Protokoll der Sitzung vom 13.12.2001

- Sie müssen etwas leiser sein. Ich bemühe mich, laut zu sprechen.

Ich rufe auf:

Fortsetzung zweite Beratung Haushalt 2002/2003 Debatte über ausgewählte Haushaltsschwerpunkte (einschl. einzu- bringender Änderungsanträge) unter Einbeziehung der betroffenen Ressortminister (In- nenpolitik, Städtebau, Justiz, Soziales und Frauen, Jugend und Sport, Wirtschaft und Verkehr, Bundes- und Europaangelegenheiten, Landwirtschaft, Umwelt )

Für die nunmehr zu behandelnden Themenbereiche stehen den Fraktionen folgende Redezeiten zur Verfügung: SPD und CDU jeweils bis zu 97 Minuten, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bis zu 61 Minuten. Der Ältestenrat ist davon ausgegangen, dass die Landesregierung eine Redezeit von 61 Minuten nicht überschreitet. Außerdem hatte der Ältestenrat dem Wunsch der SPDFraktion entsprochen, einen Rest der nicht in Anspruch genommenen Redezeit aus der Vormittagssitzung von ca. 8 Minuten auf den Nachmittag zu übertragen.

Ich bitte Sie wiederum, sich schriftlich zu Wort zu melden und dabei anzugeben, zu welchem Gebiet Sie sprechen möchten.

Wie im Ältestenrat vereinbart, behandeln wir zunächst die Themenbereiche Innenpolitik, Städtebau und Justiz. Dazu liegt mir eine Wortmeldung des Kollegen Schünemann vor. Bitte schön, Herr Kollege Schünemann!

Der Innenminister ist nicht da! Müssen wir ihn zitieren, oder kommt er? Sonst macht das keinen Sinn.

Ich gehe davon aus, dass er gleich kommt. Ich unterbreche die Sitzung, bis der Innenminister hier ist.

Unterbrechung: 14.32 Uhr.

Wiederbeginn: 14.33 Uhr.

Meine Damen und Herren! Ich eröffne unsere Sitzung wieder und erteile dem Kollegen Schünemann das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Polizeigewerkschaften weisen seit langem mit Nachdruck darauf hin, dass in keinem anderen Bundesland pro Kopf weniger Geld für die innere Sicherheit ausgegeben wird als in Niedersachsen. Daran sollten wir uns orientieren. Ich hätte eigentlich erwartet, Herr Innenminister, dass mit diesem Haushalt eine Kehrtwende eingeläutet wird. Leider Gottes ist dies wieder nicht passiert.

(Beifall bei der CDU)

Seit 1995 sind fast 600 Stellen im Polizeibereich gestrichen worden. Vor diesem Hintergrund haben Sie, Herr Innenminister, noch im Sommer dieses Jahres einen Haushalt mit vorgelegt, mit dem weitere Streichungen bei der Polizei beabsichtigt worden sind. Für mich ist das völlig unverständlich.

(Beifall bei der CDU)

Erst als die Mitglieder der Polizeigewerkschaften auf die Straße gegangen sind und Ihre Kolleginnen und Kollegen der SPD-Fraktion berechtigte Angst vor einem schlechten Kommunalwahlergebnis gehabt haben, ist Ihnen die SPD-Fraktion zur Seite gesprungen und schrittweise den Forderungen der Polizeigewerkschaften entgegengekommen.

Eine tolle Überschrift kurz vor der Kommunalwahl: 500 Stellen mehr. - Herr Innenminister, wir haben Ihnen sehr schnell nachweisen können, dass das eine Mogelpackung gewesen ist,

(Beifall bei der CDU)

die nur den Status quo festgeschrieben hat. Das kann so nicht weitergehen.

Dann kam der 11. September. Ihre Kolleginnen und Kollegen Innenminister haben danach ein Gesamtkonzept für mehr innere Sicherheit in ihren Ländern vorgelegt. Leider Gottes ist Derartiges von Ihnen hier in Niedersachsen nicht vorgelegt worden. Stückwerk haben Sie präsentiert. Erst nachdem in der Innenministerkonferenz beschlossen worden war, dass bundesweit die Rasterfahndung eingeführt werden soll, sind Sie mit hängenden Ohren zu uns gekommen und haben gesagt: Jetzt müssen wir schnell die Rasterfahndung auch in Niedersachsen ermöglichen. Auf Videoaufzeichnungen muss ich an dieser Stelle nicht eingehen; das ist völlig klar.

Was das Personal angeht, so haben Sie nur Symbolpolitik betrieben: 10 Stellen für den Verfassungsschutz und 18 Stellen zusätzlich für den Staatsschutz - das ist Bonsaipolitik, meine Damen und Herren! Das können Sie doch nicht ernsthaft als eine Verbesserung der inneren Sicherheit verkaufen.

(Beifall bei der CDU - Frau Körtner [CDU]: Die versuchen alles!)

Meine Damen und Herren, auch wir könnten natürlich nicht sofort mehr Polizeibeamte einstellen, weil Sie es nämlich versäumt haben, genügend Polizeibeamte auszubilden. Deshalb müssen wir morgen 650 zusätzliche Anwärterstellen für den Haushalt beantragen. Es dauert drei Jahre, bis diese Polizeianwärter ausgebildet sind. Das ist aber absolut notwendig, denn die Grenze der erträglichen Belastung der Polizeibeamten ist längst überschritten. Sie haben auch eine Fürsorgepflicht gegenüber den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Dieser kommen Sie aber beim besten Willen nicht nach, Herr Innenminister.

(Beifall bei der CDU)

Ich gebe zu, dass Sie zur Terrorismusbekämpfung in der Staatsschutzabteilung Polizeibeamte zusammengezogen haben. Aber woher kommen diese Beamten, Herr Innenminister? - Sie kommen aus der Fläche! Sie ziehen Polizeibeamte aus dem ländlichen Raum ab, obwohl wir dort schon eine katastrophale Polizeidichte haben. So kann man auf Dauer keine Politik machen.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen aber auch kurzfristig reagieren. Deshalb haben wir einen entsprechenden Vorschlag unterbreitet. Wir haben uns angeschaut, was in anderen Bundesländern geschieht. Macht es eigentlich Sinn, in der jetzigen Situation, in der wir wirklich jeden Polizeibeamten brauchen, im Bereich des Objektschutzes Hauptkommissare einzusetzen? Können wir dafür nicht auch Tarifangestellte - Stichwort „Wachpolizei“ - zur Verfügung stellen? - Nach einem Vierteljahr sind solche Kräfte in der Lage, Objektschutz zu betreiben. Wir haben für diesen Vorschlag am Wochenende großes Lob bekommen, und zwar vom Bundesvorsitzenden der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg. Er kommt aus Hamburg. Dort hat sogar der ehemalige SPD-Innensenator so etwas ermöglicht. Es macht Sinn! In Hessen läuft das! In Berlin läuft es! Sie aber, Herr Innenminister, sagen, das mache

keinen Sinn. Alternativvorschläge, wie Sie den Polizeibeamten helfen wollen, bekommen wir von Ihnen jedoch nicht, und von der SPD-Fraktion schon gar nicht.

(Coenen [CDU]: Da ist Schweigen im Walde!)

Alle diese Beispiele zeigen, dass Sie im Bereich der inneren Sicherheit nicht die Kraft haben und vor allem auch am Kabinettstisch nicht die Kraft haben, sich durchzusetzen und wirklich substanziell etwas zusätzlich für die Polizei zu tun.

Sie sind aber auch Kommunalminister. In dieser Funktion können Sie sich am Kabinettstisch offensichtlich überhaupt nicht mehr durchsetzen. Die Beantwortung der Dringlichen Anfrage hat heute Morgen gezeigt, dass Sie das gesamte Feld dem Finanzminister überlassen. Dieser versucht natürlich, seine eigene Haut zu retten. Er versucht natürlich, alles für das Land zu behalten. Aber, Herr Innenminister, Herr Kommunalminister, sehen Sie denn nicht, dass die Kommunen in Not geraten sind?

Die Gewerbesteuer bricht ein. Bei uns in Holzminden haben wir pro Jahr 20 Millionen DM an Gewerbesteuereinnahmen gehabt. Jetzt haben wir einen Minusansatz von 1,7 Millionen DM. Sie lassen die Kommunen im Regen stehen! Wie können Sie es am Kabinettstisch hinnehmen, dass der Finanzminister vorschlägt, dass die Lasten nach dem BEB-Urteil mit auf die Kommunen abgewälzt werden? Damit haben die überhaupt nichts zu tun gehabt. Da müssen auch Sie aufschreien. Sie müssen sagen: Da gehört es nicht hin, die Kommunen sind in Not. Ich muss auf jeden Fall dafür stehen, dass sie auch tatsächlich wieder vor Ort etwas entscheiden und auch investieren können. Das ist doch entscheidend!

(Beifall bei der CDU)

Zur Gemeindefinanzreform hat die SPD im Bundestagswahlkampf gesagt: Wir werden das sofort umsetzen, wenn wir regieren. - Drei Jahre ist die SPD im Bund an der Regierung. Sie hat jetzt nur noch zehn Monate Zeit. Nichts ist passiert! Der Finanzminister hat gesagt, es würden lockere Gespräche geführt. - Nein, wir erwarten von Ihnen eine Initiative des Landes Niedersachsen, wir erwarten, dass Sie im Bundesrat aktiv werden, dass Sie mal einen Gesetzentwurf für eine Gemeindefinanzreform auf den Tisch legen, damit die Kommunen wieder eine Perspektive haben.

Herr Innenminister, Sie sind weder im Bereich der inneren Sicherheit jemand, der sich für die Polizeibeamten einsetzt, noch sind Sie ein vernünftiger Kommunalminister; denn sonst würden Sie die Kommunen nicht so im Regen stehen lassen.

Deshalb, meine Damen und Herren, ist es wirklich an der Zeit, dass wir spätestens in 14 Monaten eine andere Regierung bekommen. Es ist überfällig, dass wir auch einen anderen Innenminister bekommen. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU - Lachen bei der SPD)

Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Stokar von Neuforn.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glaube, in Niedersachsen ist die Gefahr für die Bürgerinnen und Bürger, Opfer einer ganz normalen Straftat zu werden, noch immer wesentlich größer als die Gefahr, Opfer eines terroristischen Anschlages zu werden. Im Zuge dieser ganzen Terrorismusdebatte, meine Damen und Herren, sollten wir nicht vergessen, dass es in der Haushaltsberatung unsere erste Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass die Polizei in Niedersachsen überhaupt in der Lage ist, die Gesetze, die in den letzten Jahren verabschiedet worden sind, auch in die Alltagsarbeit umzusetzen.

Ich möchte nur ein Beispiel nennen. Es geht um Gesetze, die neu verabschiedet worden sind, die auch wir sehr begrüßt haben, weil Polizei dadurch so etwas geworden ist wie ein gesellschaftlicher Partner. Das Gesetz gegen häusliche Gewalt führt dazu, dass es erheblich mehr Einsätze gibt und erheblich mehr Zeit für die Bearbeitung dieser Einsätze erforderlich ist. Das, meine Damen und Herren, muss sich dann aber auch in der Zuweisung von Personal widerspiegeln.

Wir hatten in der Auseinandersetzung um die Terrorismusgesetze auch im Zusammenhang mit der Rasterfahndung eine Frage gestellt. Herr Minister, es reicht einfach nicht, dass Sie mit Bayern konkurrieren, sagen, Niedersachsen würde die schärfsten Gesetze machen, und meinen, das sei eine überzeugende Politik der inneren Sicherheit. In einem können Sie mit Bayern nicht konkurrieren: Sie haben nicht das Geld in der Tasche, um

die Umsetzung dieser Gesetze mit dem entsprechenden Personal zu finanzieren.

Das führt dann in Niedersachsen zu abstrusen Überlegungen. Sie sagen: Weil wir nicht das Personal haben, die Ergebnisse der Rasterfahndung rechtsstaatlich vernünftig zu überprüfen, führen wir in diesem Bereich die Telefonüberwachung ein; das ist billiger. - Meine Damen und Herren, wer so versucht, ohne Geld in der Tasche eine Politik der inneren Sicherheit zu machen, der handelt wirklich fahrlässig. Das ist dann mehr Schein als Sein.

Meine Damen und Herren, ich möchte zu einem weiteren Punkt sprechen. Groß gefeiert wurde in Niedersachsen das Lingener Modell. Die Polizei hat ihren Beitrag geleistet und hat gesagt: Jawohl, wir sind bereit, die Flexibilisierung von unserer Seite einzubringen. Nur, meine Damen und Herren, was ist denn das Ergebnis aus dem Innenministerium gewesen? - Versprochen wurde Überstundenabbau. Das Ergebnis ist, dass in der Zeit, seit das Lingener Modell läuft, die Überstunden bei der Polizei in Niedersachsen von 1,4 Millionen - was schon eine Wahnsinnszahl ist - auf jetzt 3 Millionen gestiegen sind.

Meine Damen und Herren, diese Personalpolitik ist nicht mehr vertretbar und führt auch dazu, dass es in der Polizei keine Reformbereitschaft mehr gibt.

Als letzten Punkt möchte ich in diesem Zusammenhang nur die hohen CASTOR-Transportkosten ansprechen. Meine Damen und Herren, ich habe mich während des letzten Einsatzes mit Polizisten aus vielen Bundesländern unterhalten. Es ist doch mittlerweile ein bundesweiter Witz, dass Niedersachsen der Auffassung ist, es brauche 18 000 Polizisten aus dem ganzen Bundesgebiet, um mit 3 000 Demonstranten fertig zu werden. Hamburger, Berliner und NRW-Beamte sagten mir: Mit solchen Zahlen gehen wir mit unseren eigenen Hundertschaften um. Meine Damen und Herren, die hohen Kosten werden doch dadurch verursacht, dass Sie dort über Tage Gewahrsamstellen einrichten, hunderte von Leuten in Gewahrsam nehmen. Und hinterher wird festgestellt, dass das noch nicht einmal eine rechtmäßige Ingewahrsamnahme gewesen ist.

Herr Innenminister, ich wünsche mir einfach, dass Sie mit etwas mehr Gelassenheit Innenpolitik machen. Das wäre wirkliche Stärke.

Meine Damen und Herren, ich komme noch zu einem anderen Punkt, über den im Rahmen der Haushaltsberatung meistens nicht gesprochen wird, nämlich zur Asyl- und Flüchtlingspolitik. In diesem Bereich hat das Land Niedersachsen in den vergangenen Jahren erhebliche Einsparungen erzielt. Für uns, aber auch für die Betroffenen überhaupt nicht nachzuvollziehen ist, dass dann in einem Bereich wie der Verfahrensberatung in den ZASten in Braunschweig und Oldenburg die Stellen eingespart werden. Diese Verfahrensberatung führt dazu - das wird in einem Brief vom Bundesamt bestätigt -, dass Verfahren verkürzt werden, optimiert werden und dass erhebliche Mittel eingespart werden. - Wie Sie gerade in diesem Bereich sparen können, ist für uns nicht nachvollziehbar.

Herr Innenminister, Sie versuchen hier, so zu tun, als seien Sie auch der Integrationsminister. Wo denn, bitteschön, ist im Haushalt wirklich ein Ansatz für ein Integrationskonzept? - Sie haben weder das Integrationskonzept noch die Mittel in den Haushalt eingesetzt. Die 10 Millionen DM, die hier zusammengefasst worden sind, sind nicht um einem Euro höher als die alten Haushaltstitel. Das sind alles zusammengefasste Projekte, finanziert durch EU-Mittel. Ihr eigener Beitrag zur Integration ist gleich Null.

Ich komme zum Schluss. Solch eine Politik gefährdet die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN)