Meine sehr verehrten Damen und Herren, vor diesem Hintergrund drängen sich drei Fragen auf. Das sind die drei wesentlichen Fragen, die uns bei unseren hochschulpolitischen Entscheidungen leiten: Erstens. Welche Aufgaben haben Hochschulen gegenwärtig und künftig? Zweitens. Welche Bedingungen müssen sie erfüllen? Drittens. Welche Rahmenbedingungen hat die öffentliche Hand sicherzustellen?
Ich komme zu der ersten Frage, den Aufgaben der Hochschulen: Sehr traditionell - könnte man sagen - lauten die Aufgaben der Hochschulen, „Wissen bewahren, Wissen erweitern und Wissen weitergeben“. Für die Hochschulen zu Beginn unseres 21. Jahrhunderts ist diese Aufgabenbeschreibung jedoch nicht mehr zureichend. Die Situation ist viel komplexer geworden.
Deshalb stehen die Hochschulen vor einem gewaltigen Veränderungsbedarf. Deshalb haben wir unverzüglich nach Regierungsübernahme Abschied genommen vom „Weiter so“ und Reformprozesse eingeleitet, die - das kann ich so sagen - paradigmatischen Charakter haben.
Lieber Herr Präsident, Sie werden schon gemerkt haben, meine Stimme ist eine andere, aber ich bin dieselbe Person geblieben. Ich habe mich etwas erkältet. Es wäre nett, wenn ich ein Glas Wasser bekommen könnte. Das habe ich seit 1994 noch nie in Anspruch genommen. Heute brauche ich es.
(Wolfgang Jüttner [SPD]: Dafür haben wir Verständnis! - Karl-Heinz Klare [CDU]: Lothar, das ist sehr großzü- gig!)
Meine Damen und Herren, wir werden dafür Sorge tragen, dass unsere Hochschulen heutzutage folgende Aufgaben wahrnehmen können: Sie sollen erstens Lehre und Studium sichern, zweitens Forschung und Entwicklung gewährleisten, drittens den wissenschaftlichen Nachwuchs fördern, viertens die Voraussetzungen für wissenschaftliche Weiter- und Fortbildungsangebote schaffen, fünftens sich als Dienstleister beispielsweise im Bereich des Technologietransfers oder für Beratungstätigkeiten bereithalten und anbieten, und sechstens sollen sie natürlich auch künftig Impulsgeber für gesellschaftliche Veränderungen sein.
Diese Aufgaben, meine Damen und Herren, können unsere Hochschulen jedoch nur dann erfolgreich meistern, wenn ihnen verlässliche finanzielle Rahmenbedingungen zur Verfügung stehen, sie ein Höchstmaß an Handlungsfreiheiten - also Autonomie - gewährt bekommen, sie selber bereit sind, eine klare Leistungs- und Wettbewerbsorientierung vorzunehmen, was ein klares und unverwechselbares Profil jeder Hochschule voraussetzt, wenn sie - das ist mein vierter Punkt, als wichtigste Bedingung übrigens - dem Anspruch auf Qualität in Forschung und Lehre Rechnung tragen und wenn sie anerkennen, dass sich diesem Anspruch alle Einzelinteressen unterzuordnen haben.
Erlauben sie mir, gerade in Bezug auf das Qualitätskriterium Professor Dr. Hans Weiler zu zitieren, der als Deutscher viele Jahre in Stanford gelehrt und geforscht hat, dort auch Dekan war und heute als einer der anerkanntesten und gefragtesten Wissenschaftsberater gilt. Ich habe dieses Zitat einem Vortrag Weilers entnommen, das er am 14. April 2005 vor der Wirtschaftsuniversität in Wien gehalten hat.
„Eines der größten Probleme vieler herkömmlicher Universitäten ist, dass sie sich mit dem Zustand wissenschaftlicher Mittelmäßigkeit abgefunden und sich darin bequem eingerichtet haben. Das geschieht ohnehin leicht, wenn schon die Eingangstore der Hochschule ohne Unterschied für alle diejenigen geöffnet sind, die einen bestimmten Schulabschluss haben - gleichgültig, ob sie für ein bestimmtes Studium wirklich qualifiziert sind. Das setzt sich dann fort in einer Praxis von professoralen Berufungen, bei denen die Zugehörigkeit zu bestimmten professionellen ‚Seilschaften‘ eine größere Rolle spielt als die wissenschaftliche Qualifikation und Reputation und wo Gutachten für Berufungsverfahren immer mehr zu kollegialen Gefälligkeitsdiensten verkommen.“
Als Politiker, meine Damen und Herren, hätte ich es natürlich diplomatischer formuliert, und die Auffassung von Hans Weiler gilt natürlich nicht für niedersächsische Hochschulen. Aber er hat im Prinzip gleichwohl recht.
Deshalb hat der Wissenschaftsrat Empfehlungen zur Berufungspraxis beschlossen. Wir haben diese Empfehlungen übernommen oder werden sie noch übernehmen, wonach die Übertragung des Berufungsrechts strengen Kriterien zu folgen hat. Das gilt übrigens auch für die Hochschulen, die das Berufungsrecht bereits übertragen bekommen haben und künftig übertragen bekommen können - Sie wissen, dass das neue Hochschulgesetz, das dieses Hohe Haus vermutlich heute Nachmittag beschließen wird, diese Möglichkeit vorsieht - für je
weils drei Jahre, weil wir sehr genau darauf achten müssen, ob die strengen Berufungskriterien eingehalten werden.
Das in Stanford geltende Prinzip für Berufungsund Zulassungsverfahren „when there is doubt, there is no doubt“, also bei Zweifeln im Hinblick auf die Qualifikation wird der Bewerber zweifelsfrei nicht genommen, muss und sollte auch für niedersächsische Hochschulen gelten.
Meine Damen und Herren, dies gilt vor allem deshalb, weil sich unsere Hochschulen mitten in einem Generationenwechsel in der Professorenschaft befinden. Bis zum Jahr 2014 - so das Statistische Bundesamt - wird etwa die Hälfte der Professorinnen und Professoren deutscher Hochschulen aus Altersgründen ausscheiden. Das heißt, wenn Hochschulen oder Länder umsteuern müssen oder wollen, haben Hochschulen jetzt die Möglichkeit, neue Strukturen zu schaffen und auf die wissenschaftliche Entwicklung zu reagieren.
Ich muss an der Stelle noch einmal sagen: Leider hat die Vorgängerregierung diesem Tatbestand kaum Rechnung getragen, was uns heute weitere Probleme bereitet.
Auch unserer Wissenschaftlichen Kommission für die Forschung und der Zentralen Evaluations- und Akkreditierungsagentur für die Lehre kommen als Instrumente der Qualitätssicherung insoweit zunehmende Bedeutung zu.
Ich will in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen, dass eine uneingeschränkt wirkungsvolle Qualitätssicherung nach wie vor nicht erzielt werden kann, wenn wir nicht den Mut und die Kraft aufbringen, das deutsche Dienstrecht insoweit nachhaltig zu reformieren.
Wiederholte Schlechtbewertungen müssen auch zu dienstrechtlichen Konsequenzen führen können. Dies ist zurzeit leider kaum der Fall. Die Verbeamtung auf Lebenszeit muss im Hochschulbereich vom Regelfall zum Ausnahmefall werden. Auch müssen wir die Besoldung über die Möglichkeiten der W-Besoldung hinaus noch leistungsgerechter strukturieren.
Ich sage aber, dass dies nur im Konzert mit den 16 Bundesländern geht, und das macht die Bewältigung dieser Aufgabe nicht ganz einfach.
Im Jahr 2005 haben wir bereits das Niedersächsische Hochschulzulassungsgesetz reformiert, meine Damen und Herren, damit die Hochschulen sich ihre Studierenden und die Studierenden ihre Hochschule aussuchen können. Endlich kommt es nicht mehr nur auf die Durchschnittsnote an, sondern auch auf die tatsächliche Geeignetheit der Bewerberin und des Bewerbers.
Übrigens wird auch dies - das ist meine feste Überzeugung - zu einer Verkürzung der Studienzeiten und vor allem zu einer Verringerung der Abbrecherquoten führen.
Es ist nicht verantwortbar, dass wir uns in manchen Bereichen Abbrecherquoten von nahezu 50 % leisten.
Dies ist gegenüber den Studierenden unfair und es ist auch insoweit falsch, als wir hier die Mittel der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler zu verwalten und auszugeben haben.
„Wenn es eine Formel gibt, die von der Entwicklung der modernen Wissenschaft obsolet am Wegesrand zurückgelassen wurde, dann sicher die der so genannten Volluniversität d. h. der Hochschule, die alles kann und alles macht und die Vollständigkeit ihres Fächerangebotes für wichtiger hält als die Qualität, mit der die Fächer vertreten, wissenschaftlich bearbeitet und gelehrt werden. Es gibt kaum ein verlässlicheres Rezept für akademische Mittelmäßigkeit als diesen Totalitätsanspruch, dem man dennoch immer wieder begegnet, wenn man Hochschulen nahe legt, sich auf ihre Stärken zu konzentrieren … Das heißt dann aber auch, dass man sich da, wo man schwach ist, konsequent von seinen Schwächen trennt - die Bestimmung von Posterioritäten ist wichtiger wie die von Prioritäten.“
Meine Damen und Herren, Weiler weiß als jemand, der in Stanford gearbeitet hat, dass auch die großen Eliteuniversitäten dieser Welt - Stanford, Harvard, Berkeley usw. - eben nicht in allen Bereichen exzellent und elitär sind, sondern dass sich dies auch dort nur auf einige wenige Bereiche konzentriert, was dann eben auch die Profilbildung deutlich macht.
Richtig ist: Jede Hochschule, die wettbewerbsfähig bleiben bzw. werden will, muss eine institutionelle Profilbildung betreiben.
Ein Profil kann eine Hochschule nur dadurch ausbilden, dass sie Prioritäten setzt, die klare Leitungsstrukturen voraussetzen und die Hochschulleitungen vor besondere Herausforderungen - das wissen wir - stellen.
Wenn an einer Stelle Mittel zusätzlich eingesetzt werden, müssen sie an anderer Stelle wieder weggenommen werden. Dies bedeutet harte und für manche auch schmerzhafte Entscheidungen. Dabei stellt sich in Deutschland übrigens häufig das Problem, dass nicht wenige Mitglieder der Hochschule das Prinzip der „Hochschulautonomie“ nicht als institutionelle Autonomie begreifen, sondern darin vor allem ihre eigene, persönliche Unabhängigkeit bzw. Autonomie sehen.
Dies ist übrigens der Grund, warum nicht selten dieselben Leute dann, wenn sie durch autonom von der Hochschule getroffene Entscheidungen betroffen sind, wieder nach der schützenden Hand des Staates rufen, mir beispielsweise Briefe schreiben und mich auffordern, dort einzugreifen und das Präsidium sozusagen in Stellung zu schicken. - Das werde ich nicht machen.
Die Erfahrung zeigt jedoch, dass gute Präsidien durch geschicktes Moderieren - auch mit unserer Hilfe - und durch modernes Führungs- und Kommunikationsmanagement Konflikte dieser Art gelöst bekommen.
Zur Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen gehört auch, dass sich Hochschulen als Institutionen für Kooperationen mit anderen Hochschulen und Forschungseinrichtungen öffnen und dass sie im Interesse ihrer eigenen Entwicklung strategische Allianzen bilden müssen. Das gilt nicht nur im Hinblick auf öffentlich finanzierte Einrichtungen, sondern
natürlich auch im Hinblick auf Privatunternehmen und Einrichtungen in Public Private Partnership. Deshalb ist in der NHG-Novelle ein neuer § 36 a vorgesehen, mit dem wir gemeinsame Einrichtungen von Kooperationspartnern auf eine sichere rechtliche Grundlage stellen wollen.