Protokoll der Sitzung vom 24.01.2001

Diesen Landwirten, die mit großen Kreditsummen in Boxenlaufställe und in die Erweiterung ihrer Ställe investiert haben, sind wir jetzt wenigstens schuldig, darauf hinzuweisen, dass die Politik gesagt hat: Das ist die einzige Alternative, um dem Strukturwandel zu widerstehen; man muss von 40 auf 80 oder 100 Rinder aufstallen. - Deswegen verdienen sie unsere Solidarität, und sie dürfen von uns nicht diffamiert werden.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe vor diesem Hintergrund nicht verstehen können, dass Herr Gabriel den Vorwurf erhoben hat, keine Berufsgruppe rufe so schnell nach Subventionen durch den Staat wie die Bauern. Ich kenne auch keine Berufsgruppe, die in den letzten zwei Jahren solche Einkommenseinbußen hinzu

nehmen hatte wie die Bauern und die einem solch gnadenlosen Wettbewerb ausgesetzt ist.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt wenige Bereiche in dem Zeitraum des Wirtschaftswachstums der letzten zwei Jahre, in denen wie bei den Rinderzüchtern in Niedersachsen innerhalb eines Jahres ein Rückgang um 6,6 % und bei den Schweinezüchtern um 8,9 % zu verzeichnen wäre. Das aber ist die letzte Zählung des Landesamtes für Statistik, die gestern Nachmittag als Meldung über dpa verbreitet wurde.

Wir sollten dieses Gegeneinanderausspielen unterlassen. Wir sollten uns auf unseren Bereich, unsere Verantwortung, unsere Fehler und unsere Konsequenzen konzentrieren und nicht gegen die Bauern bzw. die Landwirte zu Felde ziehen, wie das in den letzten Monaten zu hören war.

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Insofern haben wir lange darauf gewartet, dass die Lage einmal differenziert analysiert wird und nicht Ökolandbau gegen die konventionelle Landwirtschaft ausgespielt wird. Wir begrüßen ausdrücklich, dass damit heute eine Versachlichung und Klarheit in dieses Parlament hineingebracht wurde.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen dafür werben, dass die Verbraucher bereit sind, mehr für Lebensmittel zu bezahlen. Wir müssen sie allerdings auch in die Lage versetzen, mehr bezahlen zu können. Das ist eine andere Frage, die aber auch dazugehört. Denn teurere Handarbeit und extensivere Produktion erfordern nun einmal höhere Preise. Wir müssen den Handel dazu bewegen, dass er solche Produkte in die Regale stellt und eben nicht nur, vor allem auf den Preis achtend, die Billigprodukte.

Wie Sie wissen - ich komme noch einmal darauf zurück -, haben wir vor einigen Jahren - nämlich am 30. April 1996 - einen Antrag zur Agrarpolitik vorgelegt, in dem wir gefordert haben: Der Landwirt muss aus der Anonymität heraus. Der Landwirt muss Vertrauen finden, wenn er mit seinem Namen, seinem Betrieb und seiner Gruppe von Erzeugern für ein bestimmtes Produkt die Verantwortung übernimmt und deshalb die Förderung von Direktabsatz, Ökoprodukten oder auch Markenfleischprogrammen propagiert. Wir haben frühzeitig darauf hingewiesen, dass Dänemark,

aber auch unsere Partnerregion Haute Normandie in Frankreich oder auch Holland Markenfleischprogramme durchgeführt und bestimmte Erzeugergemeinschaften sowie Einkaufs- und Verkaufsgemeinschaften mit erheblichem Potential gegründet haben, um Verbraucher ortsnäher qualitätsorientiert zu bedienen.

Wenn Sie fragen, Herr Gabriel, wer uns eigentlich davon abgehalten hat, die Erfahrungen aus Dänemark mit qualitätsorientierter Landwirtschaft nach diesem Vorbild zu nutzen, kann ich nur sagen: Sie haben uns davon abgehalten; denn Sie haben mit Ihrer Fraktion den damaligen Antrag mit dem Hinweis niedergestimmt, das sei zu teuer, das sei nicht finanzierbar, und das ginge nicht.

(Zuruf von Ministerpräsident Gabriel)

Wenn Sie das damals nicht gemacht hätten, müssten Sie heute nur einen kleinen Teil dessen ausgeben, was Sie jetzt für die Bekämpfung der BSE-Krise werden ausgeben müssen, weil Sie nicht frühzeitig umgesteuert haben.

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Das ist ja eine abenteuerliche Art der Geschichtsklitterung! - Beckmann [SPD]: Glauben Sie wenigstens selbst, was Sie sagen?)

Der Wettbewerb darf bei Marktanteilen nicht nur über den Preis laufen, sondern muss sich an der Qualität ausrichten. Wir brauchen dafür Güte- und Prüfsiegel. Wir brauchen eine Begünstigung kluger Entscheidungen der Verbraucher.

(Zuruf von Beckmann [SPD] - Weite- re Zurufe von der SPD)

- Wir haben der Rede von Herrn Gabriel zugehört, obwohl wir sie heute schon in der Presse lesen konnten. Sie konnten meine Rede noch nicht lesen; dann sollte es Ihnen doch leichter fallen, zuzuhören, auch wenn es für Sie unangenehm ist.

(Starker Beifall bei der CDU)

Die CDU-geführte Bundesregierung hat damals die Stiftung Warentest gegründet. Wir haben uns in den letzten Monaten und bei den Haushaltsberatungen gerade für die Stärkung der Verbraucherberatungsstellen eingesetzt, weil zum Funktionieren sozialer Marktwirtschaft eben ein mündiger Verbraucher dazugehört. Dem wird es bei Lebensmitteln bei dem, was auf den Lebensmitteln steht, besonders schwer gemacht, zu ergründen,

was denn wohl darin enthalten ist. Deswegen besteht Gemeinsamkeit, wenn es um Etikettierung, Auszeichnung und gläserne Produktion von den Komponenten über die Urproduktion bis hin zur Ladentheke geht.

Wir wollen gute Qualität, aber die sichern gerade Betriebe mit einem hoch qualifiziert ausgebildeten Landwirt, präziser Beherrschung der Produktionstechniken und guter Beobachtungsgabe. Eine totale Umkehr in der Agrarpolitik ist ein Anschlag und ein Angriff auf die konventionelle Landwirtschaft, den diese nicht verdient hat. Deswegen haben sich, nachdem Herr Gabriel diesen totalen Wandel gefordert hat, 42 angesehene Agrarökonomen gemeldet und darauf hingewiesen, dass Fehlvorstellungen über die großen und kleinen Betriebe und die frühere und heute in Deutschland betriebene Landwirtschaft verbreitet seien. Dabei gibt es auch nostalgische Glorifizierungen der Vergangenheit, die den Kern der Dinge nicht treffen.

Wir meinen, dass die heutige Regierungserklärung eine erstaunliche Lern- und Einsichtsfähigkeit zeigt und dass jetzt das gesagt wurde, was die Bauern im Dezember und Anfang Januar schmerzlich vermisst haben. Aber es muss eben auch zu einem Politikwechsel in Niedersachsen kommen. Man muss dann einmal sagen, ob es mit der Reduzierung des Agraretats so weitergehen soll. Der Umfang des Agraretats ist, verglichen mit den Etats der anderen Ministerien in Niedersachsen, am stärksten reduziert worden, nämlich von 4 % auf nahezu 1,5 %.

(Möhrmann [SPD]: Sie wissen doch, womit das zusammenhängt!)

Man muss dann auch sagen, ob im niedersächsischen Landeshaushalt weitere Raubzüge stattfinden sollen.

(Möhrmann [SPD]: Seien Sie an die- sem Punkt doch seriös!)

Ausweislich einer Statistik ist Niedersachsen im Vergleich mit allen anderen Bundesländern Schlusslicht bei Zulagen, Zuschüssen und Ausgleichszahlungen an die Landwirte. Niedersachsen hat kaum einmal ein eigenes Landesprogramm aufgelegt, um der Landwirtschaft zu helfen. Die Landwirte werden nicht einmal in ihrer Eigenschaft als Grundeigentümer bei der Ausweisung von FFH- oder Vogelschutzgebieten beteiligt.

(Beifall bei der CDU)

In den Schubladen der Ministerien liegen jetzt schon Pläne, weitere Kosten, nämlich die für die Unterhaltung der Gewässer zweiter Ordnung und für die Wasser- und Bodenverbände, auf die Bauern und Grundeigentümer abzuwälzen.

(Beifall bei der CDU)

Das sind die kleinen Nadelstiche gegen die Landwirtschaft in Niedersachsen, die uns insgesamt zu dem Schluss kommen lassen, Ihnen auf diesem Feld Versagen vorwerfen zu müssen. Seit zehn Jahren warnen wir Sie, aber Sie haben die Landwirtschaft in Niedersachsen in dieser Zeit nachhaltig benachteiligt, Herr Bartels.

(Beifall bei der CDU)

Wir werden jetzt sehr schnell merken, dass der gesamte ländliche Raum betroffen ist: nicht nur die Schlächter, die Mäster und die Milchviehbetriebe, sondern auch die Fleisch verarbeitenden Betriebe, die ihre Aufträge aus der Landwirtschaft bekommen, bei denen die Landwirtschaft konsumiert. Das geht bis hin zur Bankenstruktur im ländlichen Raum, zu den Raiffeisenbanken, den Volksbanken, den Genossenschaftsbanken und den Sparkassen: Auch sie werden von dieser Krise betroffen sein. Insofern müssen wir sagen: Niedersachsen als Deutschlands Agrarland Nr. 1 muss seine Verantwortung zur Krisenbewältigung vor allem dadurch wahrnehmen, dass es mutig eine Vorreiterrolle einnimmt. Die Landesregierung muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, dass sie trotz der schönen Darstellung, die heute abzugeben versucht wurde, eben nicht Vorreiter gewesen ist.

Wir hatten Ihnen bereits Anfang Dezember konkrete Vorschläge unterbreitet, aber Sie haben erst heute konkrete Maßnahmen angekündigt. Immerhin kann man damit jetzt die Defizite im Verbraucherschutz abbauen und das Notwendige einleiten.

Wir erheben in diesem Zusammenhang mehrere zentrale Forderungen:

Erstens. Wir müssen sicherstellen, dass eine integrierte und für den Verbraucher gläserne Produktionskette aufgebaut wird, in der sämtliche Schritte von der Produktion bis zur Ladentheke dokumentiert und kontrolliert werden. Es muss dafür gesorgt werden, dass der Handel mitmacht. Es muss vor allem dafür gesorgt werden, dass Vermarktungswege und Produktionsschienen sowie Herkunftsnachweise und Qualitätssicherungssysteme gefördert und forciert werden. Vor allem aber ist

daran zu arbeiten, dass durch Forschungsintensivierung ein Siegel gefunden wird, dass das Fleisch als BSE-frei oder als BSE-getestet ausweist. Im Moment ist das noch nicht machbar, aber hoffentlich wird es bald so weit sein. Der Verbraucher wird bereit sein, für ein mit einem Siegel versehenen Fleischstück mehr zu bezahlen als für ein Fleischstück, das nicht diese Qualitäts- und Gütemerkmale aufweist.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind für die Bündelung der Verbraucherschutzaufgaben und für die Stärkung dezentraler Strukturen. Wir werden in den Ausschüssen sehr genau zu beraten haben, welcher Weg der letztlich erfolgreichste und richtige ist: der, den Berlin eingeschlagen hat, der, den Bayern eingeschlagen hat, oder der, den Niedersachsen eingeschlagen hat. Es muss ein System gegenseitiger Unabhängigkeit und Kontrolle geben. Bisher war das, was wir in Niedersachsen erlebt haben, jedenfalls nicht sehr ausgeprägt. Deswegen sollten wir für die Zukunft an einer Effektivierung arbeiten.

Wir wünschen uns eine Stärkung des Instituts für Lebensmitteltechnik in Quakenbrück - Sie haben dieses Institut nicht erwähnt -; denn dieses Institut wäre kurzfristig und mit wenig Mittelaufwand in die Lage zu versetzen, dass Landwirte dort nahezu kostenlos das eigene Futtermittel analysieren lassen können, damit sie sich selbst gegen Betrüger und Machenschaften wehren können, die niemand von uns duldet und die jeder von uns bekämpfen muss.

Das generelle Verbot der Verfütterung von Tiermehl und Tierfetten ist unverzichtbar, muss aber langfristig auf europäischer Ebene umgesetzt werden. Hier warne ich vor einer zu naiven Betrachtung der weltwirtschaftlichen Zusammenhänge. Wenn erwartet wird, dass die Maßnahmen, die wir ergreifen, über die WTO auch in den Ländern durchgesetzt werden, aus denen wir importieren, kann ich nur sagen: Die Verhandlungen auf der Ebene der WTO in den letzten Jahrzehnten zeigen, dass in der Regel nicht ein Bruchstück dessen, was notwendig gewesen wäre, durchgesetzt werden konnte. Deshalb ist die Problematik so groß, und hinsichtlich der Größe dieser Aufgabe sollten wir uns auch nicht täuschen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mich hat entsetzt - andere sicherlich auch -, dass in Niedersachsen noch bis Anfang Dezember Separato

renfleisch verarbeitet wurde und dass man erst zwei Wochen nach dem ersten BSE-Fall zum generellen Verbot der Verarbeitung von Separatorenfleisch gelangt ist. Da fragt man sich wirklich, ob wir alle bestimmte Warnungen und Hinweise nicht viel frühzeitiger hätten viel ernster nehmen müssen.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens. Auf meiner Rundreise zu diesem Thema in den letzten Wochen habe ich auch das Deutsche Primatenzentrum in Göttingen besucht. Dort musste ich mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen, dass das niedersächsische Landwirtschaftsministerium auf der Liste der Forschungsprojekte mit gerade einmal 50 000 DM vertreten war und dass die Weiterentwicklung einer Reihe von Forschungsprojekten immer noch nicht als gesichert angesehen werden kann. Wenn wir schon das Deutsche Primatenzentrum in Göttingen haben, dann sollten wir bei der Forschung jetzt auch nicht kleckern, sondern klotzen und die Mittel zur Verfügung stellen; denn die Nachsorge ist mit Sicherheit um ein Vielfaches teurer als die kluge forschende Vorsorge.

(Beifall bei der CDU)

Drittens. Wir unterstützen den Ministerpräsidenten voll und ganz darin, dass die Lebens- und Futtermittelkontrolle schnellstens ausgebaut und verbessert werden muss. Bislang haben sich dieses Themas ja kaum Leute angenommen. Die Verfehlungen krimineller Unternehmer in der Futtermittelherstellung oder in der Etikettierung oder die Verfehlungen von Landwirten, die gesetzwidrig Arzneimittel in der Tiermast einsetzen, müssen zu hohen Strafen führen.

(Beifall bei der CDU)