Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident Wernstedt, ich darf mich im Namen meiner Fraktion ausdrücklich für Ihre sehr nachdenkliche Rede bedanken.
Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein weltoffenes und ausländerfreundliches Land. Daran darf es keinen Zweifel geben. Aber weil dies so ist und damit dies so bleibt, muss eines völlig klar sein: Wer in unserem Land Menschen Gewalt antut, wer Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer politischen Gesinnung verfolgt, schlägt oder sogar umbringt, der muss wissen, dass unser Rechtsstaat entschlossen dagegen vorgehen und alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen wird, dies in der Zukunft zu verhindern.
Die Menschenwürde zu schützen ist - Herr Professor Wernstedt, Sie haben es gesagt - ein Verfassungsauftrag. Dies ist, meine Damen und Herren, die Aufforderung an den Staat, aber auch an jeden einzelnen Bürger, diesen Auftrag umzusetzen - an jedem Ort, zu jeder Zeit und gegen jedermann.
Meine Damen und Herren, Menschenhetze, das Malen von Hakenkreuzen an Wände, das Verbreiten von neonazistischen Parolen im Internet, das alles müssen wir mit aller Entschiedenheit verhindern.
Es kann einen schon beunruhigen, wenn manche versuchen, Gewalt zu verharmlosen, indem sie sagen, sie täten dies vor einem politischen Hintergrund. Meine Damen und Herren, Gewalt kann man nicht begründen. Dies muss deutlich sein; denn sonst würde man Gewalt auch verharmlosen.
Gewalt kann man auch nicht in rechte Gewalt und in linke Gewalt einteilen. Nein, es muss deutlich werden, dass unser Staat gegen jedwede Form von Extremismus, Gewalt und Fremdenhass vorgeht. Dieses Signal muss auch heute von diesem Parlament ausgehen.
Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist, diesen uns heute vorliegenden Entschließungsantrag so auszuhandeln, und darf mich ganz ausdrücklich auch bei Herrn Möhrmann und Frau Stokar von Neuforn dafür bedanken, dass wir so sachlich und zielorientiert gearbeitet haben. Es wäre wirklich ein fatales Signal gewesen, wenn es uns nicht gelungen wäre, in dieser Frage einig zu sein.
Wir alle müssen natürlich auch von der Geschichte lernen. Die Weimarer Republik ist u. a. auch daran zerbrochen, dass das Bündnis der Demokraten zerschlagen worden ist und nicht gehalten hat. Daran müssen sich auch die jüngeren Politiker meiner Generation immer wieder erinnern. Es ist lange her, aber es ist wichtig, dass wir uns das immer wieder vor Augen führen.
Meine Damen und Herren, es ist schon bedenklich, dass gerade in Niedersachsen im letzten Jahr die Zahl der extremistisch motivierten Straftaten zugenommen hat. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten hat sich sogar verdoppelt. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten ist angestiegen. Aber auch die Zahl der Gewalttaten vor einem ausländerextremistischen Hintergrund hat im letzten Jahr zugenommen. Dies muss man in dieser Diskussion auch sagen.
Es ist deshalb wichtig, dass wir auf alle diese Dinge reagieren, und zwar geschlossen reagieren. Aber ein Appell allein reicht in keiner Weise aus. Wir müssen auch denjenigen, die unseren Appell „null Toleranz gegen Gewalt“ umsetzen müssen, den Rücken stärken und dürfen sie nicht alleine lassen.
Dazu gehören die Polizei, die Justiz und auch der Verfassungsschutz. Die Damen und Herren, die Beamten, die dort ihren Dienst tun, haben einen verdammt schwierigen Job. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle für ihre Arbeit und für ihre Mühe ganz herzlich bedanken.
Natürlich müssen wir die Polizei auch so ausstatten, dass Sonderermittlungsgruppen eingesetzt werden können. Wir müssen sie so ausstatten, dass sie gerade an den öffentlichen Plätzen, wo Extremismus besonders auftaucht, besondere Kontrollen durchsetzen kann. Wir müssen über eine mobile Videoüberwachung nicht nur nachdenken, sondern sie auch so schnell wie möglich ermöglichen. Eine zentrale Erfassung reisender Gewalttäter aus dem extremistischen Bereich durch das Bundeskriminalamt muss selbstverständlich sein.
Genauso müssen wir bei der Justiz anfangen. Wir müssen Schwerpunktstaatsanwaltschaften einrichten, und wir müssen die beschleunigten Verfahren anwenden. Aber ganz wichtig ist auch, dass man auf die Jugendlichen, die hier abrutschen, besonders reagiert. Deshalb ist eine Verzahnung von Jugendsachbearbeitern bei der Polizei, von Jugendgerichtshilfe, von Jugendstaatsanwälten, von Jugendrichtern absolut notwendig, und wir müssen sehen, dass wir das im ganzen Land so schnell wie möglich umsetzen.
Natürlich gehört auch der Verfassungsschutz dazu. Es ist wichtig, dass wir auch den Verfassungsschutz so ausstatten, dass er richtig reagieren kann, dass er die entsprechenden Daten sammeln kann.
Meine Damen und Herren, Herr Professor Wernstedt hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass der Staat allein diese Frage nicht lösen kann. Dann können wir den Extremismus in unserem Land nicht sinnvoll bekämpfen. Nein, es ist ein Aufruf an uns alle. Die Gesellschaft ist gefordert, sich auch tatsächlich gegen Extremismus einzusetzen. Wir brauchen eine Zivilgesellschaft. Wir brauchen eine Gesellschaft mit Zivilcourage. Deshalb ist es richtig, dass wir auch in unserem Antrag besonders darauf hinweisen und unsere Bürgerinnen und Bürger ermuntern, sich wirklich zu engagieren und wachsam zu sein.
Meine Damen und Herren, 7 % der 8 Millionen Menschen in Niedersachsen sind Ausländer. Insofern ist klar, dass wir alles daran setzen müssen, eine Integration in unserem Land hinzubekommen. Integration bedeutet, dass man aufeinander zu geht. Wir müssen natürlich sehen, dass man Toleranz gegenüber anderen Lebensformen und anderen Kulturen übt. Dafür, meine Damen und Herren, ist die EXPO ein wunderbares Beispiel. Deshalb ist es auch so wichtig, dass alle Schülerinnen und Schüler in unserem Lande zu dieser EXPO gehen, um dieses friedliche Miteinander der Kulturen zu erleben.
Zur Integration gehört aber auch, dass man sich in die Gesellschaft einbindet, hier aufeinander zu geht und versucht, hier heimisch zu werden. Deshalb hat die CDU-Fraktion zu Beginn dieser Legislaturperiode eine Anhörung zu diesem Thema durchgeführt, an der u. a. Professor Pfeiffer und auch Herr Minnier vom Verfassungsschutz teilgenommen haben. Wir haben ein Aktionspaket für Integration geschnürt. Leider ist es damals nicht möglich gewesen, hier die Schritte umzusetzen, über die wir diskutieren wollten. Die gemeinsame Zusammenarbeit bei der Erarbeitung des vorliegenden Entschließungsantrages hat aber letztendlich dazu beigetragen, dass wir in dieser Frage aufeinander zu gegangen sind. Ich würde mich freuen, wenn von hier nun auch das Signal ausgehen würde, dass es notwendig ist, bei der Integration gemeinsam verstärkte Anstrengungen zu unternehmen. Ich meine, das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Bei der Integration haben die Medien - lassen Sie mich auch das noch sagen - durchaus einen ganz wichtigen Auftrag. Es ist richtig und wichtig, dass über Gewalttaten, über Extremismus - auch in Sondersendungen - berichtet wird. Genau so wichtig aber ist es, dass auch über Alltäglichkeiten und über das Miteinander von Deutschen und ausländischen Mitbürgern berichtet wird. Wenn dies in den Zeitungen jetzt verstärkt geschieht, so ist dies völlig richtig. Das Beispiel, dass ein Deutscher eine Geldbörse mit viel Geld verloren hat, ein türkischer Jugendlicher diese Geldbörse findet, sie am nächsten Tag abgibt und der Finder auf die 10 % Finderlohn verzichtet, weil es in der Türkei völlig normal ist, eine Fundsache abzugeben, wäre in der Presse sehr viel mehr wert, als über andere
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Herrn Professor Pfeiffer genannt. Herr Präsident Wernstedt, auch Sie haben darauf hingewiesen, dass die Tatsache, dass insbesondere sehr viele Jugendliche für extremistische Parolen empfänglich sind, sehr nachdenklich stimmen muss. Deshalb müssen wir gerade an dieser Stelle ansetzen. Hier hat natürlich die Familie eine ganz wichtige Rolle zu übernehmen. Die Erziehungsberechtigten dürfen wir in dieser Frage nicht aus der Verantwortung entlassen. Dieses wäre schlecht. Meine Damen und Herren, der Staat muss die Familien, die Eltern bei ihrer Erziehungsaufgabe aber unterstützen. Wir müssen versuchen, Freiräume zu schaffen, damit die Kinder so erzogen werden, wie man es sich wünscht.
Meine Damen und Herren, wenn man als junger Familienvater und Politiker über Familienförderung und den Erziehungsauftrag spricht, wird man selber nachdenklich, weil man sich fragt, ob man in dieser Frage wirklich immer die richtigen Prioritäten setzt. Deshalb sollten wir darauf achten, dass wir die Kindererziehung gerade in der Familie ganz besonders unterstützen.
Aber auch die Schule spielt hier eine ganz besondere Rolle. Deshalb müssen wir alle Anstrengungen unternehmen, um die Bildungsfrage in den Vordergrund unserer Debatten zu stellen. Wir können die Augen nicht vor der Situation in den meisten Grundschulen verschließen, wo der Ausländeranteil zum Teil 50 % oder 60 % beträgt. Dies sollten wir in keiner Weise beklagen. Natürlich sagt die Sozialforschung: Je früher man dies als eine Selbstverständlichkeit ansieht, desto weniger Gefahr besteht, dass man das Lernen mit anderen Kulturen falsch versteht.
Es wäre nun aber fatal, wenn wir die Lehrerinnen und Lehrer mit dieser Aufgabe allein ließen, meine Damen und Herren. Wir müssen stattdessen versuchen, sie zu unterstützen. Ich meine, das ist ein ganz wichtiger Beitrag zur Integration sowie gegen Fremdenhass und Extremismus.
Insgesamt müssen wir darüber nachdenken, ob wir in den Erziehungsbereich, aber auch in den schulischen Bereich insgesamt mehr christlichhumanistische Werte hinein nehmen sollten. Wir müssen über Extremismus in der Gesellschaft sprechen. Wir dürfen nicht einfach nur so tun, als wenn es sich hier um eine Randerscheinung handelt. Wir müssen die Gesellschaft auffordern, sich damit auseinander zu setzen.
Ich selbst, meine Damen und Herren, gehöre ja der jüngeren Generation an. Wir alle aber kennen nichts anderes als eine freiheitlich demokratische Republik, einen Rechtsstaat. Wir haben dies als Selbstverständlichkeit hingenommen. Ich meine aber, dass wir uns auch darüber Gedanken machen müssen, dass es nicht nur eine Form ist, um zu regieren, sondern dass es auch eine Lebensform ist. Wir müssen den Wert des Rechtsstaates, der freiheitlichen Demokratie, nicht nur in die Köpfe der Menschen wieder zurückholen, sondern meiner Ansicht nach auch in die Herzen der Menschen; denn wenn wir es nicht schaffen, den tatsächlichen Wert der freiheitlichen Demokratie in unserem Lande insgesamt so darzustellen, dann werden wir auch den Extremismus nicht bekämpfen können. So aber bin ich sicher: Wenn wir hier im Landtag so debattieren, wenn von diesem Landtag ein Signal ausgeht und wir es schaffen, darüber nicht nur zu reden, sondern auch etwas umzusetzen, dann wird unser Land ganz sicher auch in Zukunft ein weltoffenes und ausländerfreundliches Land bleiben. - Vielen Dank.
Meine Damen und Herren, als Nächste hat Frau Kollegin Harms ums Wort gebeten. Bitte schön, Frau Harms!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir sind hier in Niedersachsen mit der Landtagsdebatte zum Rechtsextremismus ja spät dran. Gegenseitige Appelle, starke Erklärungen und große Worte hatten wir in diesem Sommer schon reichlich. Ich meine, dass die Politik jetzt die Aufgabe hat, diese aufgeregte und laute Diskussion des Sommers verantwortlich weiter zu führen, und zwar ganz in dem Sinne, in dem es Herr Wernstedt hier mit seinen einleitenden Sätzen für die SPD-Fraktion
bereits versucht hat: Richtige und ehrliche Analysen der verschiedenen Ereignisse und ihrer Hintergründe und daraus resultierende Handlungen im Land Niedersachsen, darum sollte es uns gehen. Die Diskussion um die neue Rechte, um Ausländerfeindlichkeit sowie um Gewalt gegen Fremde und Schwache ist in den letzten Jahren ja immer wieder einmal aufgeregt geführt worden. Sie ist aber immer kurzatmig geblieben. Brennende Flüchtlingsunterkünfte, die Wahlerfolge der DVU waren zwar immer wieder Anlass, aber auf Zeiten von Aufregung und Betroffenheit folgten dann aber immer wieder auch Zeiten des Verdrängens und Verleugnens.
Was folgt jetzt nach diesem Sommer 2000? Schaffen wir es dieses Mal, aus dieser kurzatmigen Empörung herauszukommen? - Ich frage dies hier, weil ich im Gegensatz zu meinem Vorredner daran zweifle. Das sind keineswegs behagliche, sondern sehr unbehagliche politische Zweifel; denn wir hätten in der Tat nichts lieber als eine breite politische Einigkeit gegen die neuen Rechten. Auch wenn sich die Probleme in Niedersachsen ganz anders darstellen als in den neuen Bundesländern, so meine ich, dass dieses sehr weltoffene und tolerante Land, das in der Überschrift des Antrags genannt ist, von uns noch aufgebaut werden muss.
Meine Damen und Herren, ein Programm gegen rechts ist leicht gezimmert, besonders dann, wenn es sich auf Postulate, auf fünf neue Sozialarbeiterstellen bei der Polizei und auf unbestimmte Integrationsmaßnahmen beschränkt und außerdem noch haushaltsneutral ist. Wenn Sie das schon für ein Programm halten sollten, Herr Ministerpräsident, dann hätte ich mich bisher in Ihnen getäuscht. Für uns ist das noch kein vollständiges und adäquates Programm.
Meine Damen und Herren, aus der Debatte des vergangenen Sommers bleiben für mich sehr viele Fragen offen. Zwei unbeantwortete Fragen möchte ich hier stellen:
Erstens. Wo verläuft die Grenze zwischen zu verfolgender Ausländerfeindlichkeit und populistischer Stimmungsmache mit Parolen wie „Kinder statt Inder“ oder „Das Boot ist voll“?
Ich möchte mit niedersächsischen Beispielen antworten: Wenn auf dem Höhepunkt der Debatte um Ausländerfeindlichkeit in Celle im Konsens aller Parteien einschließlich der Grünen eine Mauer zwischen Deutschen und Flüchtlingen gebaut wird - gleichsam eine Mauer gegen das Fremde -, dann zeigt das grell den schlechten Stand von Integration und Anerkennung.
Wenn in Leer eine Wählergemeinschaft unter Führung eines bekannten rechtsradikalen, antisemitischen und rassistischen Hetzers an die 20 % der Stimmen erzielt, wie wiederholt geschehen, dann zeigt auch das etwas über die Verankerung rechten Denkens in der Gesellschaft.
Bleiben wir zunächst in der Mitte der Gesellschaft. Viele haben sich im Sommer mit starken Forderungen nach law and order, die ich jetzt auch wieder gehört habe, zu Wort gemeldet. Darunter waren auch Politiker, die in den letzten Jahren meiner Meinung nach wiederholt unverantwortlich gehandelt haben, und zwar wegen der Lufthoheit über dem deutschen Stammtisch.