Protokoll der Sitzung vom 24.10.2001

Da gibt es ein familienpolitisches Gesamtkonzept, bessere Kinderbetreuung, Hilfe bei der Erziehung

und Entlastung für Familien in besonderen Situationen. Da ist gerade ein Bündnis für ein Leben mit Kindern gegründet worden. Erstmals sitzen Landesregierung, kommunale Spitzenverbände, Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Wohlfahrtsverbände usw. einvernehmlich an einem Tisch, um Familien hier in Niedersachsen den Rücken zu stärken.

(Beifall bei der SPD)

Da gibt es weitere Familienservicestellen, die Eltern helfen werden, Familie und Beruf besser zu vereinbaren. Da ist ein Kinder- und Jugendplan in Arbeit, der z. B. Themen wie Gewalt gegen Kinder, Gewalt durch Rechtsradikalismus sowie die Berufsnot junger Menschen und geschlechtsspezifische Arbeit behandelt. Dieser Plan wird mit 2 Millionen DM pro Jahr flankiert. Da sind die Arbeitsmarktprogramme neu gebündelt worden enger verzahnt, mehr für Frauen, junge Menschen, mehr für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dort, wo neue Jobs gefördert werden, findet gleichzeitig die Qualifizierung der Kräfte statt. Da ist ein Sonderprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit aufgelegt worden. Das bedeutet für junge Menschen 1 200 neue Ausbildungsplätze.

(Zuruf von Frau Pawelski [CDU])

- Es ist natürlich problematisch, wenn man keine Alternativen hat und dann vorgelesen bekommt, was hier alles geleistet wurde.

(Beifall bei der SPD - Frau Pawelski [CDU]: Was hat sie denn geleistet, außer Papier zu produzieren?)

Da gibt es den Dialog „Soziales Niedersachsen“, der ins Leben gerufen wurde. Da haben im August sieben Jugendbüros - eine Forderung, die schon umgesetzt wurde, bevor Ihr Fraktionsvorsitzender draufsprang - mit ihrer Arbeit begonnen - jetzt landesweit -, mit dem Ziel, Arbeit statt Sozialhilfe für junge Menschen zu ermöglichen.

Da gibt es die Offensive „Bürgerschaftliches Engagement für Niedersachsen“, die mit 2 Millionen DM jährlich für mehr Förderung von Ehrenamt, bürgerschaftlichem Engagement und Selbsthilfe verbunden ist. Etwas, was Sie mithilfe von Entschließungsanträgen versuchen auf den Weg zu bringen, wird also schon lange gemacht.

Es ist ein Sozialhaushalt vorgelegt worden, in dem trotz der angespannten Haushaltslage die Ansätze sämtlicher freiwilliger Leistungen entweder gehalten oder sogar ausgebaut worden sind. Da hat ein einvernehmlich beschlossenes Krankenhausinvestitionsprogramm mit neuer Schwerpunktsetzung den Planungsausschuss passiert.

(Frau Pawelski [CDU]: Darüber wer- den wir noch im Ausschuss reden!)

Da gibt es eine Neuausrichtung der Arbeitsmarktpolitik. Da gibt es eine Verbesserung der Betreuung schwerstkranker Kinder und die Umsetzung des Gewaltschutzgesetzes in Niedersachsen.

Meine Damen und Herren, nach einer zehnmonatigen Amtszeit ist das eine Leistungsbilanz, auf die nicht nur die Ministerin, sondern auch die sie tragende Fraktion wirklich stolz sein kann.

(Beifall bei der SPD - Frau Pawelski [CDU]: Jetzt spricht der künftige stellvertretende Fraktionsvorsitzen- de!)

Meine Damen und Herren, ein Ministerium, das eine derartige Leistungsbilanz vorlegt, kann nicht von demotivierten und frustrierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern getragen sein; die würden so etwas überhaupt nicht zustande bringen.

(Beifall bei der SPD)

Wissen Sie, ich finde, solange CDU-Abgeordnete das System Wulff schlimmer als das System Kohl finden - Herr Mühe hat darauf hingewiesen - und solange Herr Busemann ein Rechtsgutachten des GBD gegen den Arbeitsstil seines eigenen Vorsitzenden auf den Weg bringen muss, so lange haben Sie keine Legitimation, sich über die Vertrauensbasis auf anderen Ebenen zu unterhalten. Meine Damen und Herren, ich finde, dass die CDUFraktion einmal eine anonyme Umfrage im eigenen Haus starten und über das Arbeitsklima in ihrem Hause diskutieren sollte. Wenn Sie dann ansatzweise die Werte von Frau Trauernicht erreichen, werden die Debatten, die gegen Herrn Wulff geführt werden, aufhören.

Ich finde, dass hier eine hervorragende Arbeit vorgelegt worden ist. Wir werden diese Sachpolitik weiter vorantreiben. Sie werden weiter ohne Perspektive und Alternative dasitzen. Und deshalb werden Sie auch genau da sitzen bleiben, wo Sie

sind. Mehr als Opposition ist da wirklich nicht drin, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD - Fischer (CDU): Das heißt, Sie ignorieren die Stimmung in Ihrem Hause! Also weiter so!)

Zu dem Punkt 1 a) der Aktuellen Stunde liegt keine weitere Wortmeldung vor, sodass wir zu Punkt 1 b) der von den Grünen beantragten Aktuellen Stunde übergehen können:

b) Jüttners Inkonsequenz blockiert Sicherheit. Atomkraftwerke abschalten - Castortransporte absagen! - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/2792

Ich gebe das Wort der Frau Kollegin Harms und bitte das Haus um Aufmerksamkeit.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Haben Sie jemals an einem Erörterungstermin teilgenommen, der im Rahmen eines atomrechtlichen Genehmigungsverfahrens durchgeführt worden ist?

(Zurufe: Ja!)

Wenn ja, dann garantiere ich dafür, dass Sie sich so wie ich an diejenigen Einwenderinnen und Einwender erinnern, die in den vergangenen 20 Jahren bei solchen Terminen immer wieder ihre Befürchtung zum Ausdruck gebracht haben, dass Atomanlagen gegen terroristische Angriffe nicht sicher sind. Solche Einwenderinnen und Einwender wurden bei solchen Erörterungsterminen in der Regel wie Fantasten behandelt. Anstelle von Erklärungen zur Sicherheit gab es auf solchen Erörterungsterminen schon damals Hinweise auf die notwendige Geheimhaltung.

Und heute? Was ist nach dem 11. September geschehen? - Heute sind wir alle zu der Auffassung gelangt, dass die so genannten Fantasten aller Erörterungstermine Recht gehabt haben. Sicherheitstechnisch ist in der Bundesrepublik sowie in allen anderen westlichen Atomnationen nichts mehr so, wie es war. Möglicherweise halten einige unserer Atomkraftwerke stand, wenn Militärjets auf diese Reaktoren stürzen. Allerdings ist inzwi

schen wohl unumstritten, dass ein Absturz größerer Passagierflugzeuge auf oder auch nur unmittelbar neben ein Kraftwerk sehr große Zerstörungen zur Folge haben würde. Wahrscheinlich würde dann infolge z. B. des Bruches von Kühlleitungen eine Kernschmelze einsetzen.

Interessant ist in diesem Zusammenhang für mich eine Stellungnahme des Niedersächsischen Umweltministers, also des für die Atomaufsicht im Lande Niedersachsen höchsten Verantwortlichen. Wolfgang Jüttner erklärte laut dpa:

„Für die Erhöhung der Sicherheit würde ich es billigend in Kauf nehmen, dass die sichersten AKW länger laufen können, wenn es gelingt, die nicht ganz so sicheren vom Netz zu nehmen.“

Mit Verlaub, Herr Jüttner, ich hätte das gerne für die Kraftwerke konkretisiert, für die Sie in Niedersachsen zuständig sind. Wenn Sie der Auffassung sind, dass jetzt, unter einer aufgrund des Terrorismus veränderten Sicherheitslage, in Stade und Esenshamm ernst zu nehmende Zweifel an der Sicherheit bestehen, dann müssten Sie die meiner Meinung nach präzisieren. Ich hätte auch gerne gewusst, wie Sie zu der Auffassung gelangt sind, dass die jüngeren Anlagen in Lingen und Grohnde möglicherweise sehr viel länger am Netz bleiben sollten; denn meiner Meinung nach sind auch die beim Aufprall eines Flugzeuges nicht zu kontrollieren.

Ich habe weiterhin gelesen, dass Sie zum Gorleben-Transport erklärt haben, dass Sie Ihrem Kollegen Heiner Bartling in Sachen Sicherheit keine Ratschläge erteilen wollten. Warum eigentlich nicht? Beide Lager in Gorleben sind nicht gegen Flugzeugabstürze ausgelegt. Die Fragen nach der Sicherheit im Falle terroristischer Angriffe sind in den Erörterungsterminen, obwohl sie mehrfach angesprochen sind - ich habe mir das Protokoll herausgesucht -, nicht beantwortet worden. Ich bin nicht darüber informiert, ob in Bezug auf die Sicherheit und die Belastbarkeit der eingelagerten Behälter Aussagen gemacht worden sind, dass diese Behälter bei einem länger andauernden Brand mit hohen Temperaturen dichthalten.

Bis heute ist in der Bundesrepublik lediglich ein einziger Behältertyp unter realistischen Annahmen getestet worden. Die Tests für alle derzeit in Benutzung befindlichen Transport- und Lagerbehälter

unter realistischen Annahmen sind bis heute verweigert worden. Lothar Hahn, Vorsitzender der Reaktorsicherheitskommission, hat vor einigen Tagen erklärt, dass damit gerechnet werden müsste, dass die Dichtungen versagen würden, wenn ein Feuer an einem solchen Behälter länger als eine halbe Stunde brennen würde und das Feuer heißer als 800 Grad Celsius würde. Das ist beispielsweise in New York der Fall gewesen.

Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, dass diese Sicherheitsinformationen auch für den Innenminister relevant sein müssten, bevor er 18 000 Beamte in Gang setzt, um wieder einmal einen Transport von sechs CASTOR-Behältern - in diesem Fall sind es sechs TN-Behälter - von einem unsicheren Ort in Frankreich zu einem anderen unsicheren Ort in der Bundesrepublik zu sichern. Drei Gründe gebieten meiner Meinung nach die Absage des Transportes: erstens eine unglaublich große und nachvollziehbare Verunsicherung der Bevölkerung an der Transportstrecke und in Lüchow-Dannenberg, zweitens die völlig ungeklärten, die Behälter betreffenden Sicherheitsfragen und drittens eine tatsächlich völlig überlastete Polizei.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herr Minister Jüttner!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Beitrag von Rebecca Harms war ein illustres Beispiel dafür, wie man aus einem ernsten Thema versucht, parteipolitisches Kalkül zu schlagen. In der Tat, Frau Kollegin,

(Beifall bei der SPD)

so geht es nicht. Das ist schon eine ernsthafte Debatte. Uns allen ist wohl klar, dass spätestens seit dem 11. September das Thema „Wie leben wir in der Risikogesellschaft?“ neu zu diskutieren ist. Risikofreiheit ist nicht vorstellbar, ist nicht realisierbar. Wir müssen Rationalität entwickeln, um mit Angst umzugehen und eine Beschreibung von Risiken vorzunehmen, die in der Tat andere sind, als das bis dahin der Fall war. Das ist überhaupt keine Frage.

Meine Damen und Herren, heute Morgen haben wir im Zusammenhang mit der innenpolitischen

Debatte u. a. vonseiten der Grünen den Hinweis gehört, dass man zur Gewährleistung von Sicherheit die Prinzipien von Freiheitlichkeit und Bürgerrecht nicht zur Disposition stellen kann.

(Frau Harms [GRÜNE]: Aber das tun Sie doch gern!)

Frau Harms, in einem demokratischen Rechtsstaat gilt das auch für die Frage der Risikobewertung und des Umgangs beispielsweise mit Genehmigungstiteln auch im Bereich der Energiewirtschaft.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich will nur darauf hinweisen, dass dieser Aspekt bei Ihnen erkennbar zu kurz kommt.

Womit haben wir es zu tun? - Klar ist, dass die bestehenden Kraftwerke nicht nur in Deutschland - dort sind sie im Zweifel am sichersten -, aber auch in Deutschland unter Gesichtspunkten von wirklich perfider Fantasie nicht gegen jeden Terroranschlag hinreichend gesichert sind. Dem widerspricht auch die Reaktorsicherheitskommission nicht. Das Gegenteil zu behaupten traut sich niemand. Deshalb ist der Bericht der Reaktorsicherheitskommission, der auf einen Auftrag von Herrn Trittin zurückgeht, sehr abgewogen. Er begreift sich als Zwischenbericht und sagt: Viele Fragen sind neu aufgeworfen und sind von uns zu bearbeiten und zu diskutieren.

Die Frage beispielsweise, was in Deutschland nach Atomrecht genehmigungsfähig ist, entscheidet sich über die Basis des Restrisikos anhand von Fachausschüssen und gerichtlichen Bestätigungen. Diese Debatte beginnt gegenwärtig.

Was versuchen Sie daraus zu machen? - Im Vorgriff verlangen Sie von der obersten Aufsichtsbehörde, ohne dass ein Rechtsstatus dafür da ist, zu intervenieren und Kraftwerke aus dem Verkehr zu nehmen und Transporte zu unterbinden. Das geht nicht, Frau Kollegin. Auch hier gilt das Prinzip der Rechtstaatlichkeit. Was gegenwärtig passiert, ist, dass durch Bund und Länder die neue Lage daraufhin geprüft wird, welche rechtlichen und Sicherheitsveränderungen vorgenommen werden. Das dauert ein bisschen. Aber Solidität ist auch an der Stelle gefragt.

Jenseits dieser Debatte über neue Rechtsetzungen beispielsweise infolge der Terroranschläge gibt es einen Vorschlag von mir, im Interesse von Risikominimierung mit der Energiewirtschaft darüber