Meine Damen und Herren! Was muss eigentlich in einer jungen Frau vorgehen, wenn sie, allein auf sich gestellt, ohne fremde Hilfe, meist in unmöglichen hygienischen Verhältnissen und in aller Heimlichkeit ein Kind zur Welt bringt? - Dramatische Beziehungs- und Familienverhältnisse veranlassen diese Frauen, ein Kind zu gebären, es aber dann nicht anzunehmen und auszusetzen oder es in Panik zu töten. Angst und Scham sowie das Ignorieren einer Schwangerschaft veranlassen sie, unentdeckt zu bleiben. Diese Frauen befinden sich in einer für uns nicht vorstellbaren Not- und StressSituation. Sie sehen sich völlig hilflos und ausweglos in dieser Lage.
Wir müssen einfach zur Kenntnis nehmen, dass das flächendeckende Netz von Beratungsangeboten und Konfliktberatungsstellen von ihnen eben nicht in Anspruch genommen wird. Berichte über Kindstötungen lassen immer wieder auf ein äußerst schwieriges Umfeld von Eltern und Kindern
schließen. Es gibt leider Entscheidungen im Leben eines Menschen, die mit Logik nicht zu erklären sind.
Wir sind der Meinung, dass wir aufgefordert sind, für diese extremen Problemfälle - es handelt sich hierbei, das sage ich ganz bewusst, glücklicherweise um Einzelfälle - neue Angebote zu schaffen. Wir sind aufgefordert, Frauen in dieser extremen Situation anonym zu betreuen, ihnen anonyme Sicherheit zu garantieren, um sie dann an eine legale und praktikable Lösung heranzuführen. Niemand von uns kann sagen „Wir finden den Stein der Weisen“, aber wir müssen Lösungen anbieten. Jeder Weg, der einem Kind das Leben rettet und einer Frau in ihrer Situation hilft, ist für uns wertvoll.
Wir wollen mit unserem Antrag Kindern eine Zukunft, eine Chance zum Leben geben. Wir wollen den Weg frei machen für eine anonyme Geburt, bei der diese Frauen ihr Kind zur Welt bringen können, ohne Angaben zu ihrer Person machen zu müssen. Innerhalb eines angemessenen Zeitraums können sie dann entscheiden, ob sie das Kind annehmen oder zur Adoption freigeben wollen.
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat im Oktober vergangenen Jahres die Änderung des Personenstandsgesetzes beantragt mit dem Ziel der rechtlichen Absicherung der anonymen Geburten. Dieser Antrag ist eingebracht worden und befindet sich in der Beratung. Danach soll die Meldepflicht auf zehn Wochen verlängert werden. Bisher ist die Gesetzeslage ja so, dass eine geburtshilfliche Einrichtung zur Meldung einer Entbindung im Zeitraum von acht Tagen mit Angaben der Personalien der Mutter verpflichtet ist. Am 31. Mai dieses Jahres ist die Anhörung in den Fachausschüssen des Bundestags. Angedacht ist aber auch die Möglichkeit, dass die Mutter einen Brief mit den persönlichen Angaben von Vater und Mutter hinterlegt, der von dem Kind im Alter von etwa 16 Jahren geöffnet werden kann, um seine Herkunft zu erfahren.
Ich meine, dass das Wissen um die eigene Abstammung ein sehr hohes Gut in unserer Gesellschaft ist. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte es als Persönlichkeitsrecht. Wir wissen aus Erfahrungen mit Kriegswaisen und Adoptivkindern, wie wichtig es ihnen war, zu erfahren, woher sie stammen und wer ihre Eltern waren. Die Suche nach
Seit Ende des letzten Jahres erreichen uns immer wieder Berichte über Projekte wie die „Aktion Moses“ in Amberg, Bayern. Mutige Klinikleitungen, mutige Ärzte, mutige Schwestern vom Sozialen Dienst, katholische Schwestern, haben mit ihren Aktionen Leben gerettet, anonyme Geburten vorgenommen und sogar Babyklappen eingerichtet, ohne die Schaffung der Rechtsgrundlagen für eine anonyme Geburt abzuwarten. Viele Gynäkologen weisen die Frauen, die kurz vor der Geburt ihres Kindes sind, nicht mehr ab. „Das ist Nothilfe“, sagen die Ärzte, und ein Arzt, der im Notfall Hilfe verweigere, mache sich strafbar, argumentieren sie. Dennoch wissen sie, dass das, was sie da machen, illegal ist. Der Gesetzgeber muss dringend Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine anonyme Geburt rechtlich möglich wird. In Frankreich gibt es z. B. seit langem die Möglichkeit der anonymen Geburt, und etwa 600 Kinder wurden dort im letzten Jahr anonym geboren. Ich möchte nicht hinterfragen, wie viele Kinder noch leben würden, wenn es dieses rechtliche Instrumentarium nicht gegeben hätte.
Ich meine, es ist auch wichtig, dass wir uns Gedanken über die Kostenträgerschaft für anonyme Geburten machen. Die 2 000 bis 3 000 DM für eine solche Geburt können doch eigentlich kein Hinderungsgrund sein, Kindern wirklich eine Chance zum Leben zu geben.
Wir geben jährlich etwa 4,5 Millionen DM für Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen aus, deren Beratungsgespräche letztlich oftmals in einer Abtreibung enden. Ich meine, dass wir auch die Möglichkeit nutzen sollten, hierbei einen Gegenweg einzuschlagen. Bisher finanzieren das die Schwestern selbst, oder das wird aus dem Krankenhausbudget herausgerechnet, wenn man mit der Krankenkasse abrechnet, um diese anonymen Geburten zu bezahlen.
Inzwischen gibt es in Niedersachsen viele Angebote, sein Kind anonym an einer Stelle abzugeben, beispielsweise in Nordhorn und Osnabrück beim Sozialdienst katholischer Frauen, in Hannover im Friederikenstift, in Braunschweig im Marienstift, was sich gerade in Vorbereitung befindet, und bei vielen anderen Stellen mehr. Wir sollten diesen Frauen und Männern, die die Initiative ergriffen
Hier weiß die Mutter in ihrer Verzweiflung das Kind in Sicherheit und in guten Händen. Eine solche Einrichtung bietet auch die Möglichkeit, ihre Lage mit Abstand zu betrachten, in Ruhe Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen und sich vielleicht doch noch für das Kind zu entscheiden.
Im Übrigen möchten wir gerne eine Korrektur in der Begrifflichkeit vorschlagen. „Babyklappe“, wie es bisher genannt wurde, klingt so sehr nach Ablegen, nach Verklappung, nach Entsorgung und ist negativ besetzt. Ein Korb hingegen - jedes Neugeborene kommt in ein Körbchen - bedeutet Sicherheit und Annehmen.
Deshalb bevorzugen wir das Wort Babykörbchen und empfehlen, es auch in der weiteren Diskussion so zu verwenden.
Meine Damen und Herren, wir wollen mit unserem Antrag die Möglichkeit schaffen, dass Frauen, die sich in besonderen Notlagen befinden, auf legalen Wegen geholfen werden kann. Dazu brauchen wir dringend die Rechtsgrundlage für anonyme Entbindungen, aber wir brauchen auch verbesserte Angebote für schnelle und unbürokratische Hilfen.
Wir brauchen die Entwicklung von weiteren Angeboten wie ein Notruftelefon, eine verbesserte Beratung durch Mutter-und-Kindeinrichtungen und die Einrichtung der Babykörbchen. Ich meine, darüber wird auch im Hause Einvernehmen bestehen.
Wir fordern die Landesregierung auf, eine Informationskampagne über die Hilfsangebote zu initiieren, damit die betroffenen Frauen wissen, wohin sie sich wenden können. Ich meine, dass wir mit diesem Antrag Beispiele nennen, die auch mit in das große Gebäude der Familienpolitik hineingehören. Ich meine auch, Frau Ministerin, dass Sie dieses Anliegen zu Ihrem eigenen machen wollen. Wir setzen jedenfalls darauf, dass Sie uns dabei unterstützen.
Meine Damen und Herren, spätestens bei der Berichterstattung über die nächste Kindestötung müssen wir uns fragen lassen, was wir in Niedersachsen präventiv getan haben. Deswegen müssen wir jetzt handeln. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Schliepack! Ich begrüße ausdrücklich den guten Willen, den Sie dadurch zeigen, dass Sie die Idee, die die Ministerin bei ihrer Vorstellung im Sozialausschuss vortragen hat, mit diesem Antrag aufgegriffen haben.
Ich begrüße auch ausdrücklich, dass Sie in Ihren Ausführungen zu dem Antrag differenzierter waren, als die schriftliche Form des Antrags es vermuten ließ.
Ich gehe davon aus, dass die Fraktionen zu einem gemeinsamen Antrag finden werden, weil wir alle das Recht auf Leben mit der Möglichkeit, Leben zu können, unterstützen. Liest man jedoch den Antrag der CDU-Fraktion in seinen Einzelpunkten, könnte der Eindruck entstehen, wir befinden uns sozusagen in einer Unterstützungsmangellage - wüst und leer. Das ist aber nicht der Fall.
Zur Erinnerung: Zurzeit bieten wir in Niedersachsen für Frauen und Mädchen in Schwangerschaftskonfliktsituationen flächendeckende Beratungsstellen, die bei ergebnisoffenen Beratungsansätzen auch Hilfen vermitteln. Wir fördern diese Beratungsstellen mit 4,7 Millionen DM im Jahr. Dazu kommen weitere 500 000 DM, die wir Ehe- und Familienberatungsstellen als Unterstützung gewähren.
6,2 Millionen DM werden für Frauen bereitgestellt, die sich für Schwangerschaftsabbrüche entscheiden und deren Besonderheit in ihrer Mittellosigkeit liegt. Zusätzlich existiert in Niedersachsen ein Programm für Mädchen und Frauen in Problemsituationen, das mit 1,2 Millionen DM ausgestattet
Ich möchte mit diesen Hinweisen nur deutlich machen, dass wir uns bei all diesen Maßnahmen mit der Einrichtung zur Durchführung von anonymen Geburten um eine Verknüpfung oder ein Gesamtkonzept bemühen müssen. Wir können nicht davon ausgehen, dass der Antrag, den die CDU-Bundestagsfraktion zur Änderung des Personenstandsgesetzes eingebracht hat, all diese Probleme auffängt und löst. Darum kann ich nur die Nr. 1 Ihres Antrags vorbehaltlos bejahen und dazu unsere uneingeschränkte Unterstützung zusagen.
Wir gehen davon aus, dass es sich bei diesen anonymen Geburten um sehr wenige Geburten im Jahr handeln wird – anders als z. B. in Frankreich, wo von einer großen Zahl Menschen ausgegangen werden muss, die ohne Papiere im Land leben und sicherlich noch viel stärker auf solche Hilfen und Angebote angewiesen sind.
Wir haben für alle Probleme um ungewollte Schwangerschaften in Deutschland und auch in Niedersachsen schon ein engmaschiges Auffangnetz für die betroffenen Frauen geknüpft. Trotzdem wissen wir, dass es immer wieder Frauen gibt, die dieses Netz nicht nutzen können. So wollen wir uns mit der Entscheidung, auch anonyme Geburten zu ermöglichen, um einen weiteren Haltepunkt in diesem Netz bemühen. Die eher unpräzisen Formulierungen des vorgelegten Antrags machen schon deutlich, dass es eben nicht nur um die Änderung gesetzlicher Vorschriften gehen kann.
Bisher beruhen Initiativen wie z. B. die Einrichtung von Babykörbchen auf der Bereitstellung privater Initiativen mit Ermutigung durch die Landespolitik. Das heißt, es gibt diese Hilfen, und auf Antrag werden sie auch durch Landesmittel unterstützt. Wir werden aber auch finanzielle Regelungen bei anonymen Geburten für beteiligte Krankenhäuser finden müssen, ebenso wie z. B. für die Einbeziehung der niedergelassenen Ärzte – ich habe mich gewundert, dass der Kollege Dr. Winn Ihnen den Antrag hat durchgehen lassen -, aber nicht nur der niedergelassenen Ärzte, sondern ich könnte mir vorstellen, dass die niedergelassenen Hebammen vielleicht auch eine Rolle in diesem Konzept spielen müssen und können.
In Hannover lief anlässlich der Einrichtung des ersten Babykörbchens eine Debatte über das Recht eines adoptierten Kindes auf Wissen über seine
Herkunft. Ich halte dieses Recht im Vergleich zu dem Recht, diese Fragen überhaupt stellen zu können, für nachrangig. Daher gehe ich davon aus, dass die SPD-Fraktion das Recht auf Leben vorrangig unterstützt. Ich meine auch, dass wir in unsere Überlegungen die öffentliche Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags einbeziehen sollten, die für den 30. Mai vorgesehen ist – die Kollegin Schliepack hat das bereits angesprochen – und meines Wissens eine Reihe von Fragen zur anonymen Geburt aufgreift, die wir auch zu klären haben.
Ich gehe aber noch einmal auf das Thema „Recht auf Wissen um die Herkunft“ ein, weil sich immerhin eine ernst zu nehmende Wissenschaftlerin aus Hannover, die sich seit Jahren dem Recht von Adoptivkindern verpflichtet weiß, hinter diese Forderung stellt. Ich möchte aber von dieser Stelle aus noch einmal an sie appellieren – ich weiß nicht, ob sie es lesen oder hören wird -, dass sie akzeptieren möge, dass mit der Einrichtung von Babyklappen oder Babykörbchen und der anonymen Geburt ein Angebot geschaffen wird, dass nicht die Nachfrage erhöht, wie sie es formuliert hat. Ich könnte mir das sonst nur mit einer gewissen Lebensferne im Elfenbeinturm erklären.
Genau wie bei der Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch gehen wir davon aus, dass die Aussetzung oder die Abgabe eines Kindes ein oft schicksalhafter Prozess der Ausweglosigkeit ist, den wir mit allen Möglichkeiten aufzubrechen versuchen. Dabei wünsche ich mir auch die Unterstützung des ganzen Hauses und danke Ihnen für das konzentrierte Zuhören.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass wir mit der zunehmenden Einführung von Babyklappen - nein, Babykörbchen - zwar einen Beitrag dazu geleistet haben, das Überleben von Neugeborenen in schwierigen Situationen zu sichern. Wir haben damit aber zunächst einmal kein Hilfsangebot für die schwierige Situation der Mütter bei der Geburt selbst gemacht. Das soll jetzt mit der Ermöglichung von anonymen Gebur
Der Antrag der CDU-Fraktion enthält aber keinen konkreten Vorschlag, wie die Lösung aussehen soll. Es ist auch nicht einfach, eine Lösung zu finden, die rechtlichen Bestand hat und die akzeptabel ist. Auf der einen Seite geht es darum, der Mutter eine menschenwürdige und medizinisch betreute Geburt anbieten zu können. Ich will noch einmal in Erinnerung rufen: Was sollen denn diese Frauen tun, was tun sie derzeitig, wenn die Wehen einsetzen? Zu Hause das Kind zu bekommen geht nicht; da wird die Geburt bemerkt. Im Krankenhaus wird sie registriert. Da bleiben dann wirklich nur die öffentlichen Toiletten, da bleiben die Hinterzimmer, die Kellerräume. Das, meine Damen und Herren, ist erniedrigend, das ist entwürdigend, aber das ist auch lebensgefährlich.
- Für Mutter und Kind. - Deswegen ist es notwendig, ein Angebot zu machen. Aber ich will auch darauf hinweisen, dass es nicht nur nach unserer Auffassung ganz offensichtlich das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung gibt, sondern wir müssen auch mit einem BVGUrteil von 1989 umgehen, das das noch einmal ausdrücklich festgelegt hat. Das heißt, wir müssen eine Regelung finden, die auch insoweit Bestand hat. Da wird der gute Wille allein nicht ausreichen.