Protokoll der Sitzung vom 08.12.2006

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, es war die Grüne-Fraktion, die im Jahr 2004 das Thema Suizide im niedersächsischen Strafvollzug im Unterausschuss zum Thema gemacht hat. Wir haben damals mit aller Sensibilität, der dieses Thema bedarf, darüber diskutiert, wie man im Sinne der Fürsorgepflicht für die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für eine möglichst große Sicherheit der Gefangenen sorgen kann, wie man vorbeugend tätig sein kann.

Der Fall in Uelzen ist sehr tragisch. Die Solidarität der Grünen-Fraktion gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Anstalt, die in dieser Nacht Schichtdienst geschoben haben.

Ich sehe die Notwendigkeit, dass wir die Berichte, die von Ihnen zurzeit erstellt werden, im Unterausschuss evaluieren.

Im Rahmen der Suizidprophylaxe muss man fragen, wie man so etwas verhindern kann. Wäre es vielleicht eine Möglichkeit, mehr Zwischenkontrollen einzuführen? Man muss auch über eine mögliche Gemeinschaftsunterbringung nachdenken.

Ich darf diese zwei Anregungen in Fragen ummünzen. Können Sie sich vorstellen, Frau Ministerin, in solchen speziellen Fällen - es kam ja noch hinzu, dass der Gefangene der deutschen Sprache unkundig war - eine Gemeinschaftsunterkunft in Betracht zu ziehen? Muss man nicht Zwischenkontrollen einrichten? Wie gehen wir mit den Mitarbeitern um, die diese Nachtschicht gefahren haben, die diesen Tod zur Kenntnis nehmen mussten und die jetzt traumatisiert sind?

Danke schön. - Für die Landesregierung antwortet Frau Ministerin Heister-Neumann. Bitte!

Sehr geehrter Herr Meihsies, vielen Dank für Ihre Fragen und für Ihre Anmerkungen. Ich greife das sehr gerne auf. Selbstverständlich werden wir im Unterausschuss darüber sprechen. Wir sind sehr daran interessiert, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die zur Vermeidung solch tragischer Vorfälle in unseren Gefängnissen beitragen.

Dieser junge Gefangene ist nach Uelzen verlegt worden, weil wir in Uelzen Mitarbeiter haben, die der polnischen Sprache mächtig sind. Dort konnte er in seiner Heimatsprache kommunizieren und sich der Ärztin und den anderen anvertrauen. Es ist ganz wichtig, dass diejenigen, die ins Gefängnis kommen, in der Lage sind, sich zu artikulieren.

Ich habe eingangs gesagt, dass wir die Suizide bundesweit evaluieren. Wir haben daraus Fortbildungsveranstaltungen entwickelt und dieses Thema in der Ausbildung mit berücksichtigt.

Es wird immer wieder gefragt, wie man die Haftzellen einrichten kann, damit so etwas nicht geschieht. Wir haben schon alles Mögliche getan. Eines steht allerdings fest: Wenn wir die Gefangenen in den Haftzellen menschenwürdig unterbringen wollen, kann ein Freitod nie ausgeschlossen werden. Ein Freitod wäre nur ausgeschlossen, wenn man jemanden in Einzelhaft nimmt und ihm in diesem Raum nichts mehr zur Verfügung stellt. Aber das entspricht weder unserer Vorstellung von der Resozialisierung von Straftätern, noch dürfte es Ihrer Vorstellung entsprechen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Danke schön. - Das nächste Frage stellt Frau Kollegin Korter.

Frau Ministerin, auch ich möchte noch einmal auf den Suizidfall in Uelzen zurückkommen. Wir sind sehr an einer sachlichen Aufklärung interessiert. Sie haben gerade ausgeführt, dass die Suizide bundes- und landesweit evaluiert werden. Ich

nehme an, dass daraus Handlungsempfehlungen für den Umgang mit solchen Fällen für die Bediensteten der JVAs entwickelt werden. Meine Frage ist: War das mit den Handlungsempfehlungen zu vereinbaren? Halten Sie es für richtig, dass dieser suizidgefährdete junge Mann elf Stunden lang nicht kontrolliert wurde, auch wenn es ein psychologisches Gutachten bzw. eine psychologische Stellungnahme dazu gab?

Danke schön. - Für die Landesregierung antwortet Frau Ministerin Heister-Neumann. Bitte schön!

Aufgrund der Evaluation haben wir Curricula für die Aus- und Fortbildung entwickelt. Wir müssen aber feststellen, dass man die Gefangenen nicht alle über einen Kamm scheren kann, sondern dass immer eine Einzelfallbetrachtung notwendig ist. Deshalb sind wir auf gut ausgebildete, sensibilisierte Mitarbeiter vor Ort angewiesen, die im Gespräch mit der bzw. dem jeweiligen Gefangenen die Lage einschätzen. Die Ausbildung der Menschen, die mit diesen Gefangenen zu tun haben, ist das A und O.

In Uelzen hatte das Personal die entsprechende Kompetenz und die entsprechenden Sprachfähigkeiten. Die Mitarbeiter haben den Gefangenen, der als latent suizidal, nicht als hoch suizidal eingeschätzt wurde, zu Anfang über einen längeren Zeitraum hinweg betrachtet, mit ihm Gespräche geführt und Kontakte gehabt. Sie sind zu dem Ergebnis gekommen, dass diese latente Suizidgefahr nicht mehr gegeben ist.

Sie können sich vorstellen, wie sich die Menschen, die diese Einschätzung getroffen haben, heute fühlen, nachdem sich diese Prognose und diese Entscheidung als falsch erwiesen haben. Sie sind aber vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen erfolgt. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Entscheidung vor dem Hintergrund, dass die Mitarbeiter im Rahmen ihrer Kompetenz wirklich das Bestmögliche getan haben, nicht zu kritisieren ist. Da eine latente Suizidgefahr nicht festgestellt wurde, ist die Entscheidung für diesen Gefangenen, wie ein normaler Gefangener behandelt zu werden, nicht zu kritisieren.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön. - Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Merk.

Frau Ministerin, mir ist bewusst, dass Sie sehr stark betroffen sind; das sind wir alle ebenfalls. Ich erinnere mich an die Zeiten, als ich Justizministerin war. Seinerzeit gab es auch zahlreiche Selbstmorde. Das schicke ich vorweg, sage Ihnen aber auch - weil Sie noch nicht so lange im Parlament sind -, dass es zu meiner Zeit sehr viele Anfragen von der rechten Seite des Hauses gab, die sehr schmerzhaft waren. Deshalb sollte sich heute auf dieser Seite auch niemand aufregen. Vielmehr müssen Sie gestatten - das will ich mir auch gestatten -, zu fragen, wo zu fragen ist. Das ist nichts Unanständiges.

Nun zu meinen beiden Fragen:

Erstens. Sie haben gesagt, es gebe in der Anstalt acht Dauererkrankte. Können Sie uns sagen, wie lange diese Dauererkrankungen schon andauern?

Zweitens. Sie haben gesagt, dass die vormals latente Gefahr einer Selbstverletzung in Stade nicht bestand. Ich wüsste gern, wann die Untersuchung war, die später zur Überstellung geführt hat. Können Sie uns den konkreten Ablauf schildern? Wann ist die latente Gefahr nicht mehr bejaht worden, sodass der Gefangene nach Uelzen verlegt worden ist?

Danke schön, Frau Merk. - Für die Landesregierung antwortet Frau Ministerin Heister-Neumann. Bitte!

Ich beginne mit der zweiten Frage. Der Gefangene ist in die JVA Stade gekommen und hat sich Selbstverletzungen zugefügt. Vor diesem Hintergrund ist die latente Suizidgefahr bestätigt worden. Aufgrund dieser Selbstverletzungen und der Tatsache, dass mit dem Gefangenen nur schwer Kontakt aufgenommen werden konnte, weil er der deutschen Sprache nur marginal mächtig war, hat man entschieden, dass er in die Hauptanstalt verlegt werden sollte. Dort gibt es wegen des Vorhandenseins von Fachpersonal bessere Vorausset

zungen, um sich mit diesem Gefangenen intensiver auseinanderzusetzen, ihn zu behandeln und zu betreuen; außerdem gibt es dort einen Mitarbeiter, der Polnisch spricht und so Kontakte herstellen konnte.

Der Gefangene ist im Oktober nach Uelzen gekommen. Vorher war er für einen kurzen Zeitraum - ich weiß es nicht ganz genau - in Stade. In Uelzen ist er bis zu diesem tragischen Ereignis über einen Monat lang gewesen. Im Verlauf dieses Monats wurden die Gespräche geführt, die Grundlage der von mir geschilderten Einschätzung des Gefangenen waren, weshalb er auch so wie dargestellt behandelt worden ist.

Zu den dauerhaften Erkrankungen: Ich hatte von mindestens acht gesprochen; acht Dauererkrankungen sind mir aufgelistet worden. Ein Mitarbeiter befindet sich nach einem Motorradunfall seit dem 1. November 2006 im Ruhestand. Bei diesem Mitarbeiter waren 211 Tage zu verzeichnen. Dann gab es eine Erkrankung wegen einer Rücken-OP mit einer anschließenden Reha; dieser Mitarbeiter hatte schon seit Jahren Beschwerden, ist aber wieder im Dienst. Es war eine 150-tägige Erkrankung. Ferner gab es mehrere Krebserkrankungen und eine psychosomatische Erkrankung. Es handelt sich also um die unterschiedlichsten Erkrankungen.

(Wolfgang Jüttner [SPD]: Nur die Ta- ge! Um die Krankheiten geht es doch nicht!)

- Es waren 211 Tage, dann 192 Tage, 150 Tage bei der OP. Das sind die Erkrankungen, die den Durchschnitt vom Landesdurchschnitt abweichen lassen.

Danke schön. - Die zweite und für ihn damit letzte Zwischenfrage stellt Herr Kollege Helberg. Bitte!

Frau Ministerin, ich hatte Sie vorhin nach den Kontrollintervallen gefragt, generell bezogen auf die niedersächsischen Justizvollzugsanstalten. Ich stelle fest, dass Sie dieser Frage komplett ausgewichen sind; Sie haben sie nicht beantwortet. Sie müssen sich aber den Fragen der Abgeordneten stellen. Ich weise darauf hin, dass wir einen Anspruch auf eine entsprechende Antwort haben.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich frage weitergehend zu den Vorgängen in der JVA Uelzen: Warum ist die Öffentlichkeit - auch angesichts der Vorfälle in letzter Zeit, z. B. in Nordrhein-Westfalen - erst nach ca. einer Woche, wenn ich richtig informiert bin, über diesen Vorfall in Kenntnis gesetzt worden?

Danke schön. - Frau Ministerin, Sie haben das Wort.

Erstens. Herr Helberg, es stimmt nicht, dass ich Sie nicht über die Kontrollintervalle informiert hätte. Ich habe gesagt, sie seien sehr unterschiedlich, es hänge von den Einzelfällen ab. Im geschlossenen Vollzug findet in der Regel nachts keine Kontrolle statt, weil die Gefangenen ebenso wie die Menschen außerhalb des Vollzugs schlafen.

Zweitens. Was die Information der Öffentlichkeit angeht, so verweise ich auf die klaren Regeln unseres Berichtswesens. Frau Müller und Frau Grote sind aus gutem Grund, denke ich, hinausgegangen, weil sie dies ebenso wie die anderen Mitglieder des Unterausschusses „Justizvollzug und Straffälligenhilfe“ kennen. Danach informieren wir die Öffentlichkeit immer dann, wenn für sie ein Sicherheitsrisiko besteht. Dafür gibt es bei einer Selbsttötung keine Veranlassung. Darüber wird allerdings in dem Unterausschuss informiert. Dies haben wir auch in diesem Fall gemacht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Danke schön. - Die nächste Frage stellt Herr Kollege Plaue. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, Sie versuchen, hier den Eindruck zu erwecken, als sei die Personalsituation in den JVAs - insbesondere die in Uelzen in Ordnung und ganz toll. Wenn Sie gestatten, konfrontiere ich Sie mit der Wirklichkeit. In einem Bericht in der Uelzener Zeitung vom 23. November sagt die Personalratsvorsitzende, die Aufgaben

der Verwaltung würden immer umfangreicher. Dann heißt es:

„Aber dieses Personal fehlt dafür in den Hafthäusern.... Die Folgen bekommen die Wachtmeister zu spüren. ‚Tagelang, manchmal wochenlang, versieht man seinen Dienst auf einer Station allein. Wenn Not am Mann ist, wird man durch alle Abteilungen geschickt,‘ schildert ein Betroffener. Namentlich möchte er nicht genannt werden, wie seine Kollegen auch nicht. Man fürchtet Konsequenzen seitens der Anstaltsleitung. ‚Viele von uns fühlen sich mittlerweile als Prügelknaben.‘“

Und jetzt kommt Ihre Frage!

Ich stelle fest: Das Problem sind nicht die Bediensteten. Das Problem ist, Frau Ministerin, dass der Fisch vom Kopf her stinkt und Sie es offensichtlich nicht im Griff haben.

(Lebhafte Zurufe von der CDU)

Herr Plaue, Sie müssen zu Ihrer Frage kommen.

(Beifall bei der CDU)

In der Nacht vom 25. auf den 26. November - -

(Weitere Zurufe von der CDU)

- Regen Sie sich nur auf! Das zeigt, wie richtig ich mit meiner Frage liege, meine Damen und Herren.