Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

Unsere Innenstädte haben u. a. auch deshalb Probleme, weil mittelständische Unternehmen diese hohe Steuer- und Abgabenbelastung in der Konkurrenz zu anderen nur schwer ertragen können.

Nur, meine Damen und Herren: Das ist die Situation heute. Das ist die Situation nach 16 Jahren konservativ-liberaler Politik.

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU)

Was Herr Möllring und all die klugen Lacher auf seiner Seite gern verbergen möchten, ist,

(Zuruf von der CDU: Adenauer hat Schuld!)

dass der Mittelstand in Deutschland in diese Schwierigkeiten gekommen ist, weil 16 Jahre lang Steuern und Abgaben für diesen Teil der Wirtschaft erhöht worden sind!

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen uns das einmal nicht anhand der klugen Lacher, sondern anhand der Zahlenbeispiele angucken, die hier geschildert worden sind. Ich habe großes Verständnis für die Probleme, die Herr Heineking und seine Kolleginnen und Kollegen als Vertreter des Mittelstandes geschildert haben. Ich frage mich aber, meine Damen und Herren, warum Sie als CDU-Mitglieder aus dem Mittelstand denn 16 Jahre lang mittelstandsfeindliche Politik in Deutschland zugelassen haben.

(Beifall bei der SPD)

1980 haben die Sozialversicherungsbeiträge in Deutschland 32 % bzw. 34 % betragen. Als die CDU-geführte Bundesregierung abgetreten ist, haben sie über 43 % betragen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Mittelstand haben in dieser Zeit bei einem Arbeitnehmereinkommen von durchschnittlich 4.000 DM brutto jeweils 400 DM dazu be

zahlen müssen, also weniger Geld in der Tasche gehabt - sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer für jeden Arbeitsplatz. Das ist die Realität mittelstandsfeindlicher Politik unter Ihrer Regierungsverantwortung, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Wir haben 1982, als Helmut Schmidt abgetreten ist, in Deutschland auf Bundesebene eine Schuldenbelastung von 313 Milliarden DM gehabt. Konrad Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt und Schmidt haben fast 40 Jahre gebraucht, um 313 Milliarden DM Schulden anzuhäufen. Bis 1990 - vor der deutschen Einheit, meine Damen und Herren - hat Ihre Regierung ganze acht Jahre gebraucht, um den Schuldenstand in Deutschland fast zu verdoppeln. Andere, solide Bundeskanzler wie Adenauer und andere

(Zurufe von der CDU - Unruhe - Glo- cke der Präsidentin)

haben fast 40 Jahre gebraucht. Sie haben den Schuldenstand in Deutschland innerhalb von acht Jahren verdoppelt, meine Damen und Herren. Das ist die Realität!

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Ich rede nicht von den 1,5 Billionen DM, die Sie am Ende Ihrer Regierungsverantwortung hinterlassen hatten.

(Hogrefe [CDU]: Haben Sie schon mal etwas vom Zinseszins gehört?)

Sie haben dazu beigetragen, dass fast 25 % jeder Steuermark in Deutschland für Zinsen ausgegeben werden müssen. Das ist die unsozialste Steuerpolitik, die man in Deutschland machen konnte und die zur Folge hat, dass das Geld an die Großbanken fließt, über die Sie eben hergezogen sind, aber nicht für Bildung, Verkehrswege, Infrastruktur und Arbeitsplätze zur Verfügung steht. Sie haben in Deutschland Schulden gemacht, Steuern erhöht, Sozialversicherungsbeiträge erhöht und

(Frau Ortgies [CDU]: Und was haben Sie in Niedersachsen gemacht?)

am Ende fast 4,5 Millionen Arbeitslose hinterlassen; gerade durch die Vernichtung von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen im Mittelstand, über den Sie heute so klug geredet haben.

Herr Ministerpräsident, der Kollege Decker möchte Ihnen eine Frage stellen. Wollen Sie die zulassen?

Nein. Ich habe während der gesamten Zeit gut zugehört, meine Damen und Herren.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Sie waren doch gar nicht da!)

- Ich war die ganze Zeit da! Herr Wulff, Sie können sich darauf verlassen: Wenn Sie über Mittelstand und Steuern reden, macht es Spaß, zuzuhören, weil man Sie hinterher darauf verweisen kann, was Sie 16 Jahre lang in Deutschland nicht getan haben. Das ist das Problem.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Im März dieses Jahres hatten wir die niedrigste Arbeitslosenquote seit vier Jahren zu verzeichnen. Die Zahl der offenen Stellen ist im Vergleich zum Vorjahresmonat um 10 % gestiegen. Wir haben 500.000 offene Stellen in Deutschland. Das ist der höchste Stand seit der Wiedervereinigung. Wir haben die Arbeitslosigkeit bei jungen Menschen unter 25 Jahren von 1998 auf 1999 um 9 % abgesenkt.

(Ontijd [CDU]: Was heißt „wir“?)

Wir haben die Langzeitarbeitslosigkeit um 4 % gesenkt. Nun starten wir, meine Damen und Herren, mit einer Steuerreform, auf deren Grundlage die Wirtschaftsprognosen für Deutschland zu dem Ergebnis kommen, dass die Arbeitslosigkeit bereits bis zum nächsten Jahr auf einen Stand von deutlich unter 4 Millionen, vermutlich auf 3,5 Millionen fallen wird. Wir bekommen von konservativen Instituten wegen der Steuerreform ein Wirtschaftswachstum prognostiziert.

(Lachen bei der CDU)

- Entschuldigung! Wenn Sie lachen, dann will ich Ihnen das gern einmal vorlesen. Auf Ihre Reden kann man sich einfach vorbereiten. Man braucht nur die fünf Wirtschaftsweisen zu zitieren, die von 2,8 % Wirtschaftswachstum ausgehen. Die Wirtschaftsweisen sagen aber auch etwas zu Ihren Steuerreformvorschlägen.

(Rolfes [CDU]: Das zweitschlechteste Wirtschaftswachstum in ganz Euro- pa!)

Ich lese Ihnen einmal vor, was eine Zeitung schreibt, die Sie sonst gern zitieren und die wahrscheinlich noch in 100 Jahren nicht zu den Kampforganen der deutschen Sozialdemokratie gehören wird, nämlich das „Handelsblatt“.

(Zurufe von der CDU)

Das „Handelsblatt“ schreibt in seiner Ausgabe vom 8. Mai 2000 Folgendes.

(Zurufe von der CDU)

- Vorhin haben Sie es noch für möglich gehalten, das „Handelsblatt“ zu zitieren, als es nämlich darum ging, mich zu zitieren. Nun wollen Sie sich die gleiche Zeitung nicht entgegenhalten lassen.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

- Das ist klar. Sie wollen das nicht hören. Ich habe Verständnis dafür. Das ist unangenehm. - Das „Handelsblatt“ schreibt: „Die Union, die für 35 % plädiert, ist in ihren Berechnungen nicht seriös.“

Meine Damen und Herren, sagen Sie doch wenigstens: In Ordnung. Wir haben das in 16 Jahren nicht hingekriegt. Der Kohl hat einiges nicht zustande bekommen; das auch nicht. Jetzt wollen wir uns seriös beteiligen.

(Rolfes [CDU]: Welche Rolle hat La- fontaine gespielt?)

Meine Damen und Herren, Ich komme jetzt einmal zu dem, was Sie im Zusammenhang mit der letzten Steuerreform Ihrer Partei vorgeschlagen haben. Wir verzichten in Zukunft auf das, was Sie noch vor der Bundestagswahl für richtig gehalten haben, nämlich erstens die Verschlechterung der Kilometerpauschalen für Arbeitnehmer und zweitens eine stärkere Besteuerung der Nacht- und Schichtarbeitszuschläge. Auch das hatten Sie vor. Wenn Sie die Petersberger Beschlüsse mit einem Spitzensteuersatz von 39 % zitieren, dann müssen Sie dazu sagen, dass Sie die Senkung des Spitzensteuersatzes finanzieren wollten, indem Sie Nacht- und Schichtarbeiter höher besteuern. Die Krankenschwester im Schichtdienst sollte das höhere Einkommen der Chefärzte finanzieren. Das war Ihre Steuerreform. Das hatten Sie vorgeschlagen.

(Beifall bei der SPD - Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, wir haben eine Politik zur gesamten Hand in Bonn vorbereitet, die lautet: Erstens Abbau der Schulden. Erstmals gibt es wieder einen Abbau der Schulden in Deutschland. Zweitens Senkung der Sozialversicherungsbeiträge. Drittens eine Tarifpolitik, die im Bündnis für Arbeit erfolgreich war, und es war nicht so, wie Leute wie Sie, Herr Wulff, öffentlich erklärt haben, das brächte alles nichts mehr. Die haben eine vernünftige Tarifpolitik hinbekommen, und zwar auch die IG Metall, die Sie in Ihren Reden so beschimpft haben. Viertens eine Steuerreform, bei der wir heute darüber diskutieren, wie hoch die Steuersenkung sein kann. Das ist anders als zu Ihrer Zeit, als Sie jeweils mit uns darüber diskutiert haben, wie hoch die Steigerung der Verbrauchssteuern werden kann, die wir in Deutschland einrichten müssen. Das ist doch die Realität in den vergangenen Jahren gewesen.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme nun zu dem, was der Kollege Golibrzuch aus meiner Sicht zu Recht zu den Möglichkeiten der Diskussion im Rahmen des Vermittlungsausschusses gesagt hat. Natürlich ist es richtig, dass die Landesregierung zu den vorgelegten Plänen der Bundesregierung steht. Wir haben bei zwei Punkten Änderungsbedarf, jedenfalls bei einer qualifizierten Debatte, die am Ende nicht zu unbezahlbaren Steuerausfällen führen soll. Ich glaube, darüber sind wir uns einig.

Der erste Punkt ist in der Tat die Frage, ob das Optionsmodell handhabbar gemacht werden kann. Ich sage Ihnen in aller Offenheit: Ich habe da Zweifel. Das Optionsmodell hat den Nachteil, dass es erstens nur für Betriebe möglich ist, die einen zu versteuernden Gewinn von oberhalb von 150.000 DM erzielen. Zweitens besteht die Gefahr, dass hinterher die Betriebe bei der Erbschaftsteuer ebenfalls wie eine Kapitalgesellschaft behandelt werden. Das ist der Grund, warum der Kollege Clement und ich den Bundesfinanzminister am 6. April gebeten haben, zu prüfen, ob durch eine Senkung des Einkommensteuertarifes, einschließlich des Spitzensteuersatzes, nicht das gleiche Ergebnis erzielt werden kann - übrigens gemeinsam mit der Kollegin Scheel von den Grünen.

(Möllring [CDU]: Das wird auch von uns unterstützt! - Zuruf von Go- librzuch [GRÜNE])

- Ich habe das jedenfalls gelesen. Ich gebe zu: auch im „Handelsblatt“. Vielleicht zitieren die nicht immer richtig. Aber in dem Artikel haben sie die Kollegin Scheel von den Grünen zitiert.

Ich sage: Es gilt natürlich die Verabredung, dass das nicht zu höheren Steuerausfällen führen kann. Im Lichte der Steuermehreinnahmen haben wir jetzt gesagt, dass diese Prüfung einfacher sein müsste. Wenn das aber im Ergebnis unfinanzierbar ist, dann werden wir das nicht mitmachen.

Meine Damen und Herren, dieses Land unterstützt die Steuerreform, obwohl wir im kommenden Haushalt 1,7 Milliarden DM bereits auf der Grundlage der jetzigen Vorschläge verlieren werden, weil wir wissen, dass mittelfristig Wachstum stimuliert wird und mehr Steuereinnahmen kommen. Mittelfristig heißt aber nicht im ersten Jahr. 1,7 Milliarden DM Steuermindereinnahmen, meine Damen und Herren, das wollen wir als Regierung vertreten. Ich verstehe auch, dass Sie im Landtag nicht sagen wollen, wie das bezahlt werden kann, weil Sie gerne draußen, nämlich dort, wo wir einsparen müssen, die Bürger auf die Straße bringen wollen. Dafür habe ich Verständnis. Das ist aber Oppositions- und nicht Regierungspolitik, meine Damen und Herren.