Protokoll der Sitzung vom 07.12.2006

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bilanz der Politik dieser Landesregierung ist an vielen Stellen

(Heidemarie Mundlos [CDU]: Hervor- ragend!)

unsozial. Das betrifft nicht nur die Sozialpolitik, sondern das politische Gesamtwirken dieser Regierung. Denn jede politische Maßnahme muss sich daran messen lassen, welchen Beitrag sie zu einem würdigen und chancengerechten Zusammenleben der Menschen leisten kann oder leistet. Unter diesem Aspekt möchte ich einige Politikfelder kurz Revue passieren lassen:

Ab dem 1. Januar 2007 werden blinde Menschen wieder Blindengeld erhalten. Damit endet ein unrühmliches Politikkapitel dieser Regierung, in dem ohne Rücksicht auf Verluste versucht wurde, eine Teilhabeleistung in eine Armenfürsorgeleistung umzuwandeln.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich konzediere der Ministerin in gewisser Weise, dass sie mit dem Blindenverband am Ende einen Kompromiss erzielt hat. Diesen allerdings hätte die Landesregierung mindestens ein Jahr früher auf der Basis unseres Vorschlags erzielen können. Die Halsstarrigkeit des Ministerpräsidenten und der damaligen Sozialministerin haben es erst erforderlich gemacht, dass der Blindenverband ein Volksbegehren auf den Weg gebracht hat, damit diese Landesregierung endlich einlenkt. Kein Meisterstück, meine Damen und Herren, und überhaupt nicht sozial!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Für seine Kampagne und die phantasievollen und kreativen Aktionen erhielt der Niedersächsische Blindenverband den „Politik-Award“, zu dem ich von dieser Stelle aus herzlich gratulieren möchte.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ich zitiere:

„Der Preis gehört dem Blindenverband für eine vorbildliche Kampagne, aber zugleich auch allen Bürgerinnen und Bürgern über Niedersachsen hinaus, die sich für das soziale Miteinander und den Erhalt unseres Sozialstaates einsetzen.“

So der Landesbehindertenbeauftragte auf der Homepage des Ministeriums. Ein Preis für den Protest gegen die hartherzigen Pläne dieser Landesregierung, gelobt auf den Internetseiten eben die

ser Regierung: Das hat schon was, meine Damen und Herren. Das habe ich mit Vergnügen zur Kenntnis genommen.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD - Norbert Böhlke [CDU]: Was wollen Sie damit sagen?)

„Es geht uns um eine Gesellschaft, in der der Staat nicht dazu da ist, das Glück des Einzelnen zu mehren, sondern Leid zu lindern.“

Das lese ich ebenfalls auf der Homepage des Ministeriums, und zwar als Überschrift des Kapitels „Sozialpolitik“. Das finde ich, ehrlich gesagt, als Grundaussage ziemlich mager. Menschen in schwierigen Situationen zu unterstützen, ist selbstverständlich. In diesem Sinne ist Sozialpolitik wohl Hilfepolitik. Aber der Anspruch, Frau Ministerin, ist größer. Zeitgemäße Sozialpolitik verhilft zur Teilhabe. Sie aktiviert, sie befähigt, und sie hat unserer Auffassung nach immer einen emanzipativen Anspruch. Den haben Sie in dem, was Sie politisch tun, nicht.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Immer mehr Menschen in Niedersachsen werden ausgegrenzt. Im Jahr 2005 ist die Armutsquote auf 14,9 % gestiegen, während gleichzeitig die Reichtumsquote stieg. Das ist die Folge auch Ihrer Politik, meine Damen und Herren.

Besonders häufig tritt diese Armut bei Alleinerziehenden, bei Haushalten mit vielen Kindern, gekoppelt mit Erwerbslosigkeit, auf. Politik muss in diesem Zusammenhang vor allem für gerechte Chancen sorgen. Die größte Chance, die eine Gesellschaft zu vergeben hat, ist die Chance auf Bildung. Hierin liegt der Schlüssel für Emanzipation und Teilhabe - ein Leben lang. In diesem Sinne ist auch Bildungspolitik Sozialpolitik.

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Aber was tun Sie an dieser zentralen Stelle? - Sie schließen für einen Teil der jungen Menschen die Tür ab und werfen den Schlüssel weit, weit weg. Mit Ihrem Marsch zurück in das dreigliedrige Schulsystem sorgen Sie für eine Verfestigung des gerade in Deutschland besonders engen Zusam

menhangs zwischen sozialer Herkunft und Chancenungleichheit, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Sie sorgen für Bildungsarmut und damit für sich auf Dauer verfestigende Armutsstrukturen. Sie lassen zu, dass sich der Teufelskreis aus Einkommensarmut und Transferbezug, aus Bildungsferne, Sprachproblemen, Gesundheitsproblemen, Migrationshintergrund und Arbeitslosigkeit immer weiter verfestigt. Sozial, meine Damen und Herren, ist das nicht.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Insbesondere Kinder verlieren unter diesen Bedingungen ihre Zukunft, noch ehe sie merken, dass sie überhaupt eine hätten haben können.

Sie wollen die Sache mit der Armut aber gar nicht so ganz genau wissen. Sie verweigern eine präzise Armuts- und Reichtumsberichterstattung und können so die harten Fakten weiter ignorieren. Das ist natürlich einfach.

Meine Damen und Herren, mit dem Pflegegesetz haben Sie bereits die Menschenwürde im Alter abgewickelt. Dem zu erwartenden Fachkräftemangel in der Pflege begegnen Sie mit Ignoranz. Die Behindertenpolitik in diesem Land stagniert. Sie fährt auf außerordentlich traditionellen Schienen. Wir haben Sie daher mit unserem Entschließungsantrag zur Umorientierung der Eingliederungshilfe aufgefordert, endlich den Anspruch behinderter Menschen auf mehr selbstbestimmtes Leben durchzusetzen.

Die Resonanz auf die Einführung des persönlichen Budgets in drei Modellregionen war eher bescheiden, auch wenn an dieser Stelle die Ergebnisse immer gelobt wurden, noch ehe der Abschlussbericht vorlag. Die flächendeckende Umsetzung erfolgt eher schleppend, und an das trägerübergreifende Budget wagen Sie sich gar nicht erst heran.

Ein komplettes Desaster für die behinderten Menschen in Niedersachsen stellt aber die Verzögerung des Landesgleichstellungsgesetzes dar. Seit 2003 versprechen Sie dieses Gesetz. Sie führen die behinderten Menschen jetzt seit fast vier Jahren an der Nase herum.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ganz im Stil der Vorgängerregierung - das muss ich leider immer wieder sagen - heißt hierbei das Motto: Tarnen, täuschen und verzögern. Das Ganze ist ein Trauerspiel und ein sozialpolitischer Offenbarungseid, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dann haben wir noch das Kapital „Psychiatrie“. Ihre Psychiatriepolitik besteht seit 2003 im Wesentlichen darin, dass sie nicht stattfindet, und gipfelt jetzt in dem Versuch der Erledigung durch Verkauf. Wider jeden fachlichen Rat haben Sie ein relativ intransparentes Verfahren durchgezogen mit dem einzigen Ziel, dass das Geld in der Kasse des Finanzministers klingeln soll. Von den ursprünglichen Begründungen für Ihren Verkauf ist nicht mehr viel übriggeblieben. Den Zubau an forensischen Betten wird auch in Zukunft das Land leisten müssen, und den Kern der Forensik müssen Sie doch selbst behalten, weil die verfassungsrechtlichen Probleme sonst zu offensichtlich wären.

Aber auch so wird es schlimm genug werden. Mit abenteuerlichen Konstruktionen versuchen Sie, den Anschein zu erwecken, als ob die Anwesenheit eines einzigen Landesbediensteten in einer beliehenen Maßregelvollzugsanstalt ausreichen könnte, schwerwiegende Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen.

(Beifall bei den GRÜNEN - Zuruf von den GRÜNEN: Traumtänzer!)

Sie haben es ja schon häufiger mit der Verfassung nicht so genau genommen. Offenbar ist Ihr Lernvermögen an dieser Stelle äußerst begrenzt.

(Joachim Albrecht [CDU]: Aber größer als Ihres! - Zuruf von der CDU: Das müssen Sie gerade sagen!)

- Da brauchen Sie mir nichts zu erzählen. Ich habe hier noch keine verfassungswidrigen Gesetze verabschiedet. Wir haben Sie jeweils vorher eindringlich gewarnt, dies zu tun. Sie hätten einmal ordentlich zuhören müssen, dann wären Ihnen diese Schlappen nicht passiert.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Dass mit der Privatisierung der Psychiatrie die notwendige Weiterentwicklung zu einer weiteren Regionalisierung hochgradig erschwert wird, ist Ihnen offenbar komplett egal. Es ging von Anfang

an nur ums Geld. Dabei ist die ambulante psychiatrische Versorgung in vielen Teilen des Landes höchst defizitär, wie die Berichte des Ausschusses für die Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung jedes Jahr in aller Deutlichkeit zeigen. Das Land allerdings begibt sich mit der Privatisierung jeder Steuerungsmöglichkeit in diesem Bereich. „Weg mit Schaden“ heißt offenbar Ihre Devise, „was kümmern uns denn die seelisch behinderten Menschen?“. Sozialpolitik ist das nicht, meine Damen und Herren!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Frauenpolitik dieser schwarz-gelben Landesregierung verkommt immer mehr zu einem Anhängsel der Familienpolitik. Den Anfang machte die Abschaffung der hauptamtlichen kommunalen Frauenbeauftragten. Weiter ging es mit der Änderung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes, durch die die Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der Hochschulbeauftragten erheblich eingeengt wurden. Nun nehmen Sie sich das Gleichstellungsgesetz vor, das ursprünglich dazu dienen sollte, den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen. Unter dem Motto „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ erleben wir einen völligen Paradigmenwechsel, und von Frauenförderung ist dort nur noch wenig zu finden. Immerhin haben massive Proteste der betroffenen Einrichtungen verhindert, dass es im Gewaltschutzbereich zu erheblichen Kürzungen kam. Hier ist nachgelegt worden. Ich begrüße das ausdrücklich.

Gestatten Sie mir noch einen kleinen Blick auf einen Politikbereich, den Sie mit „Förderung des Ehrenamtes“ bezeichnen. Sie wollten junge Menschen ohne Ausbildung in das Freiwillige Soziale Jahr vermitteln. Das Geld dafür haben Sie allerdings viel zu spät bereitgestellt. So konnten von den ursprünglich geplanten 100 nur 50 Plätze vermittelt werden. Den Rest haben Sie nicht etwa anderen Trägern zur Verfügung gestellt, sondern wahrscheinlich wollen Sie Ihre globale Minderausgabe damit verwirklichen.

Wir nehmen wahr: Ihre Sozialpolitik ist relativ lauwarm. Sie bleibt im Vagen. Die Einschätzung des rundblicks können wir tatsächlich nicht teilen.

Man kann alle Menschen einige Zeit zum Narren halten und einige Leute alle Zeit. Aber alle Leute alle Zeit zum Narren halten, das kann man nicht, sagte Abraham Lincoln. Ich bin sicher, meine Damen und Herren, Sie werden die Quittung für Ihre

unsoziale Politik genauso bekommen, wie Sie sie verdient haben. - Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Nächster Redner ist Herr Böhlke von der CDUFraktion.