Protokoll der Sitzung vom 12.12.2001

Es sind nicht nur die Investitionen und die aktive Arbeitsmarktpolitik, bei denen wir uns unterscheiden. Es ist auch das Bildungswesen in Niedersachsen, das Sie heruntergewirtschaftet haben.

(Zustimmung bei der CDU)

Es gibt in Niedersachsen massiven Unterrichtsausfall. Sie können nicht einmal mit den heute vorhandenen Lehrkräften den Lehrplan erfüllen, den Sie Jahr für Jahr reduziert haben. Die Unterrichtsverpflichtungen in Niedersachsen haben im zweistelligen Bereich abgenommen. Aber selbst den reduzierten Unterricht erteilen Sie nicht, weil Sie zu wenig Lehrer eingestellt haben. Das ist die Wirklichkeit.

(Beifall bei der CDU)

Ich habe heute Morgen den Verband Bildung und Erziehung zitiert. Es kommen jetzt weitere 20 000 bis 30 000 Schülerinnen und Schüler an unsere Schulen. Sie bleiben jedoch auf dem Feld der Lehrereinstellung völlig untätig. Wir werden am Freitag die Einstellung von 2 500 Lehrkräften in Niedersachsen, die wir auch gegenfinanziert haben, beantragen, weil wir der Meinung sind, dass wir diese Lehrkräfte jetzt brauchen. Der Lehrerarbeitsmarkt gibt sie jetzt noch her. In wenigen Jahren werden wir einen gigantischen Lehrermangel haben. Dann werden wir es bereuen, dass wir nicht zum Schuljahresbeginn 2002 eingestellt haben. Hier unterscheiden wir uns deutlich von Ihnen,

weil wir der Meinung sind, dass wir die Lehrer brauchen. Um ein Nachmittagsprogramm in der Schule mit Verbänden und Vereinen zu initiieren, brauchen wir auch Lehrer. Wir brauchen Lehrer, um für berufstätige Frauen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern.

(Beifall bei der CDU)

Wir brauchen Lehrer, um im Bereich der Sprachen, des technischen Wissens und der Multimedia-Kompetenz neue Anforderungen zu bewältigen. Wir brauchen jetzt eine Verjüngung der Lehrerkollegien, weil es nicht angehen kann, dass in immer mehr Lehrerkollegien in Niedersachsen der jüngste Kollege in einem Alter unter 50 Jahren ist und der älteste etwas über 55 ist, weil die Kollegen, die älter sind, aufgrund Ihrer Schulpolitik frühpensioniert werden. Das ist die Wirklichkeit in unseren Schulen in Niedersachsen.

(Beifall bei der CDU)

Ich gebe Ihnen Brief und Siegel, wenn Sie, Herr Gabriel, vor 500 Unternehmern sagen „Je lauter die Hochschullehrer klagen, umso besser ist die Hochschulreform“, und über Schulpolitik mit Lehrern nach dem Motto reden „Wer würde denn von den Anwesenden über die Weihnachtstage mit den Gänsen reden“, gehen Sie mit dem kostbarsten Potenzial, das wir haben, nämlich 60 000 Lehrerinnen und Lehrer in Niedersachsen, falsch um. Dadurch treiben Sie sie in die innere Emigration, in die Enttäuschung, in den Frust. Das können wir an unseren Schulen nicht gebrauchen.

(Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN)

Wir wollen den Arbeitsmarkt, die Schulen und die innere Sicherheit ins Zentrum der Politik rücken. Das sind die Bereiche, für die das Land wirklich zuständig ist. Sie reden über Dinge, für die wir überhaupt nicht zuständig sind. Für Polizei und Schule trägt jedoch das Land die Verantwortung.

(Beifall bei der CDU)

Wir halten Ihnen vor, dass wir nicht nur die schlechte Unterrichtsversorgung bzw. das Fehl an Lehrkräften haben, sondern auch die geringste Polizeidichte in Deutschland. Dafür müssen Sie geradestehen. Sie haben 584 Planstellen gestrichen. Sie haben momentan als Landesregierung fast 400 Stellen bei der Polizei unbesetzt gelassen. Sie weisen sie als Erfolgsmarke Ihrer Politik aus,

obwohl diese Stellen nicht besetzt sind. Meine Damen und Herren, das ist Scharlatanerie, und die werden wir zum Thema in Niedersachsen machen!

(Beifall bei der CDU)

Wir werden mit den Anträgen sicherstellen, dass 650 Anwärterstellen geschaffen werden. Dann verfügen wir in einigen Jahren zumindest zum Teil über die notwendigen Polizeibeamten.

(Plaue [SPD]: Ach!)

Dann müssen wir uns nicht mehr verrenken, indem wir versuchen müssen, Polizeibeamte auszuleihen, zwischenzutauschen oder vom BGS zu bekommen; der braucht sie inzwischen selber. Wir müssen die Ausbildungskapazitäten erhöhen, sonst haben wir das gleiche Desaster wie im Fachlehrerbereich worüber wir vor einigen Monaten gesprochen haben - auch im Polizeibereich. Dort waren die Weichen frühzeitig falsch gestellt worden; und der benötigte Nachwuchs stand nicht zur Verfügung.

(Beifall bei der CDU)

Die Anträge zu den Lehrern, den Investitionen, den Polizeianwärterstellen usw. sind alle kostenneutral finanziert.

Als Sie vor nahezu exakt zwei Jahren hier angetreten sind, Herr Gabriel, haben Sie Ihre Regierungserklärung unter den Titel „Mehr Politik wagen“ gestellt. Heute sehen wir: Das Land ist nahezu handlungsunfähig. „Politik wagen“ bedeutete in diesen zwei Jahren Ankündigungen zu machen, spontane Einfälle mit großem Getöse an die Öffentlichkeit zu bringen, tatsächlich aber bei der Gestaltung zu versagen.

Es werden Baustellen aufgemacht – ich habe schon einmal darauf verwiesen -, es werden Bauschilder aufgestellt, aber Herrn Gabriel reicht es vollkommen aus, dass an jeder Baustelle steht: Bauherr Landesregierung Niedersachsen. Dann zieht er weiter, reißt das nächste Loch auf, führt aber kein Bauvorhaben zu Ende.

Manchmal wünsche ich mir – gerade nach der Schulstrukturdebatte, gerade nach dem Auftreten im Bundesrat zu den Themen von innerer Sicherheit bis Legehennen -, dass folgende Inschrift nicht im Rathaus von Ingolstadt stehen würde, sondern im Rathaus von Goslar, dann hätten Sie sie sicherlich wahrgenommen. Dort in Ingolstadt im Rathaus steht die wunderschöne Inschrift:

„Was andere meinen auch zu meinen, ist nicht schwer. Nur immer anders als die anderen meinen, auch nicht sehr. Weißt Du aus eigener Kraft mit mutig stillem Wagen, dort ehrlich ja, hier ehrlich nein zu sagen, gleich ob Dich alle loben oder keiner, dann bist Du einer.“

(Beifall bei der CDU – Zuruf von Plaue [SPD])

- Wissen Sie, Herr Plaue, in Ihrem Poesiealbum hat auf jeder Seite gestanden: „In allen vier Ecken soll Liebe drin stecken.“

(Heiterkeit – Plaue [SPD]: Ich hatte gar keines! - Frau Harms [GRÜNE]: Das stand in jedem Poesiealbum!)

Diese Inschrift sollte Ihnen einen Weg weisen. Das haben nämlich Inschriften in Rathäusern so an sich. Politik macht – nicht nur bei Max Weber – es als Beruf und als Berufung erforderlich, dicke Bretter zu bohren und einiges ein paar Jahre lang durchzuhalten.

Wenn dann in Reden gesagt wird, man wolle im Interesse der jungen Generation die Neuverschuldung senken, muss ich darauf erwidern: Sie regieren jetzt elf Jahre. Das Einzige, was Sie jedes Jahr zustande bringen, ist die Anhebung der Nettoneuverschuldung, das Ausschöpfen aller Möglichkeiten von Neuverschuldung. Das ist doch nach elf Jahren eine Lächerlichkeit, ein Allerlei.

Gestern gab es dazu noch die Presseerklärung: „Wir sind die Einzigen, die die Nettoneuverschuldung um 50 Millionen Euro senken.“ Sie sollten eine Presseerklärung machen, wenn Sie die Nettoneuverschuldung wirklich gesenkt haben. Wir haben schon genug davon gehört und erlebt, was Sie vorhaben. Sie haben die positiven Dinge nie eingehalten und die negativen überschritten.

(Beifall bei der CDU)

Sie brüsten sich seit Jahren mit einer Ignoranz den Vorschlägen der Opposition gegenüber, die wenigstens Ihre eigenen Kabinettsmitglieder – selbst wenn sie Ihrer Partei nicht angehören – nachdenklich machen sollte. Wir haben Sie seit Jahren darauf verwiesen, dass Sie eine chaotische, eine umständliche und eine unbrauchbare Wirtschaftsförderung in diesem Land betreiben. Sie haben immer

gesagt, alles sei wunderbar und in Ordnung. Ich erinnere nur an Reden von Herrn Fischer.

Frau Knorre erklärt nun – das müssen Sie zur Kenntnis nehmen –, wir seien bei der Wirtschaftsförderung mit Sicherheit im untersten Drittel der 16 deutschen Bundesländer. Sie erklärt, das könne nicht so bleiben. Sie hat eingeräumt, dass die Verfahren bis zu 15 Monate dauerten. Manche in Niedersachsen seien jetzt glücklich, dankbar, geradezu selig, dass sie jetzt ihre Absage frühzeitig bekämen, die sie sonst erst nach 15 Monaten bekommen haben. Das ist doch ein chaotischer Zustand Ihrer Wirtschaftsförderung! So kann man kein Land regieren und schon gar nicht voranbringen!

(Beifall bei der CDU)

Jeder erinnert sich daran, was wir hier über einheitliche Programme, schnelle Entscheidungsverfahren, Projektmanager, Privatisierung der Wirtschaftsförderung, Regionalfonds mit regionalem Kapital für die Regionen in Niedersachsen gesagt haben. Davon haben Sie nichts aufgegriffen oder umgesetzt. Stattdessen haben Sie die Lage im Wirtschaftsbereich verschlechtert und in den Bereichen Forschung und Technologie geradezu verschlafen.

Wir erleben das an unseren Hochschulen mit dem Technologietransfer, der nicht mehr so funktioniert, wie er funktionierte. Wir erleben das mit Reden des Ministerpräsidenten und vor allem auch mit Reisen des Ministerpräsidenten ins benachbarte oder fernere Ausland. Macht Sie das eigentlich gar nicht nachdenklich, Herr Gabriel, dass ein Niedersachse die Transrapid-Technik erfunden hat, dass sie in Niedersachsen erprobt und anwendungsreif wurde, dass mit Hamburg – Berlin eine Strecke in Niedersachsen ins Auge gefasst wurde, zumindest am Rande Niedersachsens? Jetzt brüsten sich Herr Stoiber und Herr Clement mit dem Modell und China verhandelt mit ihnen wird bzw. es wird Druck auf sie ausgeübt, dass nicht nur die Technologie für die Ständer, sondern auch für die Fahrzeuge an China verkauft werden möge, mit der Folge, dass sie in Zukunft das Geld verdienen und den Handel treiben und nicht mehr wir, die es hier in Niedersachsen erfunden und gestaltet haben.

(Beifall bei der CDU)

Möglicherweise sagen Sie sich aber auch, dass Sie keinen Transrapid brauchen, weil Sie ohnehin mit Höchstgeschwindigkeit über die Schuldenmarke von 40 Milliarden Euro fahren. Das ist Ihr Trans

rapid in Niedersachsen, nicht aber der, über den wir sprechen wollen.

Wir wollen natürlich den Medizinstandort Hannover bzw. Niedersachsen - ein Wachstumsfeld sondergleichen - mit dem INI, mit der MHH in Hannover und den Universitätskliniken in Göttingen, mit dem Medical Parc, mit den biotechnologischen Einrichtungen entwickeln. Man muss sich aber einmal anschauen, wie solche Themen behandelt werden. Auf der einen Seite wird verkündet, man habe ein Konzept mit Witten-Herdecke, auf der anderen Seite ist aber bis heute der Vertrag nicht unterschrieben. Man muss sich einmal anschauen, wie diese Themen hier in Niedersachsen angegangen werden, etwa was die Nachfolge der hochkarätigen Professoren an der Medizinischen Hochschule Hannover und den Universitätskliniken in Göttingen angeht. Die Universitätskliniken in Göttingen scheint Herr Oppermann mit seinen ständigen öffentlichen Einlassungen vernichten zu wollen, und für die Medizinische Hochschule in Hannover gibt es keine Nachfolgeregelungen für die wichtigsten Disziplinen, in denen in den kommenden drei Jahren die Koryphäen allesamt ausscheiden werden - exmatrikuliert werden, hätte ich fast gesagt.

(Wernstedt [SPD]: Emeritiert!)

Wir müssen dafür sorgen, dass hierfür die notwendigen Mittel bereitgestellt werden. Sie streichen aber wieder im Hochschulbereich – zugunsten der Schulen; das sei zugestanden. Wir wollen aber insgesamt, dass im Schul- und Hochschulbereich nicht gekürzt, sondern draufgesattelt wird.

Sie haben es zugelassen, dass in Niedersachsen ganze Regionen abgekoppelt werden. Vor allem haben Sie zugelassen, dass im Haushalt bei ÖPNV, bei Kultur, bei Bildung und Infrastruktur weiter konzentriert wird. Ich erinnere nur an den jetzt abgesetzten Kulturvertrag.

Welche Konsequenzen ziehen Sie eigentlich daraus, dass sich die Regionen in Niedersachsen am besten entwickeln, die CDU-geführt sind? Wie soll es sich im Landtag widerspiegeln, dass Sie in Osnabrück, in Meppen, in Vechta und Cloppenburg sagen: „Ihr seid die besten Regionen des Landes Niedersachsen. Wenn wir euch nicht hätten, wenn es bei euch nicht so toll liefe“ - wie Sie dies gerade erst in den vergangenen Wochen mehrfach wiederholt haben -, „dann sähe es um Niedersachsen traurig aus“? Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus,

dass dort, wo es vernünftig läuft, wo die Arbeitslosigkeit und Verschuldung niedrig sind, wo die Wachstumsraten der Wirtschaft hoch sind, seit Jahrzehnten die CDU die Mehrheit hat? Das sollte Ihnen zu denken geben, Herr Gabriel!

(Beifall bei der CDU)

Es reicht nicht, überall nur zu Themen wie Bildung und Sicherheit zu tönen, sondern man muss das auch umsetzen. Man muss das auch im Haushalt mit Zahlen unterlegen.

Sie sind jemand, der Politik in Niedersachsen wagen wollte, der aber zum Wagnis der Politik in Niedersachsen geworden ist.

(Beifall bei der CDU)