Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

Diese kleinen Beispiele zeigen, dass insbesondere junge Menschen ohne Führerschein Schwierigkeiten haben werden. Der für eine erfolgreiche Ausbildung unerlässliche Kontakt zwischen dem Ausbildungsbetrieb und der Berufsschule wird unterbrochen, und zahlreiche Berufe werden insbesondere für Jugendliche im ländlichen Raum unattrak

tiv. Es wird auch zunehmend schwieriger werden, neue Bildungsgänge an den berufsbildenden Schulen einzuführen. Das gilt selbst für die zukunftsorientierten IT-Berufe. Im Arbeitsamtsbezirk Otterndorf beobachten wir beispielsweise - stellvertretend für den ländlichen Raum - einen Rückgang der Ausbildungsbereitschaft.

Frau Ministerin, ich glaube daher schon, dass Ihr Konzept zumindest im ländlichen Raum zur Vernichtung von Ausbildungsplätzen führen wird.

(Beifall bei der CDU - Zurufe von der SPD)

- Herr Kollege Voigtländer, so hieß es auch unisono bei der Veranstaltung in Stade, zu der dankenswerterweise auch Sie gekommen sind.

Meine Damen und Herren, schließlich ist aus der kommunalen Sicht zu sagen: Auch die Schulträger sind betroffen. In der Tat greift die Umsetzung des Klassenbildungserlasses in die Rechte der Kommunen ein. Die berufsbildenden Schulen werden zu einer Schulentwicklungsplanung über die Zuteilung des Stundenbudgets gezwungen, obwohl die Strukturierung der Berufsschullandschaft eine originäre Aufgabe der Kommunen ist. Auch das ist nicht in Ordnung.

Noch etwas: Für die dann natürlich größeren Klassenverbände fehlen vielfach die baulichen Voraussetzungen und die Einrichtungen wie Klassenräume, Laborplätze usw.

Sehr verehrte Frau Ministerin, bitte nehmen Sie die Kritik aus dem ländlichen Raum, aber auch dem ganzen Land zur Kenntnis.

(Glocke des Präsidenten)

So sollte meines Erachtens der Klassenbildungserlass unbedingt um einen Flächenbonus ergänzt werden. Ihr jetziges Konzept kommt einer Kampfansage an den ländlichen Raum gleich; denn die berufsbildenden Schulen sind ein wichtiger Standortfaktor für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region.

Wohin die Reise geht, das hat der liebe Kollege Voigtländer in seiner verräterischen Art und Weise einmal kundgetan.

(Zustimmung von Voigtländer [SPD])

Ich habe hier die „Niederelbe-Zeitung“ vom 5. Februar 2000 mitgebracht, und ich zitiere:

„Voigtländer: Zwei Schultypen, die schnellen und die toten.“ Dazu wird es nämlich führen, dass wir im ländlichen Raum kleine Berufsschulstandorte schließen, frei nach Charles Darwin „Die Schnellen und die Toten“. Herr Kollege Voigtländer, etwas mehr Ehrlichkeit auch gegenüber uns im ländlichen Raum hätte ich jetzt von Ihnen erwartet.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich möchte mit einem Kommentar von Anke Breitlauch aus der „Nordsee-Zeitung“ vom 5. Mai 2000 schließen:

„Die Ministerialbeamten im Kultusministerium basteln angeblich schon an Nachbesserungen zum Erlass. Entscheidend ist, dass sie ihre Korrekturen auch an den richtigen Stellen ansetzen.“

(Glocke des Präsidenten)

„Die Berufsschulen auf dem Lande müssen auch in Zukunft in die Lage versetzt werden, ein breites Bündel an Ausbildungsangeboten zu bieten. Einen weiteren Standortnachteil kann die Wirtschaft in der Region nicht verkraften.“

Dem ist nichts hinzuzufügen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Frau Kollegin Litfin hat jetzt das Wort. Bitte schön!

(Klare [CDU]: Es ist eigentlich alles gesagt!)

Nur noch nicht von allen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu Jacques Voigtländer will ich noch einmal etwas zu zwei Komplexen seiner Rede sagen. Es ist so, dass es zusätzlich 207 Vollzeitlehrereinheiten in den berufsbildenden Schulen geben wird, und diese 207 sind - das sage ich, damit nicht Missverständnisse entstehen - keine zusätzlichen Personen, sondern das sind Teilzeitbeschäftigte, deren Stundenbudgets jetzt aufgestockt werden. Auch da wird

es wieder ein Problem geben; denn diese Vermehrung ist erst einmal nur eine statistische.

Dass diese Personen, die bereits an Schulen sind und dort arbeiten, tatsächlich die Schulen erreichen, an denen sie gebraucht werden - man kann nämlich nicht diesen kleinen Stundenanteil, den man oben drauf packt, verwenden, um die drei Landkreise weiter entfernte Schule zu versorgen -, wird ein Problem, mit dem ihr werdet umgehen müssen. Aber ich hoffe, dass wir noch gemeinsam dazu kommen werden, dass wir die Ressourcen für die berufsbildenden Schulen aufstocken; denn in diesem Bereich werden sie gebraucht, wenn wir mit den steigenden Schülerzahlen fertig werden wollen, wenn wir tatsächlich ein gutes Modernisierungskonzept auf den Weg bringen wollen und wenn wir auch der weiterhin steigenden Anzahl - das ist zu erwarten – der vollzeitschulischen Berufsausbildung gerecht werden wollen. Ich meine nämlich nicht, dass wir in den nächsten Jahren eine ausreichende Anzahl von Ausbildungsplätzen haben werden, sondern wir werden mehr Schülerinnen und Schüler im vollzeitschulischen Bereich haben.

Herr Voigtländer hat hier noch einmal auf die Gemeinsamkeiten hingewiesen, die zwischen uns bestehen und die wir ja auch in unserer PaduaErklärung festgehalten haben, obwohl die noch nicht notariell beglaubigt worden ist; aber ich meine, das brauchen wir auch nicht. Ich wünsche mir, dass wir bei diesen Gemeinsamkeiten bleiben, weil ich nach wie vor meine, dass ein Parlament gemeinsam - auch gegen eine Regierung - sehr stark ist. Ich meine, an diesem Punkt lohnt es sich, gemeinsam zu kämpfen, und das sollten wir auch machen.

Wir sollten versuchen zu erreichen, dass festgeschrieben wird, dass das nächste berufsbildende Schulangebot für jeden Auszubildenden in einer Stunde mit dem ÖPNV zu erreichen sein muss. Ich meine, das ist ein guter Wert. Das ist ein Wert, den auch die Spitzenverbände des Handwerks und des Gewerbes bestätigt haben, indem sie dazu gesagt haben: Genau; alles, was darüber hinaus geht, wird wirklich schwierig. Wir müssen daran denken: Teilweise sind diese Auszubildenden 16 Jahre alt und eben einfach auf den ÖPNV angewiesen. Deshalb meine ich, dass das ein guter Wert ist. Im Gegensatz zu Frau Wörmer-Zimmermann halte ich es für absolut erforderlich, dass das berufsbildende Angebot in kurzer Zeit für Schülerinnen und Schüler zu erreichen ist.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Es ergeben sich noch ganz viele Fragen auch zu diesem Antrag und insbesondere zu dem Modernisierungskonzept des Kultusministeriums, z. B. - ich will nur einmal etwas herausgreifen - was eigentlich mit diesen 30er-Klassen oder mit vielleicht noch größeren Klassen ist; denn auch das werden die berufsbildenden Schulen machen müssen,

(Glocke des Präsidenten)

da die Schulhandbuchreichungen davon ausgehen, dass 24 Schüler und Schülerinnen in einer Klasse sitzen und sich gerade im technisch-gewerblichen Bereich auch die Anzahl der Maschinen und Geräte, die in den Klassen stehen, an dieser Zahl 24 orientiert. Wie wollen wir das in den Griff kriegen?

Es gibt noch eine Reihe dieser Fragen, die wir aber wohl alle in den Ausschussberatungen behandeln werden.

(Glocke des Präsidenten)

Die CDU-Fraktion hat in ihrem Antrag geschrieben, die SPD-Landesregierung ergreife nur kosmetische Maßnahmen. Ich hoffe, es ist nicht nur eine Schönheitsoperation, und ich hoffe, dass der Patient auch noch nach der Operation in den Spiegel schauen kann.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Vielen Dank. – Frau Ministerin Jürgens-Pieper hat jetzt das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man die Debatte verfolgt, dann reizt es einen schon, etwas zu verschiedenen Dingen zu sagen, die neben der Sache liegen.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Das kannst du doch jetzt! Die Landesregierung darf so lange sprechen, wie sie will! – Kla- re [CDU]: Dafür sind wir hier!)

- Ich will das nicht unnötig verlängern. - Mein Konzept ist z. B. mit Lyrik verglichen worden. Ich

finde, das ist eine Beleidigung für die Lyrik. So weit geht das Modernisierungskonzept nicht. Ich würde Sie, den Kultusausschuss, aber auch die Abgeordneten, die heute geredet haben - dabei finde ich es ganz gut, wenn sich auch einmal andere Abgeordnete an bildungspolitischen Debatten beteiligen -, am Anfang des kommenden Schuljahres einmal in berufsbildende Schulen einladen,

(McAllister [CDU]: Sagen Sie das einmal Herrn Voigtländer!)

damit Sie nicht nur die Drehbänke in Venetien kennen lernen, sondern auch die CNC-Maschinen, die wir haben. Es gibt allerdings nach wie vor auch Drehbänke, weil man bestimmte Techniken immer noch lernen muss. Sie, Frau Litfin, werden dann sehen, dass sich all das, was Sie befürchten, in Luft auflösen wird.

Ich werde Ihnen hier jetzt sehr deutlich ausführen, dass Kämpfe nicht angesagt sein müssen, weil kein Problem in der Fläche entstehen wird. Dafür werde ich nämlich notfalls persönlich sorgen; aber ich meine, die Schulaufsicht reicht dafür auch.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Ich nehme dich beim Wort!)

Es wird auch weiterhin Angebote geben - es gibt keinen Kampf gegen die Fläche -, und die Schulen werden das auch hinbekommen. Ich werde gleich noch an Beispielen ausführen, was dort eigentlich zum Anfang des Schuljahres passiert.

Aber ich hatte, als ich mir den Antrag angesehen habe, ähnliche Eindrücke wie einige Vorredner es auch gesagt haben, nämlich dass die CDU-Fraktion dem Modernisierungskonzept in der Zielsetzung eigentlich zustimmt. Ich habe Herrn Busemann am Ende seiner Rede auch ein bisschen so verstanden, dass einige Punkte darin vielleicht doch auch nachdenkenswert sind. Manchmal habe ich ja das Gefühl, dass man in der politischen Debatte als Opposition gar nicht mehr sagen darf, dass manches auch richtig ist.

Wenn Sie jetzt dieses Modernisierungskonzept ablehnen und nicht nur den Klassenbildungserlass - das hätte man in einem Antrag ja auch spalten können -, dann lehnen Sie eine Reihe von Regelungen ab, die in der Anhörung sehr stark begrüßt worden sind, z. B. die Neuregelung des Erwerbs der Allgemeinen Hochschulreife an Berufsoberschulen, neue Standards für die Fachhochschulreife, die leistungsgerechte Differenzierung in der

Berufschule - damit ist die Wirtschaft sehr einverstanden -, die Möglichkeit zum Erwerb des Hauptschulabschlusses im Berufsvorbereitungsjahr - das findet fast einhellige Zustimmung -, die Aufnahme von Bemerkungen zum Arbeits- und Sozialverhalten in Zeugnissen und die Stärkung des handlungsorientierten Unterrichts, also Dinge, die in der Anhörungsphase und von den Beteiligten viel differenzierter und konstruktiver diskutiert worden sind - ich habe dazu auch eine große mündliche Anhörung durchgeführt -, als Sie es jetzt hier diskutieren.

Natürlich gibt es Sorgen beim Klassenbildungserlass - das will ich gerne ausführen -, wobei sich Frau Litfin und auch die Rednerinnen und Redner der CDU schon entscheiden müssen; denn man kann nicht beides gleichzeitig vertreten. Die eine Position lautet - auch im Antrag- , die ortsnahe Beschulung sei ernsthaft gefährdet, und die zweite Position lautet, der neue Erlass beinhalte ausschließlich statistische Maßnahmen. Was denn nun? – Entweder tut sich da wirklich etwas, oder wir machen statische Maßnahmen. Herr Busemann hat sogar „Kosmetik“ dazu gesagt. So würde ich das nicht nennen.