Protokoll der Sitzung vom 27.06.2003

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 11. Sitzung im 4. Tagungsabschnitt des Niedersächsischen Landtages der 15. Wahlperiode.

Zur Tagesordnung: Wir beginnen die heutige Sitzung mit der Fragestunde, dem Tagesordnungspunkt 45. Danach setzen wir die Beratung des Punktes 2 - Eingaben - fort. Anschließend erledigen wir die Tagesordnungspunkte in der Reihenfolge der Tagesordnung. Die Beratung der Tagesordnungspunkte 56, 59, 60, 61 und 62 entfällt, da die antragstellenden Fraktionen ihre Anträge auf Durchführung einer ersten Beratung im Plenum zurückgezogen haben. Die Beratungsgegenstände werden lediglich zum Zwecke der Ausschussüberweisung aufgerufen. Außerdem haben die Fraktionen vereinbart, die Mittagspause ausfallen zu lassen. Die heutige Sitzung wird somit bereits gegen 14.40 Uhr enden.

An die rechtzeitige Rückgabe der Reden an den Stenografischen Dienst wird erinnert.

Es folgen jetzt geschäftliche Mitteilungen durch die Schriftführerin. Frau Schuster-Barkau, Sie haben das Wort!

Es haben sich entschuldigt: von der Landesregierung der Minister für Inneres und Sport, Herr Schünemann, ab 13 Uhr, von der Fraktion der CDU Herr Dr. von Danwitz und Frau Klopp, von der Fraktion der SPD Herr Haase und Frau Dr. Trauernicht-Jordan, von der Fraktion der FDP Herr Riese, Herr Hans-Werner Schwarz, ab 14 Uhr, und Herr Dr. Rösler sowie von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Janssen-Kucz und Frau Steiner.

Meine Damen und Herren, es ist 9.03 Uhr. Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 45: Mündliche Anfragen - Drs. 15/230

Die

Frage 1: Hochbegabtenförderung

wird gestellt von Frau Bertholdes-Sandrock. Frau Bertholdes-Sandrock, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als erste Landtagsfraktion hat die CDU bereits 1995 einen Antrag zur Hochbegabtenförderung eingebracht, der zu einer einstimmig angenommenen Landtagsentschließung führte. Auch hochbegabte Schülerinnen und Schüler brauchen angemessene Unterstützung. Vor diesem Hintergrund hat die Landesregierung angekündigt, weitere Schulverbünde zur Hochbegabtenförderung einzurichten.

Ich frage die Landesregierung:

1. Von welchen grundsätzlichen Zielsetzungen lässt sie sich bei der Hochbegabtenförderung leiten?

2. Wie viele Verbünde zur Hochbegabtenförderung mit welchen beteiligten Schulen sind zum Schuljahresbeginn 2003/2004 nach welchen Kriterien genehmigt worden?

3. Welches Ausbauziel verfolgt die Landesregierung im Hinblick auf ein notwendiges flächendeckendes Angebot der Hochbegabtenförderung?

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister Busemann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der beste Bildungsweg ist für junge Menschen derjenige, der ihre spezifische Leistungsfähigkeit optimal zur Entfaltung bringt. Schülerinnen und Schüler unterscheiden sich in ihren Begabungen und Fähigkeiten, in ihren Interessen und Neigungen. Ich halte es für eine zentrale Aufgabe des Bildungswesens, diese unterschiedlichen Potenziale zu entwickeln. Erziehung und Bildung müssen sich am

Individuum orientieren und Benachteiligungen abbauen. Aber auch der Verantwortung des Einzelnen für den eigenen Bildungsprozess ist mehr Gewicht als bisher beizumessen.

Begabung ist eine notwendige, jedoch noch nicht hinreichende Voraussetzung für individuell erreichbare Schul- oder Studienleistungen. Jeder junge Mensch hat die Verpflichtung, mit seinen Talenten zu wuchern, um für die eigene Persönlichkeitsentwicklung und damit später als Erwachsener für die Gesellschaft einen angemessenen Beitrag leisten zu können.

Umgekehrt verpflichtet uns der Artikel 3 des Grundgesetzes dazu, optimale Entwicklungsbedingungen für jeden Jugendlichen zu ermöglichen. Dazu gehören u. a. angemessen differenzierte, entwicklungsbegünstigende schulische Lernbedingungen. Das gilt gleichermaßen für Kinder mit Lernschwierigkeiten wie für die hochbegabten, die häufig zu wenig schulisch gefordert und damit in ihrer Entwicklung unzureichend gefördert oder sogar gehemmt werden. Nichts ist ungerechter als die gleiche schulische Behandlung ungleicher Lernvoraussetzungen bei Schülerinnen und Schüler.

In den letzten Jahren ist die Problematik der besonders begabten oder hochbegabten Schülerinnen und Schüler stärker in den Blickpunkt von Pädagogik und Öffentlichkeit gerückt. Dazu beigetragen haben auch der Antrag der CDU-Landtagsfraktion zur Hochbegabtenförderung vom 31. Oktober 1995 und die Antwort der Landesregierung vom 4. September 1996, aber ebenso Impulse von entsprechenden privaten Vereinigungen betroffener Eltern.

In der Regierungserklärung vom 4. März 2003 wurde die Einrichtung eines begabungsgerechten flächendeckenden Förderangebots für hochbegabte Schülerinnen und Schüler als ein wesentlicher Punkt der Schul- und Bildungspolitik anerkannt.

Wo es sinnvoll und notwendig ist, werden wir Entscheidungen und Konzepte unserer Vorgängerregierung weiterentwickeln und fortführen. Dabei geht es um die gesamte Breite und Vielfalt der Begabungen. Wir werden darauf achten, dass der Blick nicht allein auf den kognitiven Bereich begrenzt wird. Die Förderung von besonderen musikalisch-künstlerischen, sportlichen, handwerklichtechnischen und nicht zuletzt auch sozialen Begabungen halte ich für unabdingbar.

Ein gegliedertes Schulangebot ist unter dem Aspekt einer begabungsgerechten Förderung nach vierjähriger Grundschulzeit zwingend geboten. Meines Erachtens kann die Begabungsförderung allerdings nicht auf die gymnasiale Perspektive eingeengt werden. Begabungen und Talente, die sich auch in Haupt- und Realschule, im berufsbildenden Bereich sowie bei hochbegabten Behinderten erkennen lassen, werden in die bildungspolitischen Überlegungen mit einbezogen.

In diesem Zusammenhang werden auch verschiedene Qualifikationsprobleme zu lösen sein. Ich halte die Verbesserung der gegenwärtigen Lehreraus- und Lehrerfortbildung sowie die Vermittlung psychologischer Beratungskompetenzen, aber auch elterlicher Erziehungskompetenz im Umgang mit hochbegabten Kindern und Jugendlichen für erforderlich.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich namens der Landesregierung die Fragen im Einzelnen wie folgt:

Zu 1: Hochbegabte Schülerinnen und Schüler brauchen günstige Entwicklungsbedingungen, um ihr Begabungspotenzial entsprechend entfalten zu können. Mit der Einrichtung von Kooperationsverbünden zur Hochbegabungsförderung wird stufenweise in ganz Niedersachsen ein differenziertes, für besonders begabte Schülerinnen und Schüler konzipiertes Schulangebot eingerichtet. Die bewilligten Schulen stellen durch verbindlich vereinbarte Kooperation sicher, dass die Förderung bereits in der Grundschule beginnt und sich in der weiterführenden Schule pädagogisch konsequent fortsetzt. Die Zusammenarbeit mit Kindergärten halte ich für erforderlich.

Es kommt uns darauf an, dass wir die Betreuungskräfte in den Kindergärten und die Lehrkräfte in den Schulen befähigen, Begabungen früh- und rechtzeitig zu erkennen, anzuerkennen und zu verstehen, individuell zu fördern, lebensnah zu entwickeln und umfassend zu integrieren.

Besonders begabte Schülerinnen und Schüler benötigen Anregungen im Unterricht, die ihren Lernstrategien, ihren Denkmustern und ihren Motivationslagen, aber auch ihrem Lerntempo Rechnung tragen. Dies führt dazu, dass vor allem darauf geachtet wird, Selbstverantwortung im Lernprozess zu entwickeln und zu stärken und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Lernen zu fördern.

Zu 2: Zum Schuljahresbeginn 2003/2004 wurden 13 Kooperationsverbünde mit 66 Schulen - 39 Grundschulen, 12 Orientierungsstufen, 13 Gymnasien und 2 Gesamtschulen - eingerichtet. Darüber hinaus sind 2 Verbünde in den Bezirken Braunschweig - Landkreis Gifhorn - und WeserEms - Landkreis Osnabrück-Nord -, die seit dem 1. August 2002 bestehen, erweitert worden um 9 Grundschulen, 3 Orientierungsstufen, 1 Realschule und 2 Gymnasien.

Grundlage für die Genehmigung als Kooperationsverbund ist eine gemeinsame Kooperationsvereinbarung nach § 25 Abs. 1 des Niedersächsischen Schulgesetzes, in der die beteiligten Schulen dem Leitziel folgen, dass besondere Begabungen von der Grundschule an früh- und rechtzeitig erkannt, anerkannt, individuell gefördert, lebensnah entwickelt und umfassend integriert werden.

Die gemeinsame Konzeption der Schulen zur Förderung Hochbegabter ist als Teil des jeweiligen Schulprogramms anzusehen. Kriterien für die Genehmigung waren bisherige Erfahrungen mit der individuellen Förderung besonderer Begabungen sowie die Entwicklung didaktisch-methodischer und pädagogisch-psychologischer Unterstützungsleistungen, inhaltliche und organisatorische Voraussetzungen zur Kooperation zwischen den Schulen, die Einbeziehung außerschulischer Kooperationspartner, die die Umsetzung des Förderkonzepts unterstützen - wie z. B. andere Schulen, Hochschulen, Elterninitiativen, Vereine, freie Träger von Förderangeboten -, verfügbare Kompetenzen und ein bedarfsgerechtes Fortbildungs- und Beratungskonzept sowie jeweilige Vorhaben zur Dokumentation und Evaluation.

Zu 3: Mit der Einrichtung von Kooperationsverbünden als Knotenpunkte eines Netzes zur Hochbegabungsförderung wird in ganz Niedersachsen ein differenziertes und flächendeckendes Angebot schulischer Begabungsförderung angestrebt, das bis zum Jahre 2006 stufenweise ausgebaut werden soll.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Zu Beginn des Schuljahres 2002/2003 wurden an 16 Standorten solche Schulverbünde mit insgesamt 84 Schulen eingerichtet. Mit den zum kommenden Schuljahr 2003/2004 genehmigten Verbünden steigt die Anzahl auf insgesamt 29 Standorte mit 167 Schulen, und zwar 98 Grundschulen, 35 Ori

entierungsstufen, 1 Realschule, 29 Gymnasien und 3 Gesamtschulen.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Bertholdes-Sandrock, bitte!

Die Hochbegabtenförderung ist in dem neuen Schulgesetz, das wir vorgestern verabschiedet haben, gesetzlich fixiert worden. Herr Minister, Sie haben dargelegt, dass Sie ein flächendeckendes Angebot zur Hochbegabtenförderung einrichten wollen. Die Genehmigung der neuen Verbünde geht auch in diese Richtung. Ich frage die Landesregierung: Wie schätzen Sie den Stand Niedersachsens auf dem Gebiet der Hochbegabtenförderung im Vergleich zu anderen Bundesländern ein?

Bevor der Herr Minister antwortet, möchte ich die Beschlussfähigkeit des Hauses feststellen. - Herr Minister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin, man kann grundsätzlich feststellen, dass die Förderung besonderer Begabungen eigentlich in allen Bundesländern mittlerweile als ausdrücklich erstrebenswert und als Aufgabe angesehen wird. Da sind die Bundesländer in einem gewissen Wettlauf untereinander. Wir können sagen und auch darauf stolz sein kann, dass wir eine Art Vorreiterrolle innehaben. In der Umsetzung der Konzeption sind wir eigentlich am weitesten. Gleichwohl würde ich kein Ranking zwischen den Bundesländern herstellen wollen.

(Beifall bei der CDU)

Eine zweite Zusatzfrage stellt Frau BertholdesSandrock. Bitte!

Bereits 1995 hatte - wie wir eben gehört haben die CDU-Landtagsfraktion Hochbegabtenförderung gefordert.

Darf ich Sie bitten, dass Sie zu Ihrer Frage kommen! - Beim ersten Mal habe ich großzügig darüber hinweggesehen. Stellen Sie jetzt bitte Ihre Frage!

Ja. - Vor dem Hintergrund, dass die CDULandtagsfraktion bereits 1995 Hochbegabtenförderung gefordert hat, was mit einem einstimmigen Beschluss über den Antrag entschieden wurde, frage ich Sie: Worin unterscheidet sich nun der Kurs der neuen Landesregierung von dem der alten Landesregierung, und worin sehen Sie - vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass inzwischen acht Jahre vergangen sind - mögliche Versäumnisse der alten Landesregierung?

(Dieter Möhrmann [SPD]: Es ist alles besser geworden? - Gegenruf von Karl-Heinz Klare [CDU]: Es ist alles besser geworden!)

Herr Minister, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte Frau Kollegin, auch mir ist aufgefallen, wie schnell manchmal die Zeit ins Land zieht. 1995 brachte die CDU-Fraktion einen Entschließungsantrag ein. Ich war zu der Zeit an der Erarbeitung in der Fraktion beteiligt. In der Sachfrage war Konsens hergestellt worden. Dann gab es - ich habe es eben erläutert - 1996 einen entsprechenden Bericht der Landesregierung, mit dem man inhaltlich einverstanden und zufrieden sein konnte.

Wir haben eine gewisse Kontinuität in der Landespolitik. Das hat man auch in den letzten Wochen vernommen, und ich habe das in meiner Rede vorgestern angedeutet. Was die Hochbegabtenförderung anbelangt, so ist im Kultusministerium in den letzten Jahren konzeptionell gut gearbeitet worden. Wir können daran anknüpfen und vielleicht den einen oder anderen zusätzlichen Akzent oder Gedanken mit einbringen, um das Ganze zu einem guten Ergebnis zu führen. Bundesweit sind wir führend; daran hat auch die Vorgängerregierung ihre Verdienste. Es gibt nur einen entscheidenden Unterschied: Wir sind jetzt schneller!