Protokoll der Sitzung vom 15.12.2000

Aber tatsächlich ist es doch so, Herr Gabriel, dass um Sie herum nicht die Loyalität wächst - das haben wir ja monatelang aufgrund des guten Nachrichtenflusses aus der Staatskanzlei rund um die Kabinettsumbildung sehen können -, sondern eigentlich Zynismus.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Das ist das Ergebnis eines Jahres Gabriel, und auch das ist eine Grundhaltung in der Politik, die für das Land Niedersachsen nur schlecht sein kann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, vor einem Jahr übernahm Sigmar Gabriel sein Amt mit der Parole „Macht braucht Regeln“. Wir alle erinnern uns an Ihren Ehrenkodex, Herr Ministerpräsident, und an die fast als Moraltournee zu bezeichnende Tournee durch die Talkshows des deutschen Fernsehens. Ein Jahr später bilanzieren wir tatsächlich - damit hat mich Herr Wulff korrekt zitiert - die Entzauberung eines Nachwuchsstars anhand folgender Fragen oder auch Erinnerungen:

Herr Ministerpräsident, welche Rolle spielten Sie denn nun wirklich beim Rücktritt Ihres Vorgängers? Wie war das damals eigentlich, als Gerhard Glogowski den NORD/LB-Aufsichtsratsposten zugeschustert bekommen sollte? Was wussten Sie vom Preussag-Deal? Wie dick war die Luft, als die Staatssekretäre und Pressesprecher der Ministerien für Ihre unzulängliche 100-Tage-Bilanz seinerzeit noch vor dem Frühstück gehörig zusammengefaltet wurden?

(Ministerpräsident Gabriel: Zehn Jah- re!)

- 100-Tage-Bilanz!

(Ministerpräsident Gabriel: Zehn Jah- re!)

- 100 Tage! Das mischte sich damals unglücklich, aber dass Sie immer gerne die Früchte anderer bilanzieren, das wissen wir.

(Zuruf von Fischer [CDU])

Wie war das mit der Kultusministerin, die für ihren Protest gegen den Orientierungsstufenalleingang des Ministerpräsidenten nur knapp dem Rauswurf entging und die dann meinte, Herr Gabriel habe ein Problem mit starken Frauen? Ist da etwas dran? Wie leidensfähig ist eigentlich ein Fraktionsvorsitzender, Herr Plaue, der sich von seinem Ministerpräsidenten auf der Pressekonferenz zur Kabinettsumbildung mit der Frage „Ist der auch hier?“ suchen lässt?

(Lachen bei der CDU)

In der Folge ertragen Sie dann sogar, dass im Kabinett von den „Flaschen in der SPD-Fraktion“

gesprochen wird, und Sie selbst machen dann auch noch so weiter, indem Sie von den „suboptimalen Leuten“ in der eigenen Fraktion sprechen.

(Plaue [SPD]: Davon ist überhaupt nie die Rede gewesen! Sie erfinden ein Zitat!)

Was ist das nur für ein Stil, wenn ein Ministerpräsident in einer Plenarsitzung offensichtlich Teile des Parlaments und der Presse als „johlende Meute“ bezeichnet, Herr Ministerpräsident? Wie ist es zu bewerten, wenn der Chef seine drei Minister dazu bringt, teilweise gegen ihren Willen ihren Rücktritt einzureichen, damit auch das Parlament nach Gabriels Regeln funktioniert, und dann am Ende bestimmt nicht der letzte, aber der bisher letzte Fall, nämlich der Fall Trauernicht, steht?

Beim EXPO-Defizit war es ja so, dass der Kanzler dem vorlauten kleinen Bruder noch einmal aus der Patsche helfen musste.

(Wulff (Osnabrück) [CDU] an die SPD gewandt: Ihr könnt ruhig mal klatschen!)

Gestern war dann die Solidarität des Genossen Runde in Hamburg zum Ausputzen gefragt. Für uns ist es also tatsächlich eine eher traurige Bilanz, was den Ablauf angeht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Ich habe voller Staunen vor einigen Tagen im "Weser-Kurier" die Schlagzeile gelesen: „Mir ist kein Auftritt missglückt“. - Sigmar Gabriel über Sigmar Gabriel.

(Lachen bei der CDU - Möllring [CDU]: Plaue, dachte ich!)

Entweder, Herr Gabriel, Sie haben ein Double, das für die Misserfolge verantwortlich ist, oder Sie haben tatsächlich ein Wahrnehmungsproblem, und das kann man sich in Ihrem Amt nicht leisten. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Starker Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Herr Kollege Plaue, bitte!

(Möllring [CDU]: Dem geben Sie aber bitte eineinhalb Stunden!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer geglaubt hat, dass sich die Schlusserklärungen der Fraktionen zu dem Haushaltsplan, den wir hier über fast zwei Tage beraten haben, mit dem Haushalt beschäftigen, also etwas zum Thema beitragen, sah sich mindestens bei dem Beitrag von Herrn Kollegen Wulff gründlich getäuscht.

(Beifall bei der SPD - Fischer [CDU]: Dann wollen wir mal sehen, was jetzt kommt!)

Da ging es um nichts anderes als um das, was wir von Ihnen, Herr Wulff, gewohnt sind: Wenn Sie dicke Backen machen und der Mund aufgeht, um stakkatohafte Reden herauszulassen: nichts als heiße Luft, nichts zu dem, was die Menschen in Niedersachsen wirklich berührt.

(Beifall bei der SPD)

Herr Kollege Wulff, wir haben uns als Landespolitiker - Sie sollten das in der Niedersächsischen Verfassung noch einmal nachlesen - den landespolitischen Problemen zu widmen und haben Landespolitik zu gestalten. Ihr Ausflug in die Bundespolitik, der sich im Wesentlichen nur auf Ihre eigene Karriere bezieht, Herr Kollege Wulff, der mag ja aus Ihrer Sicht verständlich sein, aber der muss doch nicht vom niedersächsischen Steuerzahler bezahlt werden.

(Beifall bei der SPD)

Und dann, Herr Kollege Wulff, Ihr Beitrag zur sozialen Verantwortung für die Menschen in den Bundeswehrstandorten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da sind mir fast die Tränen gekommen, aber nicht Tränen der Rührung, sondern Tränen der Wut. Sie haben 16 Jahre lang zugelassen, dass in dieser Bundesrepublik Deutschland ein Sozialabbau stattgefunden hat, den Sie bejubelt und nicht bekämpft haben, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Wulff (Osna- brück) [CDU]: Und das war jetzt keine Bundespolitik?)

Herr Kollege Wulff, Sie haben zu einem Zeitpunkt, als die Vorgänger des Kollegen Scharping - CDUVerteidigungsminister! - niedersächsische Stand

orte geschlossen haben, klein beigegeben und geschwiegen und haben uns die Arbeit machen lassen, dagegenzuhalten.

(Beifall bei der SPD - Fischer [CDU]: Was? - Lachen bei der CDU)

Nein, meine Damen und Herren, sowohl an diesem Landeshaushalt als auch an der Politik der letzten Jahre können wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten deutlich machen, dass wir auch dann gegen eine Bundespolitik stehen, wenn dort unsere Leute die Mehrheit haben. Wir vertreten die Interessen des Landes. Erst das Land, dann die Partei, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD - Lachen bei der CDU - Möllring [CDU]: Besonders bei Genossin Trauernicht! - Fischer [CDU]: Erst Trauernicht, dann Trau- erfall!)

Herr Kollege Fischer, ich empfinde es geradezu als Hohn, als einen Schlag ins Gesicht hier anwesender Personen, wenn der Kollege Wulff, der zu der Zeit, als Gerhard Glogowski Ministerpräsident gewesen ist, keine Gelegenheit hat vergehen lassen, ihn persönlich anzugreifen,

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Sollte ich ihn im Amt halten?)

uns Mobbing vorwirft. So geht das nicht, Herr Wulff!

(Beifall bei der SPD - Fischer [CDU]: Sie zerren ihn vom Stuhl, und wir sollen ihn anschnallen?)

Aber so ist das nun einmal: Es geht nicht um die Sache, meine Damen und Herren. Es geht Ihnen auch nicht darum, einen besseren, einen alternativen Politikentwurf vorzulegen. Es geht Ihnen um Angriffe auf die Person, und da schrecken Sie auch nicht vor Schlägen unterhalb der Gürtellinie zurück.

(Frau Pawelski [CDU]: Das sagt ein Herr Plaue!)

Wenn Sie Frau Trauernicht etwas vorwerfen - -

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Nein, Herrn Gabriel!)

- Nein, Herr Kollege Wulff, ich habe Ihre Sozialneidkampagne sehr wohl verstanden.

(Beifall bei der SPD - Wulff (Osna- brück) [CDU]: Sozialneidkampagne?)

Wenn Sie Frau Trauernicht etwas vorwerfen, dann sagen Sie bitte dem Publikum hier im Saal und auch den Menschen draußen im Lande: Hier sitzen in allen Fraktionen 65 Abgeordnete, die vor ihrer Zeit als Abgeordnete Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes waren. Keine und keiner von denen hat auf ihr oder sein Rückkehrrecht verzichtet, und das ist auch richtig so, meine sehr verehrten Damen und Herren.