Protokoll der Sitzung vom 11.05.2000

(Beifall bei den GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Haus ist wieder sehr unruhig. Ich kann nicht so genau identifizieren, wer es ist. Wenn es weiterhin so unruhig sein sollte, werden wir demnächst gemeinsam eine Pause einlegen müssen. Wenn Sie aber die Tagesordnung und den Zeitrahmen einhalten wollen, bitte ich Sie um etwas mehr Ruhe und Aufmerksamkeit für die jeweilige Rednerin oder den jeweiligen Redner.

Sie haben jetzt die Freude, der Kollegin Körtner zuhören zu dürfen.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil der Kollege Möhrmann eben eine weitgehend historische Betrachtung geliefert hat, aber

nichts gesagt hat, was Unternehmer tatsächlich interessiert, möchte ich hier in aller Kürze für viele der betroffenen kleinen mittelständischen Unternehmer reden und dies ganz konkret am Beispiel des eigenen Betriebs festmachen. Mein Mann hat vor 30 Jahren einen kleinen Tiefbaubetrieb aufgebaut. Er hat in diesen Bereich Geld, Zeit und auch Familienleben investiert. Er hat Arbeitsplätze geschaffen und gesichert. Außerdem hat er ausgebildet. Das sollte seine Altersversorgung sein. Weil kein Familiennachfolger da ist, wie dies auch bei vielen anderen Betrieben der Fall ist, will er seinen Betrieb veräußern. Damit läuft er exakt in die Falle der rot-grünen Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU)

Bleibt der Betrieb Personengesellschaft, wie die meisten Handwerksbetriebe und kleinen mittelständischen Betriebe, verschlechtert sich bei Veräußerung die Versteuerung. Es bleibt gerade einmal die Hälfte dessen übrig, was er sich 30 Jahre lang erarbeitet hat. Wird der Betrieb in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt, vervielfältigt sich de facto der Erlös. Die Chancen des Verkaufs verschlechtern sich aber durch den höheren Kaufpreis so drastisch, dass ein Verkauf quasi unmöglich wird. Man redet davon, die Freigrenzen zu erhöhen, aber die Beträge sind so ineffektiv, dass das illusorisch ist, liebe Kolleginnen und Kollegen. Bewerber, die sich für die Übernahme eines Betriebs interessieren, werden eher einen neuen Betrieb gründen - das ist nämlich weitaus kostengünstiger -, als unter den derzeit angedachten Bedingungen einen bestehenden Betrieb zu übernehmen.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: Können Sie das mal erklären? - Gegenruf von der CDU: Hören Sie mal zu, wie es weitergeht!)

Aber, meine Damen und Herren, bei Neugründungen von Betrieben entstehen naturgemäß weniger Arbeitsplätze. Die Arbeitnehmer im aufgegebenen Betrieb bleiben auf der Strecke.

Das sind keine abstrakten statistischen Zahlen, Herr Finanzminister Aller, sondern Schicksale. Das sind Arbeitnehmer mit Familien - mit Frau und Kindern. Bei uns gibt es nur 25 Betroffene, aber viele andere kleine Unternehmer sind in der exakt gleichen Situation.

Herr Minister, was ist das für ein verheerendes Signal nach außen? Damit schreckt man doch alle

die ab, die jetzt noch den Mut zu dem Risiko haben, zu einer soliden Firmengründung beizutragen. Wenn sie sehen, wie die Betriebsinhaber vom Staat und von der Politik um einen großen Teil ihrer Lebensarbeit betrogen werden, sind sie doch nicht so bescheuert, noch einen neuen Betrieb zu gründen.

(Beifall bei der CDU - Wegner [SPD]: Alle die ich kenne, haben auch noch eine Lebensversicherung!)

Die Baubranche ist eine Schlüsselbranche, meine Damen und Herren. Sie lebt von der Vielzahl der kleinen Betriebe. Wenn die jetzt in ihrer Existenz gefährdet werden, dann dominieren und bestimmen die Großen die Preise. Dann wird Bauen definitiv teurer, die Landeshaushalte werden belastet, und die Säckel der Kommunen ebenfalls.

(Beckmann [SPD]: Das ist ja ein Sze- nario!)

Damit konterkarieren Sie Ihre eigenen Bemühungen.

Herr Finanzminister Aller, ich stelle Ihnen einmal die 25 Leute vor die Tür. Erklären Sie denen einmal, was Sie sich dabei gedacht haben. Ich wünsche Ihnen einen Teil meiner eigenen Betroffenheit.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von der SPD: O Gott! O Gott! - Wegner [SPD]: Einkünfte als Landtagsabge- ordnete und aus Unternehmen! Das ist eine Betroffenheit! - Gegenruf von Möllring [CDU])

Kollege Heineking!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ein ähnliches Beispiel kenne ich aus einem Metall verarbeitenden Betrieb mit 18 Mitarbeitern. Die eigenen Kinder wollen den Betrieb nicht weiterführen. Der Inhaber hat ein Angebot über 600.000 DM bekommen. Er hat 200.000 DM Verpflichtungen errechnet. Der Buchwert geht ab, 400.000 DM muss er versteuern. Einen Freibetrag gibt es nicht mehr, auch die bewussten 60.000 DM nicht.

(Zuruf von Möhrmann [SPD])

- Nein, das ist nicht falsch. Er hat ja keinen Freibetrag mehr. Dann muss er 200.000 DM bezahlen. Früher - vor dem 1. Januar 1999 - hätte er einen Freibetrag in Höhe von 50 % zur Alterssicherung gehabt, was eigentlich richtig ist und was wir alle wollen. Denn dieser Mann hat 40 Jahre lang einen Betrieb geführt, hat für unsere Gesellschaft ausgebildet und Arbeitsplätze geschaffen. Nun gibt er den Betrieb auf und hat 200.000 DM für seine Altersicherung - wenn er denn einen Käufer findet; dies ist nämlich ein Schätzpreis. Er wird jedenfalls nicht weitermachen. Das ist ein ähnlicher Fall, wie ihn Ursula Körtner eben beschrieben hat.

(Möhrmann [SPD]: Er hat aber sonst auch noch Vermögen!)

- Nun hören Sie einmal zu!

Ein anderer Punkt ist die Ökosteuer. 16,7 Milliarden DM zahlt das Verkehrsgewerbe an Ökosteuer. Die Kollegen aus dem Ausland zahlen keine Ökosteuer. In der „Deutschen VerkehrsZeitung“ lesen Sie wöchentlich von zehn bis 15 Insolvenzverfahren deutscher Verkehrsunternehmer.

Die Ausländer unterbieten mit Preisen, fahren hier, zahlen keine Kfz-Steuer, stellen keine deutschen Fahrer mehr ein, sondern kommen mit Polen, Tschechen und anderen, die ein Viertel oder ein Fünftel des Lohnes bekommen, den ein deutscher Fahrer zu Recht verdienen muss. Die Aufträge gehen also weg.

Wenn Sie heute Morgen bei Varta vorbeigefahren sind, konnten Sie sehen, dass dort fünf Fahrzeuge mit der Aufschrift „Willi Betz“ stehen. Nun glaubt vielleicht jeder, dass das ein Mittelständler ist. Das ist aber jemand, der 6.000 Fahrzeuge hat, die zu 90 % im Ausland zugelassen sind. Das muss man wissen. Er zahlt also keine Steuern, er zahlt auch keine Ökosteuer und noch nicht einmal die Mineralölsteuer in Deutschland, und kein Arbeitsplatz mehr - so geht es weiter.

Kollege Adam hat gestern von der Schifffahrt gesprochen. Genauso wird es kommen, weil wir das in Deutschland durch das Steuersystem dermaßen verteuern und nicht begreifen, dass uns die Ausländer unterbieten und dass ein Arbeitsplatz nach dem anderen verloren geht.

Die Wertschöpfung - so hat es uns auch die Landesregierung aufgrund der Anfrage bestätigt - geht verloren; das sind 120.000 DM pro Lkw. Wenn wir so weiter machen, bauen wir die Arbeitsplätze ab. Das ist alles Folge dieser Steuerreform.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Rühl!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mich den Worten der Mittelständler aus unserer Fraktion - denn bei uns gibt es sie - anschließen

(Beifall bei der CDU)

und sie auch als kleine Einzelhändlerin noch einmal bekräftigen. Auch ich möchte Sie fragen: Was werden Sie im Bundesrat unternehmen? Sie machen eine Steuerreform für den Großbetrieb und haben keine Antworten auf die Fragen der Kleinen, Herr Möhrmann.

Ich habe ein Geschäft in einer Kleinstadt, in einer Kreisstadt mit rund 30.000 Einwohnern. Dort gab es eine gut florierende Innenstadt. Die Einzelhändlergemeinschaft hat sich mit über 100 Kollegen zusammengeschlossen. Inzwischen gibt es bei uns Schaufenster, die schon seit sehr langer Zeit mit dem berühmten Zeitungspapier beklebt sind. Wo früher Handelsgewerbe dominierte, findet man heute nur noch einzelne Geschäfte

(Möhrmann [SPD]: Das liegt an der Steuerreform, die noch gar nicht statt- gefunden hat!)

neben Dienstleistern, die eine wesentlich geringere Kundenfrequenz haben.

(Brauns [SPD]: Das habt ihr doch selbst beschlossen!)

- Lieber Herr Kollege Brauns, Sie haben doch nie in Ihrem Leben eine private Mark für fremde Arbeitsplätze investiert. Also sollten Sie sich hier nicht einmischen.

(Beifall bei der CDU - Beckmann [SPD]: Mit dieser Aussage würde ich sehr vorsichtig sein!)

Als Nachbarn habe ich inzwischen Versicherungen und Fahrschulen. Darunter leidet der Einzelhandel.

In dieser für uns existenzgefährdenden Zeit und Situation treten Sie auf mit dem Motto „Steuerreform für die Großen - Beseitigung der Steuererleichterung für die Kleinen“. Das halte ich für sehr gefährlich, um nicht ein anderes Wort zu benutzen. Bei uns gibt es engagierte Menschen, persönlich haftende Existenzgründer und auch Unternehmer.

(Beckmann [SPD]: Ihr habt die Lohn- kosten erhöht, die Steuern erhöht! 16 Jahre lang habt ihr nichts anderes gemacht als erhöht!)

Wir, die kleinen und mittleren Unternehmer, werden über die Zukunft unseres Landes entscheiden. Auch Sie haben das schon einmal gesagt.

(Beckmann [SPD]: Ihr seid doch nur sauer, weil wir so gut klarkommen!)

- Nun ist es gut! - Sie sollten uns fördern, und Sie sollten uns nicht bestrafen. Nach Ihrem Willen sollen wir - wir stellen immerhin 85 % der Betriebe in unserem Land - nicht von der Senkung der Körperschaftsteuer und damit auch nicht von Ihrer Steuerreform profitieren.

(Beifall bei der CDU)

Uns können Sie nur mit einer durchgreifenden und schnellen Senkung des Einkommensteuertarifes helfen. Genau dann erst hätten Sie nämlich die Zeichen der Zeit verstanden.

Lassen Sie mich eines zu heute Morgen sagen. Ihr Ministerpräsident

(Adam [SPD]: Unser! - Weitere Zuru- fe von der SPD)

- Sie sind hervorragend! - hat heute Morgen in der EXPO-Debatte gesagt: Wenn Sie nicht lächeln können, sollten Sie keinen Laden aufmachen. - Ich bitte Sie darum: Bringen Sie uns nicht zum Weinen, und erhalten Sie uns das Lächeln.