Protokoll der Sitzung vom 24.01.2001

Es war, wie wir heute wissen - das gehört hier hin -, eine unglaubliche Unredlichkeit, den Verbraucherinnen und Verbrauchern vor dem Hintergrund dieses Schreibens der EU-Kommission an die Bundesregierung im April letzten Jahres weiterhin zu erklären, BSE gehe an Deutschland vorbei, und BSE gebe es in Deutschland nicht. Es gibt dadurch einen großen Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Politik im Hinblick auf Verbraucherschutz, und wir sind darüber empört, dass statt einer gewissen Selbstkritik, und zwar aller Parteien und Politiker, insofern die Flucht nach vorn angetreten wurde, als man die Bauern zum Anlass genommen hat, ihnen ideologisch motiviert einen Vorwurf aus der konventionellen Landwirtschaft zu machen und sie undifferenziert zu verteufeln.

(Beifall bei der CDU)

Die Regierungserklärung war insofern natürlich ermutigend, als jetzt eben klar ist: Schwarze Schafe gehören sanktioniert - bei Bauern, bei Futtermittelherstellern und bei Lebensmittelproduzenten. Aber es ist unzuträglich, den gesamten Berufsstand der Bauern zu diffamieren, wie es im Dezember in Deutschland und in Niedersachsen geschehen ist.

(Beifall bei der CDU)

Die Bauern in Niedersachsen sind in ihrer überwältigenden Mehrheit Opfer und nicht Täter, und deswegen dürfen sie auch nicht als solche diffamiert werden, wie das leider Anfang Dezember durch Herrn Gabriel geschehen ist.

(Beifall bei der CDU)

Es war ein großer Fehler, die Landwirtschaft gegen die Verbraucher auszuspielen, die Landwirte für die BSE-Krise verantwortlich zu machen und die Spaltung der Gesellschaft zwischen Verbrauchern und Bauern zu betreiben; denn Bauern sind auch Verbraucher, und jede Bäuerin und jeder Bauer weiß, dass man auf Dauer nur eine Urproduktion leisten und Produkte absetzen kann, wenn dabei gesunde, verträgliche, hochwertige und qualitativ gute Lebensmittel entstehen. Deswegen beteiligen wir uns nicht an der Diffamierung unserer Landwirte.

(Beifall bei der CDU)

Wir weisen häufig darauf hin, dass die Landwirte das schwächste Glied in der Kette der Nahrungsmittelproduktion sind. Deshalb konnten wir nicht verstehen, dass man die Landwirte als Agrarindustrielle, als Massentierhalter für die BSE-Tragödie verantwortlich zu machen versucht.

(Ehlen [CDU]: Unerhört!)

Bar jeder Kenntnis hat Herr Gabriel noch am 8. Dezember von industrieller Agrarpolitik in Deutschland gesprochen

(Frau Harms [GRÜNE]: Haben Sie das immer noch nicht gelernt, Herr Wulff?)

und wörtlich gesagt, das rot-grüne Bündnis müsse die totale Umkehr in der Agrarpolitik zu seinem Projekt machen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Wenn er das einmal tun würde!)

Diese „totale Umkehr in der Agrarpolitik“ haben wir heute in der Regierungserklärung so nicht mehr gefunden, und wir führen das darauf zurück, dass man sich inzwischen sachkundig gemacht hat.

Wir sind dankbar, dass Landwirtschaftsminister Bartels darauf hingewiesen hat, dass 98 % der Höfe in Niedersachsen bäuerliche Betriebe, Kleinstunternehmen, sind und dass die meisten Betriebe zu klein sind - so Herr Bartels richtiger

weise -, um ein halbwegs angemessenes Familieneinkommen zu erwirtschaften. Ich schließe mich ausdrücklich den Zahlen von Herrn Gabriel zur durchschnittlichen Betriebsgröße an, die er genannt hat: kaum mehr als 30 Milchkühe, nicht einmal 60 Rinder, weniger als 50 Zuchtsauen und annähernd 100 Mastschweine. Das ist die durchschnittliche Struktur bäuerlicher Familienbetriebe. Die großen Betriebe gibt es im Bereich der Massentierhaltung bei der Geflügelhaltung und in den neuen Bundesländern. In Niedersachsen ist die Landwirtschaft nach wie vor bäuerlich geprägt.

Dies entspricht seit langem unserem Leitbild. In der letzten Woche wurde die „Grüne Woche“ in Berlin eröffnet, und dort hat der Präsident des Dachverbandes Deutscher Bauernverbände, Herr Klamroth aus Sachsen-Anhalt, wörtlich formuliert: Wir erwarten ein Gesetz für eine neue Agrarpolitik zum Schutz der bäuerlichen Landwirtschaft und eine Abgrenzung zur industrialisierten Tierhaltung, aufbauend auf den Gesetzesinitiativen der Bundesländer Bayern und Niedersachsen von 1987. 1987 hat die damalige CDU-Landesregierung in Niedersachsen eine Gesetzesinitiative im Bundesrat betrieben, um gerade die bäuerliche Landwirtschaft zu stärken, die hof-, betriebs- und flächenbezogen wirtschaftet, und gegen Agrarfabriken und industrialisierte Tierhaltung Front gemacht. Heute wissen wir, dass dieses Bestreben notwendig und richtig ist. Aber immer mehr Landwirte sind eben nicht mehr so wettbewerbsfähig gewesen, weshalb sie vom Markt verdrängt worden sind.

Es gibt allerdings keine seriöse Untersuchung, die belegen könnte, dass in Ställen mit 200 Rindern mehr BSE-Fälle zu finden sind als in Betrieben mit jeweils 20 Rindern. Wir wissen einfach wahnsinnig wenig. Vielleicht muss man in der Politik auch eher einmal einräumen, dass man verdammt wenig weiß,

(Zustimmung von Eveslage [CDU])

als jetzt schon wieder so zu tun, als wüsste man alles und müsste jetzt dieses und jenes tun, um sich hinterher zu fragen, ob es das denn gewesen ist.

(Beifall bei der CDU)

Ich halte es für einen gigantischen ethischen Skandal, dass wir Wiederkäuer in der Tierzucht in Deutschland zu Fleischfressern, zu Kannibalen gemacht haben. Das ist glücklicherweise seit 1994 verboten, aber offensichtlich hat es danach Verstöße gegeben.

(Brauns [SPD]: Leider!)

Aber auf die Frage, ob man dann aus Fleischfressern Vegetarier machen müsse und keine tierischen Eiweiße mehr verfüttern dürfe, sagen Sie: Nein! Aber gerade das ist ja gerade beschlossen worden, dass man also Tiermehl überhaupt nicht mehr - an kein Tier mehr - verfüttern darf. Insofern geschieht also genau dieser Vorgang.

(Beifall bei der CDU)

Ich meine, dass wir sehr differenziert an die Dinge herangehen müssen, und dabei dient es der Sache eben nicht, wenn man ein Ablenkungsmanöver startet und die Landwirtschaft an den Pranger stellt.

Wahrscheinlich war es mit Herrn Ministerpräsident Gabriel wieder so, dass erst einmal ohne nachzudenken vorgeprescht und dann - was die Leute ja leid sind - mit der inzwischen eingekehrten Sachkenntnis nachgelegt wurde.

Man muss auch denen von den Grünen, die alles immer ganz genau wissen, immerhin den Hinweis geben, dass wir heute ausschließlich deshalb in der Lage sind, BSE-Tests durchzuführen und BSE nachzuweisen, weil vorher gentechnisch veränderte Mäuse dazu genutzt worden sind, um diesen Test zu entwickeln.

(Zuruf von Frau Harms [GRÜNE])

Ohne die gentechnisch veränderte Maus - das mag für Sie nicht angenehm sein, Frau Harms, aber es ist die Wahrheit - hätten wir heute keine Testverfahren, um BSE im Gehirn von Rindern am toten Rind nachzuweisen. Nur mit der genmanipulierten Maus ist das möglich gewesen.

(Beifall bei der CDU)

Ich empfehle Ihnen insofern einen Besuch beim Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Dort wird man Ihnen das im Detail vorlegen.

(Frau Harms [GRÜNE]: Ich empfehle Ihnen aber auch die Befassung mit Alternativen! Das könnte notwendig werden!)

- Es sind viele Alternativen denkbar, aber der Schnelltest, der zurzeit angewendet wird, ist entwickelt worden.

Mir ist wichtig, dass wir das Staatsversagen einräumen - dass nämlich in Deutschland der Staat bei der Bekämpfung, Vorbeugung, Kontrolle und bei den Sanktionen und Regelungen versagt hat. Wir auf den staatlichen Ebenen haben uns kein gutes Zeugnis ausgestellt. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden.

(Beifall bei der CDU)

Nun darf man aber nicht zu lyrisch werden,

(Schurreit [SPD]: Das stimmt!)

weil die Dinge erst dann spannend werden, wenn sie konkret sind. Trotzdem ist es gut, wenn es Ansatzpunkte für Gemeinsamkeit gibt. Ich möchte ausdrücklich betonen, dass die Ziele, die die Landesregierung eben für die Agrarpolitik der Zukunft formuliert hat, auch unsere Ziele sind, dass sie allerdings auch schon die Ziele für die Agrarpolitik der Vergangenheit waren. Ob die Ziele erreicht wurden und auf welchem Wege sie zu erreichen sind, ist die Frage, über die im Parlament zu streiten ist. Aber die Ziele werden von uns ausdrücklich geteilt, und zwar seit vielen Jahren. „Klasse statt Masse“ ist wahrlich keine neue Erfindung; das finden Sie in allen unseren Konzepten - nämlich Nahrungsmittel umwelt- und tierschutzgerecht zu erzeugen. Die Verbraucher müssen sicher sein, dass sie absolut gesunde Lebensmittel erhalten, und den Menschen in der Landwirtschaft muss eine wirtschaftliche Perspektive gegeben werden.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Frau Harms [GRÜNE])

Ich gehe insofern darüber hinaus und weise darauf hin, dass es beim Gesundheitsschutz, beim Lebensschutz und beim Verbraucherschutz keine Kompromisse geben kann, sondern der Verbraucherschutz ist das Entscheidende, das über allem Tun und Handeln steht. Wir werden viel mehr als je zuvor darauf zu achten haben, dass nur über den Verbraucherschutz das Vertrauen der Verbraucher in die Produkte aus Niedersachsen, aus Deutschland wieder hergestellt werden kann.

Wenn wir hier selbstkritisch fragen, wer auf was hingewiesen und wer etwas falsch gemacht hat, gehört zur Wahrheit dazu, dass Bundeskanzler Schröder als Ratspräsident in der Europäischen Union vor zwei Jahren die Agenda 2000 mit Eckpunkten auf den Weg gebracht hat, die für die künftige europäische Landwirtschaft sinkende Preise und einen sich deutlich verschärfenden

Wettbewerb vorsehen. Gerade Bundeskanzler Schröder hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die nationale wie internationale Wettbewerbsfähigkeit entscheidend sei, um sich auf Marktöffnung, Osteuropa und Globalisierung einzustellen.

Vor diesem Hintergrund ist es falsch gewesen, den einzelnen bäuerlichen Betrieb von allen Seiten so weit zu knebeln und zu benachteiligen, dass dort immer mehr zu immer schlechteren Bedingungen produziert werden musste, um überleben und den Betrieb fortführen zu können. - Das war wirkliches Politikversagen.

(Beifall bei der CDU)

Die ökologische Steuerreform, die Steuerreformen 1999 bis 2002, das Steuerentlastungsgesetz und das Zukunftsprogramm haben - seriös nachgerechnet; das wird selbst vom Bundeslandwirtschaftsministerium zugestanden - Belastungen in Höhe von insgesamt 3 Milliarden DM für die Landwirte in Deutschland bedeutet. Das waren für einen durchschnittlichen Betrieb in Niedersachsen 12 000 DM in einem Wirtschaftsjahr.

(Zuruf von Hagenah [GRÜNE])

Wir - die Politiker - haben den Landwirten gesagt, sie müssten wachsen oder weichen. Das war die Devise der Landwirte. Sie wuchsen, sie stallten auf, sie erweiterten, oder sie mussten vom Markt verschwinden.

(Frau Harms [GRÜNE]: Da gab es aber keine Ökosteuer, als das immer stärker wurde!)