Protokoll der Sitzung vom 10.10.2006

(Unruhe)

- Meine Damen und Herren, wenn es ein bisschen ruhiger wäre, könnte man dem Redner gut zuhören.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die medialen Showeffekte von Ministerpräsident Wulff im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nehmen langsam überhand. Das ist aus unserer Sicht peinlich.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Das sind inszenierte Anscheinserweckungen statt echter Unterstützung für das Gros der Betroffenen. Wir messen ihn schlicht an seinen eigenen Ansprüchen, die er im Blick auf den NiedersachsenKombi hier vor dem Parlament formuliert hat. Erinnern Sie sich! - Ministerpräsident Wulff sprach davon, dass es keine Mitnahmeeffekte geben solle und der Fokus daher auf die unter 25-Jährigen und die über 50-Jährigen gerichtet werden solle. Es war davon die Rede, dass 1 000 Stellen bis zum Jahresende geschaffen werden sollten.

Schauen wir uns doch einmal an, welches Ergebnis angesichts der erwähnten selbst gesteckten Ziele des Ministerpräsidenten nach rund der Hälfte der Zeit von Anfang Juli bis Ende dieses Jahres zu verzeichnen ist. Es gab nur 60 Vermittlungen von unter 25-Jährigen und nur 32 Vermittlungen von über 50-Jährigen. Das sind, gemessen an dem selbst gesteckten Ziel, weniger als 10 %. Dies ist sicherlich keine Erfolgsmeldung, Herr Hermann.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Auch wir sehen es so, dass jede Vermittlung eines Arbeitslosen gerade aus der Problemgruppe der Langzeitarbeitslosen natürlich einen Erfolg bedeutet. Wir müssen aber auch darauf schauen, ob dieser Erfolg dem Kombilohn zu verdanken ist oder ob er auch mit den schon bestehenden Maßnahmen, die es im Rahmen der Hartz-Gesetzgebung bereits vorher gab, erreicht worden wäre. Angesichts der schamlosen Hochstapelei, die gesamte Zahl der über Kombilohn Vermittelten in der Öffentlichkeit kundzutun und nicht wirklich zwischen den eigentlichen Zielgruppen und denen, die offensichtlich alle einen Zuschuss bekommen haben, egal wer sich meldete, zu differenzieren, sprechen die Indizien schon sehr dafür, dass etwas zu verbergen war. Die Erfolgsmeldung ist insofern durchaus zu relativieren. Vieles wäre schon vorher möglich gewesen. Herr Wulff und Herr Hirche wollten mit dem Niedersachsen-Kombi ein neues Modell, ein eigenes Pilotprojekt zur zielgruppenorientierten Arbeitsmarktförderung vorlegen. Das ist - das muss man nach dieser Bilanz sagen - bezogen auf die Zielgruppen glorreich gescheitert. Es ist ebenso gescheitert wie die vielen anderen Versuche in anderen Bundesländern schon vorher. Das hatten wir Ihnen prophezeit.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Rechthaberei!)

- Das ist keine Rechthaberei, das ist eine nüchterne Bilanz.

Wenn Sie das der Öffentlichkeit in der Zwischenbilanz als „Versuch und Irrtum“ dargestellt hätten, dann wäre das in Ordnung gewesen - ein politischer Flop zwar, aber kein Beinbruch. Aber, Herr Wulff, sich mit einer geschönten Bilanz durchmogeln zu wollen und das allzu schwache Ergebnis auch noch als Erfolg auszugeben, ist eine Frechheit gegenüber den allzu vielen, die noch keinen Job bekommen haben. Das ist wirklich ein Anlass für eine Aktuelle Stunde und für eine Zwischenbilanz. Sie sollten Ihr Kombilohnmodell schnell wieder einpacken und nicht mit diesen geschönten Zahlen in der Öffentlichkeit hausieren gehen. Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für die Landesregierung hat nun der Herr Ministerpräsident Wulff das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eines ist mir heute Vormittag völlig klar geworden, und zwar warum ein Instrument in bestimmten Regionen des Landes eine absolute Erfolgsgeschichte ist

(Beifall bei der CDU)

und in anderen Regionen des Landes schlichtweg kaputt genörgelt wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich verstehe nicht, mit welcher Selbstgerechtigkeit man auf der einen Seite in diesem Zusammenhang von „Frechheit“ reden kann, wenn man die Leute auf der anderen Seite für blöd erklärt, Herr Hagenah.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wie kann man von der Zielplanung von „1 000 Fällen“ sprechen und sagen, nach der Hälfte der Zeit sei schon klar, dass diese Zahlen nicht erreicht werden können? - Wenn Sie zwei Monate für die Hälfte von sechs Monaten halten, dann kann ich nur auf PISA verweisen - oder Sie sollten sich vor dem Hohen Haus entschuldigen, dass Sie eine solche Behauptung - wie andere auch - einfach so in den Raum hineinwerfen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Enno Hagenah [GRÜNE]: 90!)

Wenn in zwei Monaten 321 Menschen in Arbeit gekommen sind, die zuvor in der Regel mehr als ein Jahr - sehr viele mehr als zwei Jahre - ununterbrochen arbeitslos waren, dann sind das 321 Erfolgsfälle in den beiden Sommermonaten. Wenn diese Zahl mit drei multipliziert würde - denn zwei von sechs ist ja ein Drittel -, dann käme man in diesem Jahr auf 963 Fälle. Das ist mir zu wenig, weil ich über 1 000 Menschen in Arbeit bringen möchte.

Das können wir erreichen, wenn sich einige an den Erfolgreichen und nicht an den Erfolglosen orientieren. Ich finde es ausgesprochen eindrucksvoll, dass der Landkreis Osnabrück mit seiner Maßarbeit in zwei Monaten 95 Vermittlungen erreicht hat. Die gesamte Region Hannover mit über 1 Millionen Einwohner hat dagegen ganze sechs Vermittlungen zustande gebracht. Darüber muss auch einmal geredet werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Offenkundig erreiche ich ein bisschen mehr Faszination bei Verantwortungsträgern wie Herrn Mönninghoff in Hannover-Stadt oder den sonstigen, die für Wirtschaft und Arbeitsmarkt in der Stadt Hannover und in der Region Verantwortung tragen, wenn ich sie anspreche. Wenn Sie sie ansprechen, entfacht sich jedenfalls keine Faszination für die Anwendung solcher modernen Instrumente der Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Diese 321 Personen waren bisher Empfänger von Arbeitslosengeld II - Minimum in der Regel einschließlich Wohnung 660 Euro. In Zukunft sind sie Zahler von Steuern und Sozialbeiträgen. Es ist für die Betroffenen ein absolutes Glückserlebnis, sich und ihre Familien wieder aus eigener Arbeit ernähren zu können und nicht mehr auf Transferleistungen angewiesen zu sein.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Mit Abgeordneten wie Herrn Hermann oder Herrn Dinkla kann man eben erfolgreich Arbeitsmarktpolitik betreiben, weil sie es zu Recht als Erfolg ansehen, wenn 71 % der Arbeitsverhältnisse unbefristet und 85 % Vollzeitstellen sind, wenn 58 % der betroffenen Personen vorher ein bis zwei Jahre arbeitslos waren und gar 20 % über 24 Monate ununterbrochen arbeitslos gewesen sind. Mit einer Quote von 19 % bei den Berufsanfängern unter 25 Jahren liegen wir immer noch höher als das erfolgreichste Kombilohnmodell in Deutschland, nämlich das Hamburger Modell. Dort liegt die Quote bei jungen Leuten unter 25 Jahren, die vorher noch gar nicht beschäftigt waren und jetzt endlich glücklicherweise erstmals eine Beschäftigung gefunden haben, bei 15 %.

Insofern haben wir diese Bilanz nach zwei Monaten aus einem einzigen Grund bekannt gegeben,

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Aus wel- chem?)

nämlich weil wir versuchen wollen, andere zu animieren, an diesem Erfolg teilzuhaben. Das geht mit Ihnen - wie wir gehört haben - wenig, aber mit uns stark.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Wir handeln nach der Devise „Wir kämpfen um jeden einzelnen Arbeitsplatz“.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Jeder Einzelne, der in Beschäftigung kommt, ist ein Erfolgserlebnis für dieses Land. Wir haben die Devise, lieber etwas Konkretes zu tun, als ständig nur herumzunörgeln.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Dieses Kombilohnmodell ist in den letzten Tagen Grundlage der Beschlussfassung von CDU und CSU geworden. Unser Kombilohnmodell soll auf Deutschland ausgeweitet werden. Wir hoffen, dass sich Franz Müntefering, mit dem wir in Gesprächen sind, und das Bundesarbeitsministerium hierauf einlassen.

Ich stelle allerdings mit etwas Frust fest, dass ich mich auf Sie als Bündnispartner dabei wohl kaum verlassen kann. Herr Lenz, ich habe aber am Ende Ihres Wortbeitrages doch die Chance gesehen, dass wir hierüber im Gespräch bleiben. Sie haben am Ende gesagt, wir können weiter darüber reden. Wir müssen ja auch die Statistik, die Herr Jüttner von Ihnen bekommen hat - Stichwort „Eingliederungshilfe“ -, im Hinblick auf die früheren Jahre auswerten. Denn gerade bei der Eingliederungshilfe gab es ja immer eine saisonale Schwankung, im Frühjahr und in den Sommermonaten, aber auch was die Sekundäreffekte mit anderen Förderinstrumenten betrifft. Das werden wir uns mit Ihnen zusammen sehr genau anschauen.

Am Ende ist für uns entscheidend, dass die Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahr massiv zurückgegangen ist und dass wir auch bei Hartz IV-Empfängern im Vergleich zum Vorjahr Rückgänge zu verzeichnen haben, die über den Bundesdurchschnitt liegen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass es ein langer Weg ist. Es gibt viel zu viele Menschen ohne Beschäftigung und viel zu viele Wirtschaftsbranchen, die nach wie vor an Personalabbau denken anstatt an Aufstockung der Anzahl ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Insofern ist ein kleiner Schritt zurückgelegt.

Sollten Sie die Erklärung der Staatskanzlei als zu positiv empfunden haben, dann gebe ich zurück: Wenn eine Presseerklärung der Staatskanzlei, über die man sich geärgert hat, das Hauptangriffsziel, der Hauptpunkt der Kritik der SPD in der Aktuellen Stunde dieser Woche ist - die Aktuelle Stunde ist die Stunde des Parlaments -, dann müssen wir im Wesentlichen alles richtig machen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Für die SPD-Fraktion hat sich nun der Abgeordnete Jüttner zu Wort gemeldet.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Meine Damen und Herren, ich habe es schon einmal gesagt: Wir sollten den Anstand haben, wenn schon Kundgebungen zu denjenigen gemacht werden, denen das Wort erteilt worden ist, diese höflicher und netter zu formulieren, als nur „Oh“ zu sagen.

(Zustimmung von Ina Korter [GRÜ- NE])

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Wulff, wir können uns ganz schnell darauf einigen, dass wir alle ein Interesse daran haben müssen, die Arbeitslosigkeit auf null zu setzen und dass aufgrund der Komplexität des Themas unterschiedliche Instrumente und Strategien ihren Beitrag leisten können. Das ist überhaupt gar keine Frage. Ein Problem ergibt sich nur dann, wenn Sie den Eindruck erwecken - und das machen Sie -, als ob das Instrument, das Sie vorgesehen haben, geradezu grandios ist

(Reinhold Coenen [CDU]: Ist es auch!)

und im Gegensatz zur Entwicklung in anderen Bereichen dramatische Erfolge zeigt. Das hat zur Folge, dass die Therapie nicht mehr stimmt, meine Damen und Herren.

Ich will Ihnen das an zwei Punkten erklären. Ich habe die Statistik über die Entwicklung der Bewilligungen in den westdeutschen Bundesländern vorliegen. Wir haben hier gehört, es gibt einen großen Erfolg: 321 Menschen sind in Arbeit gekommen. Das ist in Ordnung. Das ist klasse. Aber, meine Damen und Herren, die Regionaldirektion Niedersachsen hat in diesem Jahr knapp 20 000 Vermittlungen in diesem Bereich vorgenommen Bewilligungen nach Arbeitslosengeld II. Unter diesen knapp 20 000 Vermittlungen befinden sich Ihre 321 Fälle, die Sie als großen Erfolg ausweisen, meine Damen und Herren. Das ist nicht in Ordnung, das kritisieren wir.

Sie führen Maßnahmen an, die sowieso schon laufen und von Dritten finanziert werden, und erwecken den Eindruck, die Erfolge dieser Maßnahmen seien Erfolge Ihrer praktischen Politik. Das ist falsch, das muss hier gesagt werden.