehmen das, was Sie da beantragt haben, offenbar immer noch ernst.

Ich stelle fest: Inhaltlich sind die beiden Anträge sehr unterschiedlich, aber eines eint sie,

(Frau Vogelsang [CDU]: Es geht um die Kinder!)

nämlich die Qualität. Ich meine, keine Qualität.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Einfalts- pinsel! – Zuruf von Frau Vogelsang [CDU])

- Ich werde es Ihnen erklären, Frau Vogelsang. Darum war es notwendig, eine beratungsfähige Vorlage dagegen zu setzen, und das haben wir getan.

(Dinkla [CDU]: Also eine schlüssige!)

Es ist festzustellen: Die Kritik der Fraktionen der CDU und der Grünen an der steuerlichen Familienpolitik der Bundesregierung ist unbegründet. Die Änderungen, die die Bundesregierung, übrigens mit Unterstützung Niedersachsens im Bundesrat, im Zweiten Gesetz zur Familienförderung vorgenommen hat, setzen zwingende Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um und führen die familienfreundliche Politik fort.

(Frau Vogelsang [CDU]: Das merken wir, wie familienfreundlich das ist!)

- Ich erkläre es Ihnen. - Mit Beschluss vom 10. November 1998 - den kennen Sie - hat das Bundesverfassungsgericht mit bindender Kraft für den Gesetzgeber vorgegeben, in welchem Umfang Eltern steuerlich zu entlasten sind und dass alle Eltern in gleicher Weise zu entlasten sind, unabhängig davon, ob sie ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden oder getrennt lebend sind. Das ist so.

(Frau Vogelsang [CDU]: Sie sollen ja den anderen auch helfen!)

Betreuung und Erziehung von Kindern beanspruchen Arbeitskraft und Zahlungsfähigkeit und müssen daher als Bestandteil des familiären Existenzminimums von der Steuer freigestellt werden. Das sind die Feststellungen des Verfassungsgerichts.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Wir haben doch ein Modell vorgelegt!)

Unerheblich ist, ob Betreuung und Erziehung durch Fremdpersonen, Eltern oder einen Elternteil erbracht werden. Weiter heißt es: Nicht die Kosten der Eltern, sondern der Bedarf der Kinder stellt dabei den Maßstab dar, und es darf keine Diskriminierung in Abhängigkeit von Familiensituationen geben, keine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen, keine Benachteiligung von Eltern gegenüber Kinderlosen und keine Benachteiligung von ehelichen gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften. Thema ist nicht Benachteiligung der allein Erziehenden, sondern steuerliche Gleichbehandlung aller Erziehenden. Das alles habe ich Ihnen in der ersten Beratung schon ausführlich dargestellt; es hatte aber keine Wirkung.

(Dr. Domröse [SPD]: So ist es!)

Meine Damen und Herren, aus der verfassungsrechtlichen Vorgabe, alle Mütter und Väter unabhängig vom Familienstand gleich zu entlasten, folgt zwingend, dass der Haushaltsfreibetrag gestrichen werden musste, weil er nur allein Erziehenden zustand. Alle Bemühungen, den Haushaltsfreibetrag für allein Erziehende aufrechtzuerhalten, wären somit verfassungsrechtlich unzulässig. Entsprechende Forderungen der CDU-Fraktion sind somit auf einen Verfassungsverstoß gerichtet.