Protokoll der Sitzung vom 16.05.2001

Zur Tagesordnung: Die Einladung und die Tagesordnung für diesen Tagungsabschnitt liegen Ihnen gedruckt vor. Der Tagesordnungspunkt 3 b) Chancen der Region Hannover nutzen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drucksache 54 und der Tagesordnungspunkt 41 Früherkennung behandelbarer Erkrankungen bei Kindern (Neuge- borenen-Screening) - Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 2455 - wurden zurückgezogen.

Die Fraktionen sind übereingekommen, die Tagesordnung am Freitag nach den strittigen Eingaben um den folgenden Tagesordnungspunkt zu erweitern: Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter - Antrag der Fraktionen der SPD, der CDU und Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 2488.

Für die Aktuelle Stunde liegen drei Beratungsgegenstände vor.

Es liegen zwei Dringliche Anfragen vor, die morgen früh ab 9.00 Uhr beantwortet werden.

Im Ältestenrat sind für die Beratung einzelner Punkte bestimmte Redezeiten gemäß § 71 unserer Geschäftsordnung vereinbart worden. Diese pauschalen Redezeiten sind den Fraktionen und den Abgeordneten bekannt. Sie werden nach dem im Ältestenrat vereinbarten Verteilerschlüssel aufgeteilt.

Ich gehe davon aus, dass die vom Ältestenrat vorgeschlagenen Regelungen für die Beratungen verbindlich sind und darüber nicht mehr bei jedem einzelnen Punkt abgestimmt werden muss. - Ich stelle fest, dass das Haus mit diesem Verfahren einverstanden ist.

Die heutige Sitzung soll gegen 19.25 Uhr enden.

Ich möchte Sie noch auf zwei Veranstaltungen hinweisen:

In der Portikus-Halle ist die von der Gemeinde Lemwerder konzipierte Ausstellung „Lemwerder ist überall“ zu sehen. Diese Ausstellung habe ich auch deswegen für den Landtag akzeptiert, weil

damals das gesamte Haus mit allen Fraktionen an der Aktion beteiligt war, wie auch in der Dokumentation zu sehen ist.

In der Wandelhalle wird die Ausstellung „Kreative Tankstellen - Stipendiatenstätten in Niedersachsen“ gezeigt, die in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe der niedersächsischen Stipendiatenstätten und der Bezirksregierung Lüneburg entstanden ist.

Ich empfehle beide Ausstellungen Ihrer Aufmerksamkeit.

Ich möchte Sie noch auf etwas hinweisen, was am Freitagvormittag hier passiert und Ihnen an die Haut gehen kann. Die Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages können mit einer Blutspende zwei schwerkranken Kindern helfen. Ron aus Lemförde im Kreis Diepholz und Lisa aus Lindhorst im Kreis Schaumburg leiden an einer seltenen Art von Blutkrebs, nämlich Leukämie. Sie benötigen dringend Spender von so genannten Stammzellen. Um herauszufinden, ob ein geeigneter Spender unter den Parlamentariern ist, sollten diese sich am Freitag, den 18. Mai, zwischen 10 Uhr und der Mittagspause im Landtag eine Blutprobe abnehmen lassen. Sie können das Freitag früh tun.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst bis spätestens morgen Mittag, 12 Uhr, wird erinnert.

Nun folgen geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin Frau Schliepack.

Es haben sich entschuldigt von der Landesregierung Herr Finanzminister Aller ab 16 Uhr und Herr Innenminister Bartling nach der Mittagspause, von der Fraktion der SPD Frau Groneberg und Herr Pickel sowie von der Fraktion der CDU Herr Meier.

Wir kommen damit zu

Tagesordnungspunkt 1: Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde liegen drei Beratungsgegenstände vor: a) Gebt für Kinder das Kommando - Kinderbetreuung: Gemeinsame Aufgabe von Kommunen, Land und Bund - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drucksache 2471 (neu) -, b) Vermüllung der Landschaft vermeiden - Pfand nur auf Bierdosen ist Unsinn - Antrag der Fraktion der SPD - Drucksache 2472 - und c) Serienvergewaltiger auf freiem Fuß: Potentielle Opfer schützen! - Antrag der Fraktion der CDU - Drucksache 2473.

Insgesamt stehen 60 Minuten zur Verfügung, die gleichmäßig auf die drei Fraktionen aufzuteilen sind. Das heißt, jede Fraktion kann über höchstens 20 Minuten verfügen. Wenn, wie heute, mehrere Themen zur Aktuellen Stunde vorliegen, bleibt es jeder Fraktion überlassen, wie sie ihre 20 Minuten für die einzelnen Themen verwendet.

Jeder Redebeitrag, auch von Mitgliedern der Landesregierung, darf höchstens fünf Minuten dauern. Nach vier Minuten Redezeit werde ich durch ein Klingelzeichen darauf hinweisen, dass die letzte Minute der Redezeit läuft.

Erklärungen und Reden dürfen nicht verlesen werden.

Ich eröffne die Beratung zu

a) Gebt für Kinder das Kommando - Kinderbetreuung: Gemeinsame Aufgabe von Kommunen, Land und Bund - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/2471

Das Wort hat Frau Kollegin Harms.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gesellschaften verändern sich. Eines muss man, glaube ich, feststellen: Die Familie ist nicht mehr das Leitbild unserer deutschen Gesellschaft, ob man diese fehlende Leitbildfunktion gut heißt oder nicht.

Familiäre Strukturen lösen sich in unserer Gesellschaft mehr und mehr auf. Es findet ein Prozess der Individualisierung statt. Mit diesem Prozess

entstehen neue gesellschaftliche Aufgaben. Aufgaben, die früher in der Familie, insbesondere in der Großfamilie, wahrgenommen worden sind, müssten eigentlich schon längst heute von der Gesellschaft insgesamt übernommen werden.

Individualisierung darf auf keinen Fall ein Prozess sein, der Kinder oder Mütter und Väter, wenn sie allein erziehend sind, zu Verlierern macht. Allein erziehende oder diese "geschrumpfte“ Kleinstfamilie von heute ist nicht in der Lage, die Aufgaben verantwortlich zu leisten, die früher in der Großfamilie geleistet worden sind.

Unbedingt zu spät, aber nichtsdestotrotz zu Recht wird deshalb in unserem Land seit einigen Wochen immer heftiger darüber diskutiert, wie wir eine verbesserte Versorgung, eine gute verantwortliche Erziehung für unsere Kinder in der Bundesrepublik organisieren können. Ganztagsangebote sind im Moment hoch im Kurs. Ich halte das keineswegs für eine Macke von profilsüchtigen Politikern und hoffe, dass das auch von anderen nicht so aufgefasst wird. Ich glaube, dass Ganztagsangebote tatsächlich der Wunsch von immer mehr Eltern sind, dass aber demgegenüber ein adäquates Angebot, welches diese Bedürfnisse von Eltern und Kindern abdecken könnte, derzeit überhaupt nicht geleistet werden kann.

Wenn man davon ausgeht - es ist schwierig, klare, griffige Zahlen zu erhalten -, dass ungefähr 40 % aller Eltern in der Bundesrepublik, entweder weil sie arbeiten müssen oder weil sie arbeiten wollen, ihre Kinder gerne ganztags oder nahezu ganztags unterbringen wollen,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

dann müssen wir einfach feststellen, dass wir weit davon entfernt sind, dieses Angebot mit unseren Kitas oder mit unseren Schulen tatsächlich bieten zu können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Niedersachsen - daran ändern auch diese kurzatmigen Initiativen des Ministerpräsidenten noch nichts - ist davon besonders weit entfernt. Niedersachsen steht im Bundesvergleich besonders schlecht da, was die Kita-Angebote für Ganztagsbetreuung angeht, aber auch was GanztagsschulMöglichkeiten angeht. Daran ändert auch diese falsche Darstellung der Lage im SPD-Antrag, den wir in dieser Woche erhalten haben, überhaupt nichts.

Meine Fraktion ist der Auffassung, dass die Vorschläge zu Ganztagsschulen in Niedersachsen, die bisher aus der Staatskanzlei bzw. aus dem Kabinett gekommen sind, eigentlich nur Symbolcharakter haben. Heute Morgen hieß es, dass in den nächsten Jahren bis zu 500 Schulen Ganztagsangebote gemacht werden sollen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Für uns ist das - gemessen an dem Bedarf - ein Tropfen auf den heißen Stein.

Im Übrigen halten wir die Fokussierung auf die Sekundarstufen, also auf die Kinder ab der 7. Klasse, für völlig falsch. Deshalb gibt es auch unsere heutige Initiative.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wir sind tatsächlich der Auffassung, dass für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr ein gutes Ganztagsangebot gemacht werden muss.

(Glocke des Präsidenten)

Die bisherige Leitlinie, dass man, je kleiner die Kinder sind, desto weniger Geld für sie ausgibt, muss unserer Meinung nach aufgegeben werden. Die gesellschaftliche Verantwortung fängt eben sehr früh an. Das Festhalten an dem geringen Mittelvolumen, das wir für kleine Kinder zur Verfügung stellen, könnte sich gesellschaftlich rächen.

Ganztätige Betreuungsangebote ab dem zweiten Lebensjahr wollen wir. Wir halten es dann auch für eine Voraussetzung, einen Rechtsanspruch darauf zu schaffen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Wenn wir dies wollen, meine Damen und Herren,

(Glocke des Präsidenten)

dann setzt das voraus, dass wir uns auch mit gesellschaftlichen und politischen Realitäten befassen. Dem, was wir wollen, steht das gegenüber, was wir wissen, und wir wissen, dass ganztägige Angebote tatsächlich einen Paradigmenwechsel bedeuten.

(Glocke des Präsidenten)

Der erfordert, dass sehr viel mehr Geld in diese Betreuungsangebote investiert wird.

(Zustimmung von Frau Pawelski [CDU])