Protokoll der Sitzung vom 18.05.2001

(Zustimmung von Frau Hemme [SPD])

Das heißt, es geht um Chancen für eine gute Betreuung und Erziehung und um die Chancen für eine gute Bildung und Ausbildung.

(Beifall bei der SPD)

Diese Entwicklungschancen hängen ganz wesentlich damit zusammen, wie Väter und Mütter ihre Erziehungsaufgabe wahrnehmen können

(Frau Schliepack [CDU]: Sehr rich- tig!)

und welche Voraussetzungen Männer und Frauen für ihre eigenen Lebensentwürfe vorfinden.

Es geht also um die Frage, wie sich emanzipatorische Prozesse in unserer Gesellschaft weiter entfalten können.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte das noch zuspitzen.

(Koch [CDU]: Geht nicht mehr!)

Frau Pothmer hat das schon getan. Immer weniger Frauen in Deutschland sind bereit, die Konsequenzen eines noch immer durch und durch patriarcha

lischen Gesellschaftssystems zu tragen. Nach sexueller Selbstbestimmung und rechtlicher Gleichstellung geht es heute um tatsächlich partnerschaftliche und gleichberechtigte Lebensentwürfe.

(Zuruf von Frau Schwarz [CDU])

Selbst wenn wir ganz Deutschland mit Ganztagsangeboten zupflastern und damit Frauen überhaupt die Möglichkeit geben, Kinder und Berufstätigkeit zu verbinden, wird das nicht automatisch die Geburtenrate steigern.

(Zustimmung von Frau Hemme [SPD])

Wir können das an der Entwicklung nach der Wiedervereinigung nachvollziehen, denn in den neuen Ländern gab es zwar genug Betreuungsangebote, aber die Geburtenrate ist um die Hälfte gesunken.

Mehr Kinder bekommen die Frauen nur dann, wenn es gelingt, die patriarchalischen Bastionen in den Verwaltungen, Hochschulen, Betrieben und im Privaten einzureißen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kurz und gut, meine Damen und Herren: Familienpolitik muss heutzutage frauenpolitisch und gesellschaftspolitisch angepackt werden, sonst verfehlt sie ihr Ziel.

(Zustimmung von Frau Lau [SPD])

Der Bundeskanzler hat es Anfang des Jahres in der Evangelischen Akademie in Tutzing auf den Punkt gebracht:

(Frau Schliepack [CDU]: Ausgerech- net der!)

Obwohl es seit gut 100 Jahren in „Mode ist, die Familie totzusagen, ist sie als Beziehungsgeflecht verwandter Personen aus verschiedenen Generationen von beeindruckender Vitalität und Wandlungsfähigkeit.“

(Zuruf von Rolfes [CDU])

Jetzt kommt es:

„Die Wandlungsfähigkeit zu stärken und zu unterstützen – dazu ist die Politik aufgefordert.“

(Rolfes [CDU]: Davon versteht er ja auch was!)

Frau Ministerin, möchten Sie eine Frage der Kollegin Pawelski beantworten?

Nein, ich möchte weitersprechen. Die Lautstärke ist ohnehin schon beachtlich.

Einen Augenblick, bitte! – Ich habe mehrmals geklingelt und bitte, dass sich der Lärmpegel wirklich etwas vermindert. Umso schneller können wir die Beratung zu einem hoffentlich guten Ende führen.

Das ist ein guter Vorschlag.

Der Präsident kommt auch ohne den Kommentar der Landesregierung aus.

(Heiterkeit bei der CDU – Koch [CDU]: Gott sei Dank!)

Schade, ich wollte ihn jetzt einmal loben, aber das war wohl nichts.

So verstanden ist Familienpolitik heute auch und vor allem eine Politik, die den Wertewandel befördert, geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen hinterfragt und Partnerschaft zwischen Frauen und Männern, Müttern und Vätern zur gelebten Praxis werden lassen muss. Hierbei gibt es noch viel zu tun. Dabei können neue Leit- und Vorbilder helfen. Es wäre doch sehr zu begrüßen, und wir sollten es aktiv fördern, wenn in den Medien – z. B. in den Frauenzeitschriften – nicht nur die modernen Frauen zu finden wären, die erfolgreich Karriere, Familie und Beruf gestalten, sondern auch die modernen Väter - Manager, Wissenschaftler, Spitzensportler, Politiker oder Landtagsabgeordnete -,

(Coenen [CDU]: Die sitzen doch alle hier!)

die ihren Job gut machen und darüber hinaus ihre Aufgaben in der Familie und Kindererziehung nicht vernachlässigen.

(Zurufe von der CDU)

- Wenn es sie denn hier gibt, dann stellen Sie sich doch zur Verfügung, damit auch in den Männermagazinen dieses Leitbild des modernen Mannes präsentiert wird.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, so wichtig und zentral eine breite gesellschaftliche Diskussion und ein Wertewandel sind, so lässt sich allein dadurch eine zukunftsorientierte Familienpolitik natürlich nicht bestreiten. Familien haben Anspruch auf Unterstützung und Entlastung durch Staat und Gesellschaft. Es geht um gleiche Chancen für Familien mit und ohne Kinder. Gerechtigkeitslücken müssen geschlossen werden. Kinder zu haben darf keine Last und erst recht kein Armutsrisiko sein.

(Beifall bei der SPD)

Ich unterstütze ausdrücklich die Kritik des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfamilienministeriums daran, dass Familien mit hohem Einkommen deutlich mehr von den Steuerfreibeträgen profitieren als Familien mit einem durchschnittlichen oder niedrigen Einkommen.

Das Ehegattensplitting - das sage ich immer wieder - gehört in diesem Zusammenhang ebenfalls erneut auf den Prüfstand. Es ist überholt, es entspricht nicht der Modernität, die wir an Familie heute anlegen müssen. Wir alle aber wissen, dass dabei eine Bastion einzureißen ist. Es gab inzwischen schon zahlreiche Anträge - insbesondere innerhalb der SPD -, aber die Mehrheiten haben wir immer noch nicht. In unseren eigenen Reihen werden wir dafür weiter werben müssen.

(Frau Pruin [CDU]: Unsere haben Sie abgelehnt!)

- Wenn Sie mir vorlegen könnten, dass sich die CDU für die Abschaffung des Ehegattensplittings eingesetzt hat, würde ich das als Zitat immer in meine Reden aufnehmen.

Es geht natürlich ganz entscheidend um die Frage, wie wir Familien entlasten und wie es leichter

wird, Kinder zu haben. Das heißt, wie erfüllen wir die Forderung nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Die Bundesregierung hat mit der neuen Elternzeit und dem Recht auf Teilzeit wichtige Voraussetzungen geschaffen.

Meine Damen und Herren, Familienpolitik nimmt auf der politischen Agenda der SPD und in der Niedersächsischen Landesregierung inzwischen einen hohen Rang ein. Aber auch in der Vergangenheit sind gute Entscheidungen getroffen worden, sodass wir heute von einer guten Basis ausgehen können.

Wir haben 80 000 neue Kindergartenplätze geschaffen. Allerdings: Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz mit vierstündiger Betreuung, wir er im Kinder- und Jugendhilfegesetz festgeschrieben ist, war zwar unbestritten ein immenser Fortschritt, aber vier Stunden reichen für viele Eltern nicht aus, um auch nur einer Halbtagstätigkeit nachzugehen.

Deshalb ist in Niedersachsen in den letzten Jahren das Angebot an Ganztagsplätzen ausgeweitet worden. Etwa ein Fünftel der Kindergartenkinder kann schon jetzt ganztags im Kindergarten betreut werden. Die Kommunen bleiben gefordert, auch bei knappen Finanzen dem Bedarf entsprechend das Angebot weiter aufzustocken.