Protokoll der Sitzung vom 25.01.2001

(Decker [CDU]: Aber das wissen wir doch seit sechs Jahren!)

Die Ursachen dafür müssen wir uns auch einmal klarmachen. Es ist nun einmal einfach so, dass in den 80er-Jahren in allen Bundesländern die frisch ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer nicht in den Lehrerzimmern saßen, sondern auf den harten Bänken der Arbeitsämter. In solcher Situation haben es einige geschafft, sich umzuorientieren, vor allen Dingen diejenigen, die aus den Naturwissenschaften oder aus dem Informatikbereich kamen, aber den Anglisten, Germanisten und Romanisten blieben kaum Auswege außerhalb der Schule. Dieses abschreckende Beispiel der Situati

on des Lehrerinnen- und Lehrerberufs in den 80erJahren hat nun einmal dazu geführt, dass sich viele Schülerinnen und Schüler nicht mehr dafür entschieden haben, in den Schuldienst zu gehen, und zum Teil haben tatsächlich auch Ministerien davor gewarnt, dies zu tun. Vor diesem Hintergrund stehen wir jetzt eben vor der Situation, dass es in einigen Fächern nicht genügend Studierende oder Absolventen gibt.

Allerdings will ich davor warnen, hier ein Horrorgemälde an die Wand zu malen.

(Frau Körtner [CDU]: Was ist das denn sonst bei 22 %?)

Das tut im Übrigen auch Ihre Kollegin Annette Schavan, die derzeitige Präsidentin der KMK. Sie sagt ganz eindeutig: Es ist falsch, ein Horrorgemälde für die nächsten zehn Jahre zu entwerfen. Im Gegenteil: Man muss das auch einmal positiv sehen. Der sich abzeichnende Lehrerinnen- und Lehrerbedarf bietet auch die Chance für einen Generationswechsel in den Schulen.

(Zuruf von Klare [CDU])

Die Zahlen in Niedersachsen, Herr Klare, sprechen im Übrigen auch für sich. Wir müssen feststellen, dass bei den Bewerberinnen und Bewerbern auf Stellen im niedersächsischen Schuldienst immer noch mehr als ein Drittel aus anderen Bundesländern kommt. Ihre Behauptung, Niedersachsen sei für Lehrkräfte aus anderen Bundesländern nicht mehr attraktiv, erweist sich vor diesem Hintergrund als völlig absurd.

Jetzt komme ich einmal zum Prinzip der Dreiviertelstellen: Es ist doch eine Tatsache, dass objektiv gesehen gerade die vorübergehende Einstellung von neuen Lehrkräften auf Dreiviertelbasis das Beste war, was wir in Niedersachsen in Sachen Einstellungspraxis in den letzten Jahren tun konnten. Der Gedanke war, dass wir im Durchschnitt auf drei vorhandene Stellen vier Menschen gesetzt haben und diese dadurch finanzierten. Wir haben dadurch also die vorhandenen Stellen mit mehr Lehrkräften besetzen können. Wir haben dadurch vom vorhandenen Lehrerinnen- und Lehrerberg mehr abgebaut als andere Bundesländer, die nur volle Stellen besetzt haben. Wir haben dadurch sozusagen den Rahm abgeschöpft und mehr Menschen Stellen im Schuldienst geben können, als wenn wir das nur mit vollen Stellen gemacht hätten. Wenn diese Menschen dann nach vier Jahren eine volle Stelle erhalten, dann haben wir uns mit

dieser Maßnahme einen gehörigen Anteil vom Lehrerinnen- und Lehrerkuchen gesichert, einen größeren, als wenn wir das nur mit vollen Stellen gemacht hätten. Ich halte dies vor dem Hintergrund kommender Mangelsituationen durchaus für eine ganz hervorragende und richtige Entscheidung.

Hätten wir auf Sie von der CDU gehört, die uns immer wieder von dieser Praxis haben abhalten wollen, dann wäre uns das, was wir jetzt erreicht haben, nicht gelungen. Ich kann nur sagen: Es ist gut so, dass wir auch in dieser Frage nicht Ihrem kurzfristigen Denken gefolgt sind, sondern langfristige Politik machen.

(Beifall bei der SPD - Klare [CDU]: Wie kommt es, dass alle anderen Bundesländer anders reagiert haben? Machen die alle Fehler, und Sie sind die Einzigen, die es richtig machen? - Das ist ja auch deren Fehler gewesen. Aus diesem Grunde können wir davon ausgehen, dass wir mehr Leute haben einstellen können, und ich halte das für eine gute Entscheidung. Nun komme ich zu einem Punkt, den Sie richti- gerweise auch angesprochen haben, nämlich die Mangelsituation in einigen Fächern, insbesondere in Physik: Da haben Sie Recht. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass Schülerinnen und Schüler, die z. B. Physik studieren, sich sagen: Möglicherweise verdiene ich in der Wirtschaft mehr, als mir im Schuldienst geboten wird. Wenn sie sogar als Berufsanfänger mehr verdienen als ein altgedienter Lehrer, dann ist es logischerweise so, dass sie sich dafür entscheiden, in die Wirtschaft zu gehen. Das ist nachvollziehbar. Deswegen können wir aber kein Geld für Physiklehrerinnen und -lehrer drauf- legen. Wir müssen uns überlegen, wie wir beispielsweise das Fach Physik attraktiver gestalten können. Die Ergebnisse der TIMSS-Studie sind ja eindeutig; um noch einmal Frau Schavan zu zitieren: Es ist eine Frage eines didaktischen Qualitätsschubs in den Schulen. - Das sehe ich auch so. (Klare [CDU]: Sie wissen zwar nicht, was das heißt, aber Sie sehen es so!)

Wie dem auch sei, meine Damen und Herren: Die Landesregierung hat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um dem künftigen Lehrkräftebedarf und der Mangelsituation in einigen Fächern Herr zu

werden. So wurden die Zahlen der Studienplätze für das Lehramt in den letzten Jahren erhöht

(Frau Körtner [CDU]: Um wie viel denn?)

und mehr Mittel für die Lehrerinnen- und Lehrerausbildung zur Verfügung gestellt. Der erste Erfolg liegt vor: Im letzten Semester haben sich 25 % mehr Studentinnen und Studenten für die Lehrämter eingeschrieben als vorher. Wir haben jetzt insgesamt 3 573 Lehramtsstudentinnen und -studenten als Erstsemester an den niedersächsischen Hochschulen. Ich meine, das ist gut so.

(Rolfes [CDU]: Reicht das denn aus, Herr Kollege?)

Aber wir werden die Werbemaßnahmen verstärken.

Als Zweites muss man feststellen, dass natürlich für die Verbesserung der Situation in einigen Fächern Maßnahmen notwendig sind. Es stand schon in den Zeitungen, dass mit Wirkung vom 10. Januar dieses Jahres für Fachkräfte aus den Naturwissenschaften - also für Physiker, Ingenieure - als Notmaßnahme die Möglichkeit geschaffen worden ist, in den Schuldienst Niedersachsens zu gehen und zu unterrichten. Das ist eine Sache, die Sie selbst gefordert haben und die wir realisieren.

(Klare [CDU]: Wann denn?)

Ich hoffe, Sie stimmen dieser Maßnahme zu. Das geht natürlich einher mit der Bereitschaftserklärung dieser Lehrkräfte, an erforderlichen berufsbegleitenden Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. Inzwischen haben sich mehr als 300 Menschen für diese Maßnahme gemeldet, und ich meine, das zeigt auf, dass das eine gute und richtige Maßnahme ist.

Als Drittes ist mit Erlass vom 11. Januar dieses Jahres für ausgebildete Gymnasiallehrkräfte die Möglichkeit geschaffen worden, auch an Hauptund Realschulen im Angestelltenverhältnis zu unterrichten. Damit begegnen wir der Mangelsituation in einigen Fächern und bieten arbeitslosen Gymnasiallehrkräften die Chance, in den Schuldienst zu kommen.

Ich will natürlich nichts schönreden. Die Situation wird in den nächsten Jahren - auch in Niedersachsen - sicherlich in einigen Bereichen schwierig sein. Aber eines dürfte klar sein: Notwendige Maßnahmen sind von dieser Landesregierung

ergriffen worden, sie werden weiterverfolgt werden, und die Landesregierung ist sich ihrer Verpflichtung zur Sicherstellung einer hinreichenden Unterrichtsversorgung bewusst.

Zum Problem der Dreiviertelstellen sei abschließend noch angemerkt: Ihr Antrag, Herr Klare, geht nicht nur ins Leere - darum können wir ihm nicht zustimmen -, sondern er ist sogar in jeder Hinsicht politisch unklug. Er ist schlichtweg falsch, zeugt von kurzfristigem Denken und bringt uns in die Sackgasse. Verbessern konnten wir an Ihrem Antrag in der Ausschussberatung leider nun einmal gar nichts. Deswegen war die Entscheidung des Kultusausschusses, ihn abzulehnen, richtig, und das Gleiche werden wir jetzt auch hier im Plenum tun.

(Beifall bei der SPD - Klare [CDU]: Sie machen im Grunde das, was wir wollen: Sie stellen jetzt volle Beam- tenstellen in einigen Bereichen zur Verfügung! - Gegenruf von Fasold [SPD]: Aber bedarfsgerecht!)

Nun erbitte ich Ihre Aufmerksamkeit für den Redebeitrag der Kollegin Frau Litfin.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat die Teilzeiteinstellungen, die die Landesregierung vorgenommen hat, immer unterstützt. Wir haben immer gesagt und sagen es weiterhin: Wir haben nach wie vor riesige Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Über Arbeitslosigkeit wird zwar im Moment nicht so viel geredet, aber es gibt sie eben nach wie vor. Für uns war es ein Vorteil, im Schuldienst die Möglichkeit zu haben, die vorhandene Arbeit auf möglichst viele Schultern zu verteilen und somit möglichst viele junge Leute in Beschäftigung, aber auch in die Schulen zu bekommen.

Ich finde, dass die Landesregierung auf dem richtigen Weg ist, indem sie jetzt für die Bereiche, in denen Mangel herrscht, volle Stellen ausschreibt und volle Stellen besetzt. Es geht ja auch gar nicht anders. Wenn man dort mit Dreiviertelstellen arbeiten wollte, dann wäre man wirklich noch weniger erfolgreich - nicht, weil sie nicht gewollt sind, sondern weil es gar nicht genug Personen

gibt, um die vorhandenen Stellen mit Teilzeitkräften zu besetzen.

Das Angebot an die Berufsschullehrer und lehrerinnen, die auf Dreiviertelstellen eingestellt worden sind, ihre Stundenzahl aufzustocken, wird längst nicht so angenommen, Karl-Heinz Klare, wie es alle gedacht hätten. Ein Großteil dieser Lehrkräfte hat gesagt, sie seien völlig zufrieden sowohl mit dem Gehalt, das sie für diese Stelle beziehen, als auch mit ihrer Unterrichtsverpflichtung, und sie möchten gar nicht mehr Unterricht erteilen. Das heißt, damit wird auch ein Bedürfnis von Menschen befriedigt, die nicht in Vollzeit arbeiten wollen.

Dass demnächst wahrscheinlich auch im Realschulbereich umgestellt wird, weil es dort Probleme damit gibt, dass nur Vollzeitstellen ausgeschrieben werden, unterstützen wir auch. Trotzdem möchte ich meine Kritik an dem, was Wolfgang Wulf gesagt hat, äußern. Die Situation des eklatanten Fachlehrer- und Fachlehrerinnenmangels, die zurzeit besteht, ist nicht vom Himmel gefallen.

(Zustimmung von Klare [CDU])

Sie ist nicht wie ein Naturereignis plötzlich über alle Länder der Bundesrepublik Deutschland gekommen. Spätestens Anfang der 90er-Jahre hätten alle wissen können, dass dieses Problem entstehen würde, weil die Anzahl der Studierenden, der Seminarplätze und der zu Pensionierenden bekannt war. Es war auch bekannt, dass die Pensionierungswelle rollen würde, was damit zusammenhängt, dass im Lehrer- und Lehrerinnenbereich leider immer in den so genannten Schweinezyklen eingestellt wird. Mal gibt es relativ viele Einstellungen; dann gibt es über Jahre sehr wenige. So kommt es, dass es keine gute gemischte Altersstruktur in den Schulen gibt.

Seit ich im Landtag bin, habe ich in jeder Haushaltsberatung darauf hingewiesen, dass wir ein Problem bekommen werden. Jahrelang ist nicht gehandelt worden. Das gilt leider für alle alten Bundesländer. Alle alten Bundesländer waren nicht in der Lage, über eine Legislaturperiode hinaus zu denken und eine langfristige Planung für einen Bereich zu erstellen, in dem Leute langfristig beschäftigt sind und in dem Planungen möglich sind, wenn man sich die Statistiken ansieht und entsprechend reagiert.

Nun ist das Kind in den Brunnen gefallen, und die von Wolfgang Wulf vorgetragenen Notmaßnah

men müssen ergriffen werden. Ich meine auch, es geht nicht anders. Aber ich möchte mich für ein ganz anderes Modell einsetzen. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass die Schulen die Mittel für die Stellen bekommen, die bei ihnen nicht besetzt werden konnten, und dass sich die Schulen die Personen aussuchen können, die dann diese Notmaßnahmen erfüllen und den Unterricht erteilen sollen.

Ich meine, dass es sehr viel besser ist, wenn die Schulen das machen, weil sie einen besseren Blick darauf haben, welche Kompetenzen sie in ihrer Schule brauchen, als es die Schulbehörde haben kann.

Ich meine auch nicht, dass es richtig ist, diese Personen sofort in den öffentlichen Dienst zu übernehmen und Stellen fest mit ihnen zu besetzen, weil bei all diesen Personen die Gefahr besteht, dass sie sich als nicht geeignet herausstellen, zu unterrichten, weil sie nicht wissen, wie Unterricht in der Schule ist. Wenn sie aber eine volle Stelle besetzen, werden sie darauf so lange sitzen bleiben, bis sie pensioniert werden. Ich meine, damit tut man weder ihnen noch den Schülern und Schülerinnen einen Gefallen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Frau Ministerin Jürgens-Pieper hat das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dankbar, dass die Regierungsfraktion den Antrag der CDU-Fraktion ablehnen will.

(Oh! bei der CDU)

Denn eine Umsetzung dieses Entschließungsantrags hätte in der Tat - das haben wir eben schon in zwei Wortbeiträgen gehört - erhebliche Risiken und erhebliche Probleme bei den Einstellungen mit sich gebracht. Schon beim letzten Schuljahresbeginn hätten wir dann 380 Lehrkräfte in der Arbeitslosigkeit belassen. Für die Gesamtdauer der Regelung hätten wir 1 200 Lehrkräfte in der Arbeitslosigkeit belassen, wenn wir nicht diese Dreiviertelregelung eingeführt hätten. Das ist die andere Seite der Medaille, Herr Klare. Das muss man auch sehen.

(Klare [CDU]: Das ist aber nur eine Berechnungsfrage!)

- Nein, das ist keine Berechnungsgröße, sondern das ist schlicht nachzuweisen. Wir haben damit einen deutlichen beschäftigungspolitischen Effekt erzielt, die Altersstruktur verbessert und gleichzeitig noch Leute gewonnen, die wir, wenn wir jetzt umstellen, auf neue Stellen setzen können. Das heißt, es ist eine Vorsorgepolitik.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zu einer weiteren Behauptung der CDU-Fraktion hinsichtlich der angeblichen Abwanderung von Lehrkräften wegen der angeblich besseren Einstellungskonditionen. Wir können hier nur - wenn überhaupt - Einzelfälle nachweisen, Herr Klare. Ich weiß nicht, woher Sie Ihre Informationen beziehen.

(Zuruf von der SPD: Aus seiner Fan- tasie!)

Ich kann nur sagen: 25 % der eingestellten Lehrkräfte kommen nicht aus Niedersachsen, sondern aus anderen Bundesländern. In den absoluten Zahlen heißt das: Im letzten Jahr sind von 7 654 Bewerbern immerhin 2 676 aus anderen Bundesländern nach Niedersachsen gekommen. Es wäre einer seriösen Debatte sicherlich angemessen, wenn Sie Ihre Abwanderungsbehauptungen belegen würden. Ich habe Sie schon bei der ersten Beratung dazu aufgefordert.

Die Bezirksregierung Braunschweig hat z. B. in Richtung Hessen einmal versucht, ihre Behauptung zu erhärten. Wir sind auf drei Fälle gestoßen, und bei richtigem Besehen sind das auch noch drei Springerlehrkräfte - also im Angestelltenverhältnis -, die sich auch bewerben dürfen und die Hessen zum 1. Februar einstellt. Das machen wir umgekehrt auch so. Das heißt, es lässt sich nichts von dem aufzeigen, was Sie behaupten.