Herzlichen Dank, Herr Kollege Briese. - Für die FDP-Fraktion hat sich Frau Kollegin Peters zu Wort gemeldet. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist bereits von meinen Vorrednern gesagt worden, dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass die normierten Grundlagen des Jugendstrafvollzugs nicht mehr den rechtsstaatlichen Anforderungen genügen und damit verfassungswidrig sind. Jede vollzogene Jugendstrafe, jede freiheitsentziehende Maßnahme
bei jugendlichen Straftätern innerhalb des Jugendstrafvollzugs entbehrt daher im Moment der rechtlichen Grundlage. Wir sind aufgefordert, dies bis 2007 zu ändern. Auch das ist schon gesagt worden. Aufgrund der Föderalismusreform ist es unsere Aufgabe als Parlament, hier tätig zu werden. Ich meine, dafür sind wir gut aufgestellt.
Nicht nur wird bereits jetzt der Jugendstrafvollzug in Niedersachsen vom Erziehungsgedanken bestimmt, sondern es gibt auch jetzt schon eine Förderung der Jugendlichen durch reichhaltige Ausund Fortbildungsmöglichkeiten sowie Hilfen in der Entlassungsvorbereitung. So werden z. B. in der Jugendvollzugsanstalt Hameln etwa drei Viertel der Gefangenen in Aus- und Fortbildung oder in Arbeitsbetrieben beschäftigt. Der Gesetzentwurf fordert zwei Drittel; somit sind wir hier schon besser als die Forderung.
Sie selbst sehen aber offenbar auch, dass Niedersachsen gut aufgestellt ist; denn in Ihrer Begründung finde ich mehrere Formulierungen, die dies bestätigen: „jedoch bereits heute zu einem wesentlichen Teil verwirklicht“, „weil die Norm im Wesentlichen die bereits bestehende Praxis beschreibt“ oder „finden bereits statt“. Danke, meine Damen und Herren, dass Sie offensichtlich erkannt haben, dass wir in Niedersachsen bereits auf einem sehr guten Weg sind! Das findet man in Anträgen der Opposition relativ selten, sodass ich es immerhin für erwähnenswert halte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist in einem Jugendstrafvollzugsgesetz zu beachten? - Die erste und wichtigste Aufgabe des Jugendstrafvollzugsgesetzes ist es - Herr Briese hat es ausführlich dargestellt -, die Jugendlichen und Heranwachsenden durch Resozialisierung vor weiteren Straftaten zu schützen. Um dies zu erreichen, wird es erforderlich sein, im Jugendstrafvollzug eine konsequente Umsetzung des Erziehungsprinzips einzubauen. Heute haben viele jugendliche Straftäter nichts genossen, was man guten Gewissens auch nur im Entferntesten als Erziehung bezeichnen kann. Diese Situation ist zu bedauern.
Rücksicht, Disziplin, Ordnung und Mitmenschlichkeit zu vermitteln. Ich gestehe zu, dass das, was im Elternhaus versäumt worden ist, auch vom Staat nicht mit einem Patentrezept bewerkstelligt werden kann. Allerdings kann er im Rahmen seiner Möglichkeiten dazu beitragen, den Jugendlichen an die Hand zu nehmen und wieder oder auch erstmalig auf die richtige Spur zu bringen. Wichtig werden dabei für die Jugendlichen vor allem Bildungs- und Ausbildungsaspekte sein. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir die Jugendlichen dazu bringen können, nach der Entlassung ein straffreies Leben zu führen. Hier sollten Fördern und Fordern eine tragende Rolle spielen.
Sehr geehrte Damen und Herren, es wird erforderlich sein, dass wir im Gesetzentwurf klarstellen, dass der Jugendstrafvollzug auch dem Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten junger Menschen dient, im Wesentlichen aber auf die Erziehung der jungen Menschen ausgerichtet zu sein hat. Zu bedauern ist deshalb, dass der Entwurf der SPD bzw. von Frau Zypries den Begriff „Erziehung“ systematisch ausspart. In ihm ist nur noch von Fördern die Rede. Doch ein Jugendstrafvollzugsgesetz, das den Erziehungsgedanken faktisch aufgibt, ist mit uns nicht zu machen.
Wie Sie selbst richtig darstellen, sollen die jugendlichen Gefangenen die Fähigkeiten und den Willen zur verantwortlichen Lebensgestaltung vermittelt bekommen, sodass sie in Zukunft unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft straffrei leben können. Dazu wird es aus Sicht der Liberalen erforderlich sein, dass mit den Jugendlichen zusammen der Vollzug erzieherisch gestaltet wird und ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten gefördert werden. Nur so können wir es schaffen, dass sie in Zukunft ohne weitere Straftaten durchs Leben gehen. Der Gesetzentwurf hierzu wird in Kürze vorliegen. Wir werden in Ruhe und Ausführlichkeit beraten, um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes bestmöglich zu erfüllen.
Frau Bockmann, nicht „Ätsch, wir sind die Ersten!“. Sie haben festgestellt, dass wir nicht die Ersten sind. Wir wollen es auch gar nicht sein. Es reicht, wenn wir am Schluss die Besten sind.
Ich bin sicher: Am Schluss unserer Beratungen wird ein gutes, zukunftsfähiges Gesetz stehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön, Frau Kollegin Peters. - Zu Wort gemeldet hat sich die Ministerin, Frau HeisterNeumann. Bitte schön, Sie haben das Wort!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu dem vorliegenden Entwurf der SPDFraktion sind drei Dinge zu sagen.
Erstens. Der Entwurf bringt nichts Neues. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben mit dem vorliegenden Text lediglich einen Entwurf des Bundesjustizministeriums aus dem Jahr 2006 abgeschrieben.
(Zuruf von der SPD: Das hat aber doch Frau Bockmann schon gesagt! Sie müssen doch nicht alles ablesen, was Ihnen Ihr Haus aufgeschrieben hat!)
- Das Erfreuliche ist, dass das offenbar Ihnen allen aufgefallen ist. Das finde ich schon einmal ganz gut.
Das Zweite ist noch von niemandem gesagt worden; es wurde sogar anders dargestellt: Diesen Entwurf haben nahezu alle Bundesländer in dieser Form abgelehnt, kritisiert und nicht als Grundlage genommen, meine Damen und Herren.
Nun hatten Sie mit dem Abschreiben ein gewisses Problem. Denn dem Entwurf fehlte die Begründung. Wie haben Sie Ihr Problem gelöst? - Sie haben schlicht und ergreifend die Begründung eines älteren Entwurfs aus dem Jahr 2004 aus der Schublade gezogen. Diese Begründung haben Sie dann schlicht umfunktioniert. Ich kann nur sagen: Eine solche Vorgehensweise führt normalerweise zu suboptimalen Ergebnissen.
Die Änderungen, die Sie im Text vorgenommen haben, stellen oft nur sprachliche Anpassungen dar. Sie wollen beispielsweise abweichend vom
Entwurf der Bundesregierung in § 1 feststellen, dass das Gesetz den Vollzug der Jugendstrafe in Jugendstrafanstalten „in Niedersachsen“ regelt. Dieser landesspezifische Zusatz fehlte allerdings in dem Bundesgesetz. Da gebe ich Ihnen recht.
Ich komme zum zweiten Punkt. Mit der bloßen Übernahme des Bundesentwurfs lassen Sie, meine Damen und Herren, eine große Chance aus. Sie versäumen es nämlich, eine eigenständige, niedersächsische Lösung für den Vollzug der Jugendstrafe in den Landtag einzubringen.
Wenn Sie sich mit der gegenwärtig erfolgreichen Praxis und den Bedürfnissen des niedersächsischen Justizvollzugs befasst hätten, dann hätten Sie die Regelungen des BMJ-Entwurfs sicherlich nicht so kritiklos übernommen. Insofern danke ich Herrn Briese dafür, dass er darauf hingewiesen hat. Sie hätten vor allen Dingen gemerkt, dass Ihr Gesetzentwurf die Vollzugsrealität verkennt. Frau Bockmann, wir haben es nicht mehr mit jungen Inhaftierten zu tun, die bereitwillig in den Dialog eintreten und Behandlungsangeboten aufgeschlossen gegenüberstehen.
Meine Damen und Herren, wir haben es nicht mehr mit Gefangenen zu tun, die offen für ausgleichende Konfliktgespräche sind und sinnvoll mit ungelenkter Freizeit umgehen können. Wir haben es zwischenzeitlich mit anderen Inhaftierten zu tun, die, gelinde gesagt, keine konsequenten Erziehungsziele kennen, die eher begleitete Freizeitmaßnahmen brauchen als eine weitere Freistunde. Frau Peters, Sie haben darauf hingewiesen - das ist ganz wichtig -, dass es nicht nur um Menschen geht, die nur gefördert werden müssen, sondern zwischenzeitlich auch um solche, die wirklich erzogen werden müssen. Diese Gefangenen können im Regelfall nicht zur Entlassungsvorbereitung in den offenen Vollzug überstellt werden.
- Lesen Sie doch einmal den Gesetzentwurf, den Sie hier eingebracht haben! - Sie sind dafür nicht geeignet oder - das ist ganz wichtig - in Aus- und Fortbildungsmaßnahmen gebunden. Deren Abschluss wäre durch eine Verlagerung in den offenen Vollzug schlicht gefährdet. Deshalb ist das in bestimmten Fällen einfach nicht angebracht.
Meine Damen und Herren, mit der Reform des föderalen Systems wurde die Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des Justizvollzugs auf die Bundesländer übertragen. Die Länder haben nun die Möglichkeit, individuelle Lösungen vorzuschlagen. Es ist schön, dass Sie anhand der zehn Bundesländer vorgetragen haben, dass hier kein Einheitsvollzug vorgesehen ist. Es handelt sich auch nicht um einen Schäbigkeitswettbewerb. Vielmehr ist man wirklich bemüht, die besten Lösungen für den Justizvollzug, angepasst an die Bedingungen des jeweiligen Landes, die durchaus unterschiedlich sind, zu finden.
Diese Chance möchte ich für die besonderen Verhältnisse im niedersächsischen Justizvollzug nutzen. Ich möchte die Wünsche und Bedürfnisse der niedersächsischen Praxis berücksichtigen. Ich werde - im Übrigen noch in diesem Jahr - einen Gesetzentwurf vorlegen, dessen Regelungen flexible Anpassungen an die sich laufend ändernden Realitäten und Herausforderungen ermöglichen.
Ein dritter Punkt. Meine Damen und Herren, der Entwurf des Niedersächsischen Justizministeriums wird in einem Gesetz - Herr Briese, das ist keine Drohung; vielmehr werden Sie in dem Entwurf eine gelungene Konstruktion sehen - den Strafvollzug, den Jugendstrafvollzug und den Vollzug der Untersuchungshaft regeln. Dabei werden wir uns auf die notwendigen Vorschriften beschränken. Vor allen Dingen werden wir das, was für den Vollzug insgesamt zu regeln ist, in einem Abschnitt, der für alle drei Vollzugsformen Gültigkeit haben soll, zusammenfassen. Wir werden dadurch überflüssige Mehrfachregelungen vermeiden und zur Entbürokratisierung beitragen.
Dass der Justizvollzug eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe darstellt, ist von allen Rednern, die hier vorgetragen haben, sehr stark betont worden. Das begrüße ich ausdrücklich. Der Strafvollzug bringt Straftäter sicher unter und arbeitet intensiv an deren sozialer Integration. Das ist mit Sicherheit auch eine Frage des Opferschutzes; da stimme ich allen Rednern selbstverständlich zu. Ich möchte mit dem Gesetzentwurf aber auch gute Rahmen
bedingungen für die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im niedersächsischen Justizvollzug schaffen.
Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, Frau Bockmann und vor allem Frau Müller, die Sie in Ihrer parlamentarischen Arbeit wirklich langjährige Erfahrungen mit dem Justizvollzug haben, aber auch Sie von den Grünen kann ich nur auffordern: Warten Sie doch noch einen Augenblick ab! Wir haben gründlich vorgearbeitet. Wir haben die Praxis sehr stark mit einbezogen. Sie werden sehen: Wir werden Ihnen einen Gesetzentwurf vorlegen, mit dem Sie durchaus zufrieden sein können. Wir sind offen für Anregungen. Wir werden ein gutes Gesetz für dieses Land auf den Weg bringen. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke schön, Frau Ministerin. - Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Ich schließe damit die Beratung.
Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Der Gesetzentwurf soll zur federführenden Beratung dem Ausschuss für Rechts- und Verfassungsfragen zugeleitet werden. Mitberatend sollen der Unterausschuss „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ des Ausschusses für Rechts- und Verfassungsfragen sowie der Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit tätig werden. Wer so beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Stimmenthaltungen? - Es gab keine Gegenstimmen und Stimmenthaltungen. Dann ist das so beschlossen.
Tagesordnungspunkt 7 a: Erste Beratung: Korrektur der Abschaffung der Widerspruchsverfahren dringend erforderlich! Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/3260
Zur Einbringung hat sich Herr Professor Dr. Lennartz von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort gemeldet. Bitte schön, Sie haben das Wort!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, ich habe den Eindruck, Sie haben Ihre ganze Kraft und auch die Kraft Ihres Hauses in letzter Zeit auf das Gesetz zum Jugendstrafvollzug geworfen und sich deswegen dem ebenfalls interessanten Thema Widerspruchsverfahren nicht genügend gewidmet. In einer Reihe von Anfragen haben SPD und Grüne in den letzten 15 Monaten die Auswirkungen der Abschaffung des Widerspruchsverfahrens und Erfahrungen damit abgefragt. Sie haben in der jüngsten Antwort auf eine Anfrage der SPD-Fraktion im Juni dieses Jahres gesagt: