Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

Sie wollen als Ersatz eine institutionelle Garantie. Sie definieren diese institutionelle Garantie allerdings in keiner Weise. Soll es sich bloß um die erwähnte Einwanderungsmöglichkeit oder um einen Gnadenakt, der beliebig gewährt oder auch versagt werden kann, handeln? - Ihr Bekenntnis zur „humanitären Verpflichtung Deutschlands, weiterhin für die Aufnahme von Asylsuchenden offen zu sein“, passt mir mit Verlaub nicht so recht zu Ihrem Satz, dass durch ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, das an den Interessen Deutschlands orientiert ist, eine Auswahl von Zuwanderern getroffen werden kann. Die Schutzgewährung für Asylsuchende hat für uns Sozialdemokraten einen sehr hohen Stellenwert. Gleichwohl wissen auch wir, dass Missbrauch mit unserem Asylgrundrecht versucht und betrieben worden ist sowie betrieben wird. Die Tatsache, dass im Jahre 1999 die Bleiberquote nur 7,5 % betrug, spricht eine deutliche Sprache. Deshalb plädieren auch wir für beschleunigte Verfahren. Wir wissen: Asylmissbrauch vermindert die Bereitschaft zur Schutzgewährung. Das dürfen und wollen wir uns nicht leisten.

(Eveslage [CDU]: Aha!)

Meine Damen und Herren, die CDU gibt vor, mit ihrem Antrag einen Weg für eine europaweite Harmonisierung des Asylrechts eröffnen zu kön

nen. Europa ist aber bereits viel weiter, und das wesentlich unter Führung der rot-grünen Bundesregierung während derer Ratspräsidentschaft. Es ist mir ein Rätsel, warum dieser Tatbestand zwar von Herrn Eveslage gerade mit angesprochen wurde, jedoch im Antrag mit keinem einzigen Wort erwähnt wird. Ich rufe deshalb in Erinnerung: Im Dezember 1998 haben Rat und Europäische Kommission einen Aktionsplan mit Schwerpunkten für die Arbeit und mit zeitlichen Vorgaben verabschiedet. Am 1. Mai 1999 ging mit In-Kraft-Treten des Amsterdamer Vertrages die Ausländer- und Asylpolitik in die Kompetenz der Gemeinschaft über. Mit der Übernahme der Präsidentschaft hat sich die Bundesregierung konsequent für eine Angleichung in diesem Politikbereich stark gemacht. Erfolgreich war sie auf europäischer Ebene im letzten Oktober in Tampere bei dem Bemühen, wesentliche Prinzipien europäischer Flüchtlingsund Migrationspolitik durchzusetzen. Es sind: Verbesserung der Partnerschaft mit den Herkunftsländern der Flüchtlinge, ein gemeinsames europäisches Asylsystem, die gerechte Behandlung von Drittstaatenangehörigen, die Steuerung der Zuwanderungsbewegungen und nicht zuletzt die Bestätigung der Genfer Flüchtlingskonvention als gemeinsame Basis künftiger Asylpolitik. Einheitliche Regelungen sind schon wegen des grenzkontrollfreien europäischen Binnenraums zwingend geboten.

(Eveslage [CDU]: Richtig!)

Deshalb müssen die Partner laut Amsterdamer Vertrag einheitliche Standards für Asylverfahren entwickeln.

Meine Damen und Herren, die Harmonisierung des Asylrechts soll auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention erfolgen. Das wurde - ich erwähnte es - in Tampere bekräftigt. Die Umsetzung erfolgt innerhalb der nächsten Jahre. Ich meine, es macht kaum Sinn, jetzt noch einen Prozess zur Änderung des Artikels 16 a unseres Grundgesetzes anstoßen zu wollen, und das umso mehr, als die Asylbewerberzahlen nach wie vor sinken. Derzeit macht sie nur noch ein Fünftel der Zahl des Jahres 1992 aus.

(Eveslage [CDU]: 500.000!)

- Nein, die Zahl, die Sie jetzt gerade einwerfen, Herr Eveslage, ist falsch. 438.000 zu 95.000. Es sind sogar 91.000, wenn ich die Zahl für 1999 richtig im Kopf habe.

Natürlich wissen wir nicht, wie sich die europäische Regelung darstellen wird. Wir wissen nicht, was von unseren Regelungen einfließt. Wir wissen nicht, was wir gegebenenfalls aufgeben müssen. Insofern werden wir sehr wohl über das nachzudenken haben, was der Bundesinnenminister Schily und unser Innenminister Heiner Bartling als denkbar dargestellt haben. Dazu wird aber wohl kaum das gehören, was die CDU in ihrem Antrag fordert, nämlich eine rigide Beschränkung der Familiennachzugsregelung, wie sie die Europäische Kommission nun in ihre Überlegungen aufgenommen hat. Dabei will ich allerdings deutlich sagen, dass wir die Setzung gewisser Integrationsvoraussetzungen, so wie sie Herr Eveslage angesprochen hat,

(Eveslage [CDU]: Das hat Herr Schily vor dem Bundestag so gesagt!)

sehr wohl in unsere Überlegungen einbezogen wissen wollen. Wir stehen ihr also positiv gegenüber.

Meine Damen und Herren, wir werden Einwanderung zu gestalten haben. Das ist künftig unser aller Aufgabe. Wir dürfen aber auch nicht unterschlagen, Herr Kollege Eveslage, dass wir bisher gesamtwirtschaftlich gesehen eine positive Bilanz der Zuwanderung zu ziehen haben. Die CDU-Fraktion hebt mir in ihrem Antrag zu sehr auf Missbräuche ab. Diese Einseitigkeit ist nicht sachgerecht. Es wird Sie deshalb nicht verwundern, dass wir Ihrem Antrag in der vorliegenden Form nicht zustimmen werden.

Abschließend beantrage ich für meine Fraktion zusätzlich die Mitberatung dieses Antrages im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Das Wort hat jetzt Frau Stokar von Neuforn.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Internationalisierung der Lebensverhältnisse, über die wir hier während der EXPO-Debatte so tolerant diskutiert haben, findet eben nicht nur während der EXPO, nicht nur in Hannover statt, sondern sie wird zunehmend unseren Alltag im gesamten Land

bestimmen. Meine Damen und Herren, die CDU wird sich entscheiden müssen, ob sie mit Anträgen wie diesem weitermachen oder ob sie bundesweit Teil einer konstruktiven Einwanderungsdebatte sein will. Die CDU in Niedersachsen hat sich entschieden, nicht an dieser Debatte teilzunehmen. Sie vertritt die Linie von Herrn Rüttgers „Kinder statt Inder“.

(Eveslage [CDU]: Sie beteiligen sich doch an unserer Debatte!)

Um hier in Deutschland an einem Konsens zur Lösung des Einwanderungsproblems mitzuarbeiten, muss man erst einmal begreifen, dass Politik in Deutschland in den Themen Asyl, Einwanderungsgesetz und Integration nacharbeiten muss, weil aufgrund der weltweiten Entwicklung neue Lösungen gebraucht werden.

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich gestatte keine Zwischenfrage, weil ich gerade mal fünf Minuten Redezeit habe, Herr Eveslage.

Sie haben sich entschieden. Trennen Sie die Thematik, und gehen Sie auf die einzelnen Punkte ein!

Die CDU hat ein riesiges Problem mit der Europadebatte. Das ist in Ihrem Beitrag noch einmal deutlich geworden. Die Mär, dass Deutschland an der Spitze der Aufnahmeländer im Asylbereich steht und wir in dieser Frage sowieso die Besten sind, ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Ich erinnere an die Vorschläge der EU-Kommission und darf sagen, dass ich sehr unglücklich über diese zum Glück nicht sehr öffentlich gewordene unheilsame Allianz von Bundesinnenminister Schily und Österreich bin.

(Eveslage [CDU]: Sagen Sie das mal Herrn Collmann!)

Wir haben im Moment die Situation, dass die Beschlüsse von Tampere, die von den Grünen immer mitgetragen worden sind, von der EUKommission definiert werden.

(Eveslage [CDU]: Außenminister Fi- scher war Ratspräsident!)

Deutschland muss in vielen Punkten nachbessern: in der Frage der Anerkennung der Genfer Flüchtlingskonvention, in der Frage des Familiennachzugs, in der Frage der Dauer der Asylverfahren und in der Frage der Arbeitsregelung. Dies zeigt, dass die Propaganda, die Europäisierung führt dazu, dass in Deutschland Standards abgebaut werden müssen, nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Nein, meine Damen und Herren, die SPD im Europäischen Parlament hat den Vorschlägen der Kommission zugestimmt. Bundesinnenminister Schily von der SPD hat sie gemeinsam im Dezember mit Österreich, mit den Vertretern von Herrn Haider, blockiert. Ich denke, wir sollten endlich einmal eine offene und ehrliche Debatte führen.

Eine Änderung unseres Grundgesetzes steht bei der Frage der Europäisierung des Asylrechts überhaupt nicht zur Debatte. Keine andere Nation, weder Frankreich noch England, würde auf die absurde Idee kommen, aufgrund der Harmonisierung des europäischen Asyl- und Flüchtlingsrechts ihre Verfassung anzurühren.

(Eveslage [CDU]: Eben!)

Wir brauchen es auch nicht. Dass ich als Grüne sagen muss, dass ich mir in Deutschland etwas mehr Verfassungspatriotismus wünsche und dass wir stolz darauf sind, dass das Asylrecht als eines von 16 Grundrechten in der Verfassung steht, ist schon merkwürdig. Es steht gleichwertig z. B. neben dem Grundwert der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Niemand käme auf die Idee, weil dieser Grundsatz nicht in allen unteren Gesetzen sofort vollzogen werden kann, ihn aus der Verfassung zu streichen. Meine Damen und Herren, das Asylrecht in unserer Verfassung ist ein humanitäres Kulturgut, und es gibt im Zuge der europäischen Debatte nicht die geringste Veranlassung, hier eine Verfassungsdebatte zu führen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich bin dafür, hier in Niedersachsen zu diskutieren, was sich in Deutschland im Bereich des Asylrechts nach den Beschlüssen von Tampere und nach dem Amsterdamer Vertrag ändern muss. Davon losgelöst möchte ich eine Einwanderungsdebatte führen, die zwei Dinge berücksichtigt, nämlich die Internationalisierung der Lebensverhältnisse und die Entwicklung der deutschen Bevölkerung. Wir brauchen Zuwanderung, wenn wir unseren Lebensstandard halten wollen. Bei der Frage der Familienzusammenführung müssen wir über ein Integra

tionskonzept diskutieren. Wir wollen die Familienzusammenführung, weil Familie als Einheit die Grundlage für Integration ist. Das gilt auch für Familien nichtdeutscher Herkunft. Ich wundere mich, dass ich der CDU erklären muss, wie wichtig Familie für die Sozialstruktur einer Gesellschaft ist. Wir brauchen Familie, weil die Familie die Zelle der Integration ist. Ich wünsche mir etwas weniger Ideologie und etwas weniger Polemik bei der CDU.

Und ich wünsche mir, dass Sie jetzt zum Schluss kommen, verehrte Frau Kollegin. Ich war schon sehr großzügig.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, diese neue Uhr und diese neue Lampe beherrsche ich noch nicht.

Aber die Zahlen können Sie doch lesen!

(Heiterkeit)

Gut. Ich beende meinen Redebeitrag. Ich war davon ausgegangen, dass ich noch 1:32 Minuten Redezeit habe.

Um diese Zeit haben Sie schon überzogen.

Das Minuszeichen habe ich nicht gesehen. - Okay, danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, bevor ich Herrn Minister Bartling das Wort erteile, möchte ich der Unsicherheit hinsichtlich des weiteren Beratungsverlaufs abhelfen. Wir sind nach anfänglichen Überlegungen, einen Tagesordnungspunkt vorzuziehen, zu dem Ergebnis gekommen, dass wir dann zu weit in die Mittagspause hineinkämen, die ohnehin schon relativ eng bemessen ist. Aus diesem Grunde

möchte ich darauf hinweisen, dass wir vermutlich nach der Rede von Herrn Bartling, wenn kein Nachschlag gefordert wird, in die Mittagspause eintreten, sie um 14.30 Uhr beenden und dann unsere Arbeit im Plenarsaal wieder aufnehmen. Ich denke, es war zur Klarheit für alle Kolleginnen und Kollegen wichtig, dass ich das gesagt habe.

Bitte schön, Herr Minister!

Vielen Dank, Herr Präsident. Ich werde den Versuch unternehmen, nicht zu Nachschlägen herauszufordern.

Frau Stokar, ich habe auch so meine Probleme mit der Uhr. Ich habe eben gedacht, ich orientiere mich am Zeitplan und kann nach meiner Uhr bis 12.40 Uhr reden. Aber das lasse ich lieber auch sein.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir zu Beginn die Bemerkung, dass ich es für sehr erfreulich halte, dass in dem Antrag zum Ausdruck kommt, dass die CDU als Realität zur Kenntnis genommen hat, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, obwohl sehr oft von Begrenzung die Rede ist. Aber Sie beschreiben damit einen Teil der Realität: Deutschland ist mehr als die anderen Staaten Europas ein von Zuwanderungsbewegungen geprägtes Land. Wenn ich dies feststelle, beklage ich das nicht, sondern will vielmehr auf die positiven Auswirkungen hinweisen, die Zuwanderung auf die kulturelle, demografische und wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes hatte und auch in Zukunft haben wird. Neben den Wanderungsbewegungen hat Europa aber auch eine sehr lange humanitäre Tradition bei der Schutzgewährung für Flüchtlinge und Opfer politischer Verfolgung, was insbesondere für Nachkriegsdeutschland aus historischen Gründen ein unverzichtbarer Bestandteil der Rechtsordnung und auch unserer praktischen Politik bleiben muss.

Derzeit gibt es in Deutschland eine Zuwanderung einmal über die Asylantragstellung. Im letzten Jahr sind 95.000 Asylantragsteller registriert worden. Ihre Asylanträge blieben jedoch überwiegend erfolglos. Rund 10 % werden als Flüchtlinge anerkannt. Weitere 25 % der Anträge werden zurückgezogen oder erledigen sich auf andere Weise. Ca. 65 % aller Asylanträge werden abgelehnt. Viele Asylbewerber reisen jedoch nach Ablehnung ihres

Asylgesuchs nicht aus. Häufig kann auch eine Rückführung nicht erfolgen, sodass ein Teil der Asylbewerber trotz Ablehnung der Asylanträge dauerhaft in Deutschland bleibt. Sie erhalten kein Aufenthaltsrecht, sondern werden nur geduldet.

Eine weitere große Gruppe unter den Zuwanderungen - neben denen, die über Asyl einwandern bilden die Spätaussiedler und ihre Familienangehörigen. Auch ihre Zahl ist in den letzten Jahren etwas zurückgegangen. Sie liegt jährlich bei ungefähr noch 100.000 Personen.