Protokoll der Sitzung vom 07.03.2007

Ich rufe zunächst die Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf, also

a) Niedersachsen schert aus dem Nichtraucherschutz - der Durchmarsch der Tabaklobby bei der Landesregierung - Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drs. 15/3616

Bitte schön, Frau Korter!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 23. Februar verkündete der Niedersächsische Ministerpräsident auf der Pressekonferenz der Bund-Länder-AG Nichtraucherschutz im Beisein der Bundesgesundheitsministerin Schmidt und des Bundesverbraucherministers Seehofer,

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

dass sich Niedersachsen in einer Protokollnotiz vorbehalten habe zu prüfen, „inwieweit einzelne gastronomische Betriebe die Möglichkeit erhalten, sich zu Rauchergaststätten zu erklären“. Entsprechende Einrichtungen sollten mit einem „R“ gekennzeichnet werden.

Damit konterkarieren Ministerpräsident Wulff und Minister Hirche das Bemühen der Bund-Länder-AG für einen umfassenden Nichtraucherschutz, brüskieren die Gesundheitsministerin und lassen zu,

dass die Tabaklobby Jugendliche weiterhin in die Nikotinabhängigkeit drängt.

Die Werbekampagnen der Tabaklobby zielen auf das junge Publikum. Das Rekrutierungsfeld für dieses Geschäft mit der Krankheit sind Kinos, Diskos, Kneipen und Gaststätten. Jeder Abhängige, der in jungen Jahren gewonnen wird, ist oft für Jahrzehnte Kunde der Tabakindustrie.

Die Präsidentin der niedersächsischen Ärztekammer hat zur Entscheidung Wulffs erklärt, dass damit die „Gewerbefreiheit Vorrang vor einem umfassenden Gesundheitsschutz erhält“.

Wirtschaftsminister Hirche hat die Frage des Rauchverbots unterdessen zu einer liberalen Grundsatzfrage erklärt. Die gesundheitlichen Folgen für nikotinabhängige Jugendliche und Erwachsene und mitbetroffene Passivraucherinnen und Passivraucher und der Arbeitsschutz der Beschäftigten interessieren ihn nicht.

Wir fragen die Landesregierung:

1. An welchen Orten bzw. an welchen Plätzen soll das Rauchen nach dem Willen der Landesregierung künftig nicht untersagt werden?

2. Ab welchem Zeitpunkt werden diese Regelungen gelten?

3. Was will die Landesregierung tun, um zu verhindern, dass die Tabaklobby weiterhin gezielte Kampagnen fährt, um Jugendliche und junge Erwachsene in die Nikotinabhängigkeit zu drängen?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank. - Antworten wird Frau Sozialministerin Ross-Luttmann. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Deutsche Krebsforschungszentrum kommt u. a. zu folgenden erschreckenden Erkenntnissen: Pro Jahr sind zwischen 110 000 und 140 000 vorzeitige Todesfälle direkt auf das Rauchen zurückzuführen, und in Deutschland sind 35 Millionen Erwachsene im Beruf und/oder in der Freizeit dem Passivrauchen ausgesetzt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Aktivwie Passivrauchen schadet der Gesundheit. Ziel unserer Anstrengung muss es sein und ist es auch, zu einem wirksamen Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens zu kommen, um dadurch ausgelöste Krankheiten zu vermeiden.

Jahrelang wurde auf Bundesebene über effektiven Nichtraucherschutz diskutiert. Ende des vergangenen Jahres hat der Bund dann überraschend festgestellt, dass er für den Nichtraucherschutz keine Gesetzgebungskompetenz besitzt. Mit Blick auf die schwerwiegenden gesundheitlichen Gefahren des Passivrauchens haben sich deshalb die Ministerpräsidenten auf der MPK am 13. Dezember darauf geeinigt, eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Bund und Ländern zu beauftragen, Vorschläge für gesetzliche und administrative Regelungen zum Nichtraucherschutz zu erarbeiten. Die Federführung hierfür hat Niedersachsen übernommen.

Meine Damen und Herren, die Länder wollen handeln, und die Länder haben gehandelt. Nach nur drei Monaten hat die Länderarbeitsgruppe zum Nichtraucherschutz auf dem Nichtrauchergipfel am 23. Februar in Hannover einen tragbaren Vorschlag für mehr Nichtraucherschutz in Deutschland vorgelegt. Dieser Vorschlag beinhaltet ein Rauchverbot in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, der Bildung, der Freizeit, der Kultur, des Gesundheitswesens sowie der Verwaltungen in Ländern und Kommunen.

Zwischen den Ländern besteht weiterhin Übereinstimmung, dass in Gaststätten und Diskotheken unabhängig von Größe und Betriebsart ein vollständiges Rauchverbot in geschlossenen Räumen zu verwirklichen ist. Ausnahmen vom Rauchverbot in Gaststätten sind nur in komplett abgetrennten Nebenräumen möglich, für die eine ausdrückliche Deklaration obligatorisch ist. Einzelne Länder haben sich im Protokoll vorbehalten zu prüfen, inwieweit einzelne gastronomische Betriebe die Möglichkeit erhalten sollen, sich zu Rauchergaststätten zu erklären. Insbesondere die Konstellation der Gaststätte mit nur einem Raum - ich denke in diesem Zusammenhang insbesondere an die Eckkneipen - erfordert eine differenzierte Betrachtungsweise. Hier müssen wir über eine Kompromisslösung nachdenken. Wie schwierig es ist, in manchen Bereichen zu einem strengen Rauchverbot zu kommen, zeigen die Diskussionen im Landtag über ein Rauchverbot in den Räumen des Landtagsgebäudes.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte den erzielten Kompromiss herausstellen, um den wir uns schon seit Jahren bemühen, nämlich grundsätzlich den Schutz vor Passivrauchen gesetzlich zu verankern. Der Nichtraucherschutz in Deutschland wird eine nachhaltige Verbesserung erfahren. Über den von den zuständigen Ressortministern auf dem Nichtrauchergipfel vorgelegten Vorschlag werden demnächst die Ministerpräsidenten beraten. Aber es wird Aufgabe der jeweiligen Landtage sein, im parlamentarischen Verfahren über Entwürfe von Landesgesetzen zu entscheiden.

Zu Ihren Fragen:

Zu Frage 1: Es besteht Konsens zwischen den Ländern, dass der Nichtraucherschutz, insbesondere in den oben aufgeführten Bereichen, sichergestellt werden muss. Ausnahmen vom Rauchverbot in diesen Bereichen sollen dann zulässig sein, wenn zwingende konzeptionelle oder therapeutische Gründe dies rechtfertigen oder wenn die Privatsphäre gewahrt werden muss, etwa im Justizvollzug, im Maßregelvollzug, in Alten- und Pflegeheimen, in Einrichtungen der Behindertenhilfe, in Hospizdiensten, in Studentenwohnheimen und in Einrichtungen der Jugendhilfe.

Mit Blick auf die Gaststätten habe ich auf die Ausnahme vom Rauchverbot in komplett abgetrennten Nebenräumen und auf die Protokollnotiz hingewiesen. Insgesamt werden weitere Ausnahmemöglichkeiten Gegenstand der parlamentarischen Beratungen sein.

Zu Frage 2: Ohne dem parlamentarischen Verfahren vorgreifen zu wollen, soll nach den Vorstellungen der Landesregierung ein Inkrafttreten noch in der zweiten Jahreshälfte erfolgen.

Zu Frage 3: Als bisherige Bemühungen zum Nichtraucherschutz in Deutschland sind u. a. zu nennen: Einordnung von Tabakrauch in Innenräumen und am Arbeitsplatz in die höchste Gefahrenstufe krebserregender Stoffe durch die DFG-Senatskommission - das war 1998 -, Warnhinweise auf Zigarettenschachteln seit Oktober 2003, Alterskontrolle an Zigarettenautomaten seit dem 1. Januar 2007 und das Grünbuch der EU-Kommission. Die Tabakwerberichtlinie - das ist die Richtlinie 2003/33/EG - sieht vor, dass neben der Tabakwerbung in der Presse, im Internet und im Rundfunk auch das Sponsoring von Rundfunkprogrammen durch Hersteller von Tabakerzeugnissen verboten

wird. Sie untersagt zudem das Sponsoring von Veranstaltungen mit grenzüberschreitendem Charakter. Die Richtlinie wurde Ende letzten Jahres in deutsches Recht umgesetzt. Die Umsetzung dieser EU-Werberichtlinie wird dabei helfen, die Werbung für die Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu begrenzen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Niedersachsen - das, was ich eben angesprochen habe, gilt bundesweit - war schon in der Vergangenheit zum Schutz junger Menschen in vielen Bereichen Vorreiter in Sachen Nichtraucherschutz. So gibt es seit dem 1. August 2005 rauchfreie Schulen in Niedersachsen. Die vor dem Inkrafttreten des Erlasses möglichen Ausnahmen vom Rauchverbot in besonderen Raucherzonen oder Lehrerzimmern waren dadurch entfallen.

Das Land engagiert sich mit zahlreichen Unterstützungsangeboten zum aufklärenden Gesundheitsschutz. Darüber hinaus soll mit der Dachkampagne „Rauchfrei in Niedersachsen“ das Gesundheitsziel der Verminderung des Tabakkonsums bei Kindern und Jugendlichen weiterverfolgt und vor allen Dingen auf eine breite Grundlage gestellt werden. Ich möchte hier nur nennen, dass erfolgreiche Programme gebündelt und ausgewertet sowie Initiativen gestartet werden sollen, dass die Selbstverpflichtung der Zigarettenindustrie im Umfeld von Schulen überprüft und dass vor allen Dingen der Jugendschutz besser umgesetzt werden soll.

Ich darf Ihnen versichern, dass die Landesregierung in ihrem Bemühen um Aufklärung und Gesundheitsförderung, gerade zum Schutz von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, nicht nachlassen wird.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Herr Kollege Briese stellt eine Zusatzfrage.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war doch Ziel und Absicht dieser Landesregierung, für klare und eindeutige Regelungen einzustehen. Sie haben immer gesagt, Sie wollten entbürokratisieren, Gesetze verständlicher machen und einfache, klare Regelungen. Deshalb meine erste Frage: Warum soll es diese Sondertatbestände, diese Ausnahmeregelung geben? Warum schaffen Sie nicht eine klare, eindeutige Regelung, die für alle

verständlich ist, statt diese wettbewerbsverzerrende, kaum übersichtliche und sehr bürokratische Regelung?

Meine zweite Frage, insbesondere an die Gesundheitsministerin, lautet: Frau Ross-Luttmann, Sie haben ja gerade sehr emotional, aber auch richtig dargestellt, wie groß die Gefahren des Passivrauchens sind. Warum schlagen Sie sich dann nicht ganz eindeutig auf die Seite der Deutschen Krebsforschungsgesellschaft, sondern zollen der Raucher- und der Tabaklobby Tribut? - Das verstehe ich wirklich nicht!

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Frau Ministerin!

Wir müssen uns über eines im Klaren sein - das habe ich eingangs gesagt -: Auf Bundesebene ist jahrelang debattiert worden. Wir haben in nur drei Monaten einen guten Vorschlag vorgelegt. Über diesen Vorschlag, der nun in Gesetzesform gegossen werden muss, werden die einzelnen Landesparlamente, auch der Niedersächsische Landtag, zu entscheiden haben.

Mir ist es wichtig festzustellen - darüber sind wir uns in dieser Runde wohl einig -, dass Passivrauchen der Gesundheit schadet. Ich bin sehr froh, dass wir in Niedersachsen bereits im Vorfeld dieser Diskussion eine ganze Menge unternommen haben: Wir haben rauchfreie Schulen, und die Verwaltungsgebäude des Landes sind rauchfrei.

Wir werden erreichen - das ist mir ein ganz ernstes Anliegen -, dass die Gaststätten - das ist zunächst einmal unser Grundsatz - rauchfrei sind. Davon geht der Vorschlag nämlich aus. Wir müssen aber auch bedenken, dass all das, was wir beschließen, praktikabel sein muss. Von daher muss man sich überlegen, wie es beispielsweise in Eckkneipen aussieht, in denen es nur einen Raum und nicht mehr gibt. Hier wird es mit einem verhältnismäßig hohen Aufwand erforderlich sein, getrennte Räumlichkeiten zu schaffen. In den Eckkneipen haben es allerdings die Wirte in der Hand. Das ist die Umkehr dessen, was bislang gilt. Ich meine den Grundsatz: rauchfrei und getrennte Räumlichkeiten. Ein Gastwirt wird durchaus die Möglichkeit

dazu haben, seine Gaststätte mit einem „R“ als Rauchergaststätte zu deklarieren. Hierüber werden wir im Landtag zu debattieren haben. Wir müssen überlegen, wie wir dem Nichtraucherschutz, für den ich sehr engagiert eintrete, Geltung verschaffen.

Meine Damen und Herren, ich möchte auf Folgendes hinweisen - das sage ich mit allem Nachdruck -: Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn der Landtag Vorbildfunktion bei seinen eigenen Räumlichkeiten übernehmen würde.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Frau Kollegin Helmhold, bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin, in diesem Punkt sind wir uns außerordentlich einig. Auch wir wären sehr froh, wenn es im Landtag einen umfassenden Nichtraucherschutz geben würde, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Verhandlungen der Bund-LänderArbeitsgruppe.

Sie haben eben in dieser Debatte - das tut mir schon fast leid - ziemlich herumeiern müssen. Uns ist klar, dass Sie als Gesundheitsministerin ebenso wie die Gesundheitsminister aller anderen Länder für einen umfassenden Nichtraucherschutz eintreten.

(Vizepräsidentin Silva Seeler über- nimmt den Vorsitz)

Sie haben in Ihrer Eingangsrede gesagt, einzelne Länder hätten sich vorbehalten, andere Regelungen zu treffen. Niedersachsen aber ist bei diesen einzelnen Ländern Vorreiter. Deswegen müssen Sie sich etwas deutlicher verhalten. Wie wollen Sie den grundsätzlichen Schutz vor Passivrauchen verankern, wenn Sie Regelungen treffen, die genau das wieder konterkarieren, weil sich z. B. einzelne Gaststätten anders entscheiden können? Da sehe ich schon wieder ein bisschen das Motto „Freiheit der Eckkneipe“ durchschimmern. Die Frage ist, wem Sie diese Regelung überhaupt geopfert haben. In den Kneipen müssen doch Menschen arbeiten. Wie wollen Sie den Schutz der Beschäftigten in diesem Bereich sichern?

(Beifall bei den GRÜNEN)