Protokoll der Sitzung vom 15.06.2001

(Möllring [CDU]: Können Sie diese eine Seite einmal kopieren und Herrn Adam geben?)

Dieser Grundsatz, Herr Möllring, den das Gericht aufgestellt hat, ist übrigens einer, den keine klagende Gemeinde in dem Verfahren überschritten hat; also keine der klagenden Gemeinden entsprach den Kriterien, die der Staatsgerichtshof hier aufgestellt hat.

(Möllring [CDU]: Göttingen z. B.!)

Insoweit will ich einmal die Hoffnungen

(Möllring [CDU]: Oder Salzgitter!)

etwas vermindern, dass man aufgrund dieser Aussage wesentlich mehr Erfolg beim Einfordern von Bedarfszuweisungen hat. Hieraus folgt eben keineswegs, wie von Ihnen fälschlicherweise behauptet, dass der Gesetzgeber zwingend gehalten sei, den Bedarfszuweisungsfonds für die nächsten Jahre aufzustocken.

Der Staatsgerichtshof verwendet in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich und bewusst den Begriff „Vorkehrungen“. Auf der einen Seite hat der Staatsgerichtshof ganz deutlich gemacht, dass sich aus Artikel 58 der Niedersächsischen Verfassung auch ein Individualanspruch jeder einzelnen Kommune ableitet, auf der anderen Seite hat er es ausweislich seiner Wortwahl eindeutig dem Gesetzgeber überlassen, wie er diesen Individualanspruch im Einzelfall zu erfüllen gedenkt. Hierzu kann der Gesetzgeber - ich betone dies ausdrücklich - auch das Instrument der Bedarfszuweisungen heranziehen.

Darüber hinaus wird die Urteilsbegründung des Staatsgerichtshofs insoweit Wirkungen auf die Praxis der Vergabe von Bedarfszuweisungen haben, als zukünftig Bedarfszuweisungsanträge mit unterschiedlichen Intentionen vorliegen können. So wird es in Zukunft auch Kommunen geben können, die mit ihrem Antrag unter Berufung auf die Urteilsbegründung des Staatsgerichtshofs einen Rechtsanspruch auf die Gewährung einer Bedarfszuweisung geltend machen werden.

(McAllister [CDU]: Na also!)

- Ich will Ihnen doch gar nicht widersprechen; lassen Sie mich das doch einmal erläutern.

(McAllister [CDU]: Sie kriegen doch eine Flut von Anträgen, Herr Minis- ter!)

Bei diesem neuen - ich nenne ihn einmal so - Bedarfszuweisungsantragstellerkreis werden die zuständigen Bewilligungsbehörden und die Kommunalaufsichtsbehörden intensivst prüfen, ob die vom Staatsgerichtshof normierten hohen Anspruchsvoraussetzungen auch tatsächlich erfüllt sind. Es geht also um eine sorgfältige Prüfung im Einzelfall und nicht um das Verteilen von zusätzlichen Bedarfszuweisungsmitteln mit der Gießkanne.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen McAllister?

Bitte schön!

Herr Minister, wenn Sie die Urteilsbegründung im Gegensatz zu dem Kollegen Adam richtig verstanden haben und Sie auch damit rechnen, dass es eine Flut von Anträgen auf Bedarfszuweisungen geben wird, glauben Sie allen Ernstes, dass die 125 Millionen DM ausreichen werden?

(Adam [SPD]: Sind Sie eigentlich Ju- rist, junger Mann?)

Herr Minister!

Zum einen weise ich das, was Sie über den Kollegen Adam gesagt haben, zurück. Zum anderen weise ich aber auch auf das hin, was ich eben gesagt habe, Herr McAllister, nämlich dass die Kriterien, die der Staatsgerichtshof für die Vergabe aufgestellt hat, so hohe Hürden errichten, dass ich nicht per se damit rechnen kann, dass eine Verdoppelung der Bedarfszuweisungen stattfindet. Sie wissen, dass wir schon jetzt bei jeder Bedarfszuweisung die individuelle Prüfung für jede Gemeinde durchführen und natürlich auch nicht jeder Antrag genehmigt wird, weil nämlich Kommunen auch eigenen Anstrengungen unternehmen müssen; dazu komme ich noch.

(Oestmann [CDU]: Die stellen ja nicht leichtfertig solche Anträge!)

- Nein, das gebe ich ja gern zu, Herr Oestmann; das wird niemand leichtfertig tun. Aber die Kommunalaufsichtsbehörden sind auch schon nach den alten Kriterien gehalten, genau zu prüfen, ob denn die Kommune selbst bereits alles getan hat, was sie hätte machen müssen. Das ist in der Entscheidung des Staatsgerichtshofs noch einmal festgeschrieben worden, ebenso wie die Tatsache, dass es einen Teil geben wird, bei dem die Kommunen sogar einen Anspruch haben. Aber dieser Individualanspruch muss nachgewiesen werden. Das kann ich nicht per se mit dem Hinweis beantworten: Da müssen jetzt 100 Millionen DM drauf.

Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand gibt es nur sehr wenige Kommunen, Herr McAllister, für die diese einen verfassungsrechtlichen Individualanspruch begründenden Kriterien des Staatsgerichtshofs tatsächlich vorliegen könnten.

(Collmann [SPD]: Aha!)

Im Gegenteil: Die Berichte der Kommunalprüfungsämter über die Prüfung der Kommunen, die der Aufsicht der Bezirksregierungen unterliegen, bieten neben Aussagen über die unzweifelhaft angespannte Finanzlage, die ich gar nicht schönreden will, vielfältige Hinweise auf unwirtschaftliches Verhalten, nicht realisierte Einsparpotentiale und nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgte Konsolidierungskonzepte.

(Möllring [CDU]: Gucken Sie sich das mal im Einzelfall an! Das ist zum Teil überhaupt nicht haltbar!)

Es kann aber nicht sein, dass das Urteil des Staatsgerichtshofs künftig so ausgelegt wird, dass die von mir soeben aufgezählten Missstände in einzelnen Kommunen künftig mit den Mitteln der Bedarfszuweisungen zulasten aller übrigen Kommunen ausgeglichen werden. Dies wird im Zweifel eine noch striktere Haushaltsprüfungs- und -genehmigungspraxis durch die zuständigen Aufsichtsbehörden nach sich ziehen müssen, meine Damen und Herren. Nur wer alles getan hat, was in seiner Kraft steht, und dennoch nicht mehr handlungsfähig ist, kann den vom Staatsgerichtshof grundsätzlich normierten Individualanspruch auch zu Recht geltend machen.

(Zuruf von der CDU: Das sind aber Fehlbeträge!)

Das heißt aber umgekehrt, dass aufgelaufene Fehlbeträge zunächst aus eigener Kraft abgebaut werden müssen. Wenn sich beispielsweise eine Kommune weigert, für Verwaltungszwecke nicht benötigtes Vermögen zu veräußern, darf sie nicht auf die Hilfe zulasten der anderen hoffen.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen daher einen von Herrn Adam schon angedeuteten anderen Weg nennen, den wir vorhaben und den ich Ihnen gestern bereits in der Dringlichen Anfrage ausführlich beschrieben habe. Herr Klein, dabei bewegen wir uns auf demselben Weg. Wir müssen in der Tat stärker bündeln, um in den Gebieten, in denen besondere, auf Dauer angelegte Probleme bestehen, diese Probleme in den Griff zu bekommen. Ich meine das, was Sie genannt haben, nämlich neben den Bedarfszuweisungen Mittel aus den europäischen Bereichen. Ich habe gestern Mittel aus der Städtebauförderung genannt. In dem Zusammenhang ist die Strukturkonferenz Harz ein erster Schritt, mit der wir als Pilotprojekt so etwas

in Gang setzen wollen. Das ist unser Weg. Den können wir sicherlich auch Erfolg versprechend gehen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD – Möllring [CDU]: Leider hat er gar nichts zur Samtgemeinde gesagt!)

Herr Wulff, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, weil ich es nicht in Ordnung finde, was Herr Adam hier gemacht hat.

(Beifall bei der CDU – Adam [SPD]: Sagen Sie doch mal etwas zu McAl- lister und seinem Beruf!)

Herr Adam, es gibt den guten parlamentarischen Brauch, dass man Probleme austauscht und sich darüber verständigt, ob man diese lösen oder verstärken will. Dass Sie aber über die Dinge, die in Niedersachsen Fakt sind, so hinwegreden bzw. sie schönreden und die Wirklichkeit nicht annehmen, ist für die CDU-Landtagsfraktion unerträglich.

(Beifall bei der CDU – Möllring [CDU]: Das finde ich auch!)

Uns empört in der Sache, dass Sie die vorliegenden Tatsachen nicht annehmen wollen,

(Zuruf von der SPD: Tun Sie das denn?)

nämlich dass die ersten Samtgemeinden ihre Selbstauflösung beantragt und betrieben haben und dass die ersten Gemeinden am Ende ihrer Handlungsmöglichkeiten sind. In einer ersten Welle haben sie Vermögen veräußert und Personal abgebaut - und zwar weit mehr als das Land Niedersachsen in einem der vergangenen zwölf Haushaltsjahre -, und nun in einer zweiten Welle können sie nichts mehr entscheiden; sie können Parkgebühren oder Kita-Gebühren nicht mehr reduzieren und Investitionen nicht mehr vornehmen. Sie sind am Ende ihrer Handlungsmöglichkeiten.

Wenn Ihre Bezirksregierungen als mittelbare Landesverwaltung einen Fehlbedarf von 860 000 DM in einer kleinen Gemeinde attestieren und wenn Bedarfszuweisungen in Höhe von 80 000 DM zu

geteilt werden, dann bedeutet das faktisch das Ende solcher Gemeinden und führt zu einer Reihe von Fusionen und Konzentrationsprozessen in den nächsten Jahren. Sie treiben die Gemeinden in Fusionen und Konzentrationen, in Gebiets- und Verwaltungsreformen, weil die finanzielle Grundlage von Ihnen zerstört worden ist. - Das ist die Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU)

Ich gehe davon aus, dass man Ihren Statistiken trauen muss. Diese sagen eindeutig aus, dass in den Jahren 1986, 1987 und 1988 die gesamten Kassenkredite der Kommunen in Niedersachsen 80 Millionen DM, 85 Millionen DM und 92 Millionen DM betragen haben. In den vergangenen drei Jahren haben die Kassenkredite 2,6 Milliarden DM, 2,9 Milliarden DM und 3,4 Milliarden DM betragen. Sie spekulieren doch darauf, dass die meisten Leute in Niedersachsen gar nicht mehr wissen, was Milliarden sind - nach dem Motto: Ob 1 Milliarde oder 1 Million, das ist kein so großer Unterschied. - Aber 3,4 Milliarden DM sind 3 400 Millionen DM. Das entspricht einer Verfünfzigfachung der Kassenkredite in den vergangenen zehn Jahren bis heute.

(Beifall bei der CDU)

Lieber Herr Adam, Sie haben Ihre Wortmeldung wieder zurückgezogen. Das hätte ich an Ihrer Stelle auch getan; denn Sie müssen darüber noch eine Nacht schlafen.

(Zuruf von Adam [SPD])

Sie sind doch in der Situation, dass in Deutschland mehr als die Hälfte aller Kassenkredite von niedersächsischen Kommunen aufgenommen werden. Wir sind aber eines von sechszehn Bundesländern.

(Beifall bei der CDU)

Wir wissen alle im Hause, dass normalerweise in Statistiken gilt, dass Niedersachsen einen Anteil von round about 10 % hat – bei den guten Dingen meist etwas weniger, bei den schlechten Dingen meist etwas mehr.

Aber Sie haben es geschafft, bei den Kassenkrediten unserer Kommunen einen Anteil in Deutschland von mehr als 50 % zu erreichen. Das ist doch ein Skandal, über man sich doch aufregen kann. Dazu kann man nur sagen: Wir haben einen Innenminister, der sozusagen gegen die Kommunen operiert.

(Beifall bei der CDU)