Protokoll der Sitzung vom 29.03.2000

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 46. Sitzung im 21. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 14. Wahlperiode.

Ich stelle zu Beginn die Beschlussfähigkeit des Hauses fest.

Zur Tagesordnung einige kurze Anmerkungen: Die Einladung und die Tagesordnung für diesen Tagungsabschnitt liegen Ihnen gedruckt vor. Für die Aktuelle Stunde gibt es drei Beratungsgegenstände. Es liegen zwei Dringliche Anfragen vor, die morgen früh ab 9 Uhr beantwortet werden. Im Ältestenrat sind für die Beratung einzelner Punkte bestimmte Redezeiten gemäß § 71 unserer Geschäftsordnung vereinbart worden. Diese pauschalen Redezeiten sind den Fraktionen und den Abgeordneten bekannt; sie werden nach dem im Ältestenrat vereinbarten Verteilerschlüssel aufgeteilt. Ich gehe davon aus, dass die vom Ältestenrat vorgeschlagenen Regelungen für die Beratungen verbindlich sind und darüber nicht mehr bei jedem Punkt abgestimmt wird. - Ich stelle fest, dass sich dazu kein Widerspruch erhebt.

Die heutige Sitzung soll gegen 18.55 Uhr enden.

Meine Damen und Herren, in diesem Tagungsabschnitt wird erstmals - ich möchte Sie bitten, das zur Kenntnis zu nehmen - eine neue Redezeiterfassungsanlage eingesetzt. Sie werden das erkennen, sofern Sie das Rednerpult betreten. Der Vorteil für Sie wird sein, dass Sie daran genau die noch Ihnen zur Verfügung stehende Restzeit ablesen können. Da bei solchen modernen Geräten eine Eingewöhnungszeit notwendig ist, hoffe ich, dass wir mit keinerlei Pannen zu rechnen haben.

Ich möchte Sie noch auf zwei Veranstaltungen hinweisen: In der Portikushalle ist die Ausstellung „In das 21. Jahrhundert - Lokale Agenda 21 für eine lebenswerte Zukunft“ zu sehen. Sie wurde von der Koordinierungsgruppe des Projekts „Regionale Umsetzung der kommunalen Agenda 21 im ländlichen Raum für die Region Weser-Ems“ konzipiert. Ich empfehle diese Ausstellung Ihrer Aufmerksamkeit, vor allem weil sie regionale Anregungen geben kann.

Im Verlaufe der Plenarsitzung können sich Schülerinnen und Schüler aus Grundschulen und Orien

tierungsstufen mit ihren Fragen über das Internet an die Mitglieder des Landtages wenden. Dies kann von Interessierten direkt im Netz und über eine Großleinwand in der Lobby verfolgt werden. Sie sehen: Wir sind ganz auf der Höhe der medialen Anforderungen.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst - bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr - wird erinnert.

Es folgen geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin.

Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Herr Finanzminister Aller und ab 11 Uhr Herr Minister für Wirtschaft, Technologie und Verkehr Dr. Fischer, von der Fraktion der SPD Herr Buchheister und von der Fraktion der CDU Herr Meier.

Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu

Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde liegen drei Beratungsgegenstände vor: a) DB AG: Mit Schrumpfbahn an die Börse? - Antrag der Fraktion der SPD Drs. 14/1496, b) 4 und 2 oder 5 oder 6? - Diskussion um Orientierungsstufe darf nicht zum Zahlenspiel verkommen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/1497 und c) Informatikschock: SPD hat Zukunft verschlafen - Antrag der Fraktion der CDU - Drs. 14/1498.

Es stehen insgesamt 60 Minuten Redezeit zur Verfügung, die gleichmäßig auf die drei Fraktionen aufzuteilen sind. Das heißt, jede Fraktion kann über höchstens 20 Minuten Redezeit verfügen. Wenn mehrere Themen zur Aktuellen Stunde vorliegen, so wie heute, bleibt es jeder Fraktion überlassen, wie sie ihre 20 Minuten für die einzelnen Themen verwendet.

Jeder Redebeitrag, auch von Mitgliedern der Landesregierung, darf höchstens fünf Minuten dauern. Nach vier Minuten Redezeit werde ich durch ein Klingelzeichen darauf hinweisen, dass die letzte Minute der Redezeit läuft. Erklärungen und Reden dürfen nicht verlesen werden.

Wir kommen damit zur Beratung zu

a) DB AG: Mit Schrumpfbahn an die Börse? - Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 14/1496

Kollege Schurreit hat für die SPD-Fraktion das Wort. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema unseres Antrages „DB AG: Mit Schrumpfbahn an die Börse?“ könnte auch „Bürgerbahn oder Börsenbahn?“ lauten. Es muss in der Zukunft prinzipiell eine Antwort darauf gegeben werden, zu welchem Zwecke die Deutsche Bahn AG fährt. Es hat eine gewisse Tragik, dass wir als Sozialdemokraten, die sich immer gegen eine Privatisierung der Bahn ausgesprochen haben, nun unter Rot-Grün dies zu exekutieren haben.

(Möllring [CDU]: Hätten Sie ja rück- gängig machen können!)

Wir gehen alle davon aus, dass die Bahn weiterhin ein dem Gemeinwohl verpflichtetes Unternehmen sein muss. Der Bürger soll die Schienenwege stärker nutzen. Er soll von der Straße auf die Schiene umsteigen. Die Politik des Umsteigens ist allerdings in den vergangenen Jahren kläglich gescheitert. Die Quote der Eisenbahnnutzer ist kontinuierlich zurückgegangen. Die Gütermenge auf der Schiene ist nicht gestiegen - 5 % pro Jahr lautet die Prognose der Bahn -, sondern sie ist innerhalb der vergangenen fünf Jahren um insgesamt 30 % gesunken. Das ist also kein Katastrophenszenario, sondern nur eine realistische Beschreibung des Zustandes der Bahn. Die Bahn - so steht es im letzten „Spiegel“ - ist in einem jämmerlichen Zustand - zu spät, zu voll, zu dreckig. Die Werbung der Bahn „Die Bahn kommt“ ist natürlich mit einem Fragezeichen zu versehen. Denn es ist zu fragen: Aber wann und in welchem Zustand? Das Ansehen des Unternehmens ist Besorgnis erregend. Es hat sich stark verschlechtert. In den vergangenen Jahren hat es einen Prozess des stetigen Niedergangs der Bahn gegeben. Das hat auch etwas mit der Fehlbesetzung in der Spitze und mit Managementfehlern zu tun.

Anfang der 90er-Jahre war die Bahn pleite. Für die nächsten zehn Jahre hat eine Regierungskommissi

on ein Gesamtinvestitionsvolumen von 400 Milliarden DM errechnet. Man musste die Notbremse ziehen. 1994 wurde die Behördenbahn abgeschafft, es wurden Reichsbahn und Deutsche Bahn zusammengelegt und in der Deutschen Bahn AG vereint. Eine Reform war das natürlich nicht, denn der Wettbewerb auf der Schiene, wie man sich ihn vorgestellt hat, ist nicht möglich gewesen, weil der Monopolist Bahn dies nicht zugelassen hat. Man hat es schlecht geplant und falsch finanziert. Die Bahn bleibt umständlich. Sie ist unpünktlich, viel zu teuer und vor allem nicht marktgerecht.

(Beifall bei der SPD)

Investiert wurden vorrangig in Prestigeobjekte und in die Ausgestaltung von Bahnhöfen. Der Verkehrsweg wurde vernachlässigt. Zum Beispiel haben sich die Kosten für die Tunnel in Berlin auf ungefähr 6 Milliarden DM verdoppelt. Auch Köln - Frankfurt wird 2 Milliarden DM mehr kosten. Vor diesem Hintergrund hat nun Herr Mehdorn die Flucht in die Öffentlichkeit angetreten und gesagt: Ich habe eine neue Idee. Ich habe die Idee des RegEnt-Planes, d. h. eines regionalen Netzentwicklungsplanes. Der hat für das Land Niedersachsen die Konsequenz, dass dies - wie dargestellt im Prinzip nur noch ein etwas schiefes Rad von Schnellverkehrsverbindungen in der Bundesrepublik übrig lässt, während der restliche Teil der Regionalbahnen mehr oder weniger anderen übertragen wird.

Ich möchte hier einmal die Liste der bislang geplanten Regio-Netze in Niedersachsen nennen: Kreiensen - Langeland; Northeim - Langeland; Göttingen - Bodenfelde; Oldenburg - Osnabrück; Esens - Sande - Delmenhorst - Hesepe; Wieren Braunschweig; Helmstedt - Wolfenbüttel; Braunschweig - Kreiensen; Braunschweig - Bad Harzburg - Oker - Goslar; Neukrug - Haarhausen; Salzgitter-Drütte - Salzgitter-Lebenstedt; Nordhausen Northeim; Seesen - Herzberg; Buchholz - Bennemühlen; Elze - Löhne; Lüneburg - Dannenberg; Cuxhaven - Bremerhaven.

Meine Damen und Herren, wir werden uns alle in diesem Landtag wieder treffen, wenn wir vor der Situation stehen, dass wir vor unserer Tür eine Regionalbahn haben, bei der der Bürger von uns verlangt, dass wir uns dafür einsetzen und dass wir sie sichern. Mit dieser Entscheidung der Bahn stehen wir in Zukunft vor der Situation, dass angeblich der Verkehrsminister unseres Landes für diese Schließung oder Nichtschließung zuständig

ist, obwohl das eindeutig in die Hoheit der Bahn gehört. Hier wird etwas verschoben, was wir uns als Land nicht leisten können.

Es muss durch eine gemeinsame Kommission eine Überprüfung sämtlicher Investitionen und Modernisierungsmaßnahmen vorgenommen werden. Wenn dann die Bahn diese Idee durchziehen wird das sehe ich realistischerweise auch so -, dürfen wir am Ende nicht diejenigen sein, die diese ganzen Maßnahmen in der Fläche aus eigenen Mitteln zu bezahlen haben. Die Zuwendungen, die die Bahn bekommen hat, auch für diese Nebenstrecken, müssen erstens aufgelistet werden, und zweitens müssen sie dem Land übertragen werden. Das wäre meines Erachtens der Lösungsvorschlag, wenn wir schon die große Lösung, nämlich die Zuständigkeit für den Schienenweg weiterhin beim Bund zu belassen und den Bund auch die Investitionskosten tragen zu lassen, nicht erreichen können.

(Beifall bei der SPD)

Sehr verehrte Damen und Herren, ich bitte Sie, in diesem Landtag in Gemeinsamkeit unsere Interessen als Land Niedersachsen gegenüber der Bahn zu artikulieren und auch mitzutragen und den Minister darin zu unterstützen. Nur dann können wir Erfolg haben und wenigstens einige dieser Strecken noch retten. - Danke.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat der Kollege Wenzel von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen, gestern Abend haben wir mit dem Vorstandsmitglied der Bahn, Herrn Daubertshäuser, zusammengesessen, der mittlerweile im Bahnvorstand für das Thema Marketing zuständig ist. Ich bin froh darüber, dass Herr Daubertshäuser gestern hier im Landtagsgebäude noch einmal klargestellt hat, dass die Bahn die „Schrumpfbahn“ nicht will. Er hat klargestellt, dass das Ziel Wachstum und mehr Verkehr auf der Schiene ist. Er hat natürlich auch gesagt, dass dauerhaftes Wachstum nur mit schwarzen Zahlen funktioniert.

Meine Damen und Herrn, auch heute in dieser Debatte hier werden wir bei allen Fraktionen und

weit darüber hinaus im Lande feststellen: Niemand will die „Schrumpfbahn“. Niemand! Die Fragen sind nur: Was müssen wir tun, um das zu verhindern? Was müssen wir tun, um die Bahn endlich nach vorn zu bringen?

Auch dazu hatte Herr Daubertshäuser - übrigens SPD-Mitglied - einige interessante Sachen dargestellt. Er hat noch einmal an die Grundlagen der Bahnreform erinnert. Damals hat die Bahnreformkommission gesagt: Das Ganze kann nur Erfolg haben, wenn die Bahn auch faire Wettbewerbsbedingungen im gesamten Verkehrsmarkt erhält.

Das, meine Damen und Herren, ist die zentrale Frage. Es geht hier um die Gleichstellung bei der Mineralölsteuer, es geht um die Gleichstellung bei der Mehrwertsteuer. Die Deutsche Bahn AG zahlt im Fernverkehr die höchste Mehrwertsteuer in ganz Europa. Von der Mineralölsteuer sind das Schiff und der Flugverkehr freigestellt. Das kann auch nicht angehen. Wir wollen eine Senkung der Trassenpreise, um endlich den Güterverkehr voranzubringen. Wir brauchen eine Umwandlung der Kilometerpauschale in einer Entfernungspauschale.

Aber, meine Damen und Herren, ich muss auch feststellen: Die SPD hat hier mit ihrem Beitrag zu dieser Aktuellen Stunde keinen Weg aufgezeigt, wie wir dahin kommen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Ich muss feststellen, dass man es bei der SPD immer wieder mit pharisäerhaftem Getue zu tun hat.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Gucken Sie mal, von wem Sie da Bei- fall bekommen, aus welcher Ecke!)

Es wird zwar Wein gepredigt, aber wenn es um die Konsequenzen geht, dann will es wieder niemand gewesen seien. - Darf ich das vielleicht zu Ende ausführen? - Herr Plaue, wenn ich mir den „Spiegel“ vom Montag angucke, dann sagte Herr Klimt: Mir gebbe nichts! Mit anderen Worten: Wir wollen die Rahmenbedingungen der Bahn nicht verbessern, sondern wir halten schöne Reden, wie wir sie auch hier wieder gehört haben. Aber an die Rahmenbedingungen, die Ihr Kollege Daubertshäuser gestern Abend ganz deutlich angesprochen hat, wollen Sie nicht heran.

Insofern wünsche ich mir auch Gemeinsamkeit in diesem Hause, aber dann bitte auch in der richtigen Richtung. Lassen Sie uns gemeinsam mit dem Verkehrsminister hier in Niedersachsen dafür sorgen, dass die SPD-Bundestagsfraktion in Berlin einer Veränderung der Rahmenbedingungen zustimmt. Unsere Leute in Berlin stehen dafür parat; die machen mit. Es hängt zurzeit an der SPD.

(Zurufe von der SPD)

Auch die CDU-Bundestagsfraktion - ich habe mir den Antrag noch einmal angeguckt, den die CDUBundestagsfraktion eingebracht hat - fordert bei der Mineralölsteuer und bei der Mehrwertsteuer klare Schnitte.

Also, insofern ist die SPD gefragt. Lassen Sie uns dort vorangehen. Lassen Sie uns einen klaren Auftrag in dieser Richtung definieren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Noch ein Satz zum Thema RegEnt, regionale Netzentwicklung: Ich sehe hier Chancen, ich sehe hier aber auch erhebliche Risiken. Es wird entscheidend darauf ankommen, dass wir uns darauf verständigen, wie wir damit umgehen können und wie wir damit umgehen müssen. Wir haben als Länder ja erhebliche Hebel; denn wir haben das Geld, um den Nahverkehr zu bestellen. Insofern haben wir auch einiges mit zu melden. Herr Schurreit; Sie sind es ja gerade gewesen, der dafür gesorgt hat, dass wir die Diskussion um die Stilllegung der Strecke nach Dannenberg kriegen. Da hat nicht die Bahn gesagt, sie will das nicht mehr, sondern das Land hat immer wieder gesagt: Wir wollen dort den Bahnverkehr abbestellen.

(Beifall bei den GRÜNEN)