Protokoll der Sitzung vom 09.11.2006

Arbeitsschutz, meine Damen und Herren, genießt in allen Fraktionen hohe Priorität. Aber es gibt auch in der SPD durchaus unterschiedliche Meinungen zu diesem Thema. Ich möchte sehr gerne aus der ersten Lesung im schleswig-holsteinischen Landtages zitieren, und zwar Herrn Peter Eichstädt, der sehr deutlich gemacht hat, dass es bei der Liberalisierung gewährleistet bleiben muss, dass die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beachtet werden. Ich zitiere:

„Wir sind aber der Auffassung, dass dies nicht durch ein Ladenschlussgesetz, sondern durch Arbeitszeitord

nung, Arbeitsschutzgesetz, Tarifverträge und durch Betriebsvereinbarungen geregelt werden kann.“

Sie sehen: Allein diese Passage macht deutlich, dass Interessenschutz bei jeder Partei liegt und nicht nur bei einer Partei allein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße außerordentlich, dass der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der SPD so viel Freiheit wie möglich und so wenig Regelungen wie unbedingt nötig gibt.

(David McAllister [CDU]: FDP! - Karin Stief-Kreihe [SPD]: Wir distanzieren uns freiwillig! - Hans-Dieter Haase [SPD]: Damit wollen wir nichts zu tun haben!)

Entschuldigung, die FDP natürlich. - Ich begrüße sehr, dass Herr Fraktionsvorsitzender McAllister gesagt hat, dass die Beratungen sehr ergebnisoffen geführt werden und dass alle Argumente, die von den Verbänden in den Beratungsprozess eingebracht werden, auch in den Entscheidungsprozess eingebunden werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Nein.

(Frauke Heiligenstadt [SPD]: Mehr haben Sie nicht dazu zu sagen?)

Die CDU-Fraktion hat um zusätzliche Redezeit gebeten. Ich erteile ihr drei Minuten und Herrn McAllister das Wort.

Verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der große deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer hat 1952 gesagt - ich zitiere wörtlich -:

„Eine richtige Wirtschaftspolitik dient nicht Einzelnen und darf sich nicht zum Nutzen oder Schaden dieser oder jener Wirtschaftskreise auswirken, sie muss vielmehr in wohl abgewogener Entsprechung den Gesamtinteressen des Volkes, d. h. dem Verbraucher, dienen.“

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Zum La- denschluss hatte er eine andere Posi- tion!)

Das ist die Zielrichtung unseres Gesetzentwurfs. Im Mittelpunkt stehen die Interessen der Kunden. Die Kunden werden auf dem Markt entscheiden, ob sich flexibilisierte Ladenöffnungszeiten in der Praxis umsetzen lassen oder nicht. Ich wundere mich über ein gesellschaftspolitisches Verständnis, das ich heute in den Wortbeiträgen von Herrn Hagenah und Frau Heiligenstadt gehört habe. Das ist ausdrücklich nicht unser Menschenbild und nicht unser gesellschaftspolitisches Verständnis.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die Ministerin hat es gerade gesagt: Wir gehen ergebnisoffen in die Beratungen. Deshalb habe ich gerade Ihrem Beitrag, Frau Heiligenstadt, sehr aufmerksam zugehört. Ich habe in Ihrem Beitrag gehört: Flexiblere Ladenöffnungszeiten seien unchristlich, gegen Familien, gegen Frauen, gegen Arbeitnehmer, führten zu mehr Kriminalität, führten zu unlösbaren Problemen im ÖPNV und seien sogar ein Fall für die Konnexität. Ich finde, das ist ein bisschen weit hergeholt. Übrigens, Frau Heiligenstadt, wenn man das logisch zu Ende denkt, dann müsste eigentlich das Ergebnis sein, dass wir die Läden in Deutschland überhaupt nicht öffnen, wenn wir ansonsten diese ganzen Probleme hätten.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zurufe)

Sie haben zu Schröders Regierungszeiten einmal mit dem Satz „Niedersachsen - Land mit Weitblick“ geworben. Ich appelliere an die linke Hälfte des Hauses, etwas mehr Weitblick zuzulassen. Die ganzen Probleme, die Sie schildern, sind ja offenkundig in nahezu allen unseren europäischen Nachbarstaaten so nicht eingetreten. Wenn wir über Deutschland reden: 14 von 16 Ländern planen eine Veränderung des Ladenschlussrechts, zwei machen es nicht, das Saarland und Bayern. Alle 14 anderen machen es. Ich frage Sie, Frau Heiligenstadt: Wenn das alles zutreffen würde, was Sie hier vorgetragen haben, wie erklären Sie sich dann, dass Herr Ringstorff - Ihr Genosse in Mecklenburg-Vorpommern - 6 x 24 plant?

(Günter Lenz [SPD]: Große Koalition!)

Was sagen Sie dazu, dass Herr Platzeck in Brandenburg 6 x 24 machen will? Was sagen Sie dazu,

dass Herr Wowereit in Berlin 6 x 24 machen will? Was sagen Sie dazu, dass Herr Stegner in Schleswig-Holstein 6 x 24 machen will? Was sagen Sie dazu, dass die Genossen in SachsenAnhalt jetzt beschlossen haben, 5 x 24 und samstags bis 20 Uhr zu machen?

Ich bitte Sie wirklich um Eines: Lassen Sie bitte diese übertriebenen Befürchtungen weg. Versuchen Sie, sich mit diesem Thema sachgerecht auseinanderzusetzen. Ihr Zerrbild heute war nun wirklich völlig daneben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Die SPD-Fraktion hat ebenfalls um zusätzliche Redezeit gebeten. Ich erteile auch ihr drei Minuten. Frau Heiligenstadt, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Herr McAllister, wenn hier heute etwas daneben war, dann war das Ihr letzter Wortbeitrag.

(Beifall bei der SPD)

Aber damit möchte ich mich eigentlich gar nicht so intensiv auseinandersetzen, sondern ich möchte kurz auf die Ministerin eingehen. Sie haben erwähnt, dass der Arbeitnehmerschutz durch die Regelung des § 6 in dem Gesetzentwurf gewährleistet werden soll. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht mit dem Hinweis auf das Arbeitszeitgesetz - ich zitiere mit der Erlaubnis der Präsidentin - in der Urteilsbegründung geschrieben hat:

„Das Arbeitszeitgesetz gewährt nicht einen gleichermaßen wirksamen Schutz wie das Ladenschlussgesetz, das durch seine schematische Regelung einen verkaufsfreien Abend wirksam sichern kann.“

Oder: Auch der Hinweis auf eine Garantie durch das Betriebsverfassungsgesetz und durch mögliche betriebsvertragliche Regelungen wird vom Bundesverfassungsgericht negiert. Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus:

„Das Betriebsverfassungsgesetz bietet zwar Möglichkeiten für einen Schutz der beschäftigten Arbeitnehmer auch im Hinblick auf die Arbeits

zeitverteilung, garantiert diesen aber nicht.“

Ich erinnere an die tarifliche Situation, die im Moment im Einzelhandel besteht, die Frau Krämer vorhin erwähnt hat. Diese Schutzmaßnahmen auf die Tarifparteien abzuwälzen, ist eines Landesgesetzgebers nun wirklich nicht würdig.

(Beifall bei der SPD)

Herr McAllister, sofern ich hier ein Zerrbild zitiert haben soll: Ich meine, die Bedenken der Gewerkschaft der Polizei in Bezug auf vermehrte Einsätze wegen Ladendiebstählen während späterer Verkaufszeiten sollte man auf jeden Fall ernst nehmen. Wir sollten sie ernst nehmen.

(David McAllister [CDU]: Schließen Sie doch die Geschäfte!)

- Reden Sie doch mit den Beschäftigten. Frauen müssen zum Teil ihre Dienste in Drogeriediscountern mit Flächen von 300 oder 400 m2 alleine - als einzelne Person - erbringen. Die Raubüberfälle haben zugenommen. Über 155 Raubüberfälle allein im letzten Jahr bei den vorhandenen Ladenschlusszeiten in der Zeit zwischen 18 und 20 Uhr. Wir haben acht Tötungsdelikte dabei gehabt. Das ist kein Zerrbild ist, sondern das ist etwas, was durchaus in eine Diskussion über einen Gesetzentwurf gehört. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - David McAllister [CDU]: Dann müssen wir die Läden schließen! Ohne Läden keine Laden- diebstähle: Das ist doch absurd!)

Ebenfalls nach § 71 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung erteile ich Herrn Hagenah das Wort für zwei Minuten.

(Christian Dürr [FDP]: Sie haben es schon in drei Wortbeiträgen nicht ge- schafft, uns zu überzeugen!)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss noch einmal sprechen, weil ich die Ehre von Konrad Adenauer retten muss.

(Heiterkeit bei der SPD und bei den GRÜNEN)

Der arme Mann muss sich ja im Grabe umgedreht haben, als er eben von Herrn McAllister zitiert worden ist. Sinngemäß sagte er: Richtige Wirtschaftspolitik dient nicht Einzelnen, sondern muss dem Volk dienen. - Ja, ja. Genauso ist es. Aber bitte schön: nicht dem Verbraucher.

(David McAllister [CDU]: Das hat er gesagt!)

„Der Verbraucher“ ist eigentlich eine in sich sehr unterschiedliche Gruppe.

(Dr. Philipp Rösler [FDP]: Doch nicht die Verbraucherschutzpartei?)

Im Wesentlichen nutzt Ihr Ansatz nur den großen Konzernen, aber nicht den Verbrauchern.

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

Die Verbraucher haben heute schon alle Möglichkeiten einzukaufen. Das haben Sie vorhin auch zitiert. Wir haben die Möglichkeit, die Läden von 8 Uhr bis 20 Uhr zu öffnen. Ich kenne keine Dienstund Arbeitszeiten, die diesen Umfang haben - außer denen von Landtagsabgeordneten; die können aber vielleicht zwischendurch in die Geschäfte gehen. Insofern werden die Verbraucher bei den heutigen Ladenschlusszeiten nicht ausgeschlossen.

(David McAllister [CDU]: Sie wollen es nicht! Sie können es nicht verstehen! Sie sind nicht offen!)

- Wir haben ein anderes Verständnis von der sozialen Marktwirtschaft, wie sie unter Konrad Adenauer und Ludwig Erhard in Deutschland umgesetzt worden ist.