Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

(Christa Elsner-Solar [SPD]: Mich wundert das nicht!)

Das ist schlicht ein Armutszeugnis, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Als neuer Grund wurde jetzt erstmalig ein Interessenkonflikt des Landes nachgeschoben: Auf der einen Seite sei das Land Krankenhausträger und auf der anderen Seite für die Psychiatrieplanung des Landes zuständig.

(Christa Elsner-Solar [SPD]: Und das nach 60 Jahren!)

Immer dann, wenn Sie uns diese Psychiatrieplanung vorlegen sollen, ist allerdings außer Überschriften totale Fehlanzeige. Meine Damen und Herren, Sie haben überhaupt keine Psychiatrieplanung, und ich stelle fest, Sie haben an der Spitze des Ministeriums auch schon lange keinen Plan mehr, eher das organisierte Chaos.

(Beifall bei der SPD - Norbert Böhlke [CDU]: Ha, ha, ha!)

Als weiterer neuer Grund wurde Ihre Standardfloskel der Entbürokratisierung nachgeschoben. Tatsächlich ist aber nach wie vor völlig unklar, wie die Zuständigkeiten zwischen Land und privatem Betreiber voneinander abgegrenzt werden sollen. Sicher ist nur, dass am Ende dieses Prozesses nicht weniger, sondern deutlich mehr Bürokratie stehen wird.

Meine Damen und Herren, genau um diese Schnittstelle geht es: um den Kernbereich des staatlichen Gewaltmonopols, um den Eingriff in die grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte eines jeden Einzelnen und vor allem um die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Privatisierung. Schon zu Beginn der Beratungen wurde überdeutlich, mit welch heißer Nadel und wie dilettantisch die Gesetzentwürfe der Landesregierung gestrickt waren.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich habe noch nie in einer Stellungnahme des Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes so oft und so unmissverständlich Formulierungen wie „verfassungsrechtlich problematisch“, „verfassungsrechtlich bedenklich“ oder „erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ gelesen. Dies alles war im Prinzip ein totaler Blattschuss gegen die Vorlage der Regierung.

(Beifall bei der SPD und Zustimmung bei den GRÜNEN)

Daran hat sich auch trotz anders lautender Erklärungen der Ministerin nichts geändert; das wissen Sie auch.

(Dr. Harald Noack [CDU]: Das ist falsch, schlichtweg falsch!)

Immerhin wollte diese Regierung den Maßregelvollzug ursprünglich komplett privatisieren, Herr Noack, dann nur noch in Teilen, und jetzt stochert

sie im Nebel, wenn es um die Anzahl der Beschäftigten geht, die die Verfassungsrechte bei den Privaten sichern sollen. Laut Kabinettsbeschluss waren es 11 Beschäftigte, dann 13, jetzt wohl 14, und das Ende ist überhaupt nicht absehbar, wenn man das desaströse Schreiben der Chefärzte vom 16. Januar 2007 im Ministerium ernst nimmt.

Übrigens führt die in diesem Zusammenhang völlig planlose Zusammenführung der sogenannten Maßregelvollzugszentren zu ebenso kritischen wie gefährlichen und chaotischen Verhältnissen in einzelnen Häusern. Entgegen den Behauptungen des Ministeriums im Fachausschuss hat sich laut Aussagen der Beschäftigten daran bis heute nichts geändert. Ich garantiere Ihnen, Frau RossLuttmann: Wenn dort etwas auf der Grundlage der gegenwärtig chaotischen Zustände passiert, können Sie jedenfalls abdanken.

(Beifall bei der SPD - Jörg Bode [FDP]: Was?)

- Sie sollten sich einmal erkundigen, Herr Bode, was in den Maßregelvollzugszentren los ist; dann brauchten Sie nicht mehr „Was?“ zu rufen. Das ist dramatisch, und es ist von dieser Regierung zu verantworten.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das ist ja wohl die Höhe!)

Meine Damen und Herren, um Ihre Privatisierung durchzusetzen, werden Sie heute auch das Psychiatriegesetz ändern. Dabei war die in der Staatskanzlei eingesetzte Projektgruppe bereits am 31. Januar 2006 zu dem Ergebnis gekommen, dass auch bei Zwangseinweisungen psychisch Kranker eine Übertragung der Unterbringung auf Private verfassungsrechtlich unzulässig sei. Also nicht die Opposition, sondern die Staatskanzlei selber hat das festgestellt. Die Arbeitsgruppe des Ministeriums hatte konsequenterweise folgende Gesetzesänderung vorgeschlagen:

„Die Anwendung unmittelbaren Zwangs bleibt Angehörigen des öffentlichen Dienstes vorbehalten, die in der Regel in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.“

Angesichts dieser Vorgaben der Staatskanzlei ist es unfassbar, wie Sie diese verfassungsrechtliche Problematik nach acht Monaten Bedenkzeit gelöst haben: Sie haben diesen Paragrafen schlicht aus

dem Gesetzentwurf verschwinden lassen. Schlimmer noch: Die Ministerin hat sogar mehrfach im Parlament behauptet, eine solche Formulierung habe nie im Gesetzentwurf gestanden. Meine Damen und Herren, ich halte dies für schlichtweg skandalös.

(Beifall bei der SPD - Norbert Böhlke [CDU]: Entscheidend ist, was be- schlossen wird!)

Nun kommt der GBD in seiner Stellungnahme unmissverständlich exakt zu demselben Ergebnis wie seinerzeit die Juristen der Staatskanzlei. Es wird deutlich, dass die verfassungsrechtlichen Bedenken noch gravierender als beim Maßregelvollzug sind. Die Rede ist von einer deutlichen Erhöhung der verfassungsrechtlichen Risiken und dem Kernproblem, dass private Betreiber schwerwiegende Grundrechtseingriffe vornehmen. Immerhin geht es um den Freiheitsentzug, der an dieser Stelle jede unbescholtene Bürgerin und jeden unbescholtenen Bürger treffen kann. Sie wischen das alles vom Tisch und machen erneut deutlich, dass für diese Regierung zu keinem Zeitpunkt die Patienten oder Mitarbeiter im Vordergrund standen, ja, Sie interessieren sich jetzt noch nicht einmal für die massiven verfassungsrechtlichen Bedenken. Ihnen geht es bei dem ganzen Prozess um Kohle und um nichts sonst.

(Beifall bei der SPD)

Ich frage mich, wo eigentlich die FDP ist,

(Christa Elsner-Solar [SPD]: Lohnt sich das?)

die selbst ernannte Rechtsstaatspartei, die hier im Landtag bei jeder Gelegenheit den Freiheitsbegriff wie eine Monstranz vor sich her trägt. Im Schleswig-Holsteinischen Landtag hat die FDP noch vor wenigen Monaten einen Antrag eingebracht, in dem es heißt:

„Der Landtag lehnt eine Beleihung privater Dritter mit hoheitlichen Befugnissen, die dazu ermächtigt sind, im Maßregelvollzug die Unterbringung unter Freiheitsentzug und Zwangsmaßnahmen durchzuführen, ab. Stattdessen sollte eine Anstalt öffentlichen Rechts gebildet werden.“

(Norbert Böhlke [CDU]: Und was hat die SPD in Kiel entschieden?)

Das ist in Ordnung, das ist genau unsere Position. In Niedersachsen, meine Damen und Herren, scheint der Blick der FDP bei diesem Thema stark vernebelt zu sein, obwohl ihr Vorsitzender Augenarzt ist. Ich habe das Gefühl, dass die FDP hier in Niedersachsen Gefangene ihrer eigenen Privatisierungsideologie ist; dabei müssen Grundrechte schon einmal zurückstehen.

(Beifall bei der SPD)

Die Datenschutzbestimmungen sind bekanntlich ebenfalls nicht verfassungskonform. Sie beschließen sie trotzdem und wollen das mit einem sogenannten Gesundheitsdatenschutzgesetz später heilen, allerdings nicht in den nächsten zwei Jahren. Es ist unglaublich, dass wissentlich an dieser Stelle erneut die Verfassung gebrochen wird, und das immerhin auf Vorlage zweier Juristen an der Spitze des Sozialministeriums. Eigentlich ist dies ein Armutszeugnis erster Klasse.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die SPD ist vom Grundsatz her immer gegen eine Privatisierung der Landeskrankenhäuser gewesen. Als im Ausschuss schnell deutlich wurde, dass die Landesregierung die Privatisierung nun auch noch mit verfassungsrechtlich höchst bedenklichen Gesetzen durchdrücken will, hat sich die SPD an den Beratungen dieser Gesetzentwürfe nicht mehr beteiligt und bei der Schlussabstimmung dagegen gestimmt. Wir werden auch heute gegen diese Gesetzentwürfe stimmen. Verfassungswidrige Gesetze dürfen Sie getrost wissentlich allein beschließen, meine Damen und Herren. Ich gehe davon aus, dass die letzte Entscheidung über diese Gesetze ohnehin nicht das Parlament, sondern der Niedersächsische Staatsgerichtshof treffen wird. Auf die Entscheidung bin ich sehr gespannt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Rednerin ist Frau Meißner von der FDPFraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Helmhold, es wird Ihnen heute nicht gelingen, diese beiden Gesetzentwürfe schlechtzureden. Auch Ihnen, Herr Schwarz, kann ich sagen: Ich finde es

äußerst schade, dass Sie sich an den Beratungen inhaltlich nicht beteiligt haben; denn bei diesem ganzen Prozess geht es darum, die psychiatrische Versorgung in Niedersachsen im Interesse der Patienten, der medizinischen Qualität und auch der Mitarbeiter zu sichern. Genau das haben wir getan. Das machen wir mit der Privatisierung der Landeskrankenhäuser. Heute schaffen wir die rechtlichen Grundlagen dafür.

Die Debatte zeigt, dass dieses Thema viele Menschen bewegt, auch über die rechtlichen Aspekte hinaus. Das ist zuletzt auch in den Medien immer wieder deutlich geworden. Aus der Sicht der FDP haben von Anfang an zwei Grundsätze im Vordergrund gestanden. Schon als wir in den Landtag gekommen sind, haben wir gesagt, man sollte einen Wechsel der Trägerschaft und eine Privatisierung prüfen, den Maßregelvollzug dabei aber außen vor lassen. Wir hatten von vornherein gefordert, dass für die Psychiatrie das Gleiche gelten sollte, was auch für die allgemeine Krankenversorgung gilt. Das heißt, der Staat muss sich auf seine Kernaufgaben konzentrieren und sollte nicht alles wahrnehmen, was andere genauso gut erfüllen können.

Wir haben auch schon immer darauf hingewiesen, dass hoheitliche Eingriffe mit der Einschränkung von Grundrechten im Maßregelvollzug in der Verantwortung des Landes bleiben müssen. Das haben wir von vornherein gesagt. Das hat auch die CDU-Fraktion von vornherein gesagt. Darauf hat vorhin schon Herr Noack hingewiesen. Daran hat sich nichts geändert.

Noch eines fällt mir gerade ein, weil Sie, Herr Schwarz, gesagt haben, wir hätten den Zeitplan nicht eingehalten. Wir haben immer gesagt, dass Gründlichkeit vor Schnelligkeit geht. Daran haben wir uns eindeutig gehalten.

(Beifall bei der CDU)

Natürlich wird in der juristischen Fachliteratur - darüber ist auch im Ausschuss gesprochen worden - sehr kontrovers über die Frage diskutiert, inwieweit eine Übertragung hoheitlicher Befugnisse in Form der Beleihung gegen Artikel 33 Abs. 4 des Grundgesetzes verstoßen könnte. Ich zitiere diese Vorschrift einmal, weil sie schon so oft angesprochen worden ist und wohl niemand so genau weiß, was eigentlich darin steht.

(Widerspruch bei der SPD)

- Ich glaube nicht, dass jeder das Grundgesetz auswendig kann. - Es heißt hier:

„Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnis stehen.“

Im Allgemeinen versteht man darunter Beamte.

Die überwiegende Mehrheit der Fachleute differenziert dabei hinsichtlich der einzelnen im Maßregelvollzug wahrzunehmenden Aufgaben und schließt den Kernbereich von schwerwiegenden Grundrechtseingriffen aus, wie auch wir es von vornherein getan haben. Eine abschließende verfassungsrechtliche Überprüfung hat sich aber auch aus den Privatisierungsverfahren in anderen Bundesländern bisher nicht ergeben. Wir bewegen uns mit den vorliegenden Gesetzentwürfen also noch auf juristischem Neuland. Bei der Beratung ist aber auch klar geworden, dass es noch keinerlei Regelungen dafür gibt, wie man bei Eingriffen in Grundrechte verfassungsrechtlich entscheiden sollte. Darüber hinaus ist deutlich geworden, dass auch noch nicht sicher ist, ob auch das in den Landeskrankenhäusern bisher praktizierte Verfahren in allen Punkten verfassungsrechtlich in Ordnung war; denn dieses Verfahren hat bisher niemand infrage gestellt und überprüft.