Protokoll der Sitzung vom 24.01.2007

Ich hatte darauf hingewiesen, dass gerade die Verfassungsmäßigkeit der Einschränkung von Grundrechten auch bei der Praxis, die wir in Niedersachsen hatten, niemals überprüft wurde und dass keiner weiß - das haben wir auch bei der Beratung gemerkt -, ob diese überhaupt gegeben war. Wir haben uns darum bemüht, ein Höchstmaß an Verfassungsmäßigkeit herzustellen und alles zu berücksichtigen, was uns gesagt wurde.

Sie wollten immer den speziellen niedersächsischen Weg, den auch wir gut finden, nämlich die Verzahnung von allgemeiner Psychiatrie und Maßregelvollzug; es soll weiterhin in einer Hand bleiben. Wir haben den Hochsicherheitsbereich ausgenommen, weil das verfassungsrechtlich nicht zu lösen ist. Alles andere haben wir genau geprüft. Es ist nicht nur ein Beamter pro Haus, sondern es sind 14 Beamte pro Standort.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Aber nicht auf einmal! Das wäre schön!)

Das sind unter Umständen mehr, als es vorher gewesen sind. Wir haben also keinerlei Grundrechte mit Füßen getreten. Im Gegenteil: Die Grundrechte waren für uns wirklich der Maßstab des Handelns.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Jetzt erteile ich Ministerin Ross-Luttmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der vergangenen Woche hat die Landesregierung die ersten Entscheidungen im Transaktionsverfahren bezüglich der Landeskrankenhäuser in Aussicht genommen. Das vorläufige Ergebnis zeigt, dass wir tragfähige Lösungen gefunden haben, um unsere Landeskrankenhäuser mit den vorgelegten Konzepten wettbewerbsfähig und zukunftsorientiert aufzustellen. Voraussetzung für den geplanten Übergang in eine andere Trägerschaft ist aber auch die Schaffung der rechtlichen Grundlagen. Die Landesregierung hat Ihnen deshalb den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetzes und des Ausführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz sowie den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke vorgelegt. Unser Ziel ist dabei, eine optimale Versorgung psychisch kranker Menschen in Niedersachsen dauerhaft sicherzustellen.

Zunächst zum Maßregelvollzugsgesetz. Die Landesregierung ist der Auffassung, dass es sich beim Maßregelvollzug um eine originäre staatliche Aufgabe handelt. Für diese trägt der Staat auch im Falle einer funktionalen Privatisierung weiterhin die Verantwortung. Das niedersächsische Konzept sieht vor, dass der Kernbereich der hoheitlichen Eingriffsbefugnisse in staatlicher Hand bleibt. Dementsprechend werden die Kernaufgaben des Maßregelvollzugs, d. h. die besonders grundrechtsrelevanten Bereiche, von einer Übertragung auf die neuen Träger ausgenommen. Unter anderem bleiben deshalb in staatlicher Regie - ich möchte einige beispielhaft aufzählen - die Aufstellung und Erörterung des Behandlungs- und Eingliederungsplans, die Durchführung der Aufnahmeuntersuchung, die Einweisung oder Verlegung in den offenen Vollzug, die Gewährung und Gestaltung von Lockerungen des Vollzuges und vor allem auch die Entscheidung über die Anwendung unmittelbaren Zwangs und die Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen. Damit habe ich die wesentlichen Aufgaben genannt. Insgesamt umfasst der Vorbehaltskatalog 21 Positionen.

Die übrigen Aufgaben werden auf die neuen Träger im Wege der Beleihung übertragen. Aber auch als Beliehene sind sie Träger öffentlicher Verwaltungen und Behörden im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Sie nehmen damit die Aufgaben eben nicht als Private wahr.

Meine Damen und Herren, mit dem Maßregelvollzugsgesetz, über das in den Ausschussberatungen Einvernehmen mit dem Gesetzgebungs- und Beratungsdienst erzielt werden konnte, und den organisatorischen Entscheidungen der Landesregierung haben wir tragfähige Lösungen für die Zukunft erarbeitet. Die künftige Organisationsstruktur im Maßregelvollzug wird aus den in unmittelbarer Trägerschaft des Landes verbleibenden Maßregelvollzugszentren Moringen und Brauel sowie den sieben beliehenen forensischen Abteilungen in neuer Trägerschaft bestehen. In diesen Maßregelvollzugseinrichtungen werden in ausreichender Zahl Landesbedienstete eingesetzt, die neben ihren berufsspezifischen Aufgaben für die grundrechtsrelevanten Bereiche des Maßregelvollzugs zuständig und verantwortlich sein werden. Neben der ärztlichen Vollzugsleitung und deren fachärztlicher Stellvertretung sowie weiteren Ärztinnen und Ärzten werden dies der Sicherheitsbeauftragte, die forensische Pflegedienstleitung sowie weitere Pflegekräfte sein. Damit wird sichergestellt, dass Landesbedienstete Tag und Nacht an 365 Tagen im Jahr dienstbereit sind.

(Zustimmung bei der CDU - Ursula Helmhold [GRÜNE]: Immer einer!)

Gleichzeitig bleiben die therapeutischen und arbeitszeitrechtlich notwendigen und sinnvollen Strukturen sowie Behandlungsabläufe erhalten. Darüber hinaus - ich glaube, das ist ganz besonders wichtig - haben wir ein umfassendes Kontrollund Weisungsrecht des Landes vorgesehen. Damit werden ganz konkret die Rechte der Fachaufsicht und die Pflichten der beaufsichtigten Einrichtungen geregelt.

Meine Damen und Herren, ich komme nun zum PsychKG. Im Niedersächsischen Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke, dem NPsychKG, werden bewährte Grundzüge beibehalten. Frau Helmhold, die von Ihnen zitierte Projektgruppe hat natürlich - das ist doch gerade der Sinn, weshalb wir Projektgruppen einsetzen verschiedene Alternativen diskutiert, ist letzten Endes einvernehmlich zu einem Ergebnis gekommen und hat einen Gesetzesvorschlag gefertigt.

Nach diesem sollen, wie bisher, private Träger im Wege der Beleihung mit Aufgaben nach dem NPsychKG betraut werden können. Dies, meine Damen und Herren, entspricht seit 30 Jahren der ständigen Praxis in Niedersachsen. Sie ist bewährt. Im Übrigen wird dies auch in anderen Bundesländern so gehandhabt. Im Wesentlichen sollen künftig die bisher nur ansatzweise geregelten Kontroll- und Aufsichtsrechte des Fachministeriums deutlich verstärkt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Opposition, sehr geehrter Herr Schwarz, diese jahrelange bewährte Praxis haben auch Sie bei der Novellierung des NPsychKG im Jahre 1997 nicht geändert.

(Dr. Harald Noack [CDU]: Richtig!)

Insofern wundern mich die von Ihnen nunmehr vorgebrachten verfassungsrechtlichen Bedenken.

(Unruhe - Glocke der Präsidentin)

Bereits 1997 hatten wir 13 Krankenhäuser in privater Trägerschaft nach dem NPsychKG anerkannt und beliehen.

(Dr. Harald Noack [CDU]: Aha!)

Die rechtliche und tatsächliche Ausgangssituation war 1997 genauso wie heute.

(Anhaltende Unruhe - Glocke der Prä- sidentin)

Meine Damen und Herren, ausweislich der parlamentarischen Unterlagen haben Sie auch damals über die §§ 12 und 15 - -

Frau Ministerin, warten Sie bitte, bis die Abgeordneten der CDU-Fraktion etwas ruhiger geworden sind.

(Ursula Helmhold [GRÜNE]: Die eige- nen Leute! Das ist traurig! - Gegenruf von Karl-Heinz Klare [CDU]: Von euch sind ja keine da!)

- Herr Klare, das gilt auch für Sie. - Frau Ministerin, Sie können fortfahren!

Meine Damen und Herren, ausweislich der parlamentarischen Unterlagen haben Sie sich auch damals über die §§ 12 und 15 unterhalten, aber zu diesem Zeitpunkt keine verfassungsrechtlichen Bedenken gesehen. Ich frage mich: Was hat sich denn demgegenüber heute geändert?

(Christa Elsner-Solar [SPD]: Wir ler- nen!)

Nichts, meine Damen und Herren.

Es gibt zurzeit 19 Krankenhäuser anderer Träger, die über eine entsprechende Anerkennung nach dem NPsychKG verfügen, und damit Krankenhäuser vor Ort, was für Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige große Vorteile hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie auch darauf hinweisen, dass es meines Wissens bislang keine gerichtlichen Entscheidungen gibt, die unsere Praxis infrage stellen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in einem Urteil vom 16. Juni 2005 die Unterbringung einer Patientin in einer privaten Psychiatrieklinik grundsätzlich nicht beanstandet.

(Zustimmung von Christian Dürr [FDP] - Dr. Harald Noack [CDU]: So ist es!)

Ich halte es deshalb für richtig, dass wir die bewährte Praxis fortsetzen, aber auch, wie jetzt im Gesetzentwurf vorgesehen, die Kontroll- und Weisungsrechte des Fachministeriums für den Schutz der Patientinnen und Patienten intensiv wahrnehmen. - Schönen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der Abgeordnete Herr Schwarz hat um zusätzliche Redezeit gebeten. - Herr Schwarz, Sie bekommen drei Minuten.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Ministerin, ich möchte das noch einmal klarstellen: An dieser Stelle geht es nicht um das Spielchen „Regierung und Opposition“. Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst dieses Hauses, der für uns alle arbeitet, schreibt - entgegen der Aussage, die Sie eben getroffen haben, man

habe sich mit ihm geeinigt - in dem noch gestern Abend verteilten schriftlichen Bericht, im Gegensatz zu den Bestimmungen des Gesetzentwurfes zum Maßregelvollzug enthalte der Entwurf zum PsychKG zudem weder Einschränkungen hinsichtlich der Aufgaben, die im Wege der Beleihung übertragen werden können, noch Regelungen über eine weisungsbefugte staatliche Vollzugsleitung. Dieser Umstand führe zu einer deutlichen Erhöhung der verfassungsrechtlichen Risiken.

Der GBD führt weiter aus, der Tatbestand, dass das bisher in Niedersachsen Praxis war, kann überhaupt nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Praxis nach seiner festen Überzeugung so nicht weitergeführt werden kann, weil sie nicht im Einklang mit unserer Verfassung steht. - Das ist das Thema. Ich sage das noch einmal. Über dieses Thema, das auf der Basis der Empfehlungen Ihrer Staatskanzlei in den Fokus gerückt wurde, setzen Sie sich knallhart hinweg. Es kann doch nicht angehen, dass man hier sagt: Einmal Verfassungsbruch bedeutet für uns immer Verfassungsbruch. - Was ist denn das für ein Rechtsverständnis, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der SPD)

Ich bin der festen Überzeugung, dass man dieses Thema ernster nehmen muss, als Sie das tun.

Mir sind die Konsequenzen klar; das ist gar keine Frage. Wenn Sie dem GBD und der Staatskanzlei gefolgt wären, dann hätten Sie für diesen Teil nicht privatisieren können. Dann hätten Sie keine acht, sondern gegebenenfalls nur vier oder fünf Häuser verkaufen können, weil hoheitlich untergebracht werden muss.

Ob der jetzt eingeschlagene Weg besser ist - Sie gehen mit dem Kopf durch die Wand, riskieren Verfassungsklagen und riskieren, in ein, zwei oder drei Jahren, wann immer dort eine Entscheidung fällt, das Ganze wieder umkehren zu müssen -, wage ich zu bezweifeln. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn man solche deutlichen Hinweise bekommt, dann ist es an erster Stelle Aufgabe der Landesregierung und an zweiter Stelle Aufgabe des Parlaments, dafür zu sorgen, dass hier verfassungskonforme Gesetze verabschiedet werden. Sie als Juristin an der Spitze sorgen jedoch dafür, dass genau das Gegenteil gemacht wird. Das ist nicht in Ordnung, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Jetzt hat sich Herr Briese noch gemeldet. - Zwei Minuten, Herr Briese!

Vielen Dank, Frau Präsidentin, ich mache es auch ganz kurz.

Das Argument „Das haben wir schon immer so gemacht, und auch andere machen es so“ ist ein ganz schlechtes Argument, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wenn andere es falsch machen und wenn es in der Vergangenheit falsch war, dann sollte man es doch zumindest in der Zukunft richtig machen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD - Norbert Böhlke [CDU]: Wer sagt denn, dass es falsch ist? Das behauptet ihr!)

Ich habe noch zwei, drei Anmerkungen zu diesem Thema. Erstens. Eines habe ich bis heute wirklich nicht verstanden. Ich habe mich sehr darum bemüht, es quasi finanz- oder fiskalpolitisch zu verstehen. Die Argumentation des Kabinetts damals war - man konnte es in den Presseberichterstattungen usw. lesen -: Wir können uns die Landeskrankenhäuser bzw. den Maßregelvollzug in dieser Form zukünftig nicht mehr leisten, weil im Maßregelvollzug neue Plätze bereitgestellt werden müssen. Das Geld dafür haben wir nicht. - Sie müssen einmal erklären, warum die eine staatliche Hand, die eine staatliche Ebene ein Landeskrankenhaus nicht führen kann, aber eine andere staatliche Ebene, eine andere öffentliche Hand es jetzt kauft. Mir will sich einfach nicht erschließen, wo da die Logik liegt. Wenn die öffentliche Hand tatsächlich so pleite ist, wie sie ist - auch die Kommunen sind es -, warum sagt dann die eine Seite, dass es Sinn und Zweck macht, das zu kaufen, während die andere Seite verkaufen will, weil sie es sich nicht mehr leisten kann?

(Zustimmung bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Zweitens. Das, was Sie hier machen, ist auch ordnungspolitisch fragwürdig. Damals, als Sie angetreten sind, war es Regierungsmaxime - der Fraktionsvorsitzende hat diesbezüglich eine lange Rede gehalten -, dass man sich auf die Kernaufgaben des Staates konzentrieren wolle. Das akzentuieren Sie ja immer so gerne. Ich weiß wirklich nicht, was

eine Kernaufgabe ist, wenn nicht der hoheitliche Eingriff in Grundrechte, meine sehr verehrten Damen und Herren.