Ich sage noch einmal: Das DIW hat festgestellt, dass 80 % der Kinder nicht in Patchwork-Familien leben, sondern in Familien, in denen die eigenen Eltern in ehelichen Verhältnissen leben.
Mein Junge, hast du dir das gut überlegt? Dann ist die Mark nur noch 50 Pfennige wert! - Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer von Ihnen kennt diesen Spruch? Ist da nicht etwas Wahres dran?
Ich will nicht diskutieren, was Ehe heute ist. Die Ehe hat viele Aspekte. Familie ist einer davon, nur einer. Ein anderer Aspekt ist die Wirtschaftsgemeinschaft. Als Steuerberaterin werde ich immer wieder gefragt, ob es Sinn macht, zu heiraten: Kann ich da Steuern sparen? Wie viele? - Diese Fragen sind mit der entsprechenden Software ganz einfach zu beantworten.
Aber nur aus steuerlichen Gründen heiraten sehr, sehr wenige Menschen. Ich bin sicher, dass das so wenige sind, dass wir sie hier vernachlässigen können. Was wir nicht vernachlässigen können, ist die Frage der Wirtschaftsgemeinschaft. Wer heiratet, ist grundsätzlich in der finanziellen Verantwortung für den Ehegatten. Droht Hartz IV, zieht ein unverheiratetes Paar einfach auseinander, und der Staat zahlt. Droht Hartz IV, zahlt in der Ehe der Partner. Innerhalb der Ehe besteht Unterhaltsver
pflichtung. Wie viele Geschiedene wissen: Auch nach der Ehe besteht noch Unterhaltsverpflichtung. „Drei Siebtel“ ist vielen Geschiedenen - meist Männern - ein ganz fester Begriff.
Das Risiko der Pflegebedürftigkeit - schon durch den Kollegen Hilbers ganz kurz angesprochen - ist auch so ein Teil der Wirtschaftsgemeinschaft. Wir wissen, dass ein großer Teil der Bevölkerung pflegebedürftig werden wird. Ein Platz im Pflegeheim kostet heute etwas über 3 000 Euro im Monat. Nicht einmal 50 % davon werden von der gesetzlichen Pflegeversicherung übernommen. Die restlichen etwas über 1 500 Euro im Monat summieren sich auf 20 000 Euro im Jahr - Jahr für Jahr. Und das kann viele Jahre dauern.
Diese und weitere Belastungen tragen Menschen für Menschen in der Ehe. Das ist gut so, und das ist richtig so. Dafür stimmt mein Spruch vom Anfang nicht so ganz, weil sich der Staat an der Ehe mit der Splittingtabelle ein wenig beteiligt. Die Mark ist nicht nur 50 Pfennige wert, wenn man heiratet, sondern der Staat gibt noch 2 oder 3 Pfennige dazu. Aber zur Wahrheit gehört eben auch, dass die staatlichen Kassen durch die Ehe entlastet werden.
Noch eine Bemerkung zu den frei werdenden Mitteln, die in solchen Anträgen wie dem vorliegenden immer wieder erwähnt werden: Sowohl bei der gigantischen Mehrwertsteuererhöhung als auch bei der gestrichenen Eigenheimzulage, die wir auch in diesem Haus mit Tausenden von Verwendungsmöglichkeiten mehrfach diskutiert haben, hat die Koalition versprochen, dass ein Teil der Einnahmen in die Kinderbetreuung fließt. Bei den Kommunen ist bis heute nichts davon angekommen.
Daran würde auch der Wegfall des Ehegattensplittings nichts ändern. Herr Wenzel, Sie kennen das Haushaltsrecht. Sie wissen, dass Sie nicht sagen können: An der einen Stelle nehmen wir etwas weg, und an die andere Stelle kommt etwas hin. Das ist der zweite politische Wille, und ob der funktioniert, möchte ich dahingestellt sein lassen.
Wir brauchen nicht schon wieder ein Stückwerk, nicht schon wieder ein kleines bisschen Reparieren und Verschieben. Wir brauchen ein klares und gerechtes Gesamtkonzept, in dem wir gerne die Kinder betonen können, aber bitte ein Gesamtkonzept. Ein Stückwerk - wie in diesem Antrag - tragen wir als FDP-Fraktion nicht mit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kaum ein Bereich staatlicher Familienpolitik wird so kontrovers diskutiert wie die Frage nach der steuerlich angemessenen Behandlung kindbedingter Aufwendungen und der steuerlichen Veranlagung von Ehegatten. Wir haben es hier und heute schon wieder erlebt.
Die politische Brisanz wird nicht nur in zahlreichen Entschließungsanträgen zu diesem Thema deutlich, sie ergibt sich auch aus der Tatsache, dass sich das Bundesverfassungsgericht veranlasst sieht, immer häufiger und in immer kürzeren Abständen zu diesem Thema Stellung zu nehmen.
Leider beziehen sich Diskussionen, Anträge und Vorschläge häufig - so ist es auch in dem vorliegenden Antrag der Fraktion der Grünen - auf Einzelaspekte. Bis heute fehlt eine Analyse über die Auswirkung aller familienpolitischen gesetzlichen Maßnahmen und Leistungen im Hinblick auf die Zielsetzungen einer nachhaltigen und modernen Familienpolitik. Wenn es um die Frage der Finanzierung zusätzlicher familienunterstützender Leistungen geht, dann steht in der politischen Diskussion früher oder später das Ehegattensplitting zur Disposition. Dies sehen wir auch beim vorliegenden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Im Übrigen handelt es sich bei diesem Antrag nicht um ein Unikat. Einen nahezu gleichlautenden Antrag hat der Deutsche Bundestag vor wenigen Wochen diskutiert. Auch wenn wir für mehrere Aspekte dieses Antrags durchaus Sympathie hegen, gilt das doch nur mit einigen Einschränkungen.
Niemand in diesem Hause zieht die Notwendigkeit einer Verbesserung der frühkindlichen Bildung und Förderung in Zweifel - und natürlich auch nicht den Ausbau des Betreuungsangebotes. Es bleibt aber mehr als fraglich, ob durch eine Kappung oder Umwandlung des Ehegattensplittings das erwartete und im vorliegenden Antrag bezifferte hohe Umschichtungspotenzial auch tatsächlich zur Verfügung stehen wird.
Das Ehegattensplitting begünstige ausschließlich den Trauschein. Es sei ungerecht und familienpolitisch wenig effektiv. So lautet die am häufigsten geäußerten Kritik.
Die Klage einer berufstätigen Frau im Jahre 1956 führte zum ersten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Ehegattensplitting, weil die vorher gültige und noch aus der nationalsozialistischen Zeit stammende Zusammenveranlagungsvorschrift ausdrücklich das Ziel hatte, die erwerbstätige Frau aus dem Arbeitsleben zurückzudrängen. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete in seinem damaligen Urteil das Splittingverfahren als eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Form der Ehegattenbesteuerung. Seit diesem Zeitpunkt haben nicht dauernd getrennt lebende Eheleute die Wahlmöglichkeit zwischen der Individualbesteuerung und einer Zusammenveranlagung nach dem Splittingtarif. Das Splittingverfahren entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. So formuliert es das Bundesverfassungsgericht. Es geht davon aus, dass zusammenlebende Eheleute eine Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs bilden, in der ein Ehepartner an den Einkünften und Lasten des anderen jeweils zur Hälfte teilhat. Das Ehegattensplitting knüpfe an die wirtschaftliche Realität einer intakten Durchschnittsehe mit der Vereinbarung des Zugewinnausgleichs an. So argumentierte noch in den 90erJahren das Bundesverfassungsgericht.
Das Ehegattensplitting hatte auch in früherer Zeit durchaus einen familienpolitischen Charakter - in einer Zeit, als die Kopplung von Ehe und Familie der Regelfall war und damit der Lebenswirklichkeit in unserem Lande entsprach. Dieser familienpolitische Charakter wird aber durch die heutigen unterschiedlichen Familienstrukturen infrage gestellt. Wir stimmen der Feststellung im Antrag der Fraktion der Grünen ausdrücklich zu, dass ein kinderloses Ehepaar in der heutigen Zeit steuerlich nicht
besser gestellt werden darf als ein unverheiratetes Elternpaar oder als eine alleinerziehende Mutter.
Das Splittingverfahren entfaltet die höchste Entlastungswirkung bei Alleinverdienenden mit einem zu versteuernden Einkommen im Bereich des doppelten Betrages der oberen Proportionalzone. Eine Erwerbstätigkeit lohnt sich dann in der Regel für die Ehefrau nur noch, wenn zumindest der Splittingvorteil zurückverdient wird. Das führt dazu, dass eine Berufstätigkeit häufig unattraktiv wird mit konkreten negativen Folgen, u. a. für die Altersversicherung von Frauen.
Wenn die Aussage zutrifft, dass Steuern indirekt Anreize für bestimmte Verhaltensweisen setzen, dann ist in diesem Zusammenhang zu prüfen, ob die derzeitige Ausgestaltung des Ehegattensplittings zu geschlechtsspezifischen Nachteilen führt. Schon die gültige Einteilung in Steuerklassen mit dem Effekt, dass sich mehr als 80 % der Frauen in der ungünstigsten Steuerklasse V befinden, erfüllt den Tatbestand der mittelbaren Diskriminierung. Wir begrüßen es daher, dass die Bundesregierung in ihrer Koalitionsvereinbarung beschlossen hat, die bisherige Besteuerung im Hinblick auf die Einteilung in Lohnsteuerklassen zu ändern, und wir werden das nachdrücklich einfordern.
Mit der beabsichtigten Neuregelung ist ein wesentlicher Grund beseitigt, der Frauen an der Aufnahme oder Wiederaufnahme der Berufstätigkeit hindert; denn es sind mehr als 80 % der Frauen in der ungünstigsten Lohnsteuerklasse, wie ich schon gesagt habe. Dies ist zwar ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung - insofern gebe ich meinem Vorredner recht -, er beseitigt jedoch noch nicht die beschriebenen Nachteile des Ehegattensplittings.
Wie bereits ausgeführt, sind allerdings die Spielräume für Änderungen begrenzt. Denn selbstverständlich sind die verfassungsmäßigen Vorgaben im Hinblick auf die Sicherstellung des Existenzminimums zu berücksichtigen wie auch die Erfüllung der gesetzlichen Unterhaltspflichten.
Ihr Antrag, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, möchte Ungerechtigkeiten des geltenden Ehegattensplittings beseitigen. Dies wird
sicherlich von vielen hier unterstützt. Das von Ihnen vorgeschlagene Modell kann allerdings auch noch zu neuen Ungerechtigkeiten führen, weil es wiederum unterschiedliche Auswirkungen auf die einzelnen Verdienstmodelle hat.
Eine wichtige Gruppe fehlt leider ganz in Ihrem in dieser Hinsicht ausgesprochen schlanken Antrag. Sie weisen auf eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaft hin, wonach inzwischen 43 % der Familien, die vom Ehegattensplitting betroffen sind, kinderlos sind oder keine Kinder mehr haben, für die sie Kindergeld beziehen. Die gleiche Studie kommt aber auch zu dem Ergebnis, dass 90 % des Splittingvolumens auf Ehepaare entfällt, die Kinder haben oder hatten. Wir halten es für ungerecht, den Splittingvorteil gerade für solche Ehepaare einzuschränken, die ihre Kinder bereits großgezogen haben, und zwar in einem Familienmodell, das vor 15 oder 20 Jahren noch der Regelfall war.
Wie gering die Möglichkeiten für Mütter sind, mit 45 oder mit 50 Jahren wieder in einen Beruf einzusteigen, brauche ich an dieser Stelle nicht zu erläutern.
Mit unserem Änderungsantrag wollen wir auf diesen Gesichtspunkt und auf alle anderen Aspekte, die im Falle einer Veränderung oder Kappung des Ehegattensplittings zu berücksichtigen sind, verweisen, sehen aber die Notwendigkeit, dass das alles im Rahmen einer Gesamtkonzeption passieren muss. - Danke sehr.
Die Beschlussempfehlung des Ausschusses entfernt sich inhaltlich am weitesten vom Ursprungsantrag. Über sie ist daher zuerst abzustimmen. Nur bei ihrer Ablehnung wäre dann über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD abzustimmen.
Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Dann war das die Mehrheit. Mit der Annahme ist gleichzeitig der Antrag der SPD abgelehnt.
Tagesordnungspunkt 22: Zweite Beratung: Förderschulen in „Verlässlichkeit“ einbeziehen! - Antrag der Fraktion der SPD Drs. 15/1819 - Beschlussempfehlung des Kultusausschusses - Drs. 15/3251
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Um zu zeigen, worum es bei diesem Antrag geht, lassen Sie mich mit einem Beispiel aus dem Schulalltag beginnen: Vitali ist Grundschüler im zweiten Schuljahr. Bei ihm werden in mehreren Fächern erhebliche Schwächen festgestellt, er spricht z. B. kaum einen zusammenhängenden Satz. Zusätzlich hat er große Probleme im Sozialverhalten, kann sich überhaupt nicht in eine Gruppe integrieren. Er hat - so heißt es heute mit einem Fachbegriff - auf mehreren Gebieten Förderbedarf. Nach einer entsprechenden Überprüfung wird ihm mitgeteilt, er solle, damit er gezielt gefördert werden könne, die Förderschule besuchen. Vitali wird also an die Förderschule überwiesen, und die Eltern stellen fest, dass die besondere Förderung darin besteht, dass er gelegentlich früher nach Hause kommt, gelegentlich später in die Schule muss, kurz gesagt, dass der Primarbereich der Förderschule nicht in die Verlässlichkeit - die Zeiten von 8 bis 13 Uhr - einbezogen ist. Das, meine Damen und Herren, darf so nicht bleiben!