Ich komme zum Schluss. Unser Sozialsystem, meine Damen und Herren, ist also nicht unterfinanziert, sondern schlicht ineffizient. Geld allein nutzt nichts, wenn man keine guten Ideen hat. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lenz, an Ihrer Stelle hätte ich das mit der Bild nicht so in den Vordergrund gestellt. Sie wissen ja, wie verhängnisvoll diese Schlagzeilen in Bild manchmal sein können.
Lassen Sie mich am Anfang eines klar sagen: An einer Aushöhlung des Kündigungsschutzes, wie es ja die SPD so dramatisch in ihrem Thema für die Aktuelle Stunde formuliert hat, ist eigentlich niemandem gelegen. Von einer Schleifung des Kündigungsschutzes zu reden, wie dies der SPDGeneralsekretär Hubertus Heil am Montag getan hat, ist auch völlig absurd.
Ebenfalls der Vorwurf aus den Reihen der Gewerkschaften, Wirtschaftsminister Michael Glos würde den Weg in eine neue Gesellschaft des Heuerns und Feuerns gehen, geht völlig an der Realität vorbei, ist im Übrigen auch nicht gewollt.
Minister Glos hat in einem Interview mit der Welt am Sonntag am 5. November eigentlich lediglich dazu aufgefordert, über den Tellerrand zu schauen und auch einmal über andere Modelle des Kündigungsschutzes wie z. B. das Modell in unserem
Nachbarland Dänemark nachzudenken. Es darf ja nicht so sein, dass allein die Verwendung des Begriffes „Änderung des Kündigungsschutzes“ nur noch ideologische Reflexe auslöst und Nachdenken überhaupt nicht mehr gestattet ist. Auch der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clement hat ja Anfang 2003 einen Denkanstoß in diese Richtung vorgenommen. Natürlich - das hat Kollege Hermann eben gesagt - ist eines klar: Wir können und werden die Modelle der anderen Länder nicht 1 : 1 umsetzen und übertragen. Das ist überhaupt keine Frage. Was in Dänemark Erfolg hat, muss nicht automatisch auch bei uns sinnvoll oder erfolgreich sein.
Aber über die Fragen, zu welchen Lösungsansätzen andere EU-Länder kommen und was wir vielleicht von ihnen lernen können, welche Konzepte dort erfolgreich umgesetzt werden, muss man nachdenken können, und dazu muss man auch nachfragen können. Es geht etwa um die Frage: Wie können wir etwas nicht nur für die Arbeitsplatzbesitzer, sondern auch für diejenigen tun, die keine Arbeit haben? - Diese Frage können wir nicht verdrängen, sondern müssen wir ernsthaft diskutieren.
Eines ist sicherlich klar: Eine Flexibilisierung des Kündigungsschutzes allein löst natürlich nicht die Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Dazu gehört - das hat Herr Hermann eben auch gesagt - viel mehr, z. B. die von der Bundesregierung geplante Senkung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und die Senkung der Lohnnebenkosten. Es gehören alle anderen Modelle dazu, bis hin zu der Diskussion über den Kombilohn. Auch das will ich hier mit einbeziehen.
„Wir brauchen mehr Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt. Gefragt sind Denkanstöße für neue und weniger starre Regelungen im Kündigungsschutz.“
Zu diesem Vorstoß kam natürlich prompt die Kritik von den üblichen Verdächtigen - von den Gewerkschaften. Aber, meine Damen und Herren und Herr Lenz, wissen Sie, wer dies damals gesagt hat?
Die jetzigen Äußerungen eines Vertreters des Koalitionspartners der SPD in Berlin, der CSU, stehen nicht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD, in dem davon gesprochen wird, das Kündigungsschutzrecht mit dem Ziel weiterzuentwickeln, mehr Beschäftigung zu ermöglichen.
Herr Lenz, manchmal sind etwas weniger Aufgeregtheit angebracht und etwas mehr Offenheit für neue Wege angesagt.
Viele Probleme auf dem Arbeitsmarkt sind nach wie vor unbewältigt. Aber lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Diese Probleme lösen wir nicht in Hannover. Diese Probleme müssen in Berlin gelöst werden. Insofern ist der Titel Ihres Themas zu unserer heutigen Aktuellen Stunde nicht besonders einfallsreich. - Herzlichen Dank.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe bei dieser Kündigungsschutzdebatte den Eindruck, dass das Ganze eher der Versuch ist, von den arbeitsmarktschädlichen Entscheidungen der Großen Koalition in der Abgaben- und Steuerpolitik abzulenken.
(Zuruf von der SPD: Es wäre besser, wenn Sie nicht „die Große Koalition“ sagten, sondern „der Wirtschaftsmi- nister“!)
- Ja, ich kenne die Rollenverteilung. Herr Glos baut schon einmal vor, indem er einen Sündenbock für kommende Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt aufbaut, wenn die Mehrwertsteuererhöhung kommt, und die SPD hat die Möglichkeit, sich nach den
Schröder-Jahren und den Gabriel-Jahren ein bisschen zu emanzipieren und ist bei der eigenen Klientel auf der sicheren Seite.
Die Konzentration auf die Kündigungsschutzdebatte, wenn man über Arbeitsmarkt redet, ist aber eigentlich völlig verkehrt. Andere Themen sind aktueller und viel wichtiger. Die hohe Abgabenbelastung gerade der kleinen Einkommen, fehlende Investitionen in Bildung, Lohndumping und Unterbietungskonkurrenz auf Kosten der Beschäftigten das sind die Fragen, die auf Bundesebene und auch auf Landesebene dringend angegangen werden müssen. Der Kündigungsschutz ist wirklich nicht das Problem, das wir hier in Deutschland haben.
Weniger Kündigungsschutz führt nämlich nicht nur zu sozialen Problemen, sondern hat letztlich auch, Herr Hermann, erhebliche negative wirtschaftliche Folgen, und zwar gerade in unserer augenblicklichen Situation. Ich will Ihnen das erläutern: Die in globalisierten Zusammenhängen nötigen Fluktuationen auf dem Arbeitsmarkt zwischen den Betrieben, die Wechselbereitschaft der Arbeitnehmer, nehmen nämlich ab, wenn man Qualifizierte hinund herschieben will, die Angst haben, dass sie ihren Kündigungsschutz verlieren. Die bewerben sich nicht woanders neu, weil sie dann dort neu anfangen und wieder in der Probezeit sind. Viele Beschäftigte würden bei weniger Kündigungsschutz aus Angst sparen, und das wäre für unsere Binnenkonjunktur katastrophal. Sie wissen sehr genau, dass wir kein Problem im Außenhandel haben, dass also unsere Wirtschaft im Außenhandel blendend floriert. Aber das Angstsparen, das schon heute existiert, würde bei weniger Kündigungsschutz deutlich zunehmen.
Auch bei den Familiengründungen haben wir eine direkte Rückwirkung. Wenn ich weniger Perspektiven und mehr Arbeitsplatzunsicherheit habe, dann ist der Schritt dazu, selbst Kinder zu bekommen und eine Familie zu gründen, noch viel schwieriger - und das alles in der heutigen Situation.
Ich sage Ihnen: Sie sind auf dem falschen Dampfer. Die Überschrift der SPD-Fraktion für das Thema der Aktuellen Stunde ist schon richtig; denn die rechtliche Arbeitsplatzsicherheit bei uns ist kein Standortnachteil, sondern ein Standortvorteil, ge
Wenn man sich auf Dänemark bezieht, dann muss man natürlich genauer nachschauen, wie Sie bereits erwähnten. Man muss sich die anderen Rahmenbedingungen ansehen. In Dänemark ist erst einmal ordentlich investiert worden, als man die Reform begonnen hat. Der Staat hat sich kräftig verschuldet, um die Wirtschaft anzukurbeln. Ich möchte heute einmal erleben, welche Koalition das auf Bundesebene hinbekommt.
In Dänemark ist die Krankenversicherung komplett steuerfinanziert, die Rente weitgehend. Bei der Arbeitslosenkasse zahlt alles der Staat, außer 45 Euro, die jeder einzelne Arbeitnehmer, egal, wie viel er verdient, selber zahlen muss. Alle Bürger finanzieren das über deutlich höhere Abgaben im Bereich Konsum, aber auch durch eine kräftige Lohnsteuer. Das ist ein völlig anderes System. Auch die Sicherheit ist völlig anders; denn dort haben Geringverdiener vier Jahre lang Anspruch auf 90 % ihres letzten Arbeitslohns. Das ist natürlich eine große Sicherheit. Die Angebote, die den Beschäftigten dort in der Zeit der Arbeitslosigkeit zur Qualifizierung und zur Weiterentwicklung gemacht werden, sind ungleich besser als in Deutschland.
Wir können die Systeme also nicht vergleichen. Man kann sich nicht isoliert einzelne Aspekte herauspicken und dann meinen, das wäre eine Lösung. Im Augenblick über den Kündigungsschutz in Deutschland zu diskutieren, ist der falsche Weg. - Vielen Dank.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser Antrag der SPD-Fraktion macht eine Ablenkungsabsicht deutlich. Die SPD in Niedersachsen möchte es der CDU/CSU in Berlin einmal so richtig zeigen.
Schon eine Debatte über erfolgreiche Arbeitsmarktmodelle in EU-Nachbarstaaten lehnen Sie offensichtlich ab, z. B. - obwohl es eben eine Rolle gespielt hat - über die Vergleichbarkeit und Nichtvergleichbarkeit mit Dänemark. Das wollen Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Aber zugleich sagen doch einhellig der Sachverständigenrat, die OECD, die Europäische Kommission und der Internationale Währungsfonds, dass die mangelnde Anpassungsfähigkeit des Arbeitsmarktes in Deutschland der Grund dafür ist, dass die Arbeitslosigkeit bei uns so hoch ist. Um Missverständnissen vorzubeugen, wiederhole ich gern, was Herr Kollege Hermann schon gesagt hat: Der Kündigungsschutz ist weiß Gott nicht der einzige Grund für die Lage am Arbeitsmarkt. Das sind ganz andere Dinge. Herr Hagenah hat darauf hingewiesen.
Aber, meine Damen und Herren, die jetzigen gesetzlichen Regelungen zum Kündigungsschutz wenden sich mittlerweile gegen die Interessen der Arbeitnehmer, weil sie einseitig die Arbeitsplatzbesitzer schützen und diejenigen behindern, die keinen Arbeitsplatz haben, und das ist noch immer eine viel zu große Zahl von Personen. Arbeitgeber, die Auftragsspitzen abzuarbeiten haben - Sie brauchen nur im Lande herumzufragen - und nicht wissen, ob das von Dauer sein wird, verzichten lieber auf Neueinstellungen. Sie fürchten in Zeiten sinkender Auslastungen unproduktive Personalkosten, teure Abfindungen und unkalkulierbare Arbeitsgerichtsprozesse. So leisten sie sich lieber teure Überstunden ihrer vorhandenen Beschäftigten. Damit ist den Unternehmen aber weniger von der Kostenseite her gedient und erst recht nicht denen, die auf der Straße stehen. Deswegen sollten wir schon überlegen, wie wir mit behutsamen Veränderungen den Arbeitsmarkt in Bewegung bringen.
Gerade kleinen und mittleren Betrieben muss die Neueinstellung von Beschäftigten erleichtert werden. Vor willkürlichen Kündigungen - das ist der Unterschied von Deutschland zu allen anderen Staaten um uns herum - bleiben die Arbeitnehmer durch das allgemeine Zivilrecht geschützt. Die Verlängerung der Wartezeit bis zur Geltung des Kündigungsschutzes hatte sich ja die Große Koalition selbst auf die Fahnen geschrieben. Das war und ist richtig.
Es müssen natürlich auch weiterhin Vereinbarungen schon bei der Einstellung möglich sein, die den gesetzlichen Kündigungsschutz durch eine Abfindung oder die Zahlung von Weiterbildungsmaßnahmen durch den Arbeitgeber ersetzen.
Ich möchte an dieser Stelle zitieren, was der ehemalige dänische Ministerpräsident Poul Nyrup Rasmussen, der jetzt für die Sozialdemokraten Mitglied des Europäischen Parlaments ist, gesagt hat:
„Es geht darum sicherzustellen, dass die soziale Sicherheit nicht im Widerspruch zu Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit steht.“
Richtig ist: Das Modell Dänemark kann nicht 1 : 1 auf uns übertragen werden. Aber sinnvoll ist es doch, zu überlegen, wie man das, was man in Europa unter „Flexcurity“ diskutiert, nämlich Flexibilität einerseits und Security - Sicherheit - andererseits, miteinander vereinbaren kann, statt betonköpfig an allen Detailregelungen des Kündigungsschutzes festzuhalten.
Meine Damen und Herren, auch Sie von der SPDFraktion müssen sich dem Satz stellen: „Sozial ist, was Arbeitsplätze schafft.“
Danke schön. - Für die SPD-Fraktion hat Herr Kollege Lenz das Wort. Sie haben noch Redezeit für drei Sätze.