- Herr Bontjer, wenn Sie hier so reden, dann sind Sie die größte Blamage für den ländlichen Raum. Das möchte ich Ihnen einmal sagen.
So differenziert, wie sich die einzelnen Großstädte mit ihren Ballungsgebieten darstellen, so vielschichtig und vielseitig, nämlich mit unterschiedlichen Strukturen und Problemen, sind die Gebiete
Herr Kollege Eveslage, einen Augenblick bitte! Ich bitte Sie, zu überlegen, ob die Bemerkung, die Sie gegenüber dem Kollegen Bontjer gemacht haben, im Umgang miteinander angemessen war.
Herr Präsident, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Aber wenn man von zwei, drei Leuten aus der SPD-Fraktion ständig bei seiner Rede gestört wird, dann gerät man leicht in Emotionen. Ich werde das nachher im Protokoll nachlesen. Sicherlich kommen wir dann zu einer Klärung.
Meine Damen und Herren, der ländliche Raum ist von der Landwirtschaft geprägt, wird aber längst nicht mehr von ihr dominiert. Es gibt mittlerweile viele Dörfer ohne Landwirte. Gerade das spricht dafür, dass wir die ländlichen Räume sehr differenziert betrachten müssen. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft, der nicht aufzuhalten ist und der im Interesse der Landwirtschaft auch nicht aufgehalten werden darf, sondern gestaltet werden muss, wird diesen Trend noch verstärken. Politik im ländlichen Raum und für den ländlichen Raum ist also entschieden mehr als nur und allein Landwirtschaftspolitik. Politik für den ländlichen Raum stellt Herausforderungen an alle Bereiche der Landes- und Bundespolitik. Ein Spiegelbild dieser Herausforderungen ist unser Antrag, in dem wir ganz konkrete Vorschläge zu den Bereichen Bildung, Jugend, Kultur, Wirtschaft, Verkehr,
Meine Damen und Herren, zuallererst ist Politik für den ländlichen Raum eine Aufgabe für das Land selber. Das bestimmt das Grundgesetz. Verweise auf den Bund und auf Europa sowie Kostenabschiebungen auf Kommunen dürfen eines nicht verwischen: Zuerst ist das Land verantwortlich für den ländlichen Raum. - Wenn eine Landesregierung diese Verantwortung nicht sieht oder nicht wahrnimmt, dann muss sie gehen.
Der Bund beteiligt sich allerdings über die Gemeinschaftsaufgaben an dieser wichtigen Aufgabe. Wir werden in den Ausschussberatungen abprüfen, inwieweit die Landesregierung die Mittel aus den Gemeinschaftsaufgaben auch zielgerichtet und gleichwertig in den ländlichen Räumen unseres Landes einsetzt.
Ebenso wichtig wie die Gemeinschaftaufgaben sind die Mittel der Europäischen Union und die mit ihnen umgesetzten Programme. Mit der Reform der EU-Strukturfonds hat die Politik der Europäischen Union für die Entwicklung ländlicher Räume zunehmend an Bedeutung gewonnen. Mit der Agenda 2000 wurde die Förderung der ländlichen Entwicklung zur zweiten Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik neben der ersten Säule, der Marktund Preispolitik.
Für den Zeitraum 2000 bis 2006 hat der Europäische Rat eine einheitliche Grundlage für eine nachhaltige, flächendeckende, integrierte Förderung der ländlichen Räume geschaffen. Dabei geht es insbesondere um drei Schwerpunkte: Erstens. Erschließung des Entwicklungspotentials des Agrarsektors als Wirtschaftsfaktor im ländlichen Raum. Zweitens. Förderung der Attraktivität und ganzheitlichen Entwicklung der ländlichen Räume, also auch der Entwicklung außerhalb des engen landwirtschaftlichen Bereichs. Drittens. Verbesserung des Umweltschutzes durch die Landwirtschaft sowie soziale Flankierung des Strukturwandels.
Niedersachsen stehen für diese Ziele im Programm PROLAND rund 1,1 Milliarden DM zur Verfügung, die, wenn sie richtig eingesetzt werden, bis 2006 rund 3 Milliarden DM an Investitionen im ländlichen Raum bewegen können. Darüber hinaus sind die Gemeinschaftsinitiativen LEADER +, INTERREG III und EQUAL für Niedersachsen von herausragender Bedeutung.
Die CDU erwartet von der Landesregierung, dass sie diese europäischen Fördermöglichkeiten so flexibel handhabt, dass damit auch den neuen Herausforderungen, etwa durch die BSE-Krise oder die MKS, begegnet werden kann und, wo es notwendig ist und gewünscht wird, die landwirtschaftlichen Betriebe und Unternehmen im vorund nachgelagerten Bereich bei einer Neuausrichtung in ihrer Produktion unterstützt werden. Ich habe ein wenig die Befürchtung, Herr Minister Bartels, dass sich das Programm PROLAND, das vor BSE entwickelt und notifiziert worden ist, mittlerweile als zu starr erweisen könnte und dass
es eines sehr großen Aufwandes bedarf, diese Mittel und die einzelnen Programmteile umzuschichten, um den Herausforderungen, vor denen wir auch in Niedersachsen seit etwa drei Monaten stehen, gerecht werden zu können.
Die Europäische Union, meine Damen und Herren, sieht in den ländlichen Räumen die größten Potentiale für Wirtschaftswachstum und neue Arbeitsplätze innerhalb der gesamten Europäischen Union. Dafür gibt es mehrere Anhaltspunkte, von denen ich heute nur drei kurz anspreche.
Erstens. Die Menschen. In vielen ländlichen Räumen ist der Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung größer als in den Verdichtungsräumen. Der fortschreitende Strukturwandel setzt zudem Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft und den hierzu gehörenden Bereichen frei. Diese stehen für andere Beschäftigungen im ländlichen Raum zur Verfügung. Dieses Humankapital, wie man heute sagt, kann jedoch nur wirkungsvoll zur Geltung gebracht werden, wenn es insbesondere auf ländliche Räume zugeschnittene Ausbildungsund Qualifizierungsangebote gibt. Auch hierauf zielt unser Antrag.
Gleichzeitig stellen wir fest - ich habe vorhin schon gesagt, dass es ganz unterschiedliche ländliche Räume gibt -, dass wir in Niedersachsen ländliche Räume haben, die von einer Abwanderung der Bevölkerung, vor allem der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter, und von einer Überalterung der Dörfer geprägt sind. Insbesondere hier ist es notwendig, die soziale Infrastruktur im Seniorenbereich, im Bereich der Kindertagesstätten zu stärken, aber auch dafür zu sorgen, dass die Krankenhäuser im ländlichen Raum - -
- Dazu lassen Sie mich Folgendes sagen: Wenn wir mit Hermann Schnipkoweit nicht flächendeckend die Sozialstationen in Niedersachsen eingeführt hätten, dann hätten wir heute in diesem Bereich noch größere Probleme, als wir sie mit Ihrer Politik ohnehin schon haben.
(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Er hat zwar die Kindergärten gemeint, aber das macht ja nichts! - Beckmann [SPD] - zu Plaue [SPD] -: Ist doch klar, dass er das nicht hören will!)
Unser Antrag zielt deswegen auch auf eine Sicherung der Grundversorgung in den Dörfern im ländlichen Raum.
Zweitens. Die Wirtschaft. 70 % aller Arbeitsplätze in Deutschland bestehen in kleineren und mittleren Unternehmen. Der Mittelstand ist der größte Ausbilder und Arbeitgeber der Nation. Mittelständische Unternehmen sind in der globalisierten Wirtschaft, in der Schnelligkeit und Flexibilität wichtiger als Größe sind, die Gewinner am weltweiten Markt, insbesondere wenn in diesem Markt die räumlichen Entfernungen dank der modernen Informationstechnologien eine untergeordnete Rolle spielen. Insbesondere im ländlichen Raum mit seiner fast ausschließlich von KMUs geprägten Wirtschaftsstruktur liegen riesige Chancen; allerdings nur dann, wenn das Land in Zusammenarbeit mit dem Bund und anderen seinen Verpflichtungen für eine gute Landesplanung und Raumordnung sowie Wirtschaftsförderung und Verkehrsinfrastruktur nachkommt. Wenn die ländlichen Räume ihre Bundesautobahnen selber bezahlen müssen, wenn Landstraßen verrotten, wenn die Schienenverbindungen zurückgebaut werden, wenn GVFGMittel in der Nach-EXPO-Zeit entgegen allen Zusagen am ländlichen Raum vorbeilaufen,
wenn Behördenstandorte aus den ländlichen Räumen in die Großstädte verlagert werden, wenn sich die Krankenhausfinanzierung des Landes auf einige wenige Großstädte konzentriert,
wenn der Kommunale Finanzausgleich die großen Zentren zulasten der kleinen Kommunen bevorzugt, dann kann man feststellen, dass diese Landesregierung und diese Landtagsmehrheit eine Politik gegen die Zukunftschancen des ländlichen Raumes in Niedersachsen machen.
(Plaue [SPD]: Das ist völliger Unsinn, was Sie da sagen! Sie müssten es bes- ser wissen! - Bontjer [SPD]: Keine Ahnung!)
- Herr Plaue, Sie kommen aus Hannover. Sie wissen das wahrscheinlich gar nicht und nehmen das als gottgegeben, als selbstverständlich hin, dass Sie in Hannover pro Einwohner 180 % mehr an Finanzzuweisungen bekommen als der ländliche
Dass Sie als jemand, der aus Hannover kommt, das anders sehen, kann ich verstehen. Aber dass solche Leute wie Bontjer Ihnen dann noch zustimmen, das finde ich ganz schlimm.
Meine Damen und Herren, der dritte Punkt betrifft die kleinen Einheiten. „Dezentral“ heißt nach Ansicht der meisten Experten die Zukunft. Je globaler die Unternehmen und die Menschen agieren, desto größer wird der Wunsch, in der Wirtschaft sogar der Zwang nach kleinen Einheiten, nach überschaubaren Größen. Das Örtliche, das Vertraute, die überschaubare Region - „Heimat“ hätte man früher gesagt - bekommt in der Welt des Überall und Nirgends einen neuen Stellenwert. Dezentralität ist das Alter Ego zur Globalisierung. Kleine Einheiten, ob in der Wirtschaft, in der Politik oder in der Verwaltung, sind die Merkmale des ländlichen Raumes seit jeher. Deshalb ist dieser Raum heute attraktiv. Unter anderem deshalb hat er seinen eigenen Charakter, zieht immer mehr Menschen und auch kleinere und mittlere Unternehmen an.
Die CDU fordert deshalb seit Jahren die Stärkung der Grundzentren und Mittelzentren des ländlichen Raumes.
- Herr Bontjer, nun gehen Sie doch wieder in den Keller, wenn Sie Ihre Zwischenrufe nicht lassen können!
Deren zentralörtliche Funktion macht sie zur Keimzelle regionaler Entwicklung. Sie sind zu stärken, indem Behördenstandorte dorthin verlegt werden und nicht nach Hannover, wie z. B. mit dem elektronischen Mahngericht geschehen. Deshalb wollen wir starke Landkreise und keine Großregionen.
Meine Damen und Herren, vorrangiges Ziel der Politik für ländliche Räume muss es sein, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu wahren und die Lebensbedingungen für alle zu verbessern.
(Beifall bei der CDU - Beckmann [SPD]: Der hält hier seine Wahlrede! Herr Präsident, das kann doch nicht sein!)
- Ich habe es Ihnen vorher nicht gesagt. Aber diesen Satz habe ich aus dem Bericht der Bundesregierung zitiert,
der gerade vor vier Wochen verabschiedet worden ist, der vor einem Monat im Bundestag diskutiert worden ist und den die grüne Ministerin Künast vorgelegt hat. Wenn Sie daran Zweifel haben, dann reden Sie mal mit Ihren Regierungsleuten in Berlin.
Ich wiederhole es für Sie: Vorrangiges Ziel der Politik für ländliche Räume muss es sein, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu wahren und die Lebensbedingungen für alle zu verbessern. Anzustreben sind ausgeglichene wirtschaftliche, infrastrukturelle, soziale, ökologische und kulturelle Verhältnisse. Wir wollen keine Gleichmacherei im Lande, aber gleiche Chancen für alle. Die ländlichen Räume haben als Lebens- und Wirtschaftsräume eine eigenständige Bedeutung. Diese gilt es zu entwickeln im Gesamtinteresse des Landes Niedersachsen. Letztlich geht es um das Wohl des ganzen Landes.
Meine Damen und Herren, die CDU-Fraktion hat heute eine Offensive für die ländlichen Räume in Niedersachsen in den Landtag eingebracht. Wir fordern eine gründliche Diskussion in allen Bereichen der Landespolitik.