Protokoll der Sitzung vom 17.02.2000

Die Beschlussfähigkeit stelle ich zu gegebener Zeit fest.

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit Tagesordnungspunkt 19, Dringliche Anfragen. Es folgen Tagesordnungspunkt 20 - Mündliche Anfragen - und Tagesordnungspunkt 2, hier die Beratung der Eingaben, die gestern strittig gestellt worden waren. Anschließend setzen wir die Beratung in der Reihenfolge der Tagesordnung fort.

Die heutige Sitzung soll gegen 16.50 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin Frau Schliepack.

Von der Landesregierung hat sich Frau Kultusministerin Jürgens-Pieper für die Zeit nach dem Tagesordnungspunkt 20 entschuldigt. Von der Fraktion der SPD fehlen heute entschuldigt Herr Mientus und Herr Endlein, von der Fraktion der CDU Herr Meier und von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Janßen-Kucz.

Wir kommen damit zu:

Tagesordnungspunkt 19: Dringliche Anfragen

Ich rufe auf:

Genehmigungsverfahren Schacht Konrad Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/1408

Noch einmal zum Verfahren: Jeder Abgeordnete darf nur bis zu zwei Zusatzfragen stellen. Zu zäh

len sind die einzelnen Fragen. Die Zusatzfragen müssen knapp und sachlich sein, sie müssen zur Sache gehören, dürfen die Frage nicht auf andere Gegenstände ausdehnen und dürfen nicht verlesen werden.

Wer möchte einbringen? - Frau Zachow, bitte!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Die Zuständigkeit für das Genehmigungsverfahren für Schacht Konrad als Endlagerstätte für schwach- und mittelradioaktive Abfälle liegt beim Niedersächsischen Umweltministerium. Seit mehr als anderthalb Jahren soll der Planfeststellungsbeschluss überfällig sein. Allein durch die von der Landesregierung zu verantwortende Verzögerung des Genehmigungsverfahrens sollen nach Angabe des Bundesamtes für Strahlenschutz Kosten in Höhe von insgesamt 62,5 Millionen DM entstanden sein. Für den Fall, dass Konrad nicht genehmigt werden sollte, stehen Regressforderungen der Energieversorger in Höhe von mindestens 1,4 Milliarden DM im Raum.

Wir fragen die Landesregierung:

1. Vertritt die Landesregierung die Auffassung, dass es zur Erteilung des Planfeststellungsbeschlusses noch einer Mitwirkung des Bundes bedarf?

2. Welche Gründe stehen der Erteilung des Planfeststellungsbeschlusses noch entgegen, nachdem das Niedersächsische Umweltministerium bereits im Mai 1998 nach eigener Einlassung zu der Erkenntnis gelangt war, dass Schacht Konrad genehmigungsfähig sei?

3. Wie bewertet die Landesregierung die Auffassung des Bundesamtes für Strahlenschutz, wonach alle Fragen des Strahlenschutzes und der Langzeitsicherheit des Lagers als geklärt gälten und der Genehmigung nichts mehr im Wege stehe?

Für die Landesregierung antwortet Umweltminister Jüttner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst bedürfen einige der im Vorspann der An

frage und in den Fragen enthaltenen Aussagen der Richtigstellung.

Der Planfeststellungsbeschluss ist nicht seit eineinhalb Jahren überfällig; denn die hierzu erforderlichen Zuarbeiten des Bundesamtes für Strahlenschutz als Antragsteller sowie die notwendigen Prüfungen des Niedersächsischen Umweltministeriums als Planfeststellungsbehörde sind noch nicht abgeschlossen.

Das Niedersächsische Umweltministerium war auch nicht im Mai 1998 zu der Erkenntnis gelangt, dass das Vorhaben genehmigungsfähig sei. Die Landesregierung hat erst kürzlich in der Antwort auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Schwarzenholz ausführlich hierzu Stellung genommen und betont, dass im Frühjahr 1998 wesentliche Teile des Planfeststellungsbeschlusses noch nicht fertig gestellt waren.

Am 28. Mai 1998 wurden die Arbeiten an einem Planfeststellungsbeschluss in Anbetracht der auch an Transportbehältern für schwach wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle festgestellten Kontaminationen zunächst ausgesetzt. Mit Zustimmung des Bundesumweltministeriums habe ich seinerzeit das Bundesamt für Strahlenschutz aufgefordert, mir alle bekannten Kenntnisse über Kontaminationsmöglichkeiten bei Abfallbehältern mitzuteilen sowie das den Planunterlagen zugrunde liegende Konzept der Einlagerungsbedingungen, der Organisation und der Dokumentation zu überprüfen und zu ergänzen.

Hierzu hat das Bundesamt für Strahlenschutz eine bundesweite Abfrage durchgeführt und mir den angeforderten Bericht erst nach fast einem Jahr, nämlich am 3. Januar 2000, zugeleitet. Der Bericht wird zurzeit in meinem Haus eingehend geprüft.

Zum 1. Oktober 1999 hatte mich der Bundesumweltminister zu einem bundesaufsichtlichen Gespräch nach Berlin eingeladen und mir mitgeteilt, dass er weitere Prüfungen im Planfeststellungsverfahren, u. a. zum Strahlenschutz und zur Langzeitsicherheit, als erforderlich ansieht.

Obwohl auch nach dem Gespräch vonseiten des Bundes keine schriftliche Auflistung der von ihm als notwendig angesehenen Punkte vorliegt, habe ich den Antragsteller beteiligt und ihm Ende Oktober 1999 28 Fragen gestellt. Das Bundesamt für Strahlenschutz hat diese Fragen am 29. Dezember 1999 beantwortet. In seinem Antwortschreiben hat es die Vorlage einer weiteren Unterlage angekün

digt, die Fragen der Endlagerbedingungen und der Langzeitsicherheit betrifft. Diese Unterlage ist Ende dieses Jahres eingegangen. Hier gibt es noch eine Reihe offener Punkte zu klären, zu denen auch die im Verfahren tätigen Sachverständigen gehört werden müssen.

Dies, meine Damen und Herren, ist in groben Zügen der Stand des Verfahrens im Verhältnis meines Hauses zum Antragsteller. Das Niedersächsische Umweltministerium ist also nach wie vor intensiv mit der Einforderung von Unterlagen beim Antragsteller und der Prüfung der offenen Fragen befasst.

Die Gesellschaft für Nuklearservice hat für die Energieversorger den Bund wegen seines Verhaltens und seiner Äußerungen zum Schacht-KonradVerfahren kritisiert und auf die laufenden Kosten für die Offenhaltung des Schachtes hingewiesen. Dem Land wurde hierbei kein Vorwurf zu seiner Verfahrensführung gemacht. Es gibt keinen Anlass für das Niedersächsische Umweltministerium, angesichts noch nicht abgeschlossener Prüfnotwendigkeiten zu diesem Thema Stellung zu nehmen.

Was das Verhältnis zum Bund betrifft, steht die Frage im Mittelpunkt, ob und welche Weisungen noch gelten und welche Konsequenzen sich im Falle einer förmlichen Rücknahme von Weisungen durch das Bundesumweltministerium ergeben könnten. Hierzu habe ich wiederholt eindeutig Stellung genommen. Weisungen wirken fort, solange sie nicht förmlich aufgehoben werden. Sie sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts strikt zu beachten. Ein Spielraum steht der Planfeststellungsbehörde nicht zu.

Wenn der Bund Weisungen aus der Zeit von Frau Merkel für obsolet hält, müsste er dies dem Niedersächsischen Umweltministerium förmlich mitteilen. Dies habe ich auch im bundesaufsichtlichen Gespräch gegenüber dem BMU verdeutlicht. Stattdessen hat uns das Bundesumweltministerium nach dem bundesaufsichtlichen Gespräch aufgefordert, Stellung zu den Auswirkungen der Weisungen zu nehmen. Ich werde ihm in Kürze nochmals die maßgeblichen Bewertungen mitteilen.

Ich will an dieser Stelle deutlich sagen, dass der Schlüssel für die Zukunft des Projektes Konrad bei der Bundesregierung liegt. Leider sind die gegenwärtigen Äußerungen des Bundes widersprüchlich; denn auf der einen Seite wird das Scheitern des bisherigen Entsorgungkonzeptes erklärt, dessen

integraler Bestandteil das Endlager Konrad war. Auf der anderen Seite wird seitens des dem Bundesumweltministerium in Berlin nachgeordneten Bundesamtes weiterhin massiv auf einen positiven Abschluss des Planfeststellungsverfahren gedrängt. Das Bundesamt für Strahlenschutz hält außerdem auch den im Jahre 1994 gestellten Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung nach seiner Äußerung vom Dezember 1999 unverändert aufrecht. Andererseits teilt Bundesumweltminister Trittin in einem Schreiben von Anfang Februar dieses Jahres an meine Kollegin Martini in Rheinland-Pfalz mit, dass „von einer Genehmigungsfähigkeit der Anlage... nach unserem Kenntnisstand nicht umstandslos die Rede sein kann“.

Der Landtag hat in seiner Entschließung vom 16. Dezember 1998 seine Auffassung deutlich gemacht, dass es für Schacht Konrad keinen Bedarf gibt. Er hat die Bundesregierung ausdrücklich aufgefordert, die Weisungen zur Frage des Bedarfs und zur Frage der Transporte zurückzuziehen.

Das Niedersächsische Umweltministerium hat auch vor dem Hintergrund dieser Landtagsentschließung beim BMU darauf gedrängt, dass diese Weisungen zurückgenommen werden. Die Argumente hierfür hatten wir schon 1997 umfangreich dargelegt. Es ist aus Gründen der Strahlenschutzes, der Vermeidung von Transporten und aus Kostengründen unvertretbar, zwei Endlager bereitzustellen. Die Mengenentwicklung zeigt, dass ein Endlager ausreichend ist. Weder die absolute Mengenentwicklung noch der zeitliche Anfall der Abfälle machen ein zweites Endlager erforderlich. Alle Mengen radioaktiver Abfälle können in einem Endlager für alle Arten radioaktiver Abfälle gelagert werden, auch wenn dieses erst im Jahre 2030 zur Verfügung steht.

Die vorhandenen Zwischenlagerkapazitäten reichen aus oder können technisch problemlos erweitert werden. Ein Endlager für Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung wird daher auch unter zeitlichen Aspekten nicht früher benötigt als ein Endlager für hochwärmeentwickelnde Abfälle.

Sollte der Bund allerdings entgegen seinen erklärten politischen Zielen weiterhin an der Planfeststellung und Inbetriebnahme von Schacht Konrad festhalten, mache ich kein Hehl daraus, dass das Niedersächsische Umweltministerium als Planfeststellungsbehörde gehalten wäre, in strikter Anwendung des geltenden Bundesrechts das Verfahren zu

gegebener Zeit abzuschließen und eine bestandssichere Entscheidung zu treffen.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:

Zu Frage 1: Ja, der Bund wirkt in mehrfacher Rolle im Verfahren mit. Der Bund ist einerseits in Form des Bundesamtes für Strahlenschutz Antragsteller des Planfeststellungsverfahrens. Hier ist er gefordert, die von der Planfeststellungsbehörde benötigten Unterlagen in prüffähiger Qualität vorzulegen. Dies dauert, wie oben geschildert, an.

Das Bundesamt ist weiter als Fachbehörde für den Strahlschutz gefordert. Zu seinen Aufgaben gehört nach dem Errichtungsgesetz die fachliche und wissenschaftliche Beratung und Unterstützung auf dem Gebiet des Strahlenschutzes. Die Planfeststellungsbehörde hat das Bundesamt auch in dieser Eigenschaft ausdrücklich um Stellungnahme gebeten.

Schließlich übt der Bund nach dem Atomgesetz die Bundesaufsicht aus; er kann - wenn er will - jederzeit in das Verfahren eingreifen. Der Bund hat diese Möglichkeit bislang intensiv genutzt. Dadurch, dass das Bundesumweltministerium derzeit bestimmte Weisungen aufrechterhält, stellt es für das Verfahren entscheidende Weichen.

Zu den Fragen 2 und 3: Die Aussage, das Niedersächsische Umweltministerium sei nach eigener Einlassung im Mai 1998 zu der Erkenntnis gelangt, dass Schacht Konrad genehmigungsfähig sei, entspricht nicht - wie schon ausgeführt - den Tatsachen. Die vom Bundesamt für Strahlenschutz in der Stellungnahme vom 27. Dezember 1999 vertretene Auffassung, dass alle offenen Fragen geklärt seien und der Genehmigung damit nichts mehr im Wege stünde, entspricht ebenfalls nicht den Tatsachen. Auf einige Gründe, die einer Planfeststellung noch entgegenstehen, bin ich bereits eingegangen. Abgesehen von der Weisungssituation bestehen zurzeit insbesondere noch folgende offenen Fragenkomplexe:

Erstens. Zu dem Abfallmengengerüst und zu den Abfallprognosen, die dem Vorhaben zugrunde liegen, gibt es Unstimmigkeiten in den Angaben des Antragstellers. Hier muss eine Sachverhaltsaufklärung erfolgen.

Zweitens. Zu der schon erwähnten Problematik der Transportkontamination gibt es noch verschiedene

Fachfragen, die unter Zuziehung der Sachverständigen geklärt werden müssen.

Drittens. Der Antragsteller hat, wie erwähnt, kürzlich neue Unterlagen vorgelegt, die auch Fragen der Langzeitsicherheit betreffen. Diese werden zurzeit geprüft. Darüber hinaus beabsichtige ich, die jüngste Aussage des Antragstellers, in Bezug auf die Langzeitsicherheit gebe es keine neuen verfahrensrelevanten Erkenntnisse, überprüfen zu lassen. Eine solche Überprüfung hat auch das Bundesumweltministerium gefordert. Um sicher zu sein, dass der aktuelle internationale Stand von Wissenschaft und Technik bei der Nachweisführung der Langzeitsicherheit berücksichtigt wird, ist die nochmalige Prüfung und Einbeziehung der Gutachter notwendig.

Viertens. Die Prüfung der Strahlenschutzanforderungen muss aktualisiert werden, denn eine Änderung der Rechtslage steht unmittelbar bevor. Die Richtlinie 96/29 EURATOM vom 13. Mai 1996, die strengere Anforderungen zum Strahlenschutz enthält als die bestehenden Regelungen, muss bis zum 13. Mai 2000 in nationales Recht umgesetzt werden. Für die Umsetzung ist der Bund zuständig. In diesem Zusammenhang ist auch die Auswirkung der vom Bund beabsichtigten Herabsetzung des so genannten Störfallplanungswertes von 50 auf 20 Millisievert zu betrachten.

Nach Mitteilung von Bundesumweltminister Trittin im Schreiben an meine Kollegin Martini hat sich die Störfallsicherheit unter Berücksichtigung des Einzelfalls am neuesten Stand von Wissenschaft und Technik zu orientieren. Trotz dieser Auffassung sieht sich das Bundesamt für Strahlenschutz nach seinen bisherigen - schriftlichen - Aussagen in diesen wichtigen Fragen nicht zur Mitwirkung in Form einer vorsorglichen Anpassung seiner Antragsunterlagen verpflichtet.

(Beifall bei der SPD)