Protokoll der Sitzung vom 14.06.2001

Das Wort hat der Kollege Schwarzenholz für bis zu zwei Minuten.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Vorgehen der Grünen ist ein gutes Beispiel dafür, wie man einen vernünftigen Grundsatz politisch falsch anfasst und verbrennt. Die von Ihnen gewählte Vorgehensweise ist davon geprägt, dass die Federführung offensichtlich von Ihrem wirtschaftsliberalen Finanzexperten übernommen worden ist. Sie schlagen nämlich im Ergebnis vor, eine Reform, die wirklich notwendig ist - das Splitting an den Ehezustand zu binden, muss überwunden werden, das ist keine Frage -, mit einer massiven Kürzung bei ca. drei Vierteln der Arbeitnehmerhaushalte zu verbinden.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Das stimmt doch gar nicht!)

- Natürlich. Die 19 Milliarden DM, die Sie hier als neuen politischen Spielraum herausholen, nehmen Sie in erster Linie den Arbeitnehmerhaushalten. Was Sie ausgeführt haben, sind eben nicht die Extrembeispiele.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Aber die gebe ich ihnen doch wieder zurück!)

- Nein, die kommen nicht direkt zurück. Das ist ein ähnlicher Effekt, wie er auch bei der Ökosteuer eingetreten ist. Das wird von den Menschen als Einkommenskürzung verstanden. Damit machen Sie den Reformansatz kaputt. Man muss darüber diskutieren, ob man bei der bevorstehenden Steuerreform über lineare Steuersenkungen vorgeht oder ob man gezielte Programme bildet, indem man genau das, was Sie als Reformnotwendigkeiten zum Teil richtig formuliert haben, ausfinanziert. Aber dann muss man darauf verzichten, linear Steuern zu senken. Dann muss man die Reform so finanzieren,

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Dazu habe ich doch gar nichts gesagt!)

aber nicht dadurch, Frau Pothmer, dass man als Nachricht in die Arbeitnehmerhaushalte sendet

- davon sind drei Viertel der Familien durch reale Einkommenskürzung betroffen -, dass man ihnen das Geld wegnimmt. Jeder Reformansatz wird durch diese Vorgehensweise verbrannt.

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Familien- förderung ist das Ziel!)

Herr Kollege Aller, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist aufgefallen, dass zwischen dem vorherigen Tagesordnungspunkt, der sich mit der ganztägigen Betreuung und mit ganztägigen Bildungsangeboten befasst hat, und dem, was wir eben diskutiert haben, ein ganz enger örtlicher, zeitlicher und fiskalische Zusammenhang besteht. Das wird daran deutlich, dass die Grünen diese Angebote letztlich aus einer Reform des Ehegattensplittings finanzieren wollen.

Ich rede gar nicht über die Differenz zwischen den zu erzielenden Umschichtungspotenzialen, die dahinter stehen. Aber Tatsache ist, dass, wenn man das Ehegattensplitting mit dem Ziel reformiert, es zeitgemäßer zu organisieren, damit Steuerersparnisse erzielbar sind, die man gezielt in den familienpolitischen Aspekt überführen kann.

Wenn Frau Pothmer nicht nur die Zeitung lesen, sondern auch die Primärquellen anzapfen würde, hätte sie sich einen Teil der Rede sparen können.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Sind Sie eine Primärquelle?)

Es gibt keinen Dissens zwischen der Ministerin für Frauen, Arbeit und Soziales, der SPD-Fraktion und dem Finanzminister. Wir sind uns völlig einig, dass das Thema Ehegattensplitting auf die Tagesordnung gehört,

(Beifall von Frau Pothmer [GRÜNE])

dass es aber nicht darum geht, es abzuschaffen, sondern darum, es zu überprüfen und zu reformieren, das aber mit der notwendigen Sachkunde und dem notwendigen Augenmaß.

Frau Pothmer, auch Sie sind auf die Verfassung dieses Landes vereidigt.

(Möllring [CDU]: Nein!)

- Sie ist verpflichtet, auf der Basis der Verfassung zu arbeiten. Ich lese Ihnen einmal vor, was in Artikel 6 steht: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ Also beides nebeneinander. Die Ausgestaltung dieser beiden Komplexe ist die entscheidende Frage, über die wir uns unterhalten.

Ich will deutlich machen, dass die Entscheidungen, die in Berlin zur Familienpolitik anstehen - in der Kindergeldfrage und den Familienleistungselementen -, derzeit ein Volumen von 5 Milliarden DM beinhalten. Das ist die eine Seite der Medaille. Hier wird Geld in Familienpolitik und Kindergeld „investiert“. Das ist dringend notwendig gewesen, das folgt einem Richterspruch von Karlsruhe, und das ist eine ganz, ganz wichtige Entscheidung. Aber damit geht das Geld in die Privathaushalte.

Die zweite Frage, unter der wir das Ehegattensplitting diskutieren, ist die Frage der Steuergerechtigkeit und Steueranpassung. Hier ist die eindeutige Auffassung der Landesregierung, dass wir parallel und gemeinsam mit dem, was in Berlin derzeit diskutiert wird, die Reform des Ehegattensplittings anfassen werden. Hier gibt es den Dissens zu den Grünen, Frau Kollegin Pothmer. Es wird nur gemeinsam funktionieren, diese Reformbestrebungen durchzusetzen. Das hat etwas mit Realpolitik zu tun. Ihre Partei sitzt in Berlin mit in der Regierung, hier aber leider nicht.

(Decker [CDU]: Leider? Gott sei Dank! - Zurufe von der SPD: Leider?)

- „Leider“ insofern, als wir keine einheitliche Position entwickeln müssen. Der entscheidende Punkt wird sein, dass wir Wert darauf legen, dass wir Mehrheiten für eine Reform des Ehegattensplittings organisieren. Dafür brauchen wir den parallelen Ansatz zwischen der Landesebene und der Bundesebene. Wir müssen auch den gesellschaftspolitischen Konsens erreichen, der sich ja hier in der Spaltung der Diskussionsargumente sehr deutlich ablesen lässt.

Wir brauchen auch im Bundesrat die entsprechenden Mehrheiten. Wenn man das, was Herr Rolfes hier vorgetragen hat, mit dem vergleicht, was Sie gesagt haben, wird es keinen gemeinsamen Lösungsansatz geben. Deshalb sind wir auf die Kompromissformel aus, die ich skizziert habe, nämlich Überprüfung, Bewertung der Sachverhalte Ehe auf der einen, Familienförderung auf der anderen Sei

te. Das Instrumentarium ist die modifizierte Fassung des Ehegattensplittings.

Einig sind wir wiederum darin, dass, wenn es denn aus der Modifizierung und Neuregelung des Ehegattensplittings ein Mehraufkommen gibt, dieses gezielt an die Familien zurückzugeben ist. Das ist, offen gesagt, ein Entscheidungsprozess, der nicht gegen die Ehe als Institution gerichtet ist, sondern der den gesellschaftlichen Wandel von Ende der 50er-Jahre bis heute steuerlich nachvollzieht. Der ist von Ihnen und den anderen Vorrednern richtig beschrieben, von Herrn Rolfes aber nur bedingt wahrgenommen worden. Das ist das Problem. Dem muss man sich dann auch in den Argumenten nähern.

Wichtig ist, dass wir aus niedersächsischer Sicht durchgesetzt haben, dass das Kindergeld - verfassungsrechtlich untermauert - im Verhältnis von 74 : 26 finanziert wird: Der Bund trägt drei Viertel, wir tragen ein Viertel der Lasten. Außerdem haben wir bei dem Familienleistungsausgleich die vernünftige Regelung nach den Einkommensteuerverteilungskriterien erreicht.

Fasst man das zusammen, kann ich Ihnen versichern, dass wir diskussions-, gesprächsbereit und bereit für die Reform sind, allerdings nicht zu den apodiktischen Formeln, die Sie auf den Tisch gelegt haben. Wir sind für einen gesellschaftlichen Konsens, der verfassungsrechtlich trägt, denn nur dann ist er im Ergebnis auch erfolgreich. - Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD - Frau Pothmer [GRÜNE]: Herr Aller, ich habe einen Vorschlag gemacht! Das war doch nicht apodiktisch!)

Für zwei Minuten hat noch einmal die CDUFraktion das Wort. Herr Kollege Wulff!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte noch etwas zum besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes sagen, gerade vor dem Hintergrund der Einfügung dieser Debatte in unsere Tagesordnung; Herr Minister Aller hat darauf hingewiesen.

Wir haben eben über Kinderbetreuung diskutiert, die nach vielerlei Vorstellungen offensichtlich zum Teil an den Staat verantwortet werden und nicht mehr bei den Eltern verbleiben soll. Wir diskutieren gleich über Homosexualität im Unterricht und haben gestern die Eintragung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften gegen unsere Stimmen hier beschlossen bekommen. Ich glaube schon, dass vor dem Hintergrund, dass in Zukunft Hinterbliebenenversorgung in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften eingeführt ist und der Krankenversicherungsschutz in diesen Lebensgemeinschaften durchgesetzt ist, eine Rechtfertigung bestehen bleibt, Mann und Frau, also die Ehe als Institution, in besonderer Weise zu fördern,

(Zustimmung bei der CDU)

weil Menschen - Herr Kollege Rolfes hat darauf überzeugend hingewiesen - für ein Leben lang Verantwortung füreinander übernehmen und dann, wenn in dieser Lebenspartnerschaft etwas passiert, wenn eine besondere Situation eintritt, der Ehepartner primär und der Staat subsidiär haftet und nicht der Staat primär haftet, wie es bei anderen Lebensformen und Lebensgemeinschaften der Fall ist.

Diese Tatsache liegt auch im staatlichen Interesse und rechtfertigt es, dies in einer besonderen Weise zu begünstigen. Ich würde mich freuen, wenn mehr Kolleginnen und Kollegen hier auch Respekt davor hätten, dass in dieser Lebensgemeinschaft, in dieser gemeinsamen Lebensführung etwas mehr unter den Ehepartnern entschieden werden darf, wie die Erwerbstätigkeit und die Familientätigkeit untereinander aufgeteilt werden.

(Beifall bei der CDU)

Es sollte auch ein Stück weit Respekt den Partnern einer Ehe entgegengebracht werden, aufzuteilen, wer von ihnen stärker und wer weniger berufstätig ist, wer stärker und wer weniger in der Lebenspartnerschaft die Verantwortung übernimmt. Das, was jetzt noch an Ehegattensplitting vorhanden ist - Sie haben es ja massiv gekürzt -, ist so gering, dass das zumindest erhaltenswert ist auch im Sinne einer Weiterentwicklung zu einem Familiensplitting, wo man die Kopfzahl der Familienmitglieder, also insbesondere die Kinder, höher gewichtet. Diesen Aspekt wollte ich hier noch einmal anführen.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Pothmer, Sie haben noch Redezeit.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wulff, es reizt mich doch, auf Ihre Argumente noch einmal kurz einzugehen. Es wäre für mich sehr hilfreich, wenn Sie mir erläutern könnten, wie Sie es rechtfertigen, dass der Staat die Ehen nicht gleichermaßen fördert, sondern innerhalb der Ehe nur ein ganz bestimmtes Modell fördert. Wenn sich ein Paar z. B. dafür entscheidet - ich finde, da sollte der Staat weder in Form einer Förderung noch in Form einer Bestrafung eingreifen -, Kindererziehung und Berufstätigkeit gleichermaßen zu teilen, also einen solchen auf Gleichberechtigung orientierten Lebensentwurf leben will, warum profitiert es dann nicht in gleichem Maße vom Ehegattensplitting?

Frau Pothmer, möchten Sie eine Zwischenfrage gestatten?

Nein. - Herr Wulff, ich möchte Sie nur noch einmal darauf hinweisen - vielleicht haben Sie den Antrag nicht richtig gelesen -: Wir haben in unserem Antrag ausdrücklich darauf Bezug genommen, dass die Ehe auch als Unterhaltsgemeinschaft existiert und sie sich insoweit auch von anderen Lebensformen unterscheidet. Darauf nehmen wir Rücksicht und sagen: Genau das ist die Begründung dafür, dass es auch eine bestimmte Form von Eheförderung geben soll. Wir sind allerdings der Meinung, dass diese Form der Eheförderung - die soll es auch nach unseren Vorstellungen geben auf die Höhe des Realsplittings begrenzt sein sollte.

(Zustimmung von Frau Janssen-Kucz [GRÜNE])

Herr Wulff!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Pothmer, Sie haben um eine Antwort gebeten. Die Rechtsprechung des Bundesverfas

sungsgerichts und des Bundesfinanzhofs stellt darauf ab, dass es ein Verhältnis zwischen der steuerlichen Behandlung und zivilrechtlichen Unterhaltspflichten gibt. - Schönen Dank, Herr Wegner, dass Sie das als Jurist bestätigen. - Wenn ein höheres Einkommen vorliegt, besteht natürlich auch eine höhere zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtung. Das muss sich auch in der steuerrechtlichen Behandlung niederschlagen. Das ist die Ursache für diese Ungleichbehandlung.

(Zustimmung bei der CDU)

Ich finde, das ist ein spannender Dialog. Deswegen hat Frau Kollegin Pothmer noch einmal eine Minute Redezeit.

(Fischer [CDU]: Das ist ja eine Kurzintervention!)