Protokoll der Sitzung vom 24.01.2001

Umso wichtiger ist es, dass auch hier Chancen genutzt und neue Wege eingeschlagen werden. Wie ich bereits ausgeführt habe, wird die Kommission „Zukunft der Landwirtschaft“ einen umfangreichen Fragenkatalog abarbeiten. Hierzu zählen auch konzeptionelle Überlegungen über die Zukunft der Landwirtschaft. Ich habe die Hoffnung, dass die Ergebnisse der Kommission uns unterstützen werden, den Wandel zu gestalten.

Wir wollen aber beim Bund und vor allem bei der Europäischen Union darauf hinwirken, dass sich die Landwirtschaftspolitik stärker als bisher an Verbraucherinteressen und Nachhaltigkeitszielen ausrichtet. Wir wollen deshalb eine besondere Förderung einer artgerechten und flächengebundenen Tierhaltung. Ziel ist die Abkehr von der Massentierhaltung ohne Futterbasis im Betrieb. Die regionale Vermarktung von Qualitätsprodukten bietet neue Chancen.

Wir wollen eine Verstärkung und Förderung des Anbaus von Eiweißfutterpflanzen. Er wird dem erheblich gestiegenen Nachfragepotential durch die Umstellung in der Futtermittelherstellung Rechnung tragen.

Wir wollen die Einführung einer neuen Grünlandprämie. Auf diese Weise sollte die Flächenbindung in der Tierhaltung verstärkt, die Landschaftspflege verbessert und das Prämiensystem bei der Rinderhaltung deutlich verschlankt werden. Die Forderung nach einer solchen Grünlandprämie, meine Damen und Herren, erhebt das Land Niedersachsen übrigens bereits seit 1992.

Im Übrigen sollte insgesamt das Flächen- und Tierprämiensystem daraufhin überprüft werden, die Möglichkeiten für höhere Standards im Verbraucher-, Umwelt- und Tierschutz in der landwirtschaftlichen Erzeugung auszuschöpfen. Das muss das politische Ziel sein, dass wir nur noch dort, wo hohe Standards in der Verbraucher-,

Umwelt- und Tierschutzpolitik gehalten werden, überhaupt Flächen- und Tierprämien zahlen.

Meine Damen und Herren, es ist selbstverständlich und unverzichtbar, dass solche Standards dann auch für Waren gelten müssen, die wir im Rahmen der WTO-Verpflichtungen aus Ländern einführen, die nicht zur Europäischen Union gehören.

(Beifall bei der SPD)

Die eigene Wirtschaft mit hohen Auflagen zu belegen, dann aber zu importierten Produkten zu greifen, die diesen Standards nicht entsprechen und deshalb billiger angeboten werden können, das ist weder konsequent für den Verbraucherschutz noch fair gegenüber unseren eigenen Erzeugern.

(Beifall bei der SPD)

Der niedersächsische Landwirtschaftsminister hat diese Punkte bereits während der Beratung für die Agenda 2000, also seit dem Sommer 1997, immer wieder an die entsprechenden Stellen gebracht. Ich bin sicher, dass wir damit in Zukunft größere Chancen auch in der Europäischen Union haben werden.

Meine Damen und Herren, die Landesregierung wird die notwendigen Maßnahmen treffen, damit am Ende der nächsten Legislaturperiode auf 10 % der landwirtschaftlich bearbeiteten Fläche in Niedersachsen nach den Kriterien des ökologischen Landbaus produziert wird. Klar ist, dass die Umstellung auf den ökologischen Landbau nicht für alle Landwirte eine Perspektive sein kann, aber die Wirtschaftsweise des ökologischen Landbaus zeichnet sich durch eine besondere Umweltverträglichkeit aus. Sie schafft darüber hinaus sichere Arbeitsplätze im ländlichen Raum.

Derzeit gibt es in Niedersachsen 750 Biobetriebe. Der Markt bietet aber Platz für deutlich mehr Biobauern. Wir haben in diesem Bereich Nachholbedarf. Die Nachfrage nach Erzeugnissen aus ökologischem Landbau war übrigens auch schon vor dem BSE-GAU in Deutschland größer als das Angebot. Ich habe mit dem neu gegründeten Ökolandbaurat verabredet, dass wir jetzt folgende Maßnahmen umsetzen werden:

Erstens. Wir greifen die Idee der Ökolandbauverbände auf und unterstützen die Einrichtung eines Kompetenzzentrums Ökolandbau in Walsrode. Die Beratung der umstellungswilligen Betriebe muss

effektiver werden. Dafür werden wir 1 Million DM bereitstellen.

Zweitens. Wir starten gemeinsam mit den Verbänden des Ökolandbaus eine breit angelegte Kampagne für Bioprodukte und verstärken damit das, was mit bereits stattgefundenen Aktionstagen begonnen hat.

Drittens. Wir werden darüber hinaus eine Informationskampagne für Landwirte zur Umstellung auf den ökologischen Landbau durchführen.

Viertens. Wir wollen die Förderung während der ersten beiden Umstellungsjahre von 300 DM auf 500 DM erhöhen.

Fünftens. Wir wollen die Forschung im ökologischen Landbau voranbringen und werden mit den Verbänden und den Universitäten ein gemeinsames Konzept erarbeiten.

Wir unterstützen die Forderung nach Verabschiedung eines Ökolandbaugesetzes, in dem die Kennzeichnung für Ökoerzeugnisse, die Überwachung der Ökobetriebe sowie die Förderung des Anbaus und der Vermarktung ökologischer Erzeugnisse geregelt werden.

Meine Damen und Herren, wir sind bereit, für die eben benannten Maßnahmen deutlich mehr Geld als bisher zur Verfügung zu stellen.

(Beifall bei der SPD)

Hinsichtlich des laufenden Haushalts prüfen wir zurzeit die Möglichkeit der Anschubfinanzierung. Für den Doppelhaushalt 2002/2003 werden wir in Verabredung mit dem Ökolandbaurat 5 Millionen DM pro Jahr zusätzlich bereitstellen.

Meine Damen und Herren, die Bedeutung der Landwirtschaft für unser Bundesland zwingt uns geradezu, auch in diesem Bereich stärker als bisher eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Die Vorstellungen der Landesregierung, den Verbraucherschutz und die Agrarpolitik in Niedersachsen neu auszurichten, werden - da bin ich mir sicher - in den nächsten Wochen und Monaten ausführlich diskutiert, kritisiert und weiter entwickelt werden. Das ist gewollt und wird von mir ausdrücklich begrüßt. Je mehr Menschen den angestrebten Wandel zu unterstützen bereit sind, umso schneller wird das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in unsere Nahrungsmittel wieder zurückkehren. Ich setze auf diesen Wandel.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD)

Wir kommen damit zur Besprechung der Regierungserklärung. Es sind folgende Redezeiten vereinbart worden: CDU und SPD jeweils bis zu 50 Minuten, Bündnis 90/Die Grünen bis zu 25 Minuten, und Landesregierung, wenn sie sich noch einmal beteiligen will, bis zu 50 Minuten.

Das Wort hat zunächst der Kollege Wulff.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte vorweg den Stil in diesem Hause ansprechen.

(Zurufe von der SPD: Was?)

Sie haben gestern, bevor die Fraktionen des Parlaments die Rede bekommen haben, diese Rede den Medien in Niedersachsen zur Verfügung gestellt, und wir - wir haben heute Morgen in einer Sitzung der Fraktion darüber gesprochen - können uns nicht an einen einzigen Fall erinnern, in dem mit dem Parlament so umgegangen wurde, dass nicht zuerst das Parlament unterrichtet wurde, sondern zuerst die deutsche Öffentlichkeit durch die Medien.

(Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Lieber Herr Gabriel, Sie setzen damit den stillosen Umgang mit diesem Hause aus dem Dezember

(Möhrmann [SPD]: Seien Sie vor- sichtig!)

und der Dezember-Plenarsitzung ohne Unterbrechung fort. Ihnen ist diese Volksvertretung nichts wert. Ihnen fehlt der Respekt vor diesem Haus

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

und auch der Stil für das Amt des Ministerpräsidenten, wenn Sie die Voraussetzung nicht erfüllen, dass man erst einmal hier seine Gedanken vorträgt, darüber debattieren lässt und anschließend - auch unter Einbeziehung der hier gehörten Argumente die Programme der Öffentlichkeit verkündet.

(Beifall bei der CDU - Adam [SPD]: Was sagen Sie denn zur Plakatakti- on? - Unruhe - Glocke des Präsiden- ten)

Uns ärgert, dass es Ihnen immer nur um die Schlagzeile, immer nur um die Taktik und immer nur um den parteipolitischen Vorteil geht.

(Zurufe von der SPD)

Sie haben jetzt die fünfte Abteilung in der Staatskanzlei. Sie haben den vierten Pressesprecher in der Staatskanzlei. Sie denken nur noch ans Verkaufen und nicht mehr an den Inhalt der Politik.

(Adam [SPD]: Plakataktion!)

Wir wollen hier über den Inhalt reden; denn der ist das, was die Menschen draußen im Lande interessiert.

(Beifall bei der CDU)

Sie werden erleben, dass wir den Bedeutungsverlust dieses Hauses und das, was hier stattfindet, auch am Thema Enquete-Kommission am Ende meiner Rede noch einmal sehr deutlich aufgreifen und thematisieren werden.

Die steigende Anzahl positiv auf BSE getesteter Rinder und BSE-erkrankter Rinder ist eine Tragödie für unser Land, nicht nur für die verunsicherten Verbraucher, die Bauern in unserem Land und die Arbeitnehmer in den Betrieben, sondern für unser gesamtes Land, weil jeder von dieser Krise betroffen sein wird, wenn auch in unterschiedlicher Art und Weise.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind noch lange nicht am Ende. Gravierende Auswirkungen werden uns vorausgesagt, und sie werden den gesamten ländlichen Raum treffen. 10.000 Arbeitsplätze in der Lebensmittelindustrie sind akut gefährdet, tausende Beschäftigte in Niedersachsen werden demnächst kurzarbeiten, und viele hundert tun es jetzt schon. Es gibt die ersten Schließungen von Fleisch- und Wurstfabriken. Es muss uns allen klar sein: Mit Kleckern - mit einem Programm mit einem Umfang von ein paar Millionen DM - wird das Problem überhaupt nicht zu bewältigen sein, sondern es muss geklotzt werden, wenn wir Strukturen erhalten wollen, die wir dringend brauchen, um im internationalen Wettbewerb auf Dauer mithalten zu können.

(Beifall bei der CDU)

Ich unterstreiche ausdrücklich, was Ministerpräsident Gabriel diesbezüglich gesagt hat: Wir brauchen dabei die Solidarität aller für den ländlichen Raum, und wir brauchen vor allem die Gemeinschaft der verschiedenen Ebenen Europa, Bund und Länder.

Wir müssen uns sehr selbstkritisch fragen: Wie konnte das passieren? Was wurde wo falsch gemacht? Wer hat versagt? - Es hat offensichtlich Warnungen der EU-Kommission gegeben, die der Bundesregierung, wie wir jetzt wissen, bereits im April letzten Jahres mitgeteilt hat, dass Deutschland eben nicht ohne BSE-Gefahr sei, sondern dass umfangreiche epidemiologische Untersuchungen durchzuführen und entsprechende Vorsorgemaßnahmen zu treffen seien. Dies ist - auch das gehört ins Parlament - leider ignoriert worden. Die Warnungen der Fachleute hätte man ernster nehmen müssen, Forschung hätte man massiv ausbauen und früher einen Maßnahmenkatalog erarbeiten müssen, und gerade die Kontrolle der Futtermittel hätte man intensivieren müssen, um an diesem besagten 24. November nicht so unvorbereitet auf das erste BSE-erkrankte Rind in SchleswigHolstein zu stoßen.

Es war, wie wir heute wissen - das gehört hier hin -, eine unglaubliche Unredlichkeit, den Verbraucherinnen und Verbrauchern vor dem Hintergrund dieses Schreibens der EU-Kommission an die Bundesregierung im April letzten Jahres weiterhin zu erklären, BSE gehe an Deutschland vorbei, und BSE gebe es in Deutschland nicht. Es gibt dadurch einen großen Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Politik im Hinblick auf Verbraucherschutz, und wir sind darüber empört, dass statt einer gewissen Selbstkritik, und zwar aller Parteien und Politiker, insofern die Flucht nach vorn angetreten wurde, als man die Bauern zum Anlass genommen hat, ihnen ideologisch motiviert einen Vorwurf aus der konventionellen Landwirtschaft zu machen und sie undifferenziert zu verteufeln.