Protokoll der Sitzung vom 13.06.2001

Der ständige Wechsel von Positionen ist also nicht in Ordnung. Das schafft auch kein Vertrauen.

(Dr. Schultze [SPD]: Diese ewige Meckerei!)

- Ich weiß ja nicht, wie oft Sie schulpolitische Diskussion führen, Herr Dr. Schultze. Wahrscheinlich nie. So einfach ist das eben nicht.

(Zuruf von Wernstedt [SPD])

Wenn man von Positionen überzeugt ist, versucht man, sie durchzusetzen. Gerade im pädagogischen Bereich ist das sehr wichtig, Herr Wernstedt; ich weiß ja, wie Sie zur Orientierungsstufe stehen.

Gerade zur Orientierungsstufe liegt uns eine umfangreiche Untersuchung vor. Alle Ergebnisse sind bekannt. Es hat eine Bestandsaufnahme gegeben, gegenüber der die jetzige Untersuchung eine Farce ist. Eigentlich liegt alles vor, was man braucht, um eine Entscheidung zu treffen.

Wenn es um die Entscheidung über die Schulstruktur geht, lassen wir uns von zwei Dingen leiten: Bildungsgänge müssen langfristig organisiert sein, und sie müssen, ausgestattet mit klaren Profilen, differenziert auf die Begabungen der einzelnen Kinder ausgerichtet sein.

Meine Damen und Herren, man braucht nicht schwarz-weiß zu malen. Sicherlich ist in der Orientierungsstufe auch einiges gut gelaufen; das ist doch gar keine Frage. Aber trotz des unbestreitbaren pädagogischen Engagements der Lehrkräfte hat sich die Orientierungsstufe als Schulform nicht bewährt. Das muss man doch einfach akzeptieren, und das hat die Ministerin ja auch in vielen Interviews gesagt - nachdem der Ministerpräsident diese Dinge bekannt gegeben hat.

Ich nenne Ihnen drei Gründe.

Erstens. Die Orientierungsstufe ist auf zwei Jahre angelegt. Damit erfüllt sie nicht die Bedingungen eines langfristigen Bildungsgangs.

(Meinhold [SPD]: Machen wir vier Jahre daraus!)

Zweitens. Die Orientierungsstufe ist immer eine Durchgangsstation gewesen. Angedacht aber war sie seinerzeit als etwas ganz anderes, Herr Wernstedt, nämlich als Eingangsstufe zur Integrierten Gesamtschule.

(Zuruf von Wernstedt [SPD])

- Ich habe eine Rede von Ihnen hier. Ich kann Ihnen das gerne vorlesen.

(Wernstedt [SPD]: Sie schloss das nicht aus! Aber das ist etwas anderes!)

Die Orientierungsstufe ist also immer eine Durchgangsstation gewesen. Aber eine Durchgangsstation wird nie ein vernünftiges pädagogisches Klima schaffen können.

Der dritte Punkt ist sehr wichtig. Die Förderung der leistungsstarken und leistungsschwachen Schüler ist in der Orientierungsstufe nie optimal gelungen. Das führt gerade bei den schwachen Schülern, die jeden Tag ohnehin mehrfach erfahren, dass sie die schwächsten Schüler sind, dazu, dass sie ihr Selbstwertgefühl verlieren. Wir wissen aus der Hauptschule, dass es lange dauert, dieses Selbstwertgefühl, das für die Persönlichkeitsfindung wichtig ist, wieder aufzubauen.

Diese Gründe haben uns letztendlich dazu bewogen zu sagen: Wenn wir über neue Strukturen entscheiden, dann wollen wir die Schulform Orientierungsstufe, die sich so nicht bewährt hatte, abschaffen, dann wollen wir langfristige Bildungsgänge einrichten und die fünften und sechsten Klassen an die Hauptschule, an die Realschule und an das Gymnasium anbinden.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, dies geht natürlich nicht ohne Veränderungen in der Grundschule. Wir können die Grundschule nicht so weiterlaufen lassen. Die Grundschule muss erheblich gestärkt werden. Sie haben in der Grundschule in den letzten Jahren Unterrichtsstunden gekürzt und sie damit geschwächt, Sie schaffen Vorklassen ab usw. Meine Damen und Herren, wenn Sie die Situation in Niedersachsen einmal mit der in Bayern vergleichen: Ein Schüler, der in Bayern aus der Grundschule entlassen wird, hat faktisch ein Schuljahr mehr Unterricht gehabt als ein Schüler aus Niedersachsen.

(Zustimmung von der CDU - Fasold [SPD]: Das ist falsch!)

Das ist eine Situation, die nicht hinzunehmen ist. Wir brauchen eine Grundschule, in der vernünftig gefördert und gefordert wird. Wenn die Grundschule mit erheblich mehr Unterricht ausgestattet wird, wenn sie die Möglichkeit hat, Kleingruppenarbeit anzubieten, und wenn sie die Möglichkeit

hat, vernünftigen Förderunterricht zu machen, dann ist sie auch in der Lage, eine vernünftige Schullaufbahnempfehlung auszusprechen - eher jedenfalls als eine Orientierungsstufe, in der Kinder über nur zwei Jahre beobachtet werden.

Meine Damen und Herren, eines werden wir auch immer deutlich sagen. Die ganze Strukturuntersuchung hat ja möglicherweise auch zum Ziel gehabt, von den vielen Problemen - Unterrichtsversorgung, Inhaltsfragen, Qualität des Unterrichts - abzulenken. Wir werden in jeder Veranstaltung darauf hinweisen, dass Sie in der Pflicht sind, die Schulen mit Unterricht zu versorgen, Frau Ministerin.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, nehmen Sie doch einmal zur Kenntnis, was der Ministerpräsident gesagt hat. Er hat gesagt, wir haben Nachholbedarf und müssen feststellen, dass Schüler in Bayern und Baden-Württemberg besser ausgebildet werden als in Niedersachsen. - Tun Sie dort Ihre Pflicht! Führen Sie keine unnützen Schulstrukturdiskussionen, sondern versorgen Sie die Schulen mit vernünftigen personellen Ressourcen, schaffen Sie Verlässlichkeit und Kontinuität, verbessern Sie die Unterrichtsversorgung, weiten Sie das Stundenkontingent aus, schaffen Sie bessere pädagogische Verbindungen! Das ist Ihre erste Pflicht, Frau Ministerin, und dann reden wir über Strukturfragen.

(Beifall bei der CDU)

An der Diskussion über die Beschlussempfehlung des Ausschusses möchte sich nun Frau Kollegin Litfin beteiligen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Beschlussempfehlung des Ausschusses gilt eigentlich nur, dass meine Fraktion und ich ihr folgen werden.

Aber es gibt noch mehr dazu zu sagen. Karl-Heinz Klare, Sie haben hier gesagt, dass wir über eine Schulstrukturreform zu entscheiden haben. - Ich bin froh, dass Sie und Ihre Fraktion nicht über eine Schulstrukturreform zu entscheiden haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich hoffe, dass es auch nicht so weit kommt, dass Sie entscheiden werden, denn ich halte Ihren Ansatz für falsch. Ich halte es für falsch, Kinder schon nach vier Jahren Grundschulzeit in das von Ihnen so genannte begabungsgerechte dreigliedrige Schulwesen zu sortieren. Dieser Zeitpunkt ist - das habe ich hier schon oft gesagt und auch mit Meinungen von Wissenschaftlern und mit Ergebnissen von Untersuchungen belegt - viel zu früh, um die Kinder auf ihren weiteren Schulweg festzulegen.

Wir würden, wenn wir so handeln würden, die Begabungsreserven auch nicht ansatzweise ausschöpfen können, die wir ausschöpfen müssen, wenn wir die weitere Entwicklung unserer Gesellschaft sichern wollen und wenn wir dem grundsätzlichen Recht auf Bildung, das ein jedes Kind in dieser Gesellschaft hat, nachkommen wollen.

Nur ganz kurz zu Walter Meinhold: Ich kann ja verstehen, dass speziell der Kollege Meinhold meint, diese Debatte sei erledigt, weil er es ja ist, der auf jeder Veranstaltung verkündet, in der SPDFraktion gebe es keine Mehrheit für die Abschaffung der Orientierungsstufe. Nichtsdestotrotz, Walter Meinhold, meint die Regierung, die Debatte ist noch nicht abgeschlossen. Insoweit hat natürlich auch der Antrag der CDU-Fraktion, der aus meiner Sicht inhaltlich falsch ist, seinen Raum innerhalb dieser Debatte.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Er kann auch nicht einfach für erledigt erklärt werden, sondern es ist gut und richtig, wenn die Mehrheit in diesem Hause diesen Antrag ablehnt.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Das Wort hat nun die Kultusministerin. Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe - -

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Frau Ministerin, einen Augenblick, bitte! - Die Wanderbewegungen im Haus haben rapide zugenommen. Das müssen wir wieder abstellen. Vielleicht nehmen Sie doch bitte zügig Ihre Plätze ein.

Bitte sehr, Frau Ministerin!

Herr Klare hat eben gesagt, meine erste Pflicht sei, das Unterrichtskontingent auszuweiten. - Herr Klare, wir haben das bereits ab dem Jahr 2000 mit 500 Stellen getan. Wir haben ferner weitere 500 Stellen im nächsten Jahr festgelegt. Im Rahmen der Bildungsoffensive mit den 100 Millionen DM werden wir noch einmal 2 100 Lehrerstellen mehr in die allgemein bildenden Schulen bringen. Das ist mehr, als Sie in Ihrem Antrag gefordert haben. Das möchte ich an dieser Stelle festhalten. Sie haben 1 500 Lehrerstellen für die allgemein bildenden Schulen und 1 500 für die berufsbildenden Schulen gefordert, einmal ganz abgesehen von den den Bedarf erhöhenden Maßnahmen, die Sie auch noch gefordert haben. Das alles werden wir Ihnen noch einmal vorlegen, wenn wir die Haushaltsanträge dazu diskutieren. Das wird dann ganz spannend.

Frau Ministerin, möchten Sie eine Frage der Kollegin Frau Litfin beantworten?

Ja, gerne.

Frau Ministerin, Sie haben gesagt, durch die neue Bildungsinitiative würden 2 100 zusätzliche Lehrkräfte in die niedersächsischen Schulen kommen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Richtig! Stellen, mehr Lehrkräfte!)

Entschuldigung, die Frage ist noch nicht zu Ende! Sie können dann gleich antworten.

Sie haben in der Pressekonferenz - auch der Ministerpräsident, auch in diesem Papier - nur von 1 100 Stellen gesprochen. Sind die anderen 1 000 Stellen diejenigen, die mein Kollege Golibrzuch durch unsere Haushaltsvorschläge realisieren will?

Nein. In dem Papier sind zwei Finanzierungstableaus: einmal die Bildungsoffensive ab 2000 - die 1 000 Lehrerstellen habe ich eben schon genannt - plus die Mittel im Umfang von 1 000 Stellen. In der Aufstockung der Bildungsoffensive haben wir jetzt nochmals die zusätzlichen Stellen, nämlich die 1 100. Das macht 2 100 zusätzliche Lehrerstellen plus die Mittel im Umfang von 1 000 Stellen. Das bedeutet z. B. für die Grundschule - -