Pädagogik, aus der Psychologie und auch aus der Soziologie - war und ist falsch. Daher sollten wir sie auch nicht mehr als unbedingt notwendig praktizieren. Strafvollzug sollte immer Ultima Ratio bleiben.
Meine Damen und Herren, die Aufklärung hat uns dann - frei nach Kant - aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit befreit. Kluge und mutige Menschen trauten sich, selbst zu denken und für ihre Ansichten zu streiten. Dabei ging es um Ideen und Erkenntnisse und weniger, wie es leider in der Politik heute oft der Fall ist, um den schnellen Applaus. Der ist ja heute leider handlungsleitend für die Politik.
In der Zeit der Aufklärung modernisierte sich der Strafvollzug erstmalig fundamental. Grundlage dafür war ein neues Menschenbild, geprägt von der Fähigkeit zur Vernunft, der Ratio. Auch eine neue Pädagogik brach sich hier Bahn. Sehr langsam humanisierte sich der Vollzug in dieser Zeit, weil wir humane und zivilisierte Ideen entwickelten. Zum Beispiel wurde in dieser Zeit die Theorie vom geborenen Kriminellen und ewigen Straftäter überwunden.
Natürlich gab es auch Rückschläge. Pseudowissenschaftliche Rassismustheorien z. B. führten in Deutschland sogar zu einem katastrophalen Rückfall in die absolute Barbarei. Gleichwohl, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurden bereits im 19. Jahrhundert die Ideen für eine moderne, aufgeklärte Kriminal- und Sanktionspolitik entwickelt.
Mindestens zwei der genialsten Rechtsphilosophen kamen aus Deutschland. Ihre Ideen sind eigentlich immer noch richtungsweisend für eine moderne Kriminalpolitik. Ich will Ihnen diese beiden Leute nennen und auch die Begründung ihrer Ideen noch einmal beschreiben, weil wir uns leider Gottes wieder sehr weit von diesen Grundsätzen entfernt haben.
Franz von Liszt wollte endlich Abstand von einer emotional begründeten Strafrechtspolitik und vom Sühnegedanken nehmen. Er begründete eine soziologisch und empirisch fundierte Strafrechtsschule. Im besten Sinne war und ist es nämlich vernünftig und aufgeklärt, sich die Frage zu stellen: Woher kommt eigentlich das Verbrechen? Wo hat es seine Ursachen? Wie verhindert man wirksam Kriminalität, und zwar sowohl gesamtgesellschaftlich als auch individuell? - Meine sehr verehrten
Damen und Herren, hierin liegt es begründet, dass der Strafzweck der Vergeltung durch den Strafzweck der Besserung abgelöst wurde.
Ein weiterer Reformer, der noch heute von Bedeutung ist, war Gustav Radbruch. Er war in einer kurzen Phase auch Justizminister. Radbruch erdachte und begründete kriminalpolitische Grundsätze, die eine sehr starke normative Kraft entfalteten, nämlich die der Rationalität und der Humanität. Meine sehr verehrten Damen und Herren, von diesen beiden Begriffen sollte sich eine moderne Vollzugspolitik auch heute noch leiten lassen. Das hat gar nichts - Kollege Biester, Sie haben heute versucht, das zu unterstellen - mit einem irgendwie naiven Menschenbild zu tun, von dem man sich leiten lasse. Die Einsicht, dass ein Mensch besserungsfähig ist, hat sehr viel mit Ratio und Verstand und sehr viel mit dem Leitbild der Aufklärung zu tun.
Nach der Nazibarbarei hat sich der Vollzug in Deutschland in den 60er- und den 70er-Jahren weiter liberalisiert. Es gab eine sehr produktive, aufgeklärte Phase des Strafvollzugs. Wir wurden die überfüllten Knäste los, die wir in der Bundesrepublik hatten, weil man in der Wissenschaft, aber auch in der Praxis erkannt hatte, dass das Gefängnis meist sehr wenig Besserung brachte und dass es intelligentere und klügere Sanktionsprinzipien gab. Neue, ambulante Maßnahmen brachen sich in dieser Zeit Bahn, und sie wirkten auch ganz vortrefflich; denn die Rückfallquoten gingen deutlich zurück. Man darf in dieser Debatte ruhig auch einmal sagen, dass es im Übrigen sehr viel kostengünstiger ist, so weit wie möglich ambulant zu behandeln. Die Gefängnisse entleerten sich. Es war dann gar nicht so schwer, die richtigen Schlüsse zu ziehen, vor allem weil es in dieser Zeit eine Politik und Politiker gab, die sich trauten, moderne Ideen in die Debatte zu bringen, und weniger Politik, die es dem Boulevard oder den Stammtischen recht machen wollten.
Ich sage nicht, dass es heute einfach ist, anders zu handeln. Aber heute machen wir leider in einem sehr aufgeheizten Klima Kriminal- und Sanktionspolitik. Sehr schnell schauen wir auf die Stimmung und auf die Demoskopie und lassen uns davon leiten. Sehr wenig machen wir durchdachte und reflexive Politik. Das gilt leider insbesondere auf dem Feld der Kriminalpolitik.
Man kann sich das gar nicht mehr vorstellen: Es gab z. B. in den 70er-Jahren eine Phase, in der von der Strafrechtswissenschaft mehrheitlich gefordert wurde, die Sicherungsverwahrung komplett aufzugeben. Sie ist das schärfste Schwert, das das Strafgesetzbuch kennt. Wir sperren Leute allein aufgrund einer Prognose und rein auf Verdacht ein. Ich sage nicht, dass wir die Sicherungsverwahrung komplett aufgeben sollten. Das sage ich ausdrücklich nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren. Aber das sanktionspolitische Klima in der Bundesrepublik ist in dieser Sache mittlerweile völlig überhitzt.
Das ist nicht allein meine Ansicht. Der renommierte Strafrechtler und Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes, Herr Hassemer, hat z. B. davon gesprochen, dass wir in der Bundesrepublik eine neue Lust am Strafen haben. Er hat eindrücklich davor gewarnt, sich diesem Klima anzuschließen. Denn alle Empirie zeigt uns ganz eindeutig, alle Praxis zeigt und alle Theorie beweist: Schärfere Gesetze machen keine Gesellschaft besser, und sie machen sie auch nicht sicherer.
Das beste bzw. schlechteste Beispiel hierfür sind die USA. Sie haben einerseits die schärfsten Gesetze in Bezug auf Kriminalität und gleichzeitig die höchste Kriminalitätsbelastung. Diesem schlechten Beispiel sollten wir wirklich nicht folgen. Vielmehr sollten wir dem Erbe von Liszt und Radbruch folgen und eine Kriminalpolitik, die sich der Aufklärung und der Humanität verschreibt, nicht über Bord werfen.
Jetzt komme ich zu den konkreten Gesetzentwürfen. Ich halte es aber schon für wichtig, einmal aufzuzeigen, wie sich die Kriminalpolitik und Sanktionspolitik in den letzten 150 Jahren entwickelt haben und was wir daraus gelernt haben. Leider treten wir jetzt in eine Phase des Rückschritts. Das muss man ganz deutlich sagen. Wir jedenfalls wollen mit unserem Gesetzentwurf an der Modernität, an der Aufklärung festhalten. Wir wollen ein modernes Jugendstrafvollzugsgesetz, das sowohl den wissenschaftlichen Erkenntnissen als auch den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht.
Ich will Ihnen das an einigen Kernpunkten kurz deutlich machen. Frau Ministerin, wenn Sie sagen, unser Gesetzentwurf würde sich nicht großartig
von Ihrem unterscheiden, dann möchte ich sagen, dass das in gewissen substanziellen Dingen schlicht nicht der Fall ist. Wir wollen z. B. ein eigenes Gesetz. Wir wollen vor allen Dingen auch ein verständliches Gesetz. Ich kann es überhaupt nicht verstehen, wenn Sie immer durch die Lande ziehen und sagen, die Justiz müsse sich eigentlich bemühen, etwas verständlicher zu werden, die Gesetze sollten einfacher und handhabbarer gemacht werden. Sie machen bei diesem Gesetzentwurf genau das Gegenteil. Sie machen eine dicke Gesetzesschwarte. Sie machen sehr viele Verweisungen. Es ist das klassische juristische Herrschaftswissen.
Für die Betroffenen wird es jedenfalls keine Erleichterung sein. Ich kenne auch niemanden, Herr Nacke, der sagt: Packt die gesamte Vollzugsmaterie in ein Gesetz, das ist der richtige Weg. - Es ist vielmehr singulär, was Niedersachsen in dieser Frage macht. Niemand sonst macht das.
Das Bundesverfassungsgericht hat sehr eindeutig gesagt, dass der Jugendstrafvollzug eine eigene Gesetzesmaterie ist und deswegen auch in einem eigenen Gesetz geregelt werden sollte. Auch die einschlägige Fachvereinigung, die DVJJ, hat das eingefordert; das wissen Sie. Das ist die Expertenorganisation für Jugendstrafvollzug in der Bundesrepublik. Auch davon, finde ich, sollte man sich leiten lassen.
Das Zweite, was unsere Position ganz eindeutig von Ihrem Gesetzentwurf unterscheidet, ist, dass wir eine vernünftige Förderplanung wollen. Das ist in Ihrem Entwurf sehr kurz geregelt. Es ist nicht klar, welche Rechte und Pflichten die Strafgefangenen haben. Ganz im Gegenteil: In Ihrem Gesetzentwurf ist die sehr große Generalklausel,
die Sie den Anstalten in § 4 einräumen, mit ziemlicher Sicherheit verfassungswidrig. Das ist ein sehr großer Auffangtatbestand, den Sie da haben.
Das wurde in der internen Anhörung von verschiedenen Juristen stark bemängelt. Das ist klassische, exekutiv geleitete Vollzugspolitik, wenn Sie sagen: Die Exekutive oder die Anstaltsleitung soll
es regeln. Wir machen ein schlankes Gesetz. Das bedeutet immer nur, dass Sie den Anstalten sehr große Ermessensspielräume geben, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das werden wir auf keinen Fall mitmachen.
den Sie landauf, landab predigen, meine sehr verehrten Damen und Herren. Es ist überhaupt nichts Neues in der Pädagogik und der Sanktionspolitik, dass man mit Anreizen arbeitet. Dagegen hat niemand etwas. Das ist ganz - „primitive“ möchte ich nicht sagen - einfache pädagogische Erkenntnis. Was Sie in den Anstalten aber faktisch machen, ist eine Mischung aus Überforderungsvollzug und Gehorsamsvollzug. Das bestätigen uns ja alle Praktiker, die sagen: In den sogenannten Chancenvollzug kommt ja niemand mehr hinein. Der größte Teil der Gefangenen kriegt nur noch den Basisvollzug.
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. - Das ist eine große Gefahr bei diesem Gesetzentwurf. Das haben verschiedene Kriminologen jetzt auch öffentlich gesagt. Wenn Sie gerade die schwierigen Straftäter nicht mehr vernünftig behandeln, dann besteht die Gefahr, dass sie gefährlicher herauskommen, als sie hineingegangen sind. Dafür tragen dann Sie, Frau Ministerin, die Verantwortung. Daran werden wir Sie auch messen lassen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf zum Justizvollzug in Niedersachsen ist ja schon seit Wochen in aller Munde. Das ist auch gut so. Inzwischen hatten die Verbände die Möglichkeit, ihre Stellungnahmen abzugeben. Auch das ist geschehen. Der endgültige Entwurf liegt uns seit heute vor.
Ich stelle als Erstes fest: Die Stellungnahmen der Verbände finden jetzt im endgültigen Entwurf fast keinen Niederschlag. Man kann auch bedauern, dass es zwischen Niedersachsen und den anderen Bundesländern in diesem Bereich überhaupt keine Zusammenarbeit mehr gegeben hat. Andere haben das gemacht. Andere Bundesländer kommen dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichtes nach, ein eigenständiges Jugendvollzugsgesetz zu machen. Wir tun das auf eine andere Art und Weise. Ich halte im Übrigen diese Art und Weise, alles in ein Gesetz zu packen, ebenso für verfassungswidrig, wie Herr Briese es hier eben gesagt hat.
Wenn man gelesen und gehört hat, wie in letzter Zeit darüber berichtet worden ist und wie auch Sie sich, Frau Ministerin, immer wieder geäußert haben, stolz zu sein, alles in einem Gesetz zu haben und als erstes Bundesland quasi die Schlusslinie erreicht zu haben, dann wende ich ein: Na ja, Sie haben sicherlich ein ganz schönes Tempo vorgelegt, aber für unsere Begriffe hinkt die Qualität dem Tempo doch recht heftig hinterher.
Wenn man drei-, vier- und fünfmal liest, wie stolz Sie darauf sind, dass Sie als Erste fertig waren, dann bekommt man irgendwann das Gefühl, dass Sie versuchen, das alte Märchen vom Wettlauf zwischen Hase und Igel neu zu gestalten. Sie hoffen diesmal, der schnelle Hase zu sein, der diesmal gewinnt. Ob aber am Ende der langsame Igel, der aber sehr clever war, vielleicht wieder der Gewinner ist, weil nämlich gar nicht sicher ist, ob Ihr Gesetz verfassungsgemäß sein wird, das warten wir noch einmal ab. Es kann durchaus sein, dass Sie dabei den Kürzeren ziehen.
Kritik - das werden Sie schon gemerkt haben üben wir ganz besonders daran, dass Sie das Jugendvollzugsgesetz in dieses Gesetz mit einbinden wollen. Positiv an dem, was Sie über den Jugendvollzug sagen, ist, dass sich der Erziehungsgedanke stärker durchsetzt. Positiv ist auch, dass es mehr Besuchsmöglichkeiten geben soll usw. Aber insgesamt sage ich einmal: Wenn sich von rund 200 Paragrafen, die der gesamte Gesetzentwurf hat, ganze 17 auf den Jugendvollzug beziehen und bei den 17 Paragrafen außerdem einer dabei ist - nämlich der § 128 -, der allein 70 Verweisungen auf den Erwachsenenvollzug - 70 Verweisungen in einem Paragrafen! - enthält, dann kann ich nur sagen: Das bisschen Drumherum an eigenen Paragrafen zum Jugendvollzug ist eine Garnierung, um zu verdecken, dass Sie den Jugendvollzug nach wie vor überwiegend wie den Erwachsenenvollzug betreiben wollen.
Ich würde dazu gerne etwas von der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen zitieren. In einer Stellungnahme genau zu diesem Gesetzentwurf heißt es:
„Hervorzuheben ist zunächst, dass die Landesgruppe die Einbeziehung der Regelung zum Jugendvollzug in ein einheitliches Vollzugskonzept für nicht sachgerecht hält. Die auch vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 31. Mai 2006 betonte Besonderheit dieser Vollzugsart wird durch die mit einem einheitlichen Entwurf verbundenen umfangreichen Verweise auf allgemeine Regelungen im Jugendbereich... nicht gewährleistet.“